Ein neues Leistungsschutzrecht für Verlage?

Von | 16. März 2012

Am 5. März 2012 hat sich der Koalitionsausschuss der Bundesregierung dar­auf ver­stän­digt, im Rahmen des „Dritten Korbs“ der Reform des Urheberrechts ein soge­nann­tes „Leistungsschutzrecht für Presseverleger“ ein­zu­füh­ren. Zuvor war dies schon 2009 im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP ver­ein­bart wor­den. Nach den Protesten gegen Netzsperren und ACTA zeich­net sich bei die­sem Thema der nächs­te gro­ße Konflikt mit der Netzgemeinde ab.

Auf Antrag der Jungen Union Schleswig-Holstein hat­te sich der JU-Deutschlandtag schon 2009 – lan­ge bevor die Netzgemeinde das Thema für sich ent­deck­te – ein­stim­mig gegen die Einführung eines Verlagsleistungsschutzrechts aus­ge­spro­chen.

 

Hintergrund: Was sind urheberrechtsverwandte Leistungsschutzrechte?

Um die Diskussion nach­voll­zie­hen zu kön­nen, soll­te zunächst ein­mal der etwas unver­ständ­li­che Begriff des „Leistungsschutzrechts“ geklärt wer­den. Leistungsschutzrechte, sog. „ver­wand­te Schutzrechte“, kennt das Urheberrecht schon seit lan­gem. Sie sol­len immer dann einen Rechtsschutz bie­ten, wenn die Anforderungen an ein urhe­ber­recht­li­ches Werk, das eine geis­ti­ge Schöpfungshöhe erfor­dert, nicht erfüllt sind. Das Urheberrecht selbst soll nicht pri­mär die wirt­schaft­li­chen Investitionen, son­dern die Persönlichkeit des Urhebers schüt­zen. Viele Fernsehsendungen oder Foto-Schnappschüsse kom­men inso­fern nicht in den Genuss des Schutzes als urhe­ber­recht­li­ches Werk. Um die wirt­schaft­li­che Leistung den­noch zu schüt­zen, wur­den daher unter ande­rem Leistungsschutzrechte für Licht- und Laufbilder ein­ge­führt.

Unter Anführung des Axel-Springer-Verlags wur­de von der Verlegerlobby nun seit eini­gen Jahren ver­mehrt gefor­dert, auch ein Leistungsschutzrecht für Verleger ein­zu­füh­ren. Verleger ärgern sich dar­über, dass ins­be­son­de­re Google mit sei­nem Google-News-Service mit der Verlinkung der Presseartikel über Werbeschaltungen selbst Geld ver­dient. Gegen die­se gewerb­li­che Nutzung von Verlagserzeugnissen soll sich das Leistungsschutzrecht rich­ten.

 

Wie unterscheidet sich das Verleger-Leistungsschutzrecht?

Im Gegensatz zu ande­ren Leistungsschutzrechten wird hier eigent­lich kei­ne neue Leistung geschützt. Presseartikel dürf­ten fast aus­nahms­los den Anforderungen an ein urhe­ber­recht­li­ches Werk ent­spre­chen, den Autoren steht also ein Urheberrecht zu, den Verlagen ver­trag­lich ein­ge­räum­te (aus­schließ­li­che) Nutzungsrechte. Dennoch besteht kein Anspruch gegen Google, denn das blo­ße Setzen von Links oder das Anreißen der Artikel als „Snippets“ als Kurzzitat bedür­fen kei­ner Genehmigung und sind nicht ent­gelt­pflich­tig. Bei der Schaffung eines Leistungsschutzrechts müss­te also zunächst ein­mal die Frage geklärt wer­den, wel­che Leistung nun abs­trakt geschützt wer­den soll, denn ein „Lex Google“, um das es ja eigent­lich geht, ist recht­lich unzu­läs­sig. Ohne zugrun­de­lie­gen­des Immaterialgut kann es logi­scher­wei­se auch kein Immaterialgüterrecht geben. Auch für sog. „geis­ti­ges Eigentum” bedarf es eines klar bestimm­ten Bezugspunkts, wel­ches kon­kre­te Gut unter den Rechtsschutz fal­len soll.

Die Argumentation der Verlegerseite hat sich dabei immer wie­der ver­än­dert: Im Jahr 2010 wur­de so expli­zit noch gefor­dert, qua­si eine „Presse-GEZ“ für alle 20 Millionen gewerb­lich ein­ge­setz­ten PCs in Deutschland ein­zu­füh­ren, von denen aus kos­ten­lo­se Verlagsinhalte im Internet abge­ru­fen wer­den kön­nen. Sogar die Gründung einer ent­spre­chen­den Verwertungsgesellschaft wur­de schon geplant. Inzwischen zielt die Forderung wie­der stär­ker in Richtung Google und ande­rer Nachrichten-Übersichten. Das Festhalten an einer so weit­rei­chen­den – man möch­te sagen: gie­ri­gen – Forderung hat­te schließ­lich wohl auch aus Sicht der Verlagslobby das gesam­te Unterfangen in Gefahr gebracht.

In der Umsetzung wird die Ausgestaltung die­ses neu­en Rechtsanspruchs zu gro­ßen Problemen füh­ren, man darf daher schon gespannt auf den ers­ten Referentenentwurf sein. Stellt man auf den Inhalt ab, also qua­si ein Schutzrecht auf kleins­te Textbausteine, sofern die­se von Verlagen kom­men, stellt sich das Problem, wie man die Zitierfreiheit grund­sätz­lich erhal­ten, für das glei­che aber Google zur Kasse bit­ten kann. Auch eine Beschränkung auf gewerb­li­che Anbieter hät­te gro­ße Konsequenzen, möch­te man den frei­en Informationsaustausch im Internet wie gewohnt bei­be­hal­ten: Wie sol­len pri­va­te Blogs mit einem Werbebanner oder Benutzer bei Facebook wei­ter­hin Links mit Zitaten auf Presseartikel ver­gü­tungs­frei set­zen dür­fen, Google für den­sel­ben Link aber zur Kasse gebe­ten wer­den? Und wie soll das Leistungsschutzrecht wir­ken, wenn Google selbst die Snippets for­mu­liert? Mittels auto­ma­ti­sier­ter Paraphrasierung wird die­se Aufgabe ohne­hin bald von Computern erle­digt wer­den kön­nen.

Würde ein weit­ge­hen­de­res Leistungsschutzrecht geschaf­fen, wären die Möglichkeiten der intel­lek­tu­el­len Diskussion über Presseartikel enorm ein­ge­schränkt. Selbst Verlage könn­ten auf ein­mal ver­mut­lich nicht mehr unter­ein­an­der auf Artikel als Quellen ver­wei­sen, schließ­lich han­delt es sich auch bei ihnen um gewerb­li­che Anbieter. Die bis­he­ri­gen Regeln, wie mit urhe­ber­recht­lich geschütz­ten Inhalten ver­fah­ren wer­den darf, wür­den auf den Kopf gestellt. Wie will man ver­hin­dern, dass über das Leistungsschutzrecht letzt­lich die Weitergabe von Informationen selbst geschützt wird – und damit die grund­ge­setz­li­che zuge­si­cher­te Informationsfreiheit gefähr­det wird?

Auch die juris­ti­sche Fachwelt übt daher seit lan­gem Kritik und hält das neue Leistungsschutzrecht für „schwer durch­zu­set­zen“. Das Grundproblem bleibt, dass hier das Pferd von hin­ten auf­ge­zäumt wird: Man möch­te zwar ger­ne einen finan­zi­el­len Anspruch haben, man hat aber noch gar kein schüt­zens­wer­tes Gut, das die­sen recht­fer­ti­gen wür­de.

Fraglich ist auch, wie die­ses neue Leistungsschutzrecht inter­na­tio­nal über­haupt durch­setz­bar sein soll. Die bis­her geschlos­se­nen Staatsverträge dürf­ten zu kei­nem welt­wei­ten Rechtsschutz füh­ren. Eine Benachteiligung deut­scher Internetunternehmen im inter­na­tio­na­len Wettbewerb darf nicht das Ergebnis sein.

 

…und was bedeutet das praktisch?

Das eigent­lich Absurde an der Diskussion: Jeder Verlag könn­te schon heu­te über einen Zweizeiler in der „robots.txt“ Google die Indexierung unter­sa­gen, die Artikel des Verlags wür­den danach nicht mehr in den Google-News auf­tau­chen. Der Aufwand dafür läge bei weni­ger als einer Minute. Aber kein Verlag möch­te die­sen Schritt gehen – zu wich­tig sind die Besucherströme über die Google-Dienste, nie­mand kann dar­auf ver­zich­ten, die Verluste durch aus­blei­ben­de Werbeeinblendungen wären für die Verlage immens. Lieber möch­te man dop­pelt Geld ver­die­nen: Durch die von Google ver­mit­tel­ten Besucher und von Google selbst.

Fraglich ist aber über­haupt, ob Google an sei­nem nach eige­nen Angaben defi­zi­tä­ren Service „Google News“ ein so gro­ßes Interesse hat, dass er für den Weiterbetrieb Millionen an deut­sche Presseverlage aus­schüt­tet. Nachdem kürz­lich in Belgien Verlage gegen Google News geklagt hat­ten, hat Google die­se kur­zer­hand aus sei­nem News-Dienst geschmis­sen – und aus der nor­ma­len Suche gleich mit. Wenn sich dies in Deutschland wie­der­holt, kann man sich jetzt schon das Gejammere der deut­schen Verlagswirtschaft über ein­bre­chen­de Besucher – und damit ver­bun­de­ner Umsatzzahlen vor­stel­len. Man fühl­te sich ver­mut­lich an Goethes Zauberlehrling erin­nert, der die Folgen sei­nes Handelns nicht abschät­zen konn­te.

Unter dem Leistungsschutzrecht zu lei­den hät­ten vor allem die klei­nen Verlage. Der Springer-Konzern ver­mel­de­te jüngst einen Rekordgewinn für 2011. Das Umsatzwachstum ging dabei auch wesent­lich auf das boo­men­de Digital-Geschäft zurück. Ohne Google News wür­den sich die Besucherströme vor­aus­sicht­lich noch stär­ker auf weni­ge gro­ße Seiten fokus­sie­ren. Für die deut­sche Verlagslandschaft wäre eine sol­che Konzentration abso­lut kon­tra­pro­duk­tiv.

Warum über­haupt soll hier einer Branche eine exklu­si­ve, neue Einnahmequelle eröff­net wer­den? Das Leistungsschutzrecht wäre nichts ande­res, als eine staat­lich orga­ni­sier­te, von der Wirtschaft finan­zier­te Subvention für einen Zweig, der Probleme hat, sich an die neu­en Gegebenheiten der ver­netz­ten Welt mit ihrer ver­än­der­ten Marktsituation anzu­pas­sen.

Schon 2009 hat die Junge Union Schleswig-Holstein daher die Verlage in ihrer Antragsbegründung auf­ge­for­dert, selbst neue Geschäftsmodelle zu ent­wi­ckeln, die Möglichkeiten des Internets offen­siv anzu­neh­men. Das Internet ist für Verlage eine Herausforderung, kann aber auch eine Chance sein. Das rei­ne Abschotten von bis­her kos­ten­lo­sen Angeboten durch „Paywalls“ wird sicher­lich nicht den gewünsch­ten Erfolg brin­gen.

Die CDU soll­te vor­sich­tig sein, hier an eine wei­te­re Lobby zu „lie­fern“, ohne die Interessen der Wählerinnen und Wähler im Auge zu hal­ten. Das Fiasko nach der Mehrwertsteuerentlastung für Hoteliers dürf­te noch in Erinnerung sein. Die Bürger im Netz sind als inzwi­schen geüb­te „Notwehr-Lobby“ jeden­falls schon alar­miert, sehen erneut die Freiheit des Internets bedroht. Und auch das Echo der Presseautoren ist – ganz im Gegensatz zu dem ihrer Verlage – über­wie­gend nega­tiv. Es bleibt zu hof­fen, dass die Bundesregierung hier noch die „Kurve kriegt“ und die Gruppe der netz­kom­pe­ten­ten Unions-Abgeordneten um Dorothee Bär, Thomas Jarzombek und Peter Tauber sich durch­set­zen kann, damit die CDU kein lang­fris­ti­ges Glaubwürdigkeitsproblem in einer ste­tig wach­sen­den Bevölkerungsgruppe bekommt.


Der Artikel ist ursprüng­lich in Malte Steckmeisters Blog ver­öf­fent­licht wor­den. Ich dan­ke André Jagusch (mail@andre-jagusch.de) für die Bereitschaft, ihn auch hier im Landesblog zu ver­öf­fent­li­chen. Der Artikel wur­de für die­se Veröffentlichung leicht über­ar­bei­tet. Da die Diskussion sicher­lich noch eini­ge Zeit wei­ter­ge­hen wird, kann es auch in Zukunft noch zu Textveränderungen kom­men. Bei grö­ße­ren, neu­en Entwicklungen hat André Jagusch sich aber schon jetzt bereit erklärt, erneut einen Gastartikel zu die­sem Thema für das Landesblog zu schrei­ben. (Swen Wacker).

André Jagusch
Von:

André Jagusch ist CDU-Kreistagsabgeordneter im Kreis Plön und ehemaliger stellvertretender Landesvorsitzender der Jungen Union Schleswig-Holstein. Er engagiert sich seit vielen Jahren in verschiedenen medienpolitischen Gremien der Jungen Union und CDU.

Ein Gedanke zu “Ein neues Leistungsschutzrecht für Verlage?”:

  1. Ulrich Bähr

    Die Spitzen der Verlage und ihre Unterstützer fal­len da auch auf ihre eige­ne ver­zerr­te Wirklichkeitswahrnehmung her­ein. Immer wie­der argu­men­tie­ren sie so, als wür­de Google vor allem dar­über Geld ver­die­nen, dass es die Inhalte der Verlage abgrei­fe.
    Ob sie es nicht bes­ser wis­sen, weiß ich nicht.
    Schließlich wer­den ja kei­ne Artikel, son­dern eben nur die kur­zen Anreißer gezeigt, von dort auf die Homepages der Zeitungen ver­linkt. Ein wun­der­ba­rer kos­ten­lo­ser Service eigent­lich.
    Es führt aber zu der Fehleinschätzung, man kön­ne Google dro­hen — aus Neid, dass Google dort Geld ver­dient. Doch, ganz rich­tig, die könn­ten auch pro­blem­los ohne Google News, Geld ver­die­nen sie woan­ders.
    Die Unfähigkeit der Verlage, auf die Veränderungen im eige­nen Geschäft anders zu reagie­ren als durch den Ruf nach einem Artenschutz für aus­ster­ben­de Spezies ist schon scho­ckie­rend.
    Möglicherweise ärgert es aber auch, dass durch GoogleNews erst so rich­tig auf­fällt, wie­vie­le iden­ti­sche Agenturinhalte („273 ähn­li­che Artikel) jeden Tag so raus­ge­hau­en wer­den.

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