Am 5. März 2012 hat sich der Koalitionsausschuss der Bundesregierung darauf verständigt, im Rahmen des „Dritten Korbs“ der Reform des Urheberrechts ein sogenanntes „Leistungsschutzrecht für Presseverleger“ einzuführen. Zuvor war dies schon 2009 im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP vereinbart worden. Nach den Protesten gegen Netzsperren und ACTA zeichnet sich bei diesem Thema der nächste große Konflikt mit der Netzgemeinde ab.
Auf Antrag der Jungen Union Schleswig-Holstein hatte sich der JU-Deutschlandtag schon 2009 – lange bevor die Netzgemeinde das Thema für sich entdeckte – einstimmig gegen die Einführung eines Verlagsleistungsschutzrechts ausgesprochen.
Hintergrund: Was sind urheberrechtsverwandte Leistungsschutzrechte?
Um die Diskussion nachvollziehen zu können, sollte zunächst einmal der etwas unverständliche Begriff des „Leistungsschutzrechts“ geklärt werden. Leistungsschutzrechte, sog. „verwandte Schutzrechte“, kennt das Urheberrecht schon seit langem. Sie sollen immer dann einen Rechtsschutz bieten, wenn die Anforderungen an ein urheberrechtliches Werk, das eine geistige Schöpfungshöhe erfordert, nicht erfüllt sind. Das Urheberrecht selbst soll nicht primär die wirtschaftlichen Investitionen, sondern die Persönlichkeit des Urhebers schützen. Viele Fernsehsendungen oder Foto-Schnappschüsse kommen insofern nicht in den Genuss des Schutzes als urheberrechtliches Werk. Um die wirtschaftliche Leistung dennoch zu schützen, wurden daher unter anderem Leistungsschutzrechte für Licht- und Laufbilder eingeführt.
Unter Anführung des Axel-Springer-Verlags wurde von der Verlegerlobby nun seit einigen Jahren vermehrt gefordert, auch ein Leistungsschutzrecht für Verleger einzuführen. Verleger ärgern sich darüber, dass insbesondere Google mit seinem Google-News-Service mit der Verlinkung der Presseartikel über Werbeschaltungen selbst Geld verdient. Gegen diese gewerbliche Nutzung von Verlagserzeugnissen soll sich das Leistungsschutzrecht richten.
Wie unterscheidet sich das Verleger-Leistungsschutzrecht?
Im Gegensatz zu anderen Leistungsschutzrechten wird hier eigentlich keine neue Leistung geschützt. Presseartikel dürften fast ausnahmslos den Anforderungen an ein urheberrechtliches Werk entsprechen, den Autoren steht also ein Urheberrecht zu, den Verlagen vertraglich eingeräumte (ausschließliche) Nutzungsrechte. Dennoch besteht kein Anspruch gegen Google, denn das bloße Setzen von Links oder das Anreißen der Artikel als „Snippets“ als Kurzzitat bedürfen keiner Genehmigung und sind nicht entgeltpflichtig. Bei der Schaffung eines Leistungsschutzrechts müsste also zunächst einmal die Frage geklärt werden, welche Leistung nun abstrakt geschützt werden soll, denn ein „Lex Google“, um das es ja eigentlich geht, ist rechtlich unzulässig. Ohne zugrundeliegendes Immaterialgut kann es logischerweise auch kein Immaterialgüterrecht geben. Auch für sog. „geistiges Eigentum” bedarf es eines klar bestimmten Bezugspunkts, welches konkrete Gut unter den Rechtsschutz fallen soll.
Die Argumentation der Verlegerseite hat sich dabei immer wieder verändert: Im Jahr 2010 wurde so explizit noch gefordert, quasi eine „Presse-GEZ“ für alle 20 Millionen gewerblich eingesetzten PCs in Deutschland einzuführen, von denen aus kostenlose Verlagsinhalte im Internet abgerufen werden können. Sogar die Gründung einer entsprechenden Verwertungsgesellschaft wurde schon geplant. Inzwischen zielt die Forderung wieder stärker in Richtung Google und anderer Nachrichten-Übersichten. Das Festhalten an einer so weitreichenden – man möchte sagen: gierigen – Forderung hatte schließlich wohl auch aus Sicht der Verlagslobby das gesamte Unterfangen in Gefahr gebracht.
In der Umsetzung wird die Ausgestaltung dieses neuen Rechtsanspruchs zu großen Problemen führen, man darf daher schon gespannt auf den ersten Referentenentwurf sein. Stellt man auf den Inhalt ab, also quasi ein Schutzrecht auf kleinste Textbausteine, sofern diese von Verlagen kommen, stellt sich das Problem, wie man die Zitierfreiheit grundsätzlich erhalten, für das gleiche aber Google zur Kasse bitten kann. Auch eine Beschränkung auf gewerbliche Anbieter hätte große Konsequenzen, möchte man den freien Informationsaustausch im Internet wie gewohnt beibehalten: Wie sollen private Blogs mit einem Werbebanner oder Benutzer bei Facebook weiterhin Links mit Zitaten auf Presseartikel vergütungsfrei setzen dürfen, Google für denselben Link aber zur Kasse gebeten werden? Und wie soll das Leistungsschutzrecht wirken, wenn Google selbst die Snippets formuliert? Mittels automatisierter Paraphrasierung wird diese Aufgabe ohnehin bald von Computern erledigt werden können.
Würde ein weitgehenderes Leistungsschutzrecht geschaffen, wären die Möglichkeiten der intellektuellen Diskussion über Presseartikel enorm eingeschränkt. Selbst Verlage könnten auf einmal vermutlich nicht mehr untereinander auf Artikel als Quellen verweisen, schließlich handelt es sich auch bei ihnen um gewerbliche Anbieter. Die bisherigen Regeln, wie mit urheberrechtlich geschützten Inhalten verfahren werden darf, würden auf den Kopf gestellt. Wie will man verhindern, dass über das Leistungsschutzrecht letztlich die Weitergabe von Informationen selbst geschützt wird – und damit die grundgesetzliche zugesicherte Informationsfreiheit gefährdet wird?
Auch die juristische Fachwelt übt daher seit langem Kritik und hält das neue Leistungsschutzrecht für „schwer durchzusetzen“. Das Grundproblem bleibt, dass hier das Pferd von hinten aufgezäumt wird: Man möchte zwar gerne einen finanziellen Anspruch haben, man hat aber noch gar kein schützenswertes Gut, das diesen rechtfertigen würde.
Fraglich ist auch, wie dieses neue Leistungsschutzrecht international überhaupt durchsetzbar sein soll. Die bisher geschlossenen Staatsverträge dürften zu keinem weltweiten Rechtsschutz führen. Eine Benachteiligung deutscher Internetunternehmen im internationalen Wettbewerb darf nicht das Ergebnis sein.
…und was bedeutet das praktisch?
Das eigentlich Absurde an der Diskussion: Jeder Verlag könnte schon heute über einen Zweizeiler in der „robots.txt“ Google die Indexierung untersagen, die Artikel des Verlags würden danach nicht mehr in den Google-News auftauchen. Der Aufwand dafür läge bei weniger als einer Minute. Aber kein Verlag möchte diesen Schritt gehen – zu wichtig sind die Besucherströme über die Google-Dienste, niemand kann darauf verzichten, die Verluste durch ausbleibende Werbeeinblendungen wären für die Verlage immens. Lieber möchte man doppelt Geld verdienen: Durch die von Google vermittelten Besucher und von Google selbst.
Fraglich ist aber überhaupt, ob Google an seinem nach eigenen Angaben defizitären Service „Google News“ ein so großes Interesse hat, dass er für den Weiterbetrieb Millionen an deutsche Presseverlage ausschüttet. Nachdem kürzlich in Belgien Verlage gegen Google News geklagt hatten, hat Google diese kurzerhand aus seinem News-Dienst geschmissen – und aus der normalen Suche gleich mit. Wenn sich dies in Deutschland wiederholt, kann man sich jetzt schon das Gejammere der deutschen Verlagswirtschaft über einbrechende Besucher – und damit verbundener Umsatzzahlen vorstellen. Man fühlte sich vermutlich an Goethes Zauberlehrling erinnert, der die Folgen seines Handelns nicht abschätzen konnte.
Unter dem Leistungsschutzrecht zu leiden hätten vor allem die kleinen Verlage. Der Springer-Konzern vermeldete jüngst einen Rekordgewinn für 2011. Das Umsatzwachstum ging dabei auch wesentlich auf das boomende Digital-Geschäft zurück. Ohne Google News würden sich die Besucherströme voraussichtlich noch stärker auf wenige große Seiten fokussieren. Für die deutsche Verlagslandschaft wäre eine solche Konzentration absolut kontraproduktiv.
Warum überhaupt soll hier einer Branche eine exklusive, neue Einnahmequelle eröffnet werden? Das Leistungsschutzrecht wäre nichts anderes, als eine staatlich organisierte, von der Wirtschaft finanzierte Subvention für einen Zweig, der Probleme hat, sich an die neuen Gegebenheiten der vernetzten Welt mit ihrer veränderten Marktsituation anzupassen.
Schon 2009 hat die Junge Union Schleswig-Holstein daher die Verlage in ihrer Antragsbegründung aufgefordert, selbst neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, die Möglichkeiten des Internets offensiv anzunehmen. Das Internet ist für Verlage eine Herausforderung, kann aber auch eine Chance sein. Das reine Abschotten von bisher kostenlosen Angeboten durch „Paywalls“ wird sicherlich nicht den gewünschten Erfolg bringen.
Die CDU sollte vorsichtig sein, hier an eine weitere Lobby zu „liefern“, ohne die Interessen der Wählerinnen und Wähler im Auge zu halten. Das Fiasko nach der Mehrwertsteuerentlastung für Hoteliers dürfte noch in Erinnerung sein. Die Bürger im Netz sind als inzwischen geübte „Notwehr-Lobby“ jedenfalls schon alarmiert, sehen erneut die Freiheit des Internets bedroht. Und auch das Echo der Presseautoren ist – ganz im Gegensatz zu dem ihrer Verlage – überwiegend negativ. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung hier noch die „Kurve kriegt“ und die Gruppe der netzkompetenten Unions-Abgeordneten um Dorothee Bär, Thomas Jarzombek und Peter Tauber sich durchsetzen kann, damit die CDU kein langfristiges Glaubwürdigkeitsproblem in einer stetig wachsenden Bevölkerungsgruppe bekommt.
Der Artikel ist ursprünglich in Malte Steckmeisters Blog veröffentlicht worden. Ich danke André Jagusch (mail@andre-jagusch.de) für die Bereitschaft, ihn auch hier im Landesblog zu veröffentlichen. Der Artikel wurde für diese Veröffentlichung leicht überarbeitet. Da die Diskussion sicherlich noch einige Zeit weitergehen wird, kann es auch in Zukunft noch zu Textveränderungen kommen. Bei größeren, neuen Entwicklungen hat André Jagusch sich aber schon jetzt bereit erklärt, erneut einen Gastartikel zu diesem Thema für das Landesblog zu schreiben. (Swen Wacker).
Die Spitzen der Verlage und ihre Unterstützer fallen da auch auf ihre eigene verzerrte Wirklichkeitswahrnehmung herein. Immer wieder argumentieren sie so, als würde Google vor allem darüber Geld verdienen, dass es die Inhalte der Verlage abgreife.
Ob sie es nicht besser wissen, weiß ich nicht.
Schließlich werden ja keine Artikel, sondern eben nur die kurzen Anreißer gezeigt, von dort auf die Homepages der Zeitungen verlinkt. Ein wunderbarer kostenloser Service eigentlich.
Es führt aber zu der Fehleinschätzung, man könne Google drohen — aus Neid, dass Google dort Geld verdient. Doch, ganz richtig, die könnten auch problemlos ohne Google News, Geld verdienen sie woanders.
Die Unfähigkeit der Verlage, auf die Veränderungen im eigenen Geschäft anders zu reagieren als durch den Ruf nach einem Artenschutz für aussterbende Spezies ist schon schockierend.
Möglicherweise ärgert es aber auch, dass durch GoogleNews erst so richtig auffällt, wieviele identische Agenturinhalte („273 ähnliche Artikel) jeden Tag so rausgehauen werden.