Das Scheitern der Novelle des Jugendmedienstaatsvertrags ist erst der Anfang der Arbeit

Von | 15. Dezember 2010

Morgen, Donnerstag, gegen 11.00 Uhr steht die Abstimmung im Schleswig-Holsteinischen Landtag zum Jugendmedienschutzstaatsvertrag NICHT an. Die Parteien der Opposition, im Kieler Landtag sind das SPD, BÜNDNIS 90/​DIE GRÜNEN, DIE LINKE und der SSW haben ihre kla­re Ablehnung des Gesetzes schon mehr­fach signa­li­siert. FDP und CDU haben die Bedenken, die aller Orten an dem Vertrag geäu­ßert wur­den, nicht voll­stän­dig bei­sei­te gewischt, son­dern zum Ausdruck gebracht, dass sie eine früh­zei­ti­ge Evaluierung des Vertragswerkes wün­schen. Wider Erwarten fand die­ser Beschlussvorschlag im Innen- und Rechtsausschuss kei­ne Mehrheit — ein CDU-Mitglied war zur Abstimmung nicht anwe­send. So emp­fiehlt der Ausschuss dem Landtag, den Staatsvertrag (offi­zi­ell: Gesetzentwurf der Landesregierung zum Vierzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag, Drucksache 17/​744) abzu­leh­nen. Manchmal ist es schön, Artikel umzu­schrei­ben.

Hielt Dirk Hundertmark, Pressesprecher der CDU-Landtagsfraktion, heu­te Morgen gegen­über dem Landesblog eine Änderung des Abstimmungsverhaltens noch für nicht mög­lich: Die CDU-Fraktion habe dem Gesetzentwurf und dem Begleitantrag in ihren Fraktionssitzungen zuge­stimmt, und sah sich der Fraktionsvorsitzende der CDU, Christian von Boetticher, auf Facebook in einem Kommentar noch als Koordinator in der „Pflicht, ein­mal mit­ein­an­der abge­spro­che­nes Verfahren ein­zu­hal­ten” (Mit der Einschränkung: „Aber ein Bundesland reicht ja schon…!”), so sag­te er auf Facebook vor ein paar Minuten: „Nein, wir haben gera­de beschlos­sen, den Tagesordungspunkt abzu­set­zen und somit eben­falls nicht zuzu­stim­men! Frohe Weihnachten!”

Ja, wer­de ich haben :-)

Die Argumentationskette, mit der Andreas Krautscheid, unter Wolfgang Rüttgers noch CDU-Medienminister in NRW, gegen­über dem WDR die Ablehnung begrün­de­te, ist sehr ratio­nal: Auch von den Befürwortern des Vertrages wer­de stets dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die so genann­ten Jugendschutzprogramme zum 1.1.2011 über­haupt nicht vor­lä­gen, son­dern — frü­hes­tens — Mitte 2011 zu erwar­ten sei­en. Zudem fra­ge sich die CDU in NRW, ob auf­grund mög­li­cher hand­werk­li­cher Mängel des Gesetzes — er spricht von einer „Reihe von Schwachstellen” — nicht eine Nachbesserung schon jetzt erkenn­bar nötig sei. Auch er sieht nicht abzu­se­hen­de „Folgen für klei­ne Betreiber von Websites” Außerdem sei unklar sei, ob nicht eine „Abmahnwelle” los­ge­tre­ten wer­den könn­te. Daraus folgt für ihn kein gene­rel­les „Nein”, son­dern ein „so jetzt nicht”. Man ver­lie­re ja kei­ne Zeit oder Wirkungskraft des Gesetzes, wenn es nach­ver­han­delt wer­de und spä­ter (z.B. zum 1.7.2011) in Kraft tre­te. Die Ablehnung ist also ziem­lich unauf­ge­regt und sehr geschäfts­mä­ßig begrün­det.

Mit der Absetzung von der Tagesordnung ist das Arie gesun­gen. Selbst wenn in NRW noch wer Pirouetten dre­hen soll­te. Aber: Die Kritiker des JMStV fin­den in ihrer Ablehnung mit Teilen der CDU und Teilen der SPD Mitstreiter, der eine Zeitlang mit ihnen des glei­chen Weges gehen, aber durch­aus ein ande­res Ziel zu haben schei­nen.

Nun fängt die Arbeit erst rich­tig an. Die Ministerpräsidenten der Länder wer­den zügig ver­su­chen, den Vertrag nach­zu­bes­sern, die eine oder ande­re Formulierung ändern und einen wei­te­ren Versuch star­ten, das Vertragswerk zum Abschluss zu brin­gen. Die Bedürfnisse des Medien-indus­tri­el­len Komplexes, ihren nicht immer „jugend­frei­en” Content auch über das Internet anzu­bie­ten,  bestehen wei­ter­hin. Die Kritiker müs­sen die augen­blick­li­che Gunst der Stunde nut­zen und nicht nur in den Parlamentarischen Räumen son­dern auch gegen­über den Regierungschefs der Länder klar, zügig und durch­dacht dar­le­gen, wie die Alternative aus­se­hen kann.

  • Wie funk­tio­niert Jugendmedienschutz in Zeiten des Internets?
  • Wie ver­hin­dern wir Eingriffe in die Freiheitsrechte der Menschen, die sich, sei es nun als Blogger, Twitterer, Facebooker oder sonst­wie, im Internet bewe­gen?
  • Wie gewähr­leis­ten wir wei­ter­hin den Schulen, den Schülern und allen ande­ren Lernwilligen den frei­en Zugang?
  • Kann man die Interesse der Großanbieter, die wohl trei­ben­de Kraft hin­ter der vor dem Scheitern ste­hen­den Novelle waren, von den Interessen der mitt­le­ren und klein­stän­di­schen Wirtschaft tren­nen?
  • Welche tech­ni­schen Möglichkeiten gibt es?
  • Welche recht­li­chen Fallstricke (Stichworte: Abmahnung) müs­sen ver­mie­den wer­den?
  • Wie gestal­tet man die Abläufe prak­tisch (Stichwort: schlan­kes Verfahren)?
  • Und nicht zuletzt: Wie kann das, was beschlos­sen wird, vali­diert und eva­lu­iert wer­den?

All das ist nicht ein­fach und spricht gegen einen Schnellschuss. Zudem und zuerst: Die grund­sätz­li­che Frage vie­ler Kritiker, ob der Jugendschutz im Internet über­haupt in die Hände der Länder gehö­re und ob er nicht so oder so bes­ser in einem eigen­stän­di­ges Werk auf­ge­ho­ben wäre -er also nicht im Kontext mit den „ande­ren Medien” im JMStV gere­gelt wird, bleibt essen­ti­ell. (Dieser Satz fehl­te in der ers­ten Fassung, ich hat­te ihn in der Eile ver­se­hent­lich gestri­chen. Swen) Das Feld darf nun nicht den bis­he­ri­gen Handelnden über­las­sen wer­den. Medienrechtler, Medienpädagogen, Netzgeologen/-topo­lo­gen, Bürgerechtler und alle ande­ren, die den Jugendmedienschutzstaatsvertrag kri­tisch beglei­tet haben, blei­ben auf­ge­ru­fen, ihre Kritik ein­zu­brin­gen. Die Politik hin­ge­gen muss zei­gen, dass sie gelernt hat, dass clo­sed-shop-Diskussionen in einer durch das Internet in neue Dimensionen vor­ge­sto­ße­ne Kommunikationsvielfalt zum Scheitern ver­ur­teilt sind.

Also: An die Arbeit.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

9 Gedanken zu “Das Scheitern der Novelle des Jugendmedienstaatsvertrags ist erst der Anfang der Arbeit”:

  1. Malte Steckmeister

    Schön wäre für die Zukunft (den nächs­ten “Release Candidate” sozu­sa­gen) das Verfahren öffent­li­cher zu gestal­ten und die Betroffenen bes­ser ein­zu­bin­den. Denn die Änderungen des Publikationsverhaltens durch das Netz (jeder ist jetzt Anbieter, sei es mit Blog oder sei­nen Tweets etc) müs­sen sich dort wie­der­fin­den; das bis­he­ri­ge Mindset ist zu sehr auf weni­ge gro­ße Anbieter aus­ge­rich­tet.

    Auch muß man schau­en, ob bzw. daß in den Staatskanzleien sol­che Themen von Leuten bear­bei­tet wer­den, die nicht aus­schließ­lich in klas­si­schen Rundfunkbegriffen/-struk­tu­ren denken…jedenfalls eine gro­ße Chance, die Sache auf soli­de­re Beine zu stel­len und mehr Menschen dabei mit­zu­neh­men.

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  2. Pingback: NRW + SH: JMStV fällt durch! - AK Digitale Gesellschaft der SPD Schleswig-Holstein

  3. Sebastian Maas

    oh ja, gute nach­rich­ten! Eine fro­he weih­nacht uns allen :)

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  4. Christian Rohweder

    In der Tat gute Nachrichten. Wenngleich ich das auch mit gemisch­ten Gefühlen sehe. Denn auf der einen Seite ist Jugendschutz wich­tig. Wäre schön, wenn der auch im Fernsehen ins­be­son­de­re bei den Privatsendern mal ernst genom­men wür­de. Andererseits muss man uns Publizierenden auch geeig­ne­te Spielregeln und Werkzeuge an die Hand geben, um das umzu­set­zen und uns vor wil­den Abmahnern zu schüt­zen. Denn so ein Gesetz soll ja imho kei­ne neu­en Geschäftsfelder für zwie­lich­ti­ge Anwälte eröff­nen.

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    1. Herr Voß

      Vielleicht soll­te man dann lie­ber etwas gegen zwie­lich­ti­ge Anwälte tun. Der mora­li­sche Standard zwei­fel­haf­ter Juristen kann ja nun kein Maßstab für zukünf­ti­ge Gesetzgebung wer­den…

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    2. Swen Wacker Post author

      Durch die Ablehnung der Novelle bleibt der bis­he­ri­ge (im euro­päi­schen Vergleich eh schon sehr stren­ge) Jugendmedienschutzstaatsvertrag gül­tig. Insoweit hat die Ablehnung kei­nen spür­ba­ren Ausfluss auf den Jugendschutz im Fernsehen. Die viel­leicht beklag­ten Mängel des Jugendschutzes im Fernsehen (ich habe eher Furcht um das intel­lek­tu­el­le Niveau unse­rer Kinder, bin inso­weit aber kein guter Kritker, da ich prak­tisch nie Fernsehen schaue) waren nicht das Thema des jetzt geschei­ter­ten Gesetzes..

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  6. Kai Dolgner

    An dem Jugendschutz im Fernsehen hät­te auch die Novelle nichts geän­dert. Hier ist die Sendezeitenregelung ja auch durch­aus sinn­voll. Und zur Qualität eini­ger Privatsender kann ich nur sagen, ab wel­chem Alter soll den akti­ve Ruckverdummung erlaubt sein ;-)?

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