Regionale Chronisten, Archivare und Geschichtsaufklärer - eine stellvertretende Würdigung

Von | 14. November 2010

Das Landesblog ist ein Produkt des Interesses am poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Geschehen im Land. Geschaffen, um Gegebenheiten, Sachverhalte oder Persönlichkeiten, Projekte und Akteure der Öffentlichkeit anzu­tra­gen, die nur wenig Öffentlichkeit erfah­ren, aus unse­rer Sicht aber span­nend, wich­tig, auf­klä­rens­wert oder ein­mal beson­ders zu wür­di­gen sind. Was liegt es näher, sich dazu mit Menschen zu befas­sen, die sich ihrer­seits von einem beson­de­ren Interesse in ihrem Tun und Wirken lei­ten las­sen. Eine beson­de­re Gruppe die­ser Kategorie sind die regio­na­len Chronisten, Archivare, Geschichtsforscher und -auf­klä­rer in unse­rem Land, die sich dem Erhalt, der Erforschung und Vermittlung unse­rer Geschichte wid­men: Einer die­ser Menschen ist der Regionalhistoriker Dr. Christian Martin Sörensen, der am 24. Oktober 2010 im Schloss vor Husum als Preisträger des Hans-Momsen-Preises 2010 für sei­ne jahr­zehn­te­lan­gen Verdienste in der Erforschung und Darstellung der Regionalgeschichte Nordfrieslands aus­ge­zeich­net wur­de — Eine Würdigung einer „unter­ge­wür­dig­ten” Spezies.

In einer Zeit, in der von Kultur in Schleswig-Holstein öffent­lich­keits­wirk­sam nur unter dem Aspekt der staat­li­chen Finanzierung gespro­chen wird, die ange­sichts einer mise­ra­blen Hauhaltslage Einsparungen not­wen­dig macht und all­zu­oft nur die berühm­ten kul­tu­rel­len Größen des Landes, die Finanznöte der Festivals, und dro­hen­de Schließungen von Oper- und Theaterbetrieben the­ma­ti­siert, erfah­ren gera­de die­je­ni­gen, die sich ehren­amt­lich auf loka­ler und regio­na­ler Ebene um Geschichtserhalt sor­gen und die viel­fäl­ti­ge regio­na­le Kulturlandschaft Schleswig-Holstein durch Wissensvermittlung — und erfor­schung gera­de der regio­nal­his­to­ri­schen Bezüge berei­chern, in der Regel nur wenig öffent­li­che Anerkennung, die sich zumeist in der Verleihung von Stipendien, Ehrungen und Preisverleihungen beschränkt. Der Stellenwert die­ser regio­nal­for­schen­den Tätigkeit ist aller­dings nicht hoch genug zu bemes­sen: Nur wer sei­ne Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart ver­ste­hen und dar­aus Lehren für die Zukunft zie­hen. Dies ist und war auch ein Leitmotiv von Dr. Christian Martin Sörensen, des­sen ehren­amt­li­che Tätigkeiten die Leitung des Arbeitskreises Mildstedter Chronik, des Redaktionsausschusses „Beiträge zur Husumer Stadtgeschichte“ der Gesellschaft zur Husumer Stadtgeschichte sowie den Vorsitz der Arbeitsgruppe Geschichte des Nordfriisk Instituut umfas­sen.

Verleihung des Hans-Momsen-Preises an Dr. Christian Martin Sörensen

Einen welch hohen Stellenwert sei­ne Arbeit für Nordfriesland hat, war bei der Verleihung des Hans-Momsen-Preises am 24. Oktober 2010 nicht allein an der Überfüllung des Rittersaales im Schloss vor Husum, den anwe­sen­den Gästen aus Gesellschaft und Kommunal- wie Landespolitik oder den lang­an­hal­ten­den Standing Ovations abzu­le­sen, die der 73-Jährige in aller Bescheidenheit zur Kenntnis nahm. Schon die Vorschlagsentscheidung zu sei­nen Gunsten sei vom zustän­di­gen Kulturausschuss des Kreises trotz meh­re­rer wür­di­ger Kandidaten in schnel­ler Einigkeit getrof­fen wor­den, erklär­te Kreispräsident Albert Pahl in sei­ner Laudatio. Mit der Urkunde, dem von einem regio­na­len Künstler gestal­te­ten Ehrenring und dem Stiftungspreis von 2.000 Euro ehre der Kreis Nordfriesland als Stiftungsgeber des­sen umfang­rei­che Erforschung und Darstellung der nord­frie­si­schen Regionalgeschichte, die den Realschullehrer seit sei­ner eige­nen Lehrerausbildung bis in den “Unruhestand” hin­ein umge­trie­ben habe. Seine Forschung ins­be­son­de­re zur Entwicklung der NSDAP in den Kreisen Husum und Eiderstedt habe sich durch eine akri­bi­sche Auswertung von Akten und Gesprächen mit Zeitzeugen aus­ge­zeich­net, “ohne anzu­pran­gern, aber auch ohne zu beschö­ni­gen”. In einer “sehr lesens­wer­ten Arbeit” habe er die­sen Teil sei­ner Forschung für die Nachwelt erhal­ten. Daneben habe er sich durch sei­ne Mitarbeit an der Mildstedter Chronik, in der Gesellschaft für Husumer Stadtgeschichte, dem Nordfriisk Insitut, aber auch als Mitbegründer des TSV Mildstedt und als lang­jäh­ri­ger Gemeindevertreter Mildstedts um das Gemeinwohl ver­dient gemacht.

Hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Regionalforschung

Zeit sei­nes erwach­se­nen Lebens hat­te den Mildstedter die Erforschung und Darstellung der Geschichte der Region Nordfriesland beschäf­tigt. In zahl­rei­chen Aufsätzen behan­del­te er his­to­ri­sche Aspekte ins­be­son­de­re des bäu­er­li­chen, dörf­li­chen und länd­li­chen Umfelds und betei­lig­te sich maß­geb­lich auch an der Erforschung und Darstellung Mildstedts sowie der Stadt Husum in ihrer sied­lungs­ge­schicht­li­chen Entwicklung seit der Zeit des 15. und 16. Jahrhunderts. Herzensangelegenheit war dem Realschullehrer jedoch stets die Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkrieges und ihre unmit­tel­ba­ren Folgen in und für die Region. Bereits als jun­ger Lehrer schrieb er eine Studie mit dem Titel „Der Aufstieg der NSDAP in Husum. Zur poli­ti­schen Entwicklung einer Kleinstadt 1918 – 1933“. Sie gehör­te bei ihrer Entstehung zu den frü­hes­ten aus­ge­reif­ten lokal­ge­schicht­li­chen Arbeiten zu die­sem Themenkreis über­haupt und wur­de sodann 1983 in der Reihe Studien und Materialien des Bredstedter Nordfriisk Instituut publi­ziert. Sörensen bau­te die Arbeit schließ­lich aus zu sei­ner Dissertation „Politische Entwicklung und Aufstieg der NSDAP in den Kreises Husum und Eiderstedt“, die in akri­bi­scher Auswertung von Akten und Literatur ein detail­lier­tes Bild der Region in die­ser Zeit zeich­net und die 1995 in der ange­se­he­nen Reihe Quellen und Studien zur Geschichte Schleswig-Holsteins der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte erschien.

Während bei den Wahlen 1928 die NSDAP noch zwei Prozent der Stimmen erhal­ten hat­te, sei­en es schon vier Jahre spä­ter 65 Prozent Zustimmung gewe­sen. Dies sei vor allem auf die bit­te­re Armut, Verzweiflung und exis­ten­zi­el­le Ängste der in der struk­tur­schwa­chen Region leben­den Menschen zurück­zu­füh­ren, erklär­te Sörensen in sei­nem Festvortrag. Dies sei kei­ne Entschuldigung, aber erwie­se­ner­ma­ßen beson­de­rer Nährboden und Beweis dafür gewe­sen, dass der Nationalsozialismus kein blo­ßes Phänomen der Metropolen, viel­mehr auch in Husum und Umgebung erschre­ckend leben­dig war. Dies kön­ne und müs­se für uns auch heu­te als Mahnung gel­ten.

In einer immer schnell­le­bi­ge­ren Zeit hat der Historiker sich dem Wirken gegen das Vergessen und gegen den Verlust von Werten, Erfahrungen und Vermächtnissen der nord­frie­si­schen Vergangenheit ver­schrie­ben und bewahrt damit – wie einst Hans Momsen und weni­ge ande­re vor und nach die­sem – ein Erbe, das noch vie­len zukünf­ti­gen Generationen nach­voll­zieh- und erleb­bar wei­ter­ge­ge­ben wer­den kann. Dabei ver­bleibt sei­ne Arbeit nicht allein auf Papier und in Büchern gefan­gen: Gerade die Ergebnisse sied­lungs­his­to­ri­scher Forschung wer­den im nord­frie­si­schen Landstrich oft genug durch die ent­spre­chen­de Benennung von Straßen und Wegen wei­ter­ge­tra­gen und erin­nern so jeden Tag an das his­to­ri­sche Fundament, auf dem das heu­ti­ge Leben gebaut ist. So erklär­te Sörensen in sei­nem Festvortrag zur Bedeutung von Geschichte: „Wir alle beschäf­ti­gen uns mehr mit Geschichte als uns meist bewusst ist! Sie scheint uns sehr fern zu lie­gen, auch wenn wir täg­lich damit zu tun haben — denn alles ist und hat eine Geschichte! Wir müs­sen uns mit der Geschichte beschäf­ti­gen, um die Gegenwart zu ver­ste­hen und zu erken­nen, was mög­lich und denk­bar ist.”

Fortführung der guten Tradition von Wissensvermittlung

Auch durch Forschung wird so loka­le und regio­na­le Kultur nicht nur erhal­ten, son­dern geschaf­fen, die über die Gegenwart hin­aus wir­ken wird. Damit steht Sörensen in guter Tradition Hans Momsens: Der Namensgeber der Auszeichnung war ein nord­frie­si­scher Bauer, Universalgelehrter, Mathematiker und Astronom, der von 1735 bis 1811 in Fahretoft leb­te. Obwohl nur eine Schulbildung in der dörf­li­chen Schule genos­sen, hat­te sich Momsen zeit sei­nes Lebens auto­di­dak­tisch und mit Hilfe einer Menge an Büchern fort­ge­bil­det, so meh­re­re Fremdsprachen erlernt und dank einer beson­de­ren mathe­ma­ti­schen Begabung mit astro­no­mi­schen Berechnungen u.a. von Sonnen- und Mondfinsternis beschäf­tigt. Seine Begeisterung für die Mathematik ver­mit­tel­te er zumeist ehren­amt­lich auch an begab­te Schüler, aus denen sich spä­ter Steuerleute und Kapitäne gro­ßer Schiffe ent­wi­ckel­ten. Als Deichvogt und Landvermesser betä­tig­te sich Momsen eben­so, ver­maß die neu­ge­won­ne­nen Köge und zeich­ne­te Landkarten sei­ner nord­frie­si­schen Heimat, stell­te Messinstrumente und Fernrohre her.

Während Hans Momsen sei­ne Heimat ver­maß, kar­to­gra­phier­te und damit sei­nen Mitmenschen die Geographie ihres Landstrichs begreif­bar zu machen such­te, hat Dr. Christian Martin Sörensen sei­ne nord­frie­si­sche Heimat his­to­risch ver­mes­sen und detail­liert nach­ge­zeich­net, Ereignisse ein­ge­ord­net, Strukturen auf­ge­zeigt und ver­sucht, sei­nen Mitmenschen die Geschichte ihres Landstrichs zu ver­mit­teln.

Regionale Geschichtsforschung als identitätstiftende Schaffung von Kultur

Regionale Chronisten, Archivare und Geschichtsforscher wie Dr. Christian Martin Sörensen sind damit nicht nur Wissenserhalter und Wissensschaffende — mit ihrer Arbeit tra­gen sie damit wesent­lich dazu bei, auf loka­ler und regio­na­ler Ebene Identität und Authentitzität zu stif­ten, die in einer Zeit sozia­len Auseinanderdriftens immer mehr ins­be­son­de­re dort an Bedeutung gewinnt, wo wirt­schaft­li­che Perspektivlosigkeit zur Land- und Heimatflucht ins­be­son­de­re der jun­gen Generation führt. Die Heimatverbundenheit und Heimatliebe, die in dem Wirken die­ser meist ehren­amt­lich täti­gen Menschen zum Ausdruck kommt, ist damit bei­spiel­haft und unter­stüt­zens­wert. Das Landesblog wirbt daher um das Interesse an regio­nal­his­to­ri­schen Projekten. Landesblog-Chefredakteur Swen Wacker brach­te es neu­lich in einer E-Mail auf den Punkt: Verödet eine frei­wil­li­ge Feuerwehr, dann kann man mit einer Dienstpflicht gegen­an arbei­ten. Aber wenn ein Heimatarchiv ein­schläft, wacht es nicht mehr auf.

Das Internet kann hel­fen, die Bewahrung, Darstellung und Aufbereitung von Regionalgeschichte zu för­dern und auch jun­ge Generationen an eine Materie her­an­zu­füh­ren, die span­nend und lehr­reich sein kann. Zur Überraschung des Autors tat sich bei der Recherche für die­sen Artikel bereits eine gro­ße Anzahl an Webseiten mit regio­nal­his­to­ri­schen Bezügen auf. Am Ende die­ses Artikels sind daher eini­ge Seiten mit umfas­sen­den Link-Nachweisen zu loka­len und regio­na­len Projekten auf­ge­führt.

Geschichte auf- und fort­zu­schrei­ben ist der Versuch jeder Generation, das Wirken, das Irren und das (Über-)Leben ver­gan­ge­ner Generationen zum eige­nen Erkenntnisgewinn zu rekon­stru­ie­ren.  In gewis­ser Weise tun auch wir mit unse­rem Landesblog nichts ande­res.

 

Links zu Dr. Christian M. Sörensen

 

Kurzinfo Hans-Momsen-Preis

Der Ehrenpreis des Kreises Nordfrieslands ehrt nach sei­ner Stiftungsurkunde „Persönlichkeiten, die sich beson­de­re Verdienste um das kul­tu­rel­le Leben in Nordfriesland erwor­ben haben. Es kön­nen Verdienste im Bereich der Wissenschaft, der Heimatpflege, der Volkskunde, der Literatur, der Musik oder der bil­den­den Kunst sein.” Er wird in jedem Jahr um den Geburtstag Hans Momsen am 23.Oktober ver­ge­ben und besteht aus einem für jeden Preisträger neu von einem regio­na­len Künstler ange­fer­tig­ten Ehrenring und einer Ehrenurkunde. Der Preis ist mit 2.000,- Euro dotiert, über deren Verwendung der Preisträger ent­schei­det.
Vorschlagsberechtigt sind natür­li­che Personen, sowie Gemeinden, Städte und Ämter. Die Vorschläge für die Auszeichnung sind aus­führ­lich schrift­lich zu begrün­den. Über die Verleihung des Hans-Momsen-Preises ent­schei­det der Hauptausschuss des Kreises auf Vorschlag des Kulturausschusses. Der beschließt über sei­ne Vorschläge mit 2/​3 der Stimmen sei­ner Mitglieder. Vor sei­ner Entscheidung hört er zwei Sachverständige, die ihre Stellungnahme schrift­lich oder münd­lich abge­ben kön­nen.

 

Links zur regio­nal­ge­schicht­li­chen Forschung in Schleswig-Holstein (Auswahl)

Ruediger Kohls
Von:

WestCoast-Liberaler, Verkehrspolitiker, stv, Mitglied im Wirtschaftsausschuss des nordfriesischen Kreistages.

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