Das Landesblog ist ein Produkt des Interesses am politischen und gesellschaftlichen Geschehen im Land. Geschaffen, um Gegebenheiten, Sachverhalte oder Persönlichkeiten, Projekte und Akteure der Öffentlichkeit anzutragen, die nur wenig Öffentlichkeit erfahren, aus unserer Sicht aber spannend, wichtig, aufklärenswert oder einmal besonders zu würdigen sind. Was liegt es näher, sich dazu mit Menschen zu befassen, die sich ihrerseits von einem besonderen Interesse in ihrem Tun und Wirken leiten lassen. Eine besondere Gruppe dieser Kategorie sind die regionalen Chronisten, Archivare, Geschichtsforscher und -aufklärer in unserem Land, die sich dem Erhalt, der Erforschung und Vermittlung unserer Geschichte widmen: Einer dieser Menschen ist der Regionalhistoriker Dr. Christian Martin Sörensen, der am 24. Oktober 2010 im Schloss vor Husum als Preisträger des Hans-Momsen-Preises 2010 für seine jahrzehntelangen Verdienste in der Erforschung und Darstellung der Regionalgeschichte Nordfrieslands ausgezeichnet wurde — Eine Würdigung einer „untergewürdigten” Spezies.
In einer Zeit, in der von Kultur in Schleswig-Holstein öffentlichkeitswirksam nur unter dem Aspekt der staatlichen Finanzierung gesprochen wird, die angesichts einer miserablen Hauhaltslage Einsparungen notwendig macht und allzuoft nur die berühmten kulturellen Größen des Landes, die Finanznöte der Festivals, und drohende Schließungen von Oper- und Theaterbetrieben thematisiert, erfahren gerade diejenigen, die sich ehrenamtlich auf lokaler und regionaler Ebene um Geschichtserhalt sorgen und die vielfältige regionale Kulturlandschaft Schleswig-Holstein durch Wissensvermittlung — und erforschung gerade der regionalhistorischen Bezüge bereichern, in der Regel nur wenig öffentliche Anerkennung, die sich zumeist in der Verleihung von Stipendien, Ehrungen und Preisverleihungen beschränkt. Der Stellenwert dieser regionalforschenden Tätigkeit ist allerdings nicht hoch genug zu bemessen: Nur wer seine Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und daraus Lehren für die Zukunft ziehen. Dies ist und war auch ein Leitmotiv von Dr. Christian Martin Sörensen, dessen ehrenamtliche Tätigkeiten die Leitung des Arbeitskreises Mildstedter Chronik, des Redaktionsausschusses „Beiträge zur Husumer Stadtgeschichte“ der Gesellschaft zur Husumer Stadtgeschichte sowie den Vorsitz der Arbeitsgruppe Geschichte des Nordfriisk Instituut umfassen.
Verleihung des Hans-Momsen-Preises an Dr. Christian Martin Sörensen
Einen welch hohen Stellenwert seine Arbeit für Nordfriesland hat, war bei der Verleihung des Hans-Momsen-Preises am 24. Oktober 2010 nicht allein an der Überfüllung des Rittersaales im Schloss vor Husum, den anwesenden Gästen aus Gesellschaft und Kommunal- wie Landespolitik oder den langanhaltenden Standing Ovations abzulesen, die der 73-Jährige in aller Bescheidenheit zur Kenntnis nahm. Schon die Vorschlagsentscheidung zu seinen Gunsten sei vom zuständigen Kulturausschuss des Kreises trotz mehrerer würdiger Kandidaten in schneller Einigkeit getroffen worden, erklärte Kreispräsident Albert Pahl in seiner Laudatio. Mit der Urkunde, dem von einem regionalen Künstler gestalteten Ehrenring und dem Stiftungspreis von 2.000 Euro ehre der Kreis Nordfriesland als Stiftungsgeber dessen umfangreiche Erforschung und Darstellung der nordfriesischen Regionalgeschichte, die den Realschullehrer seit seiner eigenen Lehrerausbildung bis in den “Unruhestand” hinein umgetrieben habe. Seine Forschung insbesondere zur Entwicklung der NSDAP in den Kreisen Husum und Eiderstedt habe sich durch eine akribische Auswertung von Akten und Gesprächen mit Zeitzeugen ausgezeichnet, “ohne anzuprangern, aber auch ohne zu beschönigen”. In einer “sehr lesenswerten Arbeit” habe er diesen Teil seiner Forschung für die Nachwelt erhalten. Daneben habe er sich durch seine Mitarbeit an der Mildstedter Chronik, in der Gesellschaft für Husumer Stadtgeschichte, dem Nordfriisk Insitut, aber auch als Mitbegründer des TSV Mildstedt und als langjähriger Gemeindevertreter Mildstedts um das Gemeinwohl verdient gemacht.
Hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Regionalforschung
Zeit seines erwachsenen Lebens hatte den Mildstedter die Erforschung und Darstellung der Geschichte der Region Nordfriesland beschäftigt. In zahlreichen Aufsätzen behandelte er historische Aspekte insbesondere des bäuerlichen, dörflichen und ländlichen Umfelds und beteiligte sich maßgeblich auch an der Erforschung und Darstellung Mildstedts sowie der Stadt Husum in ihrer siedlungsgeschichtlichen Entwicklung seit der Zeit des 15. und 16. Jahrhunderts. Herzensangelegenheit war dem Realschullehrer jedoch stets die Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkrieges und ihre unmittelbaren Folgen in und für die Region. Bereits als junger Lehrer schrieb er eine Studie mit dem Titel „Der Aufstieg der NSDAP in Husum. Zur politischen Entwicklung einer Kleinstadt 1918 – 1933“. Sie gehörte bei ihrer Entstehung zu den frühesten ausgereiften lokalgeschichtlichen Arbeiten zu diesem Themenkreis überhaupt und wurde sodann 1983 in der Reihe Studien und Materialien des Bredstedter Nordfriisk Instituut publiziert. Sörensen baute die Arbeit schließlich aus zu seiner Dissertation „Politische Entwicklung und Aufstieg der NSDAP in den Kreises Husum und Eiderstedt“, die in akribischer Auswertung von Akten und Literatur ein detailliertes Bild der Region in dieser Zeit zeichnet und die 1995 in der angesehenen Reihe Quellen und Studien zur Geschichte Schleswig-Holsteins der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte erschien.
Während bei den Wahlen 1928 die NSDAP noch zwei Prozent der Stimmen erhalten hatte, seien es schon vier Jahre später 65 Prozent Zustimmung gewesen. Dies sei vor allem auf die bittere Armut, Verzweiflung und existenzielle Ängste der in der strukturschwachen Region lebenden Menschen zurückzuführen, erklärte Sörensen in seinem Festvortrag. Dies sei keine Entschuldigung, aber erwiesenermaßen besonderer Nährboden und Beweis dafür gewesen, dass der Nationalsozialismus kein bloßes Phänomen der Metropolen, vielmehr auch in Husum und Umgebung erschreckend lebendig war. Dies könne und müsse für uns auch heute als Mahnung gelten.
In einer immer schnelllebigeren Zeit hat der Historiker sich dem Wirken gegen das Vergessen und gegen den Verlust von Werten, Erfahrungen und Vermächtnissen der nordfriesischen Vergangenheit verschrieben und bewahrt damit – wie einst Hans Momsen und wenige andere vor und nach diesem – ein Erbe, das noch vielen zukünftigen Generationen nachvollzieh- und erlebbar weitergegeben werden kann. Dabei verbleibt seine Arbeit nicht allein auf Papier und in Büchern gefangen: Gerade die Ergebnisse siedlungshistorischer Forschung werden im nordfriesischen Landstrich oft genug durch die entsprechende Benennung von Straßen und Wegen weitergetragen und erinnern so jeden Tag an das historische Fundament, auf dem das heutige Leben gebaut ist. So erklärte Sörensen in seinem Festvortrag zur Bedeutung von Geschichte: „Wir alle beschäftigen uns mehr mit Geschichte als uns meist bewusst ist! Sie scheint uns sehr fern zu liegen, auch wenn wir täglich damit zu tun haben — denn alles ist und hat eine Geschichte! Wir müssen uns mit der Geschichte beschäftigen, um die Gegenwart zu verstehen und zu erkennen, was möglich und denkbar ist.”
Fortführung der guten Tradition von Wissensvermittlung
Auch durch Forschung wird so lokale und regionale Kultur nicht nur erhalten, sondern geschaffen, die über die Gegenwart hinaus wirken wird. Damit steht Sörensen in guter Tradition Hans Momsens: Der Namensgeber der Auszeichnung war ein nordfriesischer Bauer, Universalgelehrter, Mathematiker und Astronom, der von 1735 bis 1811 in Fahretoft lebte. Obwohl nur eine Schulbildung in der dörflichen Schule genossen, hatte sich Momsen zeit seines Lebens autodidaktisch und mit Hilfe einer Menge an Büchern fortgebildet, so mehrere Fremdsprachen erlernt und dank einer besonderen mathematischen Begabung mit astronomischen Berechnungen u.a. von Sonnen- und Mondfinsternis beschäftigt. Seine Begeisterung für die Mathematik vermittelte er zumeist ehrenamtlich auch an begabte Schüler, aus denen sich später Steuerleute und Kapitäne großer Schiffe entwickelten. Als Deichvogt und Landvermesser betätigte sich Momsen ebenso, vermaß die neugewonnenen Köge und zeichnete Landkarten seiner nordfriesischen Heimat, stellte Messinstrumente und Fernrohre her.
Während Hans Momsen seine Heimat vermaß, kartographierte und damit seinen Mitmenschen die Geographie ihres Landstrichs begreifbar zu machen suchte, hat Dr. Christian Martin Sörensen seine nordfriesische Heimat historisch vermessen und detailliert nachgezeichnet, Ereignisse eingeordnet, Strukturen aufgezeigt und versucht, seinen Mitmenschen die Geschichte ihres Landstrichs zu vermitteln.
Regionale Geschichtsforschung als identitätstiftende Schaffung von Kultur
Regionale Chronisten, Archivare und Geschichtsforscher wie Dr. Christian Martin Sörensen sind damit nicht nur Wissenserhalter und Wissensschaffende — mit ihrer Arbeit tragen sie damit wesentlich dazu bei, auf lokaler und regionaler Ebene Identität und Authentitzität zu stiften, die in einer Zeit sozialen Auseinanderdriftens immer mehr insbesondere dort an Bedeutung gewinnt, wo wirtschaftliche Perspektivlosigkeit zur Land- und Heimatflucht insbesondere der jungen Generation führt. Die Heimatverbundenheit und Heimatliebe, die in dem Wirken dieser meist ehrenamtlich tätigen Menschen zum Ausdruck kommt, ist damit beispielhaft und unterstützenswert. Das Landesblog wirbt daher um das Interesse an regionalhistorischen Projekten. Landesblog-Chefredakteur Swen Wacker brachte es neulich in einer E-Mail auf den Punkt: Verödet eine freiwillige Feuerwehr, dann kann man mit einer Dienstpflicht gegenan arbeiten. Aber wenn ein Heimatarchiv einschläft, wacht es nicht mehr auf.
Das Internet kann helfen, die Bewahrung, Darstellung und Aufbereitung von Regionalgeschichte zu fördern und auch junge Generationen an eine Materie heranzuführen, die spannend und lehrreich sein kann. Zur Überraschung des Autors tat sich bei der Recherche für diesen Artikel bereits eine große Anzahl an Webseiten mit regionalhistorischen Bezügen auf. Am Ende dieses Artikels sind daher einige Seiten mit umfassenden Link-Nachweisen zu lokalen und regionalen Projekten aufgeführt.
Geschichte auf- und fortzuschreiben ist der Versuch jeder Generation, das Wirken, das Irren und das (Über-)Leben vergangener Generationen zum eigenen Erkenntnisgewinn zu rekonstruieren. In gewisser Weise tun auch wir mit unserem Landesblog nichts anderes.
Links zu Dr. Christian M. Sörensen
- Arbeitskreis Mildstedter Chronik
- Gesellschaft Husumer Stadtgeschichte
- Nordfriisk Instituut
- Christian M. Sörensen: „Politische Entwicklung und Aufstieg der NSDAP in den Kreisen Husum und Eiderstedt 1918 – 1933” (Amazon)
- Spurenleser auf historischen Pfaden (shz.de)
Kurzinfo Hans-Momsen-Preis
Der Ehrenpreis des Kreises Nordfrieslands ehrt nach seiner Stiftungsurkunde „Persönlichkeiten, die sich besondere Verdienste um das kulturelle Leben in Nordfriesland erworben haben. Es können Verdienste im Bereich der Wissenschaft, der Heimatpflege, der Volkskunde, der Literatur, der Musik oder der bildenden Kunst sein.” Er wird in jedem Jahr um den Geburtstag Hans Momsen am 23.Oktober vergeben und besteht aus einem für jeden Preisträger neu von einem regionalen Künstler angefertigten Ehrenring und einer Ehrenurkunde. Der Preis ist mit 2.000,- Euro dotiert, über deren Verwendung der Preisträger entscheidet.
Vorschlagsberechtigt sind natürliche Personen, sowie Gemeinden, Städte und Ämter. Die Vorschläge für die Auszeichnung sind ausführlich schriftlich zu begründen. Über die Verleihung des Hans-Momsen-Preises entscheidet der Hauptausschuss des Kreises auf Vorschlag des Kulturausschusses. Der beschließt über seine Vorschläge mit 2/3 der Stimmen seiner Mitglieder. Vor seiner Entscheidung hört er zwei Sachverständige, die ihre Stellungnahme schriftlich oder mündlich abgeben können.
- Stiftungsurkunde und Richtlinien des Hans-Momsen-Preises (Kreis Nordfriesland)
- Hans Momsen (Kreis Nordfriesland) | Wikipedia-Artikel
- Preisträger des Hans-Momsen-Preises (Kreis Nordfriesland)
- Pressemitteilung des Kreises Nordfrieslands zur Verleihung an Dr. Sörensen
Links zur regionalgeschichtlichen Forschung in Schleswig-Holstein (Auswahl)
- Umfassender Linknachweis der Virtual Library Geschichte: Schleswig-Holstein (Syddansk Universitet)
- Virtual Library Geschichte: Landes- und Regionalgeschichte (Kommission für bayrische Landesgeschichte)
- Übersicht der Ortschroniken im Bestand der Landesbibliothek SH
- Gesellschaft für schleswig-holsteinische Geschichte | Weitere Vereinigungen und Institutionen
- Arbeitskreis für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins
- Beirat für Geschichte
- Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein e.V. (AKENS.org)
- Umfassender Linknachweis lokaler, regionaler, kirchlicher und sonstiger Schleswig-Holsteinischer Archive
- Virtuelles Museum (vimu.info)