Die Berichterstattung über Landtagssitzungen in Schleswig-Holstein ist immer wieder Anlass zu der Frage, warum nicht mehr über sie in der Presse berichtet wird. Eine Rückschau auf die letzte Landtagssitzung, zeigt, wie viel bzw. wie wenig berichtet wird. Das hat aber weniger was mit der Presse als mit unserem Bild von der „Wichtigkeit“ einer Plenarsitzung zu tun.
Wenn der Schleswig-Holsteinische Landtag zu seiner monatlichen Plenarsitzung zusammenkommt, dann ist das auch die hohe Zeit seines Wunsches nach medialer Aufmerksamkeit. Ich hatte in Das Schweigen im Juli anhand des Auf und Ab der Vielwörterei im Rhythmus der Landtagssitzungen beschrieben. In gewisser Hinsicht ist das tradiert. Der Schwerpunkt des parlamentarischen Handelns liegt längst in den Ausschusssitzungen, wie ich in Welche Kleidergröße hat der Landtag versucht habe zu belegen.
Die Sitzungstage in der vorvergangenen Woche gebaren viele Presseerklärungen (Mittwoch: 45, Donnerstag: 40, Freitag: 53, zum Vergleich die Woche davor: Mittwoch: 11, Donnerstag: 4, Freitag:14).
Über die Sitzung des Parlaments am Mittwoch fand ich Pressespiegel der Staatskanzlei und des Landtag 13 Artikel. Die Debatten am Donnerstag führten zu wieder 13 Artikeln. Über die Freitagssitzung fand ich noch einmal 12. Das Schleswig-Holstein-Magazin, dem täglich um 19.30 Uhr erscheinenden Nachrichtenmagazin des NDR, berichtete an den drei Sitzungstagen über vier Themen (den Nachrichtenblock außer Acht gelassen).
Über welche Landtagsthemen berichten die klassischen Medien?
Die Tagesordnung der Novembertagung des Landtages umfasste 68 Tagesordnungspunkte. Wie üblich, wurden manche Themen (14) wieder abgesetzt. Zu anderen, eher beiläufigen, geschäftlichen, formalen oder längst ausdiskutierten Punkte (21) fand keine Aussprache statt. Betrachtet man sich die Liste (interessierte Leser finden die detaillierte Aufstellung hier) quantitativ, dann stellt man fest:
- Über drei der sieben zeitlich vom Ältestenrat zeitlich fixierten Tagesordnungspunkte wurde breit berichtet: Aktuelle Stunde zu den Berliner Steuersenkungsplänen, Regierungserklärung Bundeswehrstrukturreform, Zusammenarbeit SH/HH
- Über zwei weiteren fest terminierten TOP berichtete lediglich eine Zeitung: Demenzplan, kostenfreie Schülerbeförderung
- Zwei zeitlich fest anberaumte Themen (Personalstrukturkonzept für die Landespolizei, Mindestlohn) fanden keine Berücksichtigung
- Sieben Tagesordnungspunkte, zu denen mindestens eine Presseerklärung erschien, fanden breiten Niederschlag in der Berichterstattung (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7)
- Ein Tagesordnungspunkt, der ohne Aussprache und ohne Presseerklärung behandelt wurde, fand, wohl wegen der lokalpolitischen Bedeutung (Asbestmülltransporte), den Weg in die Presse
- Über elf Themen, die in Presserklärungen mehrerer oder aller Fraktionen erwähnt wurden, wurde nicht berichtet (1,
- Am meisten berichtet und kommentiert (5 Artikel, 3 Kommentare) wurde eine Äußerung des Oppositionsführers, die er im Zusammenhang mit einem Landtagsthema gemacht hatte. Grund der Berichterstattung war weniger der Anlass der Anmerkungen als das benutzte Medium bzw. die verletzende Wortwahl.
- Die breiteste Berichterstattung fand im (dänischsprachigen) Flensborg Avis statt.
- In der ganzen Woche wurde sehr breit über die rassistisch und rechtsextrem motivierten Taten einer Terrorzelle in Thüringen berichtet. Die Debatte im Landtag hat nur ein verhaltenes Echo in der Berichterstattung gefunden.
Solche Zahlenspiele erwecken schnell den Eindruck, dass hier vieles im Argen liege. Und tatsächlich höre ich immer wieder Sätze wie: Die Qualitätsmedien müssten mehr und der Sache verpflichtet und nicht allein den vermeintlichen Skandal berichten.
Das ist zu einfach gedacht. Aus vielerlei Gründen.
1) Das, was in einer Demokratie an Entscheidungen getroffen wird, muss nicht a) just an dem Tag der Debatte b) eine breite Öffentlichkeit interessieren.
Die Linie 1 der AKN (Das Unternehmen gehört dem Land zu knapp 50 Prozent und Hamburg zu 50 Prozent) fährt mit dieselbetriebenen Zügen von Neumünster bis zum Hamburg Hauptbahnhof. Auf dem Teilstück von Kaltenkirchen nach Hamburg-Eidelstedt könnte die Linie eine strombetriebene, zügige fahrende S-Bahn werden, die in wirkliche Konkurrenz zum Individualverkehr träte. An der Diskussion über die S-Bahn-Strecke zwischen Kaltenkirchen und HH-Eidelstedt kann man sicherlich die Zukunft des ÖPNV, das Verhältnis zwischen HH und Schleswig-Holstein oder die Frage der Finanzierung von öffentlichen Infrastrukturmaßnahmen in föderativen Staaten diskutieren. Im Kern bleibt es jedoch ein nur regionalpolitisches als auch wenig tagesaktuelles Thema. Es wundert also nicht, wenn die landespolitische Tagespresse die Diskussion nicht (unmittelbar) aufnimmt. Zudem ist in Debatte nichts „tagesaktuell“ oder „neu“ oder „entscheidend“. Mittelbar findet das Thema mit ein wenig Verzögerung doch den Weg in die Hamburger Lokalpresse.
2.) Keine Mitte ohne Ränder
Ein weiterer Aspekt ist die Breite der Themen, die ein Parlament beschäftigen kann und muss. Nicht jedes ist so zentral, dass wir ein breites Interesse der ganzen Bevölkerung erwarten dürfen. Das gilt dann auch für die Medien. So manches Thema wird es nie in die landespolitischen Seiten oder in Schleswig-Holstein-Magazin schaffen. Es wird nur von einer überschaubaren Teilöffentlichkeit (etwa Landwirtschaft, oder Netzpolitik) wahrgenommen und wird viele Leser und Zuschauern im Bauernblatt, im Landesblog oder in der Sendung „Markt“ (im Dritten) haben. Nur weil etwas nicht im Pressespiegel steht, ist es längst noch nicht existent.
3.) Landespolitische Betroffenheit fällt nicht vom Himmel
Das 2013 in Kraft tretende Basel III-Abkommen sieht vor, dass Banken künftig mehr finanzielle Mittel vorhalten müssen, um vor etwaigen Turbulenzen auf dem Finanzmarkt besser gerüstet zu sein. Eine Reihe der Sparkassen in Schleswig-Holstein wird das Abkommen wegen der nun deutlich strengeren Eigenkapital- und Liquiditätsregeln stressen. Da die Sparkassen der Aufsicht des Landes (Sparkassengesetz) unterstehen, ist es „irgendwie“ ein landesrelevantes Thema; wenn man auch einwenden könnte, dass die Sparkassen auch der Aufsicht nach dem Kreditwesengesetz unterliegen sowie und die Umsetzung des Basel III-Abkommens Bundessache sein wird. Allerdings kommt die Mehrzahl der freien Sparkassen aus Schleswig-Holstein … Man merkt schnell: Dieses Thema ist komplex.
Es so aufzuarbeiten, dass nicht nur Expertinnen und Mitarbeiter der Sparkassen die Auswirkungen verstehen sondern auch die Kundinnen und Kunden, braucht Zeit, Platz – und „Manpower“. In den nach meiner Wahrnehmung eher dünn ausgestatteten landespolitischen Redaktionen in Schleswig-Holstein wird das kaum zu leisten sein. Die Transferleistung müsste aber schon in den Reden vollzogen werden: Nicht „die Sparkassen“ sind betroffen. Sondern greifbar nahe, sehr konkrete Einrichtungen. Da der inhaltliche Neuigkeitswert der Debatte kaum über das bekannte Maß hinaus ging und zudem eine für den Zuhörer nur schwer verständliche Vermischung mit der Reform des Sparkassengesetzes erfolgte wundert der Abwesenheit von Berichterstattung nicht.
4.) „Die Presse“ ist kein Medium, das über alles zu berichten hätte. Sie war es auch noch nie.
Zeitungen, zumal Tageszeitungen, sind seit ihrem vermehrten Aufkommen etwa Ende des 19. Jahrhunderts schon aufgrund ihrer exklusiven Fähigkeit, vortagesaktuell zu berichten, begehrt. Man hätte ihnen sicher mit gewissem Recht auch eine „gesellschaftliche Verpflichtung“ auferlegen können, sozusagen als Sachwalter der Öffentlichkeit die Information der Bürger zu organisieren. Tatsächlich sagt man Tageszeitungen auch nach, sie hätten die „Aufgabe“, Bürgerinnen und Bürger breit zu informieren (und zu kommentieren) und so das Meinungsbild zu fördern. Aber es besteht nun mal keine Zeitungslesepflicht, die Blätter unterliegen dem Wettbewerb und die Meinungsfreiheit thront darüber.
So entstand zwischen Parlamenten und Journalisten eine Hassliebe. In dem Buch „Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland“ berichtet Dr. Sten Martenson, ehemaliger Leiter der Bundespressekonferenz, von einem Streik der Reichtstags-Korrespondenten im Jahre 1908, die provoziert durch Beschimpfungen eines Abgeordneten, für fünf Tage ihre journalistische Arbeit einstellten; die Politiker hielten diesem Druck nicht stand. Der Vordemokrat Bismarck wird von Martensen zitiert: „Mein Respekt vor der sogenannten veröffentlichten Meinung, das heißt vor dem Lärm der Redner und Zeitungen, war niemals groß gewesen.“ Auch wenn in den demokratischen Zeiten unserer Geschichte die Einsicht durchsetzte, dass es mit der Presse gut ginge, gegen sie aber nicht (vom Ex-Bundeskanzler Schröder wird behauptet, er habe gesagt, zum Regieren brauche er nur BILD, BamS und Glotze): Daraus folgt eben nicht, dass man „der Presse“ vorschreiben könne, über was sie berichtet.
5.) Der Glaube, der (vermeintliche) Höhepunkt eines parlamentarischen Verfahrens sei auch der Höhepunkt des medialen Berichtens, ist ein Irrglaube.
Die weit überwiegende Zahl der Gesetze und vergleichbaren Rechtsakte initiiert die Regierung. Das liegt zum einen in der Komplexität mancher Dinge, zum anderen aber auch im Wechselspiel der parlamentarischen Ebenen (Land, Bund, Europa) begründet. Initiativen aus der Mitte des Parlamentes, wie wir sie in Schleswig-Holstein etwa beim Glücksspielgesetz erlebt haben, sind die Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Häufig verhält es sich so: Die Regierung stellt ihren Entwurf (der Presse) vor. Wochen später berichtet der Fachminister zudem noch einmal (der Presse) über wesentliche Änderungen aufgrund von Anhörungen oder anderweitig bedingtem Schlauerwerden. Mittlerweile haben die Interessenverbände und Lobbyisten ebenfalls ihre Mannen mobilisiert und (die Presse) von ihren Bedenken und Freuden informiert. Das Einbringen des Gesetzesentwurfes in die Plenarsitzung wird nach so viel Aufmerksamkeit häufig nur noch als ein weiterer technischer Akt, der kaum ein Bericht wert ist, wahrgenommen: Es ist der übliche Gang der Dinge. Wenn alles gut läuft – ein Landtagsausschuss z.B. eine Anhörung veranstaltet, die wissenswerte neue Eindrücke und Sichtweisen liefert – dann kommt es in der Tagespresse noch einmal zu Meldungen. Danach ist dann aber auch beim spannendsten Thema irgendwann die Luft draußen. Wird das Thema dann letztmalig im Landtag debattiert und beschlossen, dann ist nicht nur bei den Rednerinnen und Rednern im Landtag die argumentative Lust vergangen sondern auch die mediale Luft draußen.
Bei vielen der Themen, zu denen Presseerklärungen mehrerer oder aller Fraktionen verteilt wurden, über die aber nicht berichtet wurde (1,), finden wir in den Zeitungsarchiven oder unseren privaten Zettelkästen reichlich Presseartikel.
6.) Landesjournalisten berichten über Landesparlamente, die Landespolitik machen
Hört sich banal an, ist es aber nicht. Am schon erwähnten Beispiel Basel III hatte ich es weiter oben schon angerissen: Keiner Presseerklärung, keine Rede gelang es anscheinend, dieses Thema wirklich auf Schleswig-Holstein runterzubrechen und spannende Betroffenheit aufzubauen. Allein das Wort „Sparkassengesetz“ macht aus dem Thema noch keine Landespolitik. Das Thema so aufzugreifen, dass die tatsächliche Betroffenheit der regionalen Sparkasse aus dem Wahlkreis dargestellt wird, gelang keiner Rednerin, keinem Redner. Das Thema bleibt damit ein Bundes- oder Europathema, sperrig dazu.
Das ist kein Einzelfall. Die Bundesratsinitiative für ein Verbot von Wildtierhaltung in Zirkussen zum Beispiel. Im Bundesrat stimmt die Landesregierung ab, sie müsste sich nicht einmal an das Votum des Landtages halten. Und das ist auch gut so, denn das alltägliche Regierungsarbeit und die Stimmabgabe der Regierung im Bundesrat ist selten ein einfaches Ja.
Oder die Debatte über das Personenbeförderungsgesetz, ein Bundesgesetz. Wie auch der Tagesordnungspunkt Abfallgesetz. Und ein Mindestlohn/die Lohnuntergrenzen würden ebenfalls in der Hauptstadt der Republik verabschiedet werden.
Und nur weil ein Thema auch in Schleswig-Holstein passiert, ist es deshalb schon landespolitisch relevant. Natürlich ist es angesichts des grassierenden Schwindels bei der Erlangung von Promotionen und Habilitationen gut zu wissen, was in Schleswig-Holsteins Universitäten abgeht. Aber was bitte hat das Thema in einer Plenarsitzung zu suchen?
Zusammenfassend finde ich keinen Ansatzpunkt, großartige Kritik an der Landespresse hinsichtlich der Berichterstattung über die Landtagssitzung zu üben.
Und wäre es so, dann wäre das nicht dramatisch, weil es zunehmend Wege gibt, unmittelbar die Kommunikation zwischen Parlament, Fraktionen, Abgeordneten einerseits und Bürgerinnen und Bürger andererseits zu gestalten. Darüber will ich reden, bevor ich mich frage, was im Landtag anders laufen könnte. Denn ich finde es schon wichtig, dass mehr über den Landtag berichtet wird.
Mitten im Wandel
Zunehmend verschwindet das Unbehagen „der Politik“ über die gefühlte Abhängigkeit von „der Presse“. Das Monopol, aktuell zu berichten, ist gebrochen. Seit dem Beginn des Zeitalters des WWW, in dem „Everyone’s a publisher“ gilt, ist die Filterfunktion der Presse einem deutlichen, längst noch nicht vollendeten Wandel unterworfen.
Auf Seiten „der Politik“ erweitert sich der Begriff der Akteure. Nicht allein demokratisch gewählte Gremien wollen politische Prozesse betreiben. NGOs oder spontane Zusammenschlüsse interessierter Bürger begehren Teilhabe an den Gestaltungsprozessen.
Auch die Parteien öffnen sich Nichtmitgliedern. Die SPD in Schleswig-Holstein hat einen Demokratiesommer hinter sich, die CDU lässt Nichtmitglieder an ihrem Landtagswahlprogramm mitdiskutieren.
Die „Gatekeeper“-Funktion der Medien, also der Einfluss, den die Medien als Schleusenwärter auf dem Weg der Information durch den Veröffentlichungskanal nehmen, deutlich geringer geworden. Besonders durch die Verbreitung des Zugangs zum Internet und der Weiterentwicklung der Web 2.0-Techniken hat sich der kulturelle Wandel im Informationsfluss verstärkt. Die Bürger sind zunehmend gewillt und bereit, Informationen ungefiltert zu erhalten und deren Filterung selbst zu gestalten.
Der Landtag berichtet selbst
Der Landtag hat darauf längst reagiert. Wer den Links zu den oben genannten Beispielen aus der Tagesordnung der letzten Sitzung gefolgt ist, der wird die Informationstexte, die der Landtag zu jedem Thema und zum Verlauf der Debatte bereitstellt, kennen. Schon während des Sitzungsverlaufes kann sich jeder über Hintergründe und Argumente der Fraktionen informieren. Plenum-online, das sich selbst als die „erste und einzige Internetzeitung eines deutschen Parlaments“ bezeichnet und deren Redaktion während des Verlaufes jeder Sitzung die parlamentarischen Dokumente aktualisiert, Berichte zu den Tagungsthemen einstellt und in absehbarer Zeit auch den Livestream jeder Sitzung aufbereiten und dauerhaft vorhalten wird, leistet eine nicht hoch genug zu lobende Berichterstattung über jeden Tagesordnungspunkt jeder Plenarsitzung. Die Bündelung des Informationsangebotes (Als Beispiel: Das ist die Einladung zu einer Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses, das der dazugehörige Vorgang) im Landtagsinformationssystem lässt auf der Ebene der Beschaffung vorhandener Informationen schon viele Wünsche wahr werden. Sicher, das Layout darf noch wachsen, mancher mag sich eine Schnittstelle wünschen, um die Daten selbst aufbereiten zu können … aber all so etwas sollte das Lob für den informatorischen Fortschritt, den wir haben, nicht schmälern.
Strukturenwandel
Nicht zu unterschätzen ist auch die gestiegene Bandbreite der Informationsquellen. Abgeordneten reden nicht nur in Parlamenten oder geben Presseerklärungen heraus. Sie twittern, äußern sich bei Facebook, unterhalten Blogs. Der Journalist muss die Fülle (von Flut mag ich nicht reden, Flut ist negativ besetzt) erfassen, sortieren, abgleichen, aufbereiten und schneller als noch vor 20 Jahren präsentieren. Pressesprecher haben nicht nur die ihnen bekannten Journalisten aus dem Medien, sondern auch Blogger, journalistische Blogger, bloggende Journalisten … Wo solch ein Wandel in den Berichterstattungsprozessen passiert, wandelt sich auch die Berichterstattung. Landespolitische Seiten sind, wenn wir sie mit dem vergleichen, was uns selbst in Erinnerung ist oder was wir in Büchern wie dem oben schon erwähnten „Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland“ lesen können, längst nicht mehr Mitteilungsblätter wo „die Chronistenpflicht gebietet“, Ereignisse herunterzubeten. Sie werden, so mein subjektiver Eindruck, mehr und mehr der Platz für pointierte, exemplarische Darstellungen, einordnende oder überblick verschaffende Berichte und könnten in Zukunft noch intensiver vom Sammler von Informationen zum Aufbereiter, zum Kurator von Informationen werden.
Doch zurück zu unserem Patienten, dem Landtag.
Was könnte im Landtag anders laufen?
Parlamente reformieren sich in einem ständigen Prozess. Mal sind die Anlässe erlebte Krisen (etwa die Reformen in Schleswig-Holstein nach der Barschelaffäre 1987), manchmal sind es kleine Schritte. Thorsten Geerdts, Landtagspräsident im Kieler Landtag hat im April eine Initiative zum Parlamentarismus im Wandel angestoßen, die wohl fleißig tagt und bald hoffentlich ebenso innovative wie einvernehmliche Anstöße liefern wird. Vieles von dem, was ich in diesem Beitrag an Kritik anriss und zur Forderung wenden könnte, wird in der Initiative schon erwähnt: direkter Landesbezug in Plenardebatten; Landtag als Ort der Debatte über die Zukunft des Landes; gezieltere Öffentlichkeitsarbeit der Ausschüsse.
Manchen Vorschlägen stehe ich skeptisch gegenüber:
- Ein Parlament, das sich als zentraler Ort der Zukunftsdebatte versteht, verlöre sich im kleinklein, wenn es ein Weisungsrecht des Parlamentes gegenüber der Landesregierung bei Entscheidungen des Bundesrates verlangt. Der Kapitän bestimmt den Kurs, weicht nicht einzelnen Wellen aus.
- Eigene Pressekonferenzen der Abgeordneten mögen für viele Abgeordnete eine spannende Erfahrung mit vielen ungeahnten Ergebnissen sein. Mehr ritualisierte Pressearbeit „in Kiel“ braucht es aber wohl nicht. Eher anders herum: Mehr Argumente und Sichtweisen der Menschen und Institutionen „vor Ort“ könnte in die parlamentarische Argumentation drängen.
- Das Argument, der twitternde oder ein andere soziales Netzwerk benutzende Abgeordnete eröffne Paralleldebatten im Plenum, die für das Präsidium nicht nachvollziehbar und daher schwer zu kontrollieren seien, kann nur nach hinten los gehen. Zum einen hat sich bislang stets gezeigt, wie gut so etwas nachvollziehbar ist, zum anderen gab es die Kontrolle schon vor Twitter und Co nicht. Abgeordneten, die etwa mit Journalisten in der Lobby des Landtages sprachen und auf diesem Weg dieses oder jenes verbreiteten, entzogen sich – völlig zu Recht und völlig unspektakulär – seit jeher der „Kontrolle“ des Präsidiums. Ein Verhaltenskodex speziell für diese Medien erhöhte allenfalls deren Bedeutung. Es ist völlig egal, ob Abgeordnete A. aus B. etwas „schrieb“, „sagte“, „ins Telefon nuschelte“ oder „twitterte“. Wenn ich den Werkzeug der Kommunikation und nicht den Inhalt der Kommunikation thematisiere oder stigmatisiere, stehe ich mir selbst im Weg.
Es geht in der strittigen Frage zum einen um Anstand. Dessen Regeln ändern sich wenig und nur langsam. Dafür brauchen erwachsene Menschen keinen Kodex.
Zum anderen geht es um Benimmregeln. Die ändern sich, manchmal sogar recht zügig. Und passen deshalb in keinen Kodex. Wer das nicht glaubt, der beantworte die Frage, ob männliche Abgeordneten nicht doch besser verpflichtet werden sollen, einen Schlips aber nie weiße Socken zu tragen.
In anderen Punkten belegt die obige Auswertung die Vorschläge:
- Die Notwendigkeit, was in der Plenarsitzung debattiert werden „muss“, muss enger gefasst werden. Das Plenum ist ein wichtiger Teil des parlamentarischen Ablaufes, sicher auch im Wortsinne häufig das „entscheidende“ Gremium, aber nicht der mediale Mittelpunkt.
- Landesbezüge müssen sich prägnanter in Anträgen, Reden oder Presseerklärungen finden.
- Die Ausschussarbeit muss belebt werden. Dafür müssen sich die Abgeordneten aus der Rolle befreien, im Ausschuss „Plenum“ zu spielen.
Starke Abgeordnete nutzen die Ausschussberatung (die in Schleswig-Holstein schon seit den 1990er-Jahren öffentlich tagen), um Fragen zu stellen, um dazuzulernen, um ihre Argumente zu prüfen, um in der Sache „meinungsfester“ werden zu können. Schaufensterreden braucht dort niemand. Abgeordnete, die während der Dauer eines parlamentarischen Verfahrens vehement eine Meinung vertreten, in den Beratungen aber keine Fragen stellen, wirken nicht souverän. Die Öffentlichkeit, Bürger wie Berichtende, dürfen das Stellen von Fragen wiederum nicht als Schwäche verstehen.
Transparenz ginge mit der Öffentlichkeit der Ausschüsse einher, wenn der Zuhörer weniger den Eindruck hätte, die entscheidende Verständigung über das Anliegen sei schon im Vorfeld der Sitzung erfolgt.
Wir können gespannt sein auf die Ideen der Parlamentarier. Nötig sind neue Ideen, um die parlamentarisch gebundene Landespolitik zu beleben und entkrampfen.