Bis zum 30. Juni 2012 hat der Landtag Zeit, den digitalen NDR-Radioprogrammen „Musik Plus“, „Info Spezial“ und „Traffic“ zuzustimmen. Es ist alles wie immer in Rundfunkdingen: Das Thema ist hinter den Kulissen ausdiskutiert worden. Die Öffentlichkeit wurde nicht beteiligt. Der Landtag darf sich darauf freuen, als Stimmvieh Ja zu einem Staatsvertrag zu sagen.
Die Staatskanzlei hat gestern mitgeteilt, dass das Kabinett dem Entwurf eines Staatsvertrages über die Veranstaltung von digitalen terrestrischen Hörfunkprogrammen durch den Norddeutschen Rundfunk (NDR-Digitalradio-StV) zugestimmt habe, so dass Ministerpräsident Peter Harry Carstensen das Vertragswerk nun unterschrieben könne. Meiner Meinung nach muss zuvor der Landtag zustimmen.
Inhaltlich möchten die Länder Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein das Digitalradio-Angebot des NDR neu regeln. Drei neue werbefreie Digitalprogramme („Musik Plus“, „Info Spezial“ und „Traffic“) sollen schon bald in den Regelbetrieb gehen. Der Rundfunkstaatsvertrag erlaubt es den Landesrundfunkanstalten, so viele digitale terrestrische Hörfunkprogramme zu veranstalten, wie sie Länder versorgt. Es wäre also noch ein Sender mehr drin. Die Sender sollen in dem neuen Standard DAB+ ausgestrahlt werden. DAB+ ist Digitales Radio, das uns Radiogenuss in hoher Qualität bescheren soll.
Ganz so neu sind die Sender nicht.
- NDR Traffic, der ausschließlich Verkehrsmeldungen aus dem NDR-Sendegebiet des NDR ausstrahlt, wurde schon bis Mitte 2011 über DAB verbreitet. Seit dem 5. Januar sendet er in Schleswig-Holstein als NDR Traffic Channel auf DAB+.
- NDR Info Spezial, laut Staatsvertragsentwurf für Liveübertragungen von Veranstaltungen, Seewetterberichte sowie Sendungen für Menschen mit Migrationshintergrund gedacht, wird schon jetzt über die NDR-Mittelwellensender, als Livestream und seit dem 5. Januar über DAB+ ausgestrahlt. Zur Zeit ist er eine Mischung aus NDR Info, dem WDR-Programm Funkhaus Europa, dem Seewetterbericht, gelegentlichen Parlamentsdebatten, dem Hamburger Hafenkonzert und meiner früheren Lieblingsweihnachtradiosendung, dem Gruß an Bord.
- NDR Musik Plus sendete schon seit 2008 auf DAB Wiederholungen aus dem NDR Info Musikprogramm (Nightlounge und Nachtclub). Der Sender „klingt nach mehr“ und wird ebenfalls seit 5. Januar auf DAB+ verbreitet.
Bei NDR Traffic frage ich mich, welchen Sinn das – angesichts der Verbreitung von Navigationsgeräten – machen soll, zumal DAB und DAB+ für TMC spezifiziert sind. Über TMC werden Verkehrsmeldungen „huckepack“ zum UKW-Signal gesendet.
NDR Info Spezial erinnert an einen Weinladen, in dem man auch Einlagen für Wanderschuhe sowie Schulhefte bekommt.
Und bei NDR Musik Plus frage ich mich, warum eine Wiederholung „nach mehr“ klingt. Für mich klingt das eher „nach gestern“. Aber ich bin ja nur Hörer. Außerdem erschließt sich mir nicht, was an dem Sendeangebot norddeutsch sein soll.
Kurzum: Ein Alleinstellungmerkmal für „DAB+ muss ich haben“ ist das nicht
Nach Auskunft der Staatskanzlei gibt es noch „noch viele weitere Übertragungskapazitäten im neuen Standard DAB+“. Sollten private Hörfunksender Bedarf anmelden, dann „können auch diese Wünsche erfüllt werden“. Das ist im Moment wohl eher frommer Wunsch als begründete Hoffnung. Die MA HSH und ihr niedersächsischer Pendant nlm hatten Ende letztes Jahres vergeblich bei den privaten Radiosendern vorgefühlt, was man auch seinerzeit an der wenigstens abwartenden Tendenz des Verband Privater Rundfunk und Telemedien ablesen konnte.
Der Vorgänger DAB – Digital Audio Broadcasting – war grandios gescheitert. Es war von technischen Schwierigkeiten die Rede. Die Kunden hatten kein Interessen an den teuren Empfangsgeräten. Und die privaten Sender waren abgesprungen, nachdem die staatlichen Subventionen ausliefen. DAB+, ebenfalls mit Schwierigkeiten gestartet, soll nun den Durchbruch bringen. DAB+ sendet auf qualitativ hohem Niveau. Einen Mehrwert gegenüber internetbasiertem Stream erkenne ich allerdings nicht unbedingt, außer vielleicht ich will – auch aus Kostengründen – streamen via Internet vermeiden.
Der NDR will sein digitales Hörfunkprogramm „zeitnah“ neu starten. Also soll Eile geboten sein. Da der Staatsvertrag zum 1. Juli 2012 in Kraft treten soll, scheute man wohl den eigentlich sinnvollen Schritt, den NDR-Staatsvertrages (NDRStV) zu ändern und packte die notwendige Rechtsgrundlage für den NDR in einen Extra-Staatsvertrag, den Digitalradiostaatsvertrag. Ein gesonderter Finanzbedarf soll nicht entstehen – wohl, weil es in der aktuellen Bedarf eingepreist ist.
Der Verband Privater Rundfunk und Telemedien e.V. (VPRT) lehnt den Entwurf anscheinend ab.
Die Staatskanzlei hat den Landtag am 17. November unterrichtet. Unverständlicherweise ist dieser Vorgang mal wieder „nichtöffentlich“. Erklären kann ich mir das nicht, zumal andere Parlamente sich so eine Geheimnistuerei nicht bieten lassen. Wer den Entwurf lesen will, schaut also bei Hamburg nach. Dort findet man eine kleine Anfrage von Hansjörg Schmidt zu dem Themenkomplex.
Lässt man es Revue passieren, dann ist alles wie immer in Rundfunkdingen: Das Thema ist hinter den Kulissen ausdiskutiert worden. Die Öffentlichkeit wurde nicht beteiligt. Der Landtag freut sich, als Stimmvieh Ja sagen zu dürfen.