Hauptstadtjournalisten hadern mit Twitter

Von | 29. März 2011

Thomas Wiegold, Journalist und selbst Mitglied der Bundespressekonferenz, hat heu­te in sei­nem Blog auf einen pein­li­chen, ent­lar­ven­den, trau­ri­gen ach, was soll’s: lus­ti­gen Wortwechsel in der Bundespressekonferenz hin­ge­wie­sen.

Steffen Seibert, Sprecher der Bundesregierung und Chef des Bundespresseamtes, twit­tert seit kur­zem. Nicht son­der­lich aus­ge­fal­len oder inno­va­tiv, son­dern in unauf­ge­reg­ter Sachlichkeit. Die Art von Kommunikation, die bei jün­ge­ren, erleb­nis­ori­en­tie­ren Lesern schon mal Langeweile auf­kom­men lässt. Am 22. März twit­ter­te er:

Tweet von @RegSprecher

Tweet von @RegSprecher

Auch wenn es wahr­schein­lich kaum einer gemerkt hat: Das ist irgend­wie ein revo­lu­tio­nä­rer Tweet, er erschüt­ter­te Grundfesten der Republik.

Die Lektüre der von Thomas Wiegold zusam­men­ge­fass­ten Regierungspressekonferenz vom 25. März soll­te nicht dazu füh­ren, sich über offen­kun­dig vor­han­de­ne tech­ni­sche Defizite hin­sicht­lich des Mediums Twitter lus­tig zu machen („Der Nachrichtendienst Twitter ist nicht sicher. Ich habe vor­hin im Internet nach­ge­schaut.”).
Auch die Verständnisprobleme bei der Einordnung einer kur­zen Konversation zwi­schen dem Grünen Bundestagsabgeordneten Volker Beck und Steffen Seibert, der in der Tagesschau zu einem „Virtueller Schlagabtausch über Atompolitik — Twitter-Duell Seibert ver­sus Beck” gepimpt wur­de und auch in der Bundespressekonferenz zum klei­nen Schlagabtausch ver­klärt wur­de, trifft nicht den Kern:

Beck: @RegSprecher Was sagen Sie eigent­lich zu Brüderles atom­po­li­ti­scher Beichte? Alles nur Wahlkampf! http://tinyurl.com/6434jh7 #BDI #FB
Seibert: @Volker_​Beck Falsch. Bundesregierung nimmt unvor­her­seh­ba­re Katastrophe in #Japan ernst, AKW-Überprüfung hat nichts mit Wahlkampf zu tun
Beck: @RegSprecher lügt Brüderle oder hat er beim BDI gar nicht gesagt, dass die vor­über­ge­hen­de AKW-Stilllegung nur Wahlkampf ist?

Selbst über das leicht mimo­sen­haf­te Getue („ … muss ich mir in Zukunft einen Twitter-Account zule­gen, um über rele­van­te Termine der Bundeskanzlerin infor­miert zu wer­den?) soll­te man locker hin­weg­se­hen.

Denn das ist alles nicht der sprin­gen­de Punkt. Mir erschei­nen näm­lich sol­che Sätze ent­lar­ven­der:

ZUSATZFRAGE: Die Frage ist: Kann es sein, dass außer über Twitter über die­se USA-Reise im Juni nir­gend­wo berich­tet wur­de? Das ist ja eine ande­re Qualität. Wenn Herr Seibert twit­tern will, weil er Zeit hat, ist das alles gut und schön. Aber das geht ja bis hin zu der Frage, wozu man dann noch Chefs vom Dienst braucht, wenn Herr Seibert die Termine twit­tert.

DR. CHRISTOPH STEEGMANS (Stellvertretender Sprecher der Bundesregierung): Sie wol­len doch in Wahrheit wis­sen, ob es eine Benachteiligung ist, dass eine Information mög­lich­wei­se statt über den CvD-Verteiler über Twitter her­aus­ge­gan­gen ist. Nein, die­se Auffassung tei­len wir nicht.

(…)FRAGE: (…) Denn wenn man die­se Kommunikationswege geht ‑ da schlie­ße ich mich sicher­lich den ande­ren Agenturkollegen an ‑, dann greift das tief in unse­re Arbeitsabläufe ein(…)

Dahinter blitz die Erkenntnis auf, dass es um das Eingemachte geht. Denn das World Wide Web mach­te aus jeden von uns nicht nur einen Verbreiter von Nachrichten („Everyone’s a publisher”) son­dern auch einen Empfänger („Everyone’s an audi­ence”). Damit ändert sich auch Geschäftsmodelle, wenigs­tens für die Printmedien:

Man stel­le sich ein­fach mal vor, es gäbe noch kei­ne Zeitungen und jemand käme heu­te in eine Bank und bäte um Risikokapital für die­se Idee: „Ich will die Nachrichten von heu­te auf­schrei­ben, nachts auf Papier dru­cken und mor­gen an die Menschen ver­kau­fen, damit sie wis­sen, was ges­tern pas­siert ist.

Zum Mitschreiben:

1. Dieses Modell ist ein für alle Mal tot. Das will nie­mand mehr haben. Dafür gibt kei­ner Geld aus. Das hören wir heu­te in ers­ter Linie im Radio oder sehen wir im Fernsehen oder lesen wir im Internet. Wenn über­haupt.

2. Damit müs­sen Zeitungen, Radiostationen und Fernsehsender nicht ster­ben. Es gibt genug Ideen, wie man dar­über hin­aus Kunden locken und bin­den kann. Denn: Die unmit­tel­ba­re Beziehung zwi­schen zwi­schen Sender (hier: Regierungssprecher) und Empfänger (hier: Twittervolk) ist nicht immer das Gelbe von Ei, birgt selbst Gefahren in sich. Wir, das Landesblog, haben jüngst in unse­rer Stellungnahme zur Anhörung im Bildungsausschuss des Landtages zur Medienkompetenz kurz dar­auf ver­wie­sen.

3. Aber wenn man sich wider bes­se­ren Wissens auf sol­che Modelle kon­zen­trie­ren will, dann gilt: Niemand wird hier gegen sei­nen Willen glück­lich gemacht. Jeder hat das Recht dar­auf, vor der Zukunft zu ver­sa­gen. Es ist nicht Aufgabe des Staates und des Rechtswesen (Stichwort Schutzgeld Leistungsschutzrecht) Dinosaurier am Aussterben zu hin­dern.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

3 Gedanken zu “Hauptstadtjournalisten hadern mit Twitter”:

  1. Pingback: Paralleluniversum Qualitätsjournalismus - Stecki's Blog

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