„Sie sehen Pornos mit 12, haben Sex mit 13 und mit 14 werden sie schwanger“, titelte die Süddeutsche Zeitung vor etwa zwei Jahren und traf damit genau den Nerv derjenigen, die immer häufiger von der „Generation Porno“ sprechen, wenn es um den Umgang der derzeitigen Jugendlichen mit Sexualität geht. Die Beteiligten der am 14. Juni in der Kieler Sparkassenakademie stattfindenden Fachtagung zum Thema “Jugendsexualität und neue Medien” untersuchten das deutlich differenzierter und wandten sich mit Vorträgen und Workshops an alle, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Ein Großteil der Besucher kam aus der Kinder- und Jugendsozialarbeit und brachte somit ganz unterschiedliche Erfahrungen in diesem Bereich mit.
Die Fachtagung begann mit einigen einleitenden Worten des Vertreters der Staatssekretärin des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Gesundheit des Landes Schleswig-Holsteins, Andreas Fleck, der mit lockeren Worten einen Rückblick auf seine ersten Berührungspunkte mit Pornografie wagte und im Anschluss daran seine Erfahrungen mit den eigenen Kindern schilderte. Des Weiteren gab er einen kurzen Abriss, was die Teilnehmer der Fachtagung im Laufe des Tages erwarten würde und warf damit viele Fragen auf, die durch die anschließenden Vorträge zumindest teilweise beantwortet wurden.
Statistiken belegen zum einen, dass das Einstiegsalter in Sachen Pornografie, vor allem durch den zunehmenden Internetkonsum immer jüngerer Kinder, sinkt, anderseits kann man in der aktuellen 16. Shell-Studie lesen, dass Jugendlichen Werte wie Treue, Familie und Sicherheit so wichtig wie noch nie sind. Der darin vermeintlich liegende Widerspruch sollte ebenfalls später thematisiert werden. Einen weiteren Aspekt bildeten auch die Rechtsgrundlagen, wenn es darum geht, Videos mit pornografischem Inhalt zu konsumieren, mit anderen über Handys zu teilen oder sie selbst mit oder ohne das Wissen anderer herzustellen und sie dann zu verteilen. Das wirft auch die Frage auf, welchen Realitätsbezug die einschlägigen Jugendschutzmaßnahmen heutzutage haben und inwieweit hier vielmehr auf Prävention gesetzt werden muss.
Um diejenigen zu Wort kommen zu lassen, um die es eigentlich bei dieser Fachtagung ging, wurde im Anschluss an die einleitenden Worte ein Ausschnitt aus dem Medienprojekt Wuppertal mit dem Titel “Geiler Scheiß” gezeigt. Hier kommentieren Jugendliche ab 18 Jahren Pornos und lassen den Betrachter wissen, warum und wie häufig sie diese Art der Unterhaltung nutzen. Außerdem sprechen sie über ihre Ersterfahrungen in Bezug auf Pornografie. Das wirft auch die Frage auf, wann und in welchem Umfang Kinder und Jugendliche heutzutage mit Pornos in Berührung kommen. Genaueres dazu führte im Anschluss daran Prof. Dr. Petra Grimm von der Hochschule der Medien Stuttgart aus. Sie hatte sich im Rahmen ihrer Studie “Porno im Web 2.0” mit der Bedeutung von Pornografie in der Lebenswelt von Jugendlichen auseinander gesetzt und präsentierte einige ihrer Ergebnisse in ihrem Vortrag. In dieser Studie wurden neben qualitativen Befragungen Jugendlicher auch Experten befragt und Schlussfolgerungen für die Medien- und Sexualpädagogik gezogen.
Der Erstkontakt von Kindern und Jugendlichen mit pornografischen Darstellungen erfolgt danach durchschnittlich im Altern von 11 – 17 Jahren. Da aber immer mehr Familien über mehrere Computer im Haushalt verfügen und auch Kinder im Grundschulalter schon unbeaufsichtigt im Netz unterwegs sind, sinkt das Durchschnittsalter in diesem Bereich. Darüber sind aber noch keine statistischen Ergebnisse vorhanden, man kann also nur darüber spekulieren, in welchem Ausmaß dies der Fall ist. Geht man von dem oben genannten Einstiegsalter aus, ist dieses jedoch nicht wirklich abweichend von den ersten Erfahrungen anderer Generationen, wenngleich diese auch über andere Medien, wie Zeitschriften und Videofilme erfolgten und deutlich weniger leicht zugänglich waren, als Pornos im Internet. Im Rahmen ihrer Studie kristallisierten sich ganz verschiedene Fokusgruppen heraus, die in unterschiedlichem Maße und abweichender Menge Pornos konsumieren und sie auch differenziert bewerten.
Mädchen und Jungen unterscheiden sich darüber hinaus sehr stark in ihrer Bewertung von Pornografie und ihrer ganz persönlichen Grenze, wenn es darum geht, was akzeptabel ist und was nicht. Während männliche Jugendliche Pornos als ganz normal und zu ihrem Leben dazugehörig empfinden, tun sie Mädchen eher als “eklig” ab, empfinden sie als abstoßend und konsumieren weit weniger. Im Netz kommen Jugendliche vor allem durch Links in Chats mit Pornos in Berührung und erst im zweiten Schritt suchen sie einschlägige Seiten mit kostenlosen Videos zu diesem Thema bewusst auf. Vor allem die Jungen sehen Pornografie als Möglichkeit der Aufklärung vor ihrem eigenen “ersten Mal”, damit sie wissen, wo es lang geht, wenn es denn soweit ist und “wie man es macht”. Ob und wie häufig sie Pornos konsumieren, hängt dabei vor allem davon ab, wie zustimmend oder ablehnend sie im Allgemeinen den verschiedenen Stufen der Pornografie gegenüber stehen, wie alt sie sind und in welchem aktuellen Beziehungsstatus sie sich befinden. Bezogen auf letzteres fand Prof. Grimm heraus, dass männliche Jugendliche, die in einer festen Beziehung stecken, weniger Pornos schauen, als ihre Singlealtersgenossen.
Sehr unterschiedlich ist auch die Bewertung, was “normal” ist in Pornos und was “extrem”. Hier liegt die Grenze bei männlichen Jugendlichen deutlich höher, wobei auch sie zum großen Teil Abstoßendes und zu extreme Praktiken ablehnen, dazu zählen sogenannte Ekelpornos oder Gewaltdarstellungen in Pornofilmen. Mädchen hingegen empfinden schon “ganz normale” Pornos, die Jungen durchaus als persönliche Aufklärung und Masturbationsimpuls ansehen, als “nuttig” und “schlampig”, vor allem auch was die Frauenrolle in diesen Filmen angeht. In diesem Zusammenhang war unter anderem die Rede vom Realitätsgehalt von Pornofilmen und vor allem die älteren Konsumenten der untersuchten Gruppe waren sich deutlich bewusst, dass es sich um inszenierte Situationen handelt und auch dort mit Specialeffects gearbeitet wird. Während Mädchen für sich selbst zum Großteil Pornografie als wenig interessant einstufen, gestehen sie den “triebgesteuerten” Jungen gleichen Alters den Konsum durchaus zu, solange der eigene Freund nicht zu häufig diese Filme konsumiert, denn im Beziehungskontext empfinden sie Pornografie als Treuebruch. In Bezug auf einen möglichen Leistungsdruck, der durch Pornokonsum hervorgerufen werden kann, leider scheinbar häufiger die Jungen, die Angst haben, in der Realität nicht dem gerecht zu werden, was man im Film beobachten kann.
Bei all den verschiedenen Reaktion, die Jugendliche auf Pornos zeigten, kam sehr deutlich heraus, dass der Konsum bei “gesunden Rahmenbedingungen” wenig problematisch scheint. Dazu zählt neben einem ausgeglichenen Verhältnis zum eigenen Körper und der eigenen Sexualität auch die Stabilität im persönlichen Umfeld. In Bezug auf den frühen Konsum von Pornografie über das Internet stehen, wie in allen anderen Bereichen des Medienkonsums, die Eltern zuallererst in der Verantwortung. Ihre Aufgabe ist es hinzuschauen und mit ihren Kindern über die Möglichkeiten und Gefahren in Zusammenhang mit neuen Erfahrungen im Netz zu reden und den Aufenthalt im Internet sinnvoll zu reglementieren. Ist dieses Umfeld für einen Jugendliche gegeben, scheint der Konsum von Pornografie auch keine negativen Nebenwirkungen zu haben. Entsprechend vorsichtig werden solche medienkompetenten Jugendliche dann auch sein, wenn es darum geht, Fotos oder Videos der eigenen Sexualpraktiken zuzulassen oder zu machen, bei denen immer auch die Gefahr besteht, dass sie von Personen gesehen werden, die sie nicht sehen sollten. Auch hier ist neben den rechtlichen Rahmenbedingungen Vorsicht geboten und Aufklärungsarbeit in Elternhaus und Schule zu leisten, denn wenn man sich bewusst ist, wie viel Privates man öffentlich macht, wird man auch in diesem Bereich sorgfältiger hinterfragen.
Prof. Dr. Uwe Sielert von der CAU Kiel vertiefte einige dieser Aspekte in seinem anschließenden Vortrag noch. Ein Kind oder Jugendlicher nimmt Pornografie nicht als “weißes Blatt” wahr, sondern dem ersten Konsum geht eine ganz eigene soziale Biografie voran, die maßgeblich darüber entscheidet, wie die konsumierten Praktiken bewertet werden. Dabei kommt es vor allem darauf an, wie der junge Mensch bisher in Bezug auf seine Beziehungen zu seinem Umfeld gefestigt ist, welches Körperbild er hat, welche Bedürfnisse er hat und wie seine eigene Geschlechtsgeschichte bisher abgelaufen ist. Eine Überbehütung kann hier genauso problematisch sein wie Vernachlässigung. Diese Entwicklung erfolgt in der Regel prämedial und die dadurch entstandenen “Scripte”, die die eigene Selbstverständlichkeit beschreiben, suchen dann “Futter”. Dieses kann wiederum auf ganz verschiedenen Ebenen geboten werden. So zum Beispiel durch sinnliche Kontakte, wie die so genannten “Doktorspiele” in der Kindheit, die verschiedenen “ersten Male” (erstes Verliebtsein, erster Kuss, erster Sex) sowie die Informationen, die täglich neu gewonnen werden. Unter Umständen können diese “externen Scripte”, zu denen auch der Konsum von Pornografie gehört, die vorhandenen und gewachsenen irritieren und dadurch Verunsicherung auslösen, möglicherweise aber auch erleichtern, wenn sich der junge Mensch zum Beispiel anhand eines Pornofilms besser auf eine anstehende Situation vorbereitet fühlt.
Wie so oft, ist dabei alles eine Frage der Perspektive und es wird zwischen den “Moralpanikern” und denen, die dem Thema Pornografie gemäßigt gegenüberstehen, wohl nie abschließend ein Konsens gefunden werden. Deshalb kommt den pädagogisch arbeitenden Experten in der Schule und in der offenen Jugendarbeit eine ganz besondere Rolle zu, denn ihre Aufgabe ist es, die Kinder und Jugendlichen auf dem Weg durch ihre Sexualität zu begleiten und sensibel auf deren Bedürfnisse eingehen. Um besser dafür gerüstet zu sein, gibt es jede Menge ansprechender Angebote (loveline.de, klicksafe.de, HipHopAcademy, pro familia), die innerhalb der Workshops am Nachmittag vorgestellt wurden. Hier kam es auch zum Austausch in kleineren Gruppen und einer regen Diskussion über die eigenen Ansichten und Bedenken. Kurz vor einer reflektierenden Abschlussrunde zeigten die Künstler der HipHopAcademy Hamburg, wie man das Potential von Jugendlichen im Bereich HipHop, Breakdance und Beatbox fördern kann, ohne den Vorurteilen gegenüber der sexualisierten und gewalthaltigen Sprache dieser Szene Futter zu liefern. Mit ihrer mitreißenden Performance zeigten sie, dass man auch Pädagogen zum Beatboxen bringen kann, wenn man sie nur richtig motiviert.
Fazit: Es ist ein guter nächster Schritt in Bezug auf die Ausbildung der Kompetenzen der pädagogisch Arbeitenden, den ein Schleswig-Holsteinisches Ministerium hier nach dem Medienkompetenztag anstößt, der in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfinden wird. Nun liegt die Herausforderung wieder einmal darin, diese Impulse zu multiplizieren und in der Praxis umzusetzen — was, wie man weiß, das Schwierigste ist.
Vielen Dank an Jens Brandt vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit für die Bereitstellung der Fotos.
Es macht mich stinksauer, dass im Rahmen einer angeblichen „Fachtagung“ und wohl auch nur des Effekts wegen gleich eine ganze Generation junger Menschen zu Pornojunkies erklärt wird, und im zweiten Schritt den Jugendlichen und ihren Eltern auch noch vorgehalten wird, sie wären für diese behauptete Fehlentwicklung, die sich letzten Endes doch nur als Spitze gegen das Medium Internet entpuppt, verantwortlich, während diejenigen, die mit ihrem Geld unter anderem eine Werbeindustrie unterstützen, deren wichtigster Inhaltsträger „Hauptsache Sex“ heißt, und die mit ihrem Dauerbombardement erst das Verhaltensscript anlegt, das einige junge Menschen überhaupt nur dazu bringen dürfte, sich verstärkt nach Pornografie umzuschauen, ihre Hände in Unschuld und distanzierter Betrachtung waschen. Das ist widerlich, auch wenn „Fachtagung“ und Sparkassenakademie drübersteht.
Dann habe ich mich offensichtlich missverständlich ausgedrückt, denn das war definitiv nicht mein Empfinden vor Ort. Es wurden zwar Aussagen aufgegriffen, die diese Ansicht vertreten und von Medien oder bestimmten Wissenschaftlern propagiert werden, aber eigentlich habe ich die Grundaussage des Ganzen eher so wahrgenommen, dass es dem normalen Durchschnittsjugendlichen an sich nicht schadet mal einen Porno zu sehen und dass die große Mehrheit auch keine Pornojunkies sind, sondern Filme dieser Art einfach aus Spaß oder zur ganz persönlichen Aufklärung sehen, weil sie trotz medialem Überangebots mit sexuellen Inhalten unsicher sind, wie das Ganze nun wirklich geht.
Genauso verstehe ich deinen Beitrag ja auch. Keine Frage! Doch hätte man sich das nicht an drei Fingern abzählen können? Jedenfalls, wenn einem die Lebenswelt junger Menschen nicht völlig fern ist. Und vor allem: Wozu dann diese Tagung und auch noch die Verbindung zum Internet? Ich kann mir da nicht helfen. Mir scheint es, als ob jemand auf dem Kamm einer Welle reitet, die vom Boulevard wie von den Idolen der Papiermedienwelt immer mal wieder geschlagen wird, um Aufmerksamkeit für sich und gegen die neuen Medien zu schaffen. Ärgerlich wird es für mich jedoch erst dadurch, dass dies auf dem Rücken von jungen Menschen geschieht, die nicht über die Möglichkeiten verfügen, um in diesen Diskurs einzugreifen. Das macht mich in der Summe wütend, das finde ich widerlich.
Deine Wut kann ich gut nachempfinden, aber ich denke, dass vielen, die mit Jugendlichen arbeiten wenig Bezüge zu deren Lebenswelt haben und deshalb übervorsichtig bzw. neueren Trends gegenüber ablehnend reagieren. Für diejenigen sind solche Fachtage und Infoveranstaltungen auf jeden Fall nützlich und nötig, um vielleicht ein bisschen gelassener zu agieren, auch wenn wir sie möglicherweise am Thema vorbei empfinden.
Vielleicht sollte ich das auch sein … etwas gelassener. Der Topos der verrohenden Jugend ist ja geradezu klassisch antik. Erwachsene Menschen entdecken in der Jugend ihr eigenes Spiegelbild. Das muss ja nicht schön sein ;-)
Eine interessante Feststellung machst du. Eine gute Alternative zur Teilnahme an der Tagung wäre es gewesen, hätten sich die Teilnehmer von denjenigen, über die sich reden, den Jugendlichen, in das einführen lassen, wovon sie reden, den Gebrauch des Internets. Das Endergebnis wäre das gleiche geblieben, und es hätten Einsichten gewonnen werden können, über die ansonsten vielleicht nur spekuliert werden kann – wenn auch auf wissenschaftlichem Niveau.
Einmal mehr stellt sich dann aber die Frage nach dem „Cui bono?“ einer Veranstaltung, die ein völlig erwartbares Ergebnis geliefert hat. Ich mag beim Nachdenken darüber nicht vergessen, dass unternehmensnahe Stiftungen, Akademien, Institute o. Ä. für gewöhnlich keine wertfreien Zwecke verfolgen, sondern solche, die eher in der Nähe des Unternehmenszwecks der Konzernmütter und Gründungsväter zu finden sind. Das ist legal und opportun. Man sollte es aber im Auge behalten. Insbesondere, wenn sich derartige Einrichtungen Gruppen zuwenden, die nicht oder kaum über die Mittel zu einer eigenen Positionierung auf dieser Ebene verfügen. Sonst kann es schnell geschmacklos werden.
Dass die Jugendlichen zeigen, was sie im Internet bzw. am Computer machen, ist auf jeden Fall eine gute Idee. Problematisch wird es da jedoch wieder, wenn es um Aktivitäten geht, die laut USK & Co. noch nicht für die Jugendlichen geeignet sind. In der Realität ist es ja ziemlich normal, dass das gemacht wird, was man eigentlich noch nicht darf. Also wäre das, was die Jugendlichen zeigen dürfen auch nur wieder ein Teil dessen, was sie wirklich tun.
Auf jeden Fall sollte aber ein viel offener Dialog über all diese Themen geführt werden, damit es was bringt. Und anfangen sollten da die Eltern, nur leider ist es teilweise so schwierig diese Zielgruppe zu erreichen, vor allem in bestimmten Bevölkerungsschichten.
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