Welche Kleidergröße hat der Landtag?

Von | 25. Oktober 2010

Es gibt wohl kaum ein Fest, beson­ders bei den stets wie­der­keh­ren­den, gewis­sen Ritualen unter­wor­fe­nen Festen, bei deren Vorbereitung nicht mal gern der eine oder ande­re Streit aus­ge­foch­ten wird. Es ist also völ­lig nor­mal, wenn über ein Wahlgesetz in einer Demokratie gestrit­ten wird. Und natür­lich ist es auch völ­lig nor­mal, wenn der Streit alle paar Jahre wie­der­holt wird — und sei es nur, um sich zu ver­ge­wis­sern, dass die bis­he­ri­gen Rituale noch pas­sen. Seitdem das Landesverfassungsgericht am 30. August 2010 Neuwahlen anord­ne­te, wis­sen die Fraktionen im schles­wig-hol­stei­ni­schen Landtag, dass sie die bestehen­den Regeln ein wenig ändern müs­sen. Sie wer­den gut dar­an tun, trotz der auf­ge­brach­ten Stimmung nicht das Oberste nach unten zu keh­ren son­dern sich auf das unbe­dingt Notwendige beschrän­ken – zumal der demo­kra­ti­sche Anstand eine gewis­se Zügigkeit gebie­tet: Ein nicht dra­ma­tisch gro­ßer, aber fata­le Folgen haben­der Fehler muss kor­ri­giert wer­den.

„Democracy’s cere­mo­ni­al, its feast, its gre­at func­tion, is the elec­tion.”
„Die gro­ße Aufgabe der Demokratie, ihr Ritual und ihr Fest — das ist die Wahl”
–H.G. Wells

Die im Landeswahlgesetz gefun­de­nen Regelungen über Bildung, die Größe und die Anzahl der Wahlkreise, die Bestimmung des Zweitstimmrechts und die Vorschriften über den Mehrsitzausgleich (Überhangsmandate) mün­den, so fand das Verfassungsgericht, in ihrem Zusammenspiel in einem nicht mehr auf­zu­lö­sen­den Verfassungskonflikt: Sowohl die Vorgabe, die Regelgröße von 69 Abgeordneten mög­lichst nicht zu über­schrei­ten, als auch der Grundsatz der Wahlgleichheit wur­den ver­fehlt.

So was ist kein Drama oder Skandal. Es hat schon schlim­me­re Dinge in Schleswig-Holstein gege­ben und es sind schon schlim­me­re Verstöße von Verfassungsgerichten fest­ge­stellt wor­den. Bei aller Aufgeregtheit über das Ergebnis und der nicht von der Hand zu wei­sen­den Peinlichkeit des Ganzen kann das Beheben des Schadens ziem­lich flott über die Bühne gehen. Man muss kein Hellseher sein, um zu erwar­ten, dass die nächs­te Landtagswahl nicht erst im September 2012 statt­fin­den wird son­dern schon im Frühjahr, spä­tes­tens im Frühsommer 2012. Denn die Regierung legt dem Parlament übli­cher­wei­se im Sommer den Entwurf für den Haushalt für das nächs­ten (oder die bei­den nächs­ten Jahre) vor, damit er in der zwei­ten Jahreshälfte in die par­la­men­ta­ri­sche Beratung gehen kann. Um das Ziel der soge­nann­ten Schuldenbremse zu errei­chen, wer­den auch im Haushaltsentwurf 2013/​14, der im Sommer 2012 auf den par­la­men­ta­ri­schen Weg gebracht wer­den wird, wei­te­re Streichungen und Kürzungen anzu­kün­di­gen sein. Wohl vie­le, die eine Wahl gewin­nen möch­ten, wer­den Wahlkampf und Haushaltsberatung nicht par­al­lel ver­an­stal­ten wol­len — Umfragewerte und Bundestrends hin oder her.

Ich wer­de mir im Folgenden zu den nun anste­hen­den Änderungen ein paar Gedanken machen. Ich beschrän­ke mich dabei auf zwei, viel­leicht drei Themen: Wie groß soll ein Landtag in Schleswig-Holstein eigent­lich sein? Und wie sieht das mit den Wahlkreise und den Erst- und Zweitstimmen aus? Dabei wer­de ich mich nicht nur auf Zahlen beschrän­ken son­dern auch eini­ge belieb­te Argumente für oder gegen bestimm­te Rituale dis­ku­tie­ren. Rechtliche Fragen wer­den nicht im Vordergrund ste­hen.

Eine Kleidergröße für Landtage? 

In einem Parlament soll sich der am Wahltag erklär­te Wille des Wählers wider­spie­geln. Das Parlament reprä­sen­tiert den Wählerwillen im Augenblick der Wahl. Das hört sich gut an. Stünde man aber vor der Aufgabe, ein gera­de frisch erfun­de­nes Parlament mit einer noch zu bestim­men­den Anzahl an Abgeordneten zu fül­len, dann fehl­te nun erst­mal jeder Maßstab.

Glücklicherweise gibt es ja schon anders­wo Parlamente. Vergleicht man die Größe der Parlamente in den demo­kra­tisch ver­fass­ten Ländern der Welt, dann erkennt man eine gewis­se Relation zwi­schen der Größe eines Parlaments und der Größe der Bevölkerung, die es reprä­sen­tie­ren darf. Ein Ranking ver­bie­tet sich gleich­wohl. Zum einen sind die Aufgaben der Parlamente zu unter­schied­lich. Denn in man­chen (föde­ra­len) Ländern besteht der Staat aus eini­gen oder meh­re­ren Ländern mit wie­der­um eige­nen Parlamenten; ande­re sind eher zen­tra­lis­tisch orga­ni­siert. Zum ande­ren gestal­ten sich Demokratien unter­schied­lich aus. So ist, wenn mich mei­ne von der Medienberichterstattung gepräg­te Wahrnehmung nicht trügt, das Selbstverständnis eines Parlamentes, Gesetzesvorlagen der Regierung kri­tisch zu durch­leuch­ten, etwa in den USA wesent­lich aus­ge­präg­ter als z.B. in Großbritannien.
Gleichwohl gibt eine gewis­se Relation zwi­schen der Größe des Parlaments und der Zahl der Bevölkerung demo­kra­tisch Sinn. Denn mit sin­ken­der Zahl der Parlamentarier — genau­er: der stei­gen­de Menge der Bürger, die ein Abgeordneter ver­tritt — steigt der Mangel an Repräsentanz. Also irgend­wo zwi­schen “jeder ist sein eige­ner Volksvertreter” und “drei Volksvertreter” ist gefühlt rich­tig. Wir kön­nen auf­grund der lan­gen Tradition, die Demokratien haben, davon aus­ge­hen, das exis­tie­ren­de Parlamente sich auf eine gesell­schaft­lich aner­kann­te Größe ein­ge­pen­delt haben, die sowohl die Repräsentanz als auch die Arbeitsfähigkeit gewähr­leis­ten.

Dort, wo der Staat föde­ra­tiv aus­ge­prägt ist, besteht eine Kaskade von Parlamenten, die unter­ein­an­der abge­stimmt sind, auf­ein­an­der auf­bau­en und auf der jewei­li­gen Ebene ver­gleich­bar sind. Parlamente tagen in der Regel nicht per­ma­nent. In Demokratien, in denen Parlamente ein Arbeitscharakter inne­wohnt, sie also nicht allein appel­la­ti­ve Aufgaben wahr­neh­men, hat sich das Instrument der Ausschüsse als Arbeitsgremium her­aus­ge­bil­det. Dort kön­nen bestimm­te Aufgabe bes­ser vor­be­rei­tet wer­den. Manches kann dort sogar abschlie­ßend oder aus­schließ­lich behan­delt wer­den. Wegen die­ser Verlagerung der ursprüng­li­chen Parlamentsarbeit soll­ten Ausschüsse regel­mä­ßig öffent­lich tagen.

Ausschüsse sind also wich­tig. Ihre Anzahl ori­en­tiert sich häu­fig an Themenpaketen, die sich im Lauf der Zeit her­aus­ge­bil­det haben und in der sich oft­mals auch die Struktur der Ministerien wider­spie­gelt. Die Menge der Ausschüsse ist damit eben­so begrenzt wie die phy­si­sche Möglichkeit eines Abgeordneten, an Ausschusssitzungen pro­duk­tiv teil­zu­neh­men. Eine wei­te­re Tendenz zur Obergrenze ergibt sich aus einem Selbstregulativ: Gäbe es Abgeordnete, die weder eine Leitungsfunktion in ihrer Fraktion oder im Parlament an sich inne­ha­ben und gleich­wohl kei­nem Ausschuss ange­hö­ren, ent­stün­de Missgunst.

Das alles passt auf die Situation der Bundesländer in Deutschland. Weshalb wir sie unter­ein­an­der ver­glei­chen kön­nen.

Ausschüsse stre­ben als Arbeitsgremien Größen an, in denen sich sinn­voll arbei­ten lässt. Machen wir eine Stichprobe: Das Saarland, kleins­tes Flächenland, hat 11 Ausschüsse mit je 13 Mitgliedern, In Schleswig-Holstein sind es 8 Ausschüsse mit in der Regel 11 Mitgliedern, in dem etwa gleich­gro­ßen Bundesland Sachsen-Anhalt exis­tie­ren 12 (stän­di­ge) Ausschüsse mit je 12 Mitgliedern. In dem mit­tel­gro­ßen Bundesland Niedersachsen sind es 11 (stän­di­ge) Ausschüsse mit je 17 Mitgliedern, in Hessen deren 11 mit 18 bis 20 Mitgliedern. Bayern, ein gro­ßes Bundesland besitzt 12 Ausschüsse, die mit 16 bis 22 Mitgliedern besetzt sind. In dem größ­ten Bundesland Nordrhein-Westfalen schließ­lich gibt es 18 (stän­di­ge) Ausschüsse mit 21 bis 25 Mitgliedern. Mir scheint, dass es in den ein­zel­nen Länderparlamenten trotz iden­ti­scher Zuständigkeiten durch­aus unter­schied­li­che Ausprägungen zur Ausschussarbeit gibt. Besonders die gerin­ge Zahl der Ausschüsse in Kiel fällt auf. Aber in der Tendenz besteht die zu erwar­ten­de Ähnlichkeit.

Betrachten wir nun die Länderparlamente und set­zen sie in Beziehung zu den Einwohnern je Parlamentarier. Das ist auf Länderebene mit ein paar Einschränkungen mög­lich, denn die Länder der Bundesrepublik haben wei­test­ge­hend iden­ti­sche Aufgabenprofile. Lediglich bei den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg scheint mir das fak­tisch anders zu sein; hier kann die Aufteilung der Aufgaben zwi­schen Land und Kommunen etwas anders ver­lau­fen. Ich habe des­halb in der fol­gen­den Grafik die Stadtstaaten außen vor gelas­sen. Die Tabelle mit allen Daten befin­det sich hier. Nicht jede der dort vor­han­de­nen Spalten dis­ku­tie­re ich in die­sem Artikel. Sie sind teils erst Gegenstand des zwei­ten Teils des Artikels, teils aus Spielerei ent­stan­den.

Sortiere ich die Flächenländer abstei­gend nach Einwohnerzahl, dann ergibt sich fol­gen­des Bild:

Die Zahl der Einwohner pro Mandat schwankt zwi­schen 20.203 (Saarland) und 99.078 (Nordrhein-Westfalen). Der Mittelwert (die rote Linie) liegt bei 47.105.

Anscheinend hat sich in der Praxis eine Mindestgröße her­aus­ge­bil­det, die ein Länderparlament in Deutschland haben soll­te, um dem Repräsentationsanspruch zu genü­gen und sei­ne Aufgabe über­haupt wahr­neh­men zu kön­nen. Mit der Einwohnerzahl eines Landes wach­sen even­tu­ell zu debat­tie­ren­de oder zu ent­schei­den­de Problemfelder, das führt aber nicht zu einem gleich­mä­ßi­gen Anstieg der Parlamentarier. Im Gegenteil wird in grö­ße­ren Ländern mit einer rela­tiv gerin­ge­ren Anzahl von Abgeordneten gelebt, ohne dass Klagen bekannt gewor­den wären, dass in die­sen Ländern ein grund­sätz­li­ches Demokratiedefizit herr­sche oder die Parlamentarier über­ar­bei­te­ter als anders­wo sei­en. Der Abgeordnete in Bayern, der fünf­mal mal mehr Bürger reprä­sen­tiert als sein saar­län­di­scher Kollege, wird in der Binnenwahrnehmung sei­nes Landes wohl kaum als weni­ger demo­kra­tisch legi­ti­miert ange­se­hen.

Das — zuge­ge­ben aktu­ell sehr theo­re­ti­sche (sie­he Spalte J der vor­hin schon erwähn­ten Tabelle — Verhältnis von Einwohner zu Mandatsträger in Schleswig-Holstein wür­de sich nicht son­der­lich ver­än­dern, wenn die Anzahl der Abgeordneten ledig­lich 61 betrü­ge (die­se Zahl haben die Grünen in Gespräch gebracht). In die­sem Fall läge sie mit 46.463 sehr nah am Mittelwert:

Komplett abwe­gig wäre so eine Zahl also nicht. Es scheint sogar, dass die vor­ge­schla­ge­ne Anzahl der Parlamentarier wegen der gro­ßen Nähe zum Mittelwert mit Bedacht gewählt wor­den ist. Sie ist aber gleich­wohl nicht natur­ge­setz­ar­tig oder aus sich her­aus “rich­tig”. Es gilt aber auch: Die Grafik spie­gelt nicht mehr Demokratie wie­der, wenn sie wohl­ge­formt daher­kommt, die Kurve also ohne Dellen und Beulen sanft steigt. Sprünge sind durch­aus okay. Einer stim­mi­gen Begründung bedür­fen sie gleich­wohl.

Schlankmacher für’s Parlament?

Es sind im Wesentlichen drei Argumente, die einem immer wie­der begeg­nen, wenn man von den Vorteilen der Verringerung der Anzahl der Parlamentarier spricht:

  • Mehr kön­nen wir uns nicht leis­ten
  • Kleinere Parlamente arbei­ten effi­zi­en­ter
  • Die Arbeitsfähigkeit der Parlamente muss erhal­ten blei­ben

Keines die­ser Argumente mag zu über­zeu­gen. Schon weil sie nicht für eine Größe spre­chen son­dern allein gegen eine Größe wet­tern.

Zumeist ord­net man sol­che Pseudoargumente den “Stammtischen” zu oder hört sie aus dem Munde der­je­ni­gen, die gern pau­schal gegen “die Politik” wet­tern. “BILD-Zeitungs-Niveau” nennt man das dann auch. Manchmal traut sich aber auch jemand, das mal auf­zu­schrei­ben. Ein Beispiel: Der soge­nann­te Bund der Steuerzahler nahm im April 2010 (also noch weit vor dem Schleswiger Urteil) Stellung zu einem Gesetzesentwurf der Grünen zur Verringerung der Anzahl der Wahlkreise und schwa­dro­nier­te, die “über­gro­ße Zahl der Landtagsabgeordneten in Schleswig-Holstein” füh­re “zu einer erheb­li­chen Kostenbelastung für das extrem finanz­schwa­che Land”. Außerdem füh­re “ein grö­ße­rer Landtag nach aller Erfahrung eher zu schwie­ri­ge­ren und län­ge­ren Meinungsbildungsprozessen”. Später dann heißt es, der “Repräsentationsgrad der Landesbevölkerung” sei “in Schleswig-Holstein im Vergleich zu den west­deut­schen Flächenländern deut­lich über­pro­por­tio­nal” (was zunächst offen­kun­dig an den Haaren her­bei­ge­zo­gen ist und dann auch noch wegen des Bezugsrahmen west­deut­sche Länder kom­plett sinn­frei, wenn nicht sogar belei­di­gend, ist). In einer ers­ten Reaktion auf das Urteil wird der Verein dann kon­kret und schlägt, läs­sig aus der Hüfte schie­ßend, 51 Abgeordnete vor. Das sähe in unse­rem schon bekann­ten Diagramm dann so aus:

51 Abgeordnete sind nicht per se “falsch” oder aus irgend­wel­chen Prinzipien her­aus ohne Prüfung abzu­leh­nen. Wegen der Abweichung vom Mittelwert kann jedoch nicht allein der Anschein des “Üblichen” aus­rei­chen. Hier ist noch mehr als bei 61 Abgeordneten auf die Begründung zu ach­ten.

“Das kön­nen wir uns nicht leis­ten” ist ein erkenn­bar popu­lis­ti­sches Argument. “Gar kein Parlament” wäre dann näm­lich die kon­se­quen­te Forderung. Das kos­tet näm­lich noch weni­ger Geld. Angesichts sei­ner dra­ma­ti­schen Verschuldungskrise kann sich das Land Schleswig-Holstein näm­lich eigent­lich nicht mal mehr sei­ne eige­ne Existenz leis­ten. Solche Forderung muss immer mit einer Aufgabenkritik ein­her­ge­hen, die klar benennt, was man nicht mehr an par­la­men­ta­ri­scher Aufgabenerfüllung will. Denn ohne Streichung wird es nicht gehen — außer man ist der Meinung, der Parlamentarier als sol­cher habe heu­te einen fau­len Lenz.

Das wei­te­re Argument, ein grö­ße­rer Landtag ver­kom­pli­zie­re irgend­wie alles, ist offen­kun­dig dumm: Nach “aller Erfahrung” sind die Parlamente in Hessen, Baden-Württemberg, Bayern oder Niedersachsen also alle­samt vol­ler “schwie­ri­ge­rer und län­ge­rer Meinungsbildungsprozesse”? Etwa, weil das Auszählen der erho­be­nen Finger bei einer Abstimmung län­ger dau­ert? Oder weil in den Sitzungen häu­fi­ger zu Geburtstagen gra­tu­liert wer­den muss? Oder wo ist jetzt das Argument ver­steckt? Nein, es ist nicht schlimm, wenn eine Meinungsfindung län­ger dau­ert oder kom­pli­ziert erscheint. Wichtig ist viel­mehr, dass die gefun­de­ne Entscheidung trag­fä­hig ist und von mög­lichst vie­len Bürgern nach­voll­zo­gen und hin­ge­nom­men, im bes­ten Fall sogar akzep­tiert wer­den kann.

Anders her­um wer­den klei­ne Parlamente nicht mit von vorn­her­ein zu ein­fa­che­ren und schnel­le­ren Meinungsbildungsprozessen füh­ren. Man mag zu Recht bekla­gen, dass die Kontrolle der Regierung durch das Parlament schon heu­te zu wün­schen übrig lässt, mit weni­ger Abgeordneten wird das auch nicht viel bes­ser wer­den. Und längst nicht jeder ver­meint­lich schnel­le und effi­zi­en­te Prozess macht etwas lang­fris­tig bil­li­ger. Es kann sogar teu­rer wer­den, wenn z.B. die Korrektur der Arbeit der Verwaltung durch das par­la­men­ta­ri­sche Korrektiv abnimmt.

Nur kurz ein Einwurf zur Arbeitsfähigkeit eines Parlamentes: Dieses Argument ist keins. Es wird ohne wei­te­re Begründung mal für eine Verkleinerung, mal gegen eine Verkleinerung ins Feld geführt. (Die gebo­te­ne Verlässlichkeit, dass die von der Verfassung vor­ge­ge­be­ne Zahl 69 Abgeordnete auch auf so unge­fähr 69 hin­aus­lau­fen muss und nicht 95 oder mehr bedeu­tet, wer­de ich spä­ter dis­ku­tie­ren).

Die Größe des Schleswig-Holsteinischen Parlamentes ist nach allem also nicht so abwe­gig. Es muss sich ob sei­ner Größe nicht ver­ste­cken oder in Frage stel­len. Zum Rühmen gibt es aller­dings eben­so wenig Anlass.

Zwingende Gründe für eine Verkleinerung erken­ne ich nicht. Naturgesetzlich daher­kom­men­de Gründe dage­gen sind auch nicht ersicht­lich, denn die grund­sätz­li­che Arbeitsfähigkeit eines aus weni­ger als 69 Abgeordneten bestehen­den Parlaments ist gewiss gege­ben. Schließlich gibt es in der Bundesrepublik klei­ne­re, lich­te­re Länderparlamente, sowohl mit Blick auf die abso­lu­te Zahl der Sitze als auch hin­sicht­lich des Verhältnisses Wähler zu Abgeordneten.

Geld bzw. Kosten sind also ein schlech­tes Argument. Deshalb leben Parlamentarier jedoch nicht in einer Schutzzone. Im Gegenteil. Sie müs­sen sich der öffent­li­chen Überprüfung und Kritik stel­len, wenn sie etwa ihre Diäten erhö­hen wol­len, ohne trif­ti­gen, hin­rei­chen­den Grund dienst­rei­sen, der par­la­men­ta­ri­schen Arbeit fern­blei­ben, trotz der Eigenschaft Berufspolitiker “neben­her” ver­die­nen. Sie sind im bes­ten Sinne öffent­li­che Personen. Sie müs­sen auch dazu bereit sein, das bringt das Amt mit sich. Wenn sie das nicht wol­len, dann sol­len sie ihren Beruf die ihnen auf Zeit über­tra­gen­de Aufgabe nicht anstre­ben.

Und die, die uns ver­tre­ten, müs­sen auch an sich exem­pla­risch zei­gen, was sie von uns, ihren Wählern, all­täg­lich ver­lan­gen, näm­lich Verzicht.

Dennoch gilt völ­lig unauf­ge­regt: Demokratie kos­tet. Und die­se Kosten sind not­wen­dig und unaus­weich­lich, weil der Kontakt zwi­schen Bürgern und Politik nicht abrei­ßen darf. Man kann nicht auf der einen Seite bekla­gen, “die Politik” ent­fer­ne sich von “dem Bürger” und ander­seits die Zahl der Akteure auf der einen Seite ohne Plan und Argument aus popu­lä­rer Effekthascherei ver­rin­gern. Die Kosten müs­sen sich stets her­lei­ten und begrün­den las­sen. Das reicht dann aber auch. Demokratie ist kein auf ratio­nel­le Abläufe zu trim­men­der, allein der Effizienz als Maßstab zu unter­wer­fen­der Betrieb, den man nach Kostengesichtspunkten “sanie­ren” könn­te.

Abschließend noch ein Blick in die jün­ge­re Geschichte unse­res Landes, wie ich ihn in dem noch heu­te lesen­wer­ten Schlussbericht (Achtung, gro­ßes PDF-Dokument) der “Enquete-Kommission Verfassungs- und Parlamentsreform” aus dem Jahre 1989 fand (Seite 154): Das ers­te Landeswahlgesetz von 1947 nann­te 70 Abgeordnete. 1950 sank die Zahl auf 69. 16 Jahre, 1966, erhöh­te sich die Zahl auf 73 Abgeordnete. 1973 dann legt man sich auf 74 fest. Diese Zahl blieb bis 1989 kon­stant. In die­sem Jahr ver­warf man die dama­li­ge Begründung (der SSW soll­te nach Auffassung der CDU nicht “Zünglein an der Waage” sein kön­nen) als nicht stich­hal­tig und erhöh­te die Zahl auf 75. Im Jahr 2003 senk­te eine gro­ße Koalition aus SPD und CDU — gegen die Bedenken von SSW, FDP und Grünen — aus sach­frem­den Erwägungen (die Verkleinerung des Landtages war Kompensation für die Finanzierung einer Diätenerhöhungen und die Umstellung der künf­ti­gen Versorgung der Abgeordneten) nach tur­bu­len­ter Debatte auf 69 Abgeordnete. Schon allein die aus heu­ti­ger Sicht für man­che der dama­li­gen Redner eher pein­li­che Debatte spricht dafür, nicht ohne sach­li­chen Grund und unter kri­ti­scher Betrachtung des “Warums” die Zahl der Abgeordneten zu ver­än­dern. Eine Verfassung ist weder ein der Mode unter­wor­fe­ner Saisonartikel noch gehört es sich, sie zu ändern, um irgend­wel­che Pakete zu schnü­ren.

Im Zusammenhang betrach­tet scheint es mir zwar durch­aus mög­lich, mit einem aus 61 Abgeordneten bestehen­den Parlament ein gleich­wohl arbeits­fä­hi­ges, reprä­sen­tie­ren­des Gremium zu schaf­fen. Ich sehe aller­dings aktu­ell kei­ne über­zeu­gen­de Begründung und kei­ne zwin­gen­de Notwendigkeit, dies umzu­set­zen. Im Gegenteil hat das Parlament in Schleswig-Holstein vor nicht all­zu lan­ger Zeit die Zahl der Abgeordneten von 75 auf 69 redu­ziert. Es gebie­tet die poli­ti­sche Glaubwürdigkeit, die­se Zahl nicht belie­big zu ändern son­dern sehr selbst­be­wusst, sehr ruhig und sehr klar für Jedermann zu argu­men­tie­ren, war­um nun auf ein­mal 61 Parlamentarier aus­rei­chen oder es sogar bes­ser machen kön­nen als deren 69. Das mag man mit Veränderungen im föde­ra­len Gefüge begrün­den kön­nen. Das könn­te mit einem grö­ße­ren Fokus auf Ausschussarbeit rea­li­sier­bar sein. Es zeugt sicher auch von Selbstbewusstsein und Selbstreflektion, wenn ein Parlament eine Debatte initi­iert, was es zukünf­tig sein las­sen könn­te. Aber alles hat sei­ne Zeit. Vor der nächs­ten Legislaturperiode besteht kei­ne Notwendigkeit zur Änderung.

Im zwei­ten Teil wer­de ich mich der Frage beschäf­ti­gen, wie sich ein Parlament zusam­men­set­zen kann, was es mit den Erst- und Zweitstimmen auf sich hat und ob das über­haupt nötig ist.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

Ein Gedanke zu “Welche Kleidergröße hat der Landtag?”:

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