Leitlinien für die Arbeit der Grünen Landtagsfraktion bis zur Neuwahl

Von | 14. Januar 2011

„Der ein­zig wah­re Realist ist der Visionär.“ Federico Fellini hat mit die­ser Einstellung das Nachkriegskino in Europa nach­hal­tig geprägt, uns ewig schö­ne Filme wie La Strada (Das Lied der Straße)La dol­ce vita (Das süße Leben) oder Ginger und Fred hin­ter­las­sen.

Auf die Politik über­tra­gen braucht der Realist, der heu­te Politik gestal­ten zu kön­nen, die uns auch noch mor­gen nützt, Visionen, die über die Dauer eines Landeshaushaltes oder einer Legislaturperiode hin­aus rei­chen.

Robert Habeck, Fraktionschef der Grünen im Kieler Landtag, hat zur heu­ti­gen (14. Januar) Fraktions-Klausur der Landtags-Grünen im nord­frie­si­schen Leck ein Strategiepapier vor­ge­legt, das eben­so beschei­den wie unzu­tref­fend „Leitlinien für die Arbeit der Grünen der Landtagsfraktion bis zur Neuwahl” über­schrie­ben ist, aber über den Zeitraum hin­aus schaut.

Man wird dar­über strei­ten kön­nen. Man muss dar­über strei­ten. Das wäre ein schö­ner Erfolg. Dann ler­nen wir auch ande­re Visionen ken­nen.

Das Landesblog doku­men­tiert nach­fol­gend den Wortlaut des Papieres.


Landesaußenpolitik

Leitlinien für die Arbeit der Grünen der Landtagsfraktion bis zur Neuwahl

Robert Habeck

1. Widersprüchliche Herausforderungen

In 2010 hat sich die Grüne Eigenständigkeit zu einem neu­en grü­nen Selbstbewusstsein wei­ter­ent­wi­ckelt und wir wur­den immer mehr zu der poli­ti­schen Kraft, die einen gesell­schaft­li­chen Führungsanspruch for­mu­liert. Das bemisst sich nicht an Umfragen son­dern an Konzepten. Im die­sen Sinn ist die ein­zig ver­nünf­ti­ge Reaktion auf gestie­ge­ne gesell­schaft­li­che Erwartungshaltungen, mit noch grö­ße­rem Arbeitsethos ans Werk zu gehen. Die neue Herausforderung, vor der die Grünen ste­hen, ist die Programmatik in Konzepte zu ver­wan­deln – und zwar mög­lichst ohne Abstriche an weit­rei­chen­den, visio­nä­ren Vorstellungen und ande­rer­seits mit dem ver­schärf­ten Blick auf die Möglichkeiten der Umsetzung. Dies beinhal­tet sowohl finan­zi­el­le Einschränkungen wie recht­li­che Rahmenbedingungen. Insofern spie­gelt die Position der grü­nen Landtagsfraktion den gesell­schaft­li­chen Protest – auch in sei­ner Widersprüchlichkeit.

Ob die guten Umfrageergebnisse spä­ter auch zu guten Wahlergebnissen füh­ren und dann in der nächs­ten Legislatur erhal­ten blei­ben, liegt nicht an den Umfragen, son­dern ein­zig und allein an uns. Mehr Menschen als jemals zuvor trau­en uns mehr zu. Diesem Anspruch müs­sen sich die Grünen stel­len – und die Landtagsfraktion muss ihn ein­lö­sen. Die Frage, ob die Grünen Volkspartei wer­den oder nicht, ist eine Frage aus der Vergangenheit. Wir wer­den nicht für Konsens und kleins­ten-gemein­sa­men-Nenner gewählt. Wir wer­den für kon­zep­tio­nel­le Antworten gewählt, die den Anspruch auf gesell­schaft­li­che Veränderung nicht auf­ge­ben. Diesen Spagat müs­sen die Grünen aus­hal­ten.

Tiefengrund der BürgerInnenproteste des letz­ten Jahres ist das fei­ne Gespür für die enge des poli­ti­schen Entscheidungsspielraumes. Stets gibt es gesetz­li­che Vorgaben, selbst­ge­steck­te, wie die Schuldenbremse, oder aus Berlin und Brüssel, die poli­ti­sches Agieren erschwe­ren. Am greif­bars­ten ist dies in der Energiepolitik, — selbst wenn wir eine grü­ne Alleinregierung in Schleswig-Holstein hät­ten, wir kön­nen die AKWs nicht gegen Bundesgesetze still­le­gen — am deut­lichs­ten in der Finanz- und Währungspolitik, wo der Zusammenbruch der Weltfinanzen die HSH Nordbank mit­ge­ris­sen hat (die frei­lich kein Unschuldslamm bei den Spekulationen war). Insofern sind die Proteste ver­mut­lich eine ver­spä­te­te Reaktion auf die Hilflosigkeit und Nachträglichkeit von poli­ti­schen Entscheidungsprozessen ange­sichts der gro­ßen Anonymität der Strukturen – und sie zie­len im Kern auf eine neue Ermöglichung von Gestaltung. Andererseits kann die­se nur inner­halb demo­kra­ti­scher Prozesse und nach rechts­staat­li­chen Spielregeln erfol­gen. Politiker, die sich dar­an nicht hal­ten, wer­den als unglaub­wür­dig ange­se­hen und sind es auch.

Folglich ist die Aufgabe – zumal der grü­nen Landtagsfraktion – so zu beschrei­ben: Innerhalb des ein­ge­üb­ten Systems des Föderalismus müs­sen wir für Veränderungen sor­gen, die dem Land und sei­nen Bürgerinnen und Bürgern wie­der Handlungs- und Entscheidungsoptionen zurück geben, also: Innerhalb der föde­ra­len Strukturen müs­sen wir Ansätze fin­den, die die­se ver­än­dern. Mit ande­ren Worten: Eine zukünf­ti­ge Landespolitik ist Landesaußenpolitik!

2. Von der Programmatik zu Konzepten

Die Leistungsbilanz der grü­nen Landtagsfraktion kann ins­ge­samt als gut bezeich­net wer­den. Die wesent­li­chen Themenfelder sind durch die Fachaufteilung der Fraktion abge­deckt. Den Vergleich zu der Arbeit ande­rer Fraktionen brau­chen wir nicht zu scheu­en. Immer mehr gelingt es in den ver­schie­de­nen Themenfeldern die poli­ti­sche Interpretation zu bestim­men. Andererseits ist Selbstzufriedenheit Fehl am Platz. Erstens, weil das Messen an der Arbeit der ande­ren Fraktionen nur ein rela­ti­ver Vergleich ist (und nicht immer ein schmei­chel­haf­ter), zwei­tens weil es durch­aus Themenfelder gibt, die wir nicht oder unge­nü­gend kon­zep­tio­nell unter­le­gen oder nicht offen­siv genug in die gesell­schaft­li­che Diskussion brin­gen, drit­tens, weil die Nagelprobe noch nicht erbracht ist. Die Nagelprobe ist die unter 1. Beschrieben Aufgabe, von der Programmatik zu Konzepten zu gelan­gen.

Dabei sind die Aufgaben wei­ter gewor­den. Wurden frü­her von den Grünen Antworten für Verbraucherschutz, Gleichstellungspolitik, Umwelt-, Energie-, Integrationspolitik erwar­tet, gilt dies jetzt auch für Wirtschaftspolitik, Innen- und Sicherheitspolitik, Bildungs-, Gesundheits- und Finanzpolitik. In die­sem Sinne sind wir in der Mitte der Gesellschaft tat­säch­lich ange­kom­men – es gibt kein zen­tra­les gesell­schaft­li­ches Feld, dem wir uns nicht stel­len (müs­sen und wol­len).

Dabei haben wir beson­ders im letzt­ge­nann­ten Themenfeld Hausaufgaben zu machen. Programmatisch sind wir da sehr gut auf­ge­stellt. JedeR Grüne kann Kriterien der Nachhaltigkeit für Wirtschafts- ggf. sogar für Finanzprodukte auf­zäh­len, kann demo­kra­ti­sche Aspekte für mehr Bürgerbeteiligung for­dern oder ein bes­se­res Miteinander von Polizei und Demonstranten. Aber wel­che Rechtsvorschriften bei der Einzelbetrieblichen Förderung müs­sen wie geän­dert wer­den? Wie genau fin­det die Mittelsteuerung im Sozialbereich statt? Wie genau setzt man eine Verwaltungsreform um? Die Aufgabe der Fraktion wird es sein, die­se Frage vor der nächs­ten Landtagswahl beant­wor­tet zu haben. Erstens, weil es gegen die grü­ne Ehre und das grü­ne Selbstverständnis als grü­ne Bürgerpartei geht, den Menschen (und sich selbst) Sand über die Bedingungen der Möglichkeiten in die Augen zu streu­en, zwei­tens, weil die­se Hausaufgaben die Voraussetzung dafür sind, einen wirk­lich ehr­gei­zi­gen Politikanspruch zu for­mu­lie­ren.

Jeder Fachbereich der Landtagsfraktion legt zur Klausurtagung des­halb eine Projektskizze für die zu schrei­ben­den Konzepte vor und glie­dert sie nach IST-Stand, grü­nen Antworten (Programmatik) und Lösungen (Konzepten).

3. Landesaußenpolitik

Schleswig-Holstein ist allein nicht lebens­fä­hig. Als Land war es abge­schnit­ten, sofern ihm Hamburg nicht zuge­hör­te, oder es nicht Teil des skan­di­na­vi­schen Raumes war. Das ist die bru­ta­le his­to­ri­sche Sicht. Aber ist es auch die Wahrheit? Immer wie­der näm­lich schaff­te es das Land zwi­schen den Meeren, poli­ti­sche Bedeutung zu gewin­nen. Immer dann war das Land und sei­ne Politik gut, wenn sie nicht nur Politik für das Land gemacht hat, son­dern wenn sie einen Anspruch for­mu­lier­te, die über die Provinz Schleswig-Holstein und sei­ne Provinzialität hin­aus­ging. Und genau das dürf­te die Herausforderung für die nächs­ten Jahre sein: Landespolitik zu machen, die über das Land hin­aus weist. Die Probleme der Zukunft sind für das Land noch nicht ehr­lich genug beschrie­ben. Und beschreibt man sie, dann kommt man zum Schluss, dass Schleswig-Holstein völ­lig unzu­rei­chend auf­ge­stellt ist, um halb­wegs pro­spe­rie­rend die Aufgaben der Zukunft zu bestehen. Neben der Bedrohung durch den Klimawandel stellt vor allen Dingen der demo­gra­phi­sche Wandel das Land vor rie­si­ge Probleme.

Im länd­li­chen Raum – wie in Ostdeutschland, wo man wirk­lich schon dabei ist, Dörfer wie­der auf­zu­ge­ben – droht eine gan­ze Infrastruktur zusam­men zu bre­chen. Die Sorgen um die Landarzt-Versorgung und den Fortbestand der klei­nen Grundschulen sind da nur der Anfang. 80.000 Einwohner wird das Land bis 2050 ver­lie­ren. Die sozia­len Dienstleistungen wer­den dann in der Fläche kaum zu hal­ten sein, was die Konzentration auf die Städte nach sich zie­hen und eine zusätz­li­che Landflucht ein­läu­ten wird. Die Idee, die­sem Verlust im länd­li­chen Raum mit mehr Wirtschaftswachstum begeg­nen zu wol­len, ist rich­tig, aber unstra­te­gisch, wenn er dif­fus daher kommt. Wenn man alles för­dert, för­dert man in Wahrheit nichts.

  1. Der Ansatz wird sein müs­sen, dass man den Impuls, der aus dem Land zu den Städten geht, wird zurück­ge­ben müs­sen. Aus den Zentren die wir haben, wird die Region gestärkt. Die bes­te Stärkung wäre, die Akademikerquote zu erhö­hen und die jun­gen Leute, die ja schon in Schleswig-Holstein sind, im Land zu hal­ten. Ersteres wird ohne Hilfe des Bundes und des­halb ohne eine Streichung des Kooperationsverbotes nicht mög­lich sein, für letz­te­res bie­tet die mit­tel­stän­disch gepräg­te Wirtschaft eine her­vor­ra­gen­de Möglichkeit. Konzentriert sich die­se Wirtschaft auf die stra­te­gi­schen Handlungsfelder der Zukunft, wird sie den Braindrain im Land stop­pen kön­nen. Deshalb muss sich die Wirtschafts- und Technologieförderung auf die Märkte der Zukunft kon­zen­trie­ren, also vor allem auf die Entwicklung ener­gie­ef­fi­zi­en­ter Technologien und Geräte, außer­dem auf grü­ne Technologien so z. B. in der Abfallwirtschaft, in der Nano- und Biotechnologie und bei der Energieerzeugung. Bis zu 25.000 Arbeitsplätze könn­ten allein in Schleswig-Holstein durch Klimaschutz bei der Gebäudesanierung, in der öko­lo­gi­schen Landwirtschaft und durch Erneuerbare Energien ent­ste­hen.
  2. Das Know-how im Land zu hal­ten, bedeu­tet daher vor allen Dingen die Kompetenz im Bereich der Erneuerbaren Energien wei­ter zu ent­wi­ckeln. Schleswig-Holstein wird, ohne zu pathe­tisch klin­gen zu wol­len, das Land, in dem wie unter einem Brennglas die Entscheidung über die zukünf­ti­ge Energiestruktur der Bundesrepublik fal­len wird. Hier gibt es drei AKW — von denen zwei extrem stör­an­fäl­lig sind -, hier sol­len vier neue Kohlekraftwerke gebaut wer­den, hier sind gro­ße Off-Shore-Parks in Planung und es gibt die theo­re­ti­sche Möglichkeit für eine unter­ir­di­sche CO2-Speicherung. In Schleswig-Holstein ent­schei­det sich, ob Deutschland ener­gisch in Richtung Erneuerbarer Energie auf­bricht oder alles gleich­zei­tig will und damit in Wahrheit nichts. Die nächs­te Landesregierung muss im Bereich der Erneuerbaren kla­re Prioritäten set­zen, auf die Stllegung der AKWs hin­wir­ken, den Bau von Kohlekraftwerken ableh­nen, ggf. der Bindung zur Förderung von Anlagen an den Wirkungsgrad kop­peln (Bundesratsinitiative), 110 kv-Leitungen als Erdkabel ver­le­gen und im Bereich e-Mobilität die Spitzenforschung ins Land holen, denn die e-Mobilität ist auch eine Antwort auf die Speicherfrage Erneuerbarer Energie.
  3. Die Schuldenbremse sinn­voll zu inter­pre­tie­ren, heißt eine Vision von einem Schleswig-Holstein 2020 zu haben und alle Mittel zu nut­zen, um die­se zu beför­dern. Und es heißt, das Land von sei­nen Zinsen zu befrei­en. Die ein­zi­ge Möglichkeit, dies zu tun, ist ein Altschulden-Tilgungsfonds. Ohne die­sen Fonds wird Schleswig-Holstein finan­zi­ell nicht über­le­ben kön­nen. Und weil das Problem in Schleswig-Holstein am drü­ckends­ten ist, soll­te der Ministerpräsident es sich auf sei­ne Fahne schrei­ben, die­se Schuldenbremse in Berlin ein­zu­for­dern.
  4. Die Haushaltsberatungen für den Doppelhaushalt 2011/​12 haben gezeigt: Steuererhöhungen sind auch für CDU und FDP kein Tabu mehr; ohne Steuererhöhungen geht die Konsolidierung des Landes nicht. Deshalb wird eine nächs­te Landesregierung trei­ben­de Kraft im Bundesrat für eine höhe­re Staatsquote sein müs­sen. Wir ver­schlie­ßen uns dabei nicht einer Debatte über eine Mehrwertssteuerreform, gehen aber dar­über hin­aus, wol­len den Soli in einen Bildungssoli umwan­deln, die Einführung einer Vermögenssteuer (ggf. als Abgabe zur Tilgung des Altschuldenfonds), eine Anhebung der Erbschaftssteuer. Das Land muss im Bundesrat Initiative zei­gen.
  5. Ein Ergebnis der Enquetekommission nord­deut­sche Zusammenarbeit soll­te sein, dass zügig eine Föderalismus-Kommission III ein­ge­setzt wird, die die Bedingungen für einen neu­en Länderfinanzausgleich aus­han­delt. Der alte geht bis 2017, ab 2016 müs­sen die Bedingungen für einen neu­en klar sein, ab 2014 wird dar­über ver­han­delt wer­den, ab 2013 soll­te das Land wis­sen, was es will – dass heißt, die nächs­te Landesregierung muss sofort mit der Debatte über eine Neuordnung des Föderalismus begin­nen.
    Die bestehen­den Regelungen im Länderfinanzausgleich sind so gestal­tet, dass die Region 1 Mrd ver­liert, wür­de sie sich an eine föde­ra­le Neuordnung her­an­ma­chen. Es kann nicht rich­tig sein, dass sinn­vol­le Schritte bestraft wer­den.
  6. Vermutlich wird der nächs­te Bildungsminister eine Aufgabe haben: Sich selbst in Frage zu stel­len und den Bildungsföderalismus mit sei­ner Unterfinanzierung zu hin­ter­fra­gen. Wir brau­chen eine Bildungspolitik mit bun­des­weit ein­heit­li­chen Strukturen, die Aufhebung des Kooperationsverbotes, ein aus­rei­chen­des Bundesprogramm für U3-Kita-Betreuungsplätze und einen Hochschulpakt mit kla­ren Vorgaben für Studienplätze (Hochschullastenausgleich). Der Einwand ist, dass dann die Existenz des Bundeslandes bedroht ist, das ja ohne Bildung kaum eigen­ver­ant­wort­li­che Aufgaben hat. Aber was für ein kläg­li­cher, besitz­stands­wah­ren­der Gedanke! Umgekehrt wird ein Schuh draus! Schleswig-Holstein muss eine Neudefinition sei­ner Rolle als Bundesland schaf­fen.
  7. Am stärks­ten über die Musikfestivals Jazz und Folk Baltica, das SHMF, aber auch über Reisestipendien, Hochschulkooperationen und die Arbeit der Academia Baltica kann das Land sei­ne geo­gra­phi­sche Lage im Rahmen einer euro­päi­schen Kulturstrategie zu einer star­ken bal­ti­schen Kulturarbeit aus­prä­gen. Dass die Unterstützung der Kulturvereine der natio­na­len Minderheiten dazu gehört, erklärt sich fast von selbst. Konkretes Projekt wäre die Unterstützung der Bewerbung von Sonderburg/​ Flensburg zur euro­päi­schen Kulturhauptstadt. Die Streichung der Mittel für die Jazz Baltica ist dann wie­der rück­gän­gig zu machen. Salzau als Ort hat die Geschichte des Jazz Festivals begrün­det – ist aber, ein Kaufinteresse vor­aus­ge­setzt – auch ersetz­bar. Nämlich dann, wenn Jazz Baltica breit aus­strah­lend eine Neukonzeption fin­det.
  8. Die Zusammenarbeit mit den Ostseeanrainer-Staaten ist zum Erliegen gekom­men. Nicht nur im kul­tu­rel­len Bereich, auch im Bereich der Hochschulen, der Energie-Kooperation, der Agrarwirtschaft, der Meerespolitik, des Tourismus muss das Land den Kontakt mit den bal­ti­schen Staaten, Polen und den skan­di­na­vi­schen Ländern ver­stär­ken. Es kann hier zum Botschafter für ganz Deutschland wer­den. Die nächs­te Landesregierung wird auf eine bal­ti­sche Energie-Kooperation (Offshore-Netze in der Ostsee, nach­wach­sen­de Rohstoffe), auf ein euro­päi­sches Nord-Bündnis Gentechnik-frei­er Regionen und ein abge­stimm­tes Meers-Schutz-und Schiffahrts-Konzept hin­ar­bei­ten.

Wenn Schleswig-Holstein in jüngs­ter Vergangenheit für etwas stand, dann für geschei­ter­te Wahlen, ver­kürz­te Legislaturen, hef­ti­ge per­sön­li­che Feindschaften der poli­ti­schen Akteure. Wenn Schleswig-Holstein in jüngs­ter Vergangenheit für etwas stand, dann war es meist pein­lich! Schleswig-Holstein muss auf­wa­chen aus dem Dornröschenschlaf. Schleswig-Holstein muss die Rolle des Antreibers über­neh­men: Wir gehen unter, wenn der Klimawandel kommt; wir lau­fen in die Insolvenz, wenn der Tilgungsfonds nicht kommt, wir kön­nen unse­re Kinder nicht gut aus­bil­den, wenn die Vermögensabgabe nicht kommt. Wir müs­sen die poli­ti­sche Rolle des Landes neu defi­nie­ren – und damit wer­den wir auch das Klein-Klein der Landes-Binnen-Politik über­win­den.

4. Bürgerpartei statt Volkspartei

Anknüpfend dar­an lässt sich ein ver­meint­lich wei­cher Anspruch guten Regierens brett­hart fas­sen: Wem es nicht gelingt, die not­wen­di­gen Veränderungen so zu erklä­ren, dass sie zu poli­tisch von der Mehrheit gewoll­ten Veränderungen wer­den, der wird schei­tern.

Die Unzufriedenheit der Menschen ent­stammt dem fei­nen Gefühl für den man­geln­den Entscheidungsspielraum von Politik, der sich am här­tes­ten in dem Unwort von der „Alternativlosigkeit“ arti­ku­liert. Wenn Schleswig-Holsteins Lage etwas zeigt, dann das Politik ver­dammt ist, Alternativen zu schaf­fen.

Insofern geht es, qua­si als poli­ti­sche Rahmenbedingung, im nächs­ten Jahrzehnt wesent­lich dar­um, Teilhabe am Staat neu zu begrei­fen. Das zielt auf ein ande­res Bürger-Verständnis, als das, das kon­ser­va­ti­ve Kampfbegriffe wie „neue Bürgerlichkeit“ oder „bür­ger­li­ches Lager“ meint. Letztere zie­len auf den Rückzug ins Private, Verzicht auf Teilhabe am Staatlichen, Kultivierung von Stilen und Manierismen und ver­kür­zen Bürgertum auf Besitzstandswahrung . Der Mehrung des pri­va­ten Reichtums wird das grö­ße­re Interesse, der Gedanke eines funk­tio­nie­ren­den Gemeinwesens, unter­ge­ord­net. Das klingt nicht nur zufäl­lig nach der FDP. Bürgertum, so ver­stan­den, nimmt den Staat als Kapitalgesellschaft, Deutschland als AG – wie es im Zitatschatz von CDU und FDP ver­rä­te­ri­scher­wei­se heißt. Aber die­ses Bürgertum, die Bourgeoisie, ist nicht deckungs­gleich mit der Tradition eines eman­zi­pa­to­ri­schen Bürgertums. Dies exis­tier­te stets neben ihm in der Figur des Citoyen. Die Abstinenz des Politischen ist ihm fremd. Sein Selbstverständnis for­dert Mitwirken an den Geschicken des Allgemeinwohls. Als Anspruch der Bürger auf geteil­te Staatlichkeit, als Souveränitätserklärung mün­di­ger Individuen, die den erwirt­schaf­te­ten Reichtum der Gesellschaft zugäng­lich machen woll­ten, als Freiheit für die eige­ne Meinung, als Gleichheit vor dem Gesetz, und als Brüderlichkeit als Teilen des kul­tu­rel­len und mate­ri­el­len Erbes ist Bürgertum nur ein ande­res Wort für Veränderungswille. Nur war die­se ande­re Art des Bürgertums in Deutschland nie mehr­heits­fä­hig. Mit neu­em grü­nen Selbstbewusstsein kön­nen wir sagen: Volkspartei war ges­tern! Wir wol­len Bürgerpartei wer­den, im bes­ten Sinn des Wortes.

(Editorischer Hinweis: Im Original sind die Ziffern 1 bis 8, die sich im drit­ten Abschnitt befin­den, römi­sche Ziffern)

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

2 Gedanken zu “Leitlinien für die Arbeit der Grünen Landtagsfraktion bis zur Neuwahl”:

  1. Matthias Schlegel

    Herzlichen Glückwunsch zu die­sem beherz­ten Fraktionsvorsitzenden! Dazu hät­te ich jetzt ger­ne noch ein Video, das die Bürgerinnen-Partei kna­ckig rüber­bringt.

    Reply
  2. Pingback: Ralf Stegners Blog

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