Als Thorsten Geerdts, Präsident des Landtages, vor einigen Monaten mit Blick auf die Ereignisse um das Stuttgarter Bahnhofsprojekt sagte: „Viele fühlen sich übergangen, vom Entscheidungsprozess ausgeschlossen und der Politik entfremdet. Die Politik — wir alle — haben im Vorwege zu wenig informiert und erklärt — das muss sich ändern. Ich möchte alle einladen mehr miteinander zu kommunizieren”, da wird er sicher auch die Presse als Transmissionsriemen der Kommunikation vor Augen gehabt haben. Schließlich hielt er diese Rede auf dem Jahresempfang der Kieler Lokalzeitung.
Vor einem halben Jahr hat das Landesverfassungsgericht den Schleswig-Holsteinern Neuwahlen verordnet. Die gesetzlichen Regelungen über die Bildung, die Größe und die Anzahl der Wahlkreise, die Bestimmung des Zweitstimmrechts und die Vorschriften über Überhangsmandate stehen in ihrem Zusammenspiel in einem nicht mehr aufzulösenden Konflikt mit der Verfassung. Sowohl die Vorgabe, die Regelgröße von 69 Abgeordneten möglichst nicht zu überschreiten, als auch der Grundsatz der Wahlgleichheit wurden verfehlt. Das Landesblog hat darüber berichtet.
Die Abgeordneten des Landtages reden und streiten seitdem über die richtige Lösung. Manchmal aufrichtig, offen und ehrlich, manchmal mit versteckten, geheimen und eigensüchtigen Zielen. Wie das halt so ist. Nicht viel anders als beim Streit unter Freuden, Kollegen oder Verwandten.
Dabei lassen sie sich auch von externen Sachverstand beraten. Der Verein Mehr Demokratie veranstaltete eine hochkarätige Diskussion. Morgen steht eine Anhörung im Landtag an, auf der sich viele der Experten wieder treffen werden. Fast alle haben im Vorfeld sehr sorgfältige, gut begründete Vorschläge, Anmerkungen, Thesen und Stellungnahmen abgegeben, die sie morgen mit den Abgeordneten diskutieren werden.
Ich habe alle Stellungnahmen gelesen. Nur eine fiel aus der Reihe. Sie ist hat eklatante argumentative Schwächen, auf die ich in einem Artikel schon hingewiesen habe. Auch CDU, FDP, Grüne, SPD und SSW sowie noch einmal und sehr ausführlich der CDU-Abgeordnete Werner Kalinka wiesen mit verschiedenen Argumenten auf die Schwächen des Vorschlags des sogenannten Bundes der Steuerzahler hin.
Für den durchschnittlich interessierten Bürger sind all diese Stellungnahmen nicht im Ansatz zu bewältigen. Solche Informationen zu verdichten, gewichten, hinterfragen und einzuordnen ist in unserem gesellschaftlichen System eine der Aufgaben der Presse. Das ist lange Jahre ihr Geschäftsmodell gewesen. Damit haben sich Journalisten einen guten Ruf erworben und Verleger gutes Geld verdient. Und dafür wurden sie (die Journalisten, nicht die Verleger) sogar von manchen — und sicher nicht völlig zu Unrecht — zur vierten Gewalt im Staate erhoben. Und deshalb sind sie auch der Transmissionsriemen, den Torsten Geerdts bei seiner Rede wohl vor Augen hatte.
Und nun die Praxis: Ich will nicht ausschließen, dass ich was übersehen habe, aber mir sind Berichte in den schleswig-holsteinischen Medien zu oben erwähnten Stellungnahmen nicht untergekommen. Dafür hat heute die Deutsche Presse Agentur als Einstimmung auf die morgen stattfindende Anhörung ein ganz tollen Aufhänger gefunden: Die Forderung des sogenannten Bundes der Steuerzahler. Das wundert nicht wirklich, sie ist ja eingängig formuliert und plakativ-drastisch in der Forderung. Wen stören da schon die Gegenargumente der üblichen Verdächtigen: der Abgeordneten. In der Meldung findet sich folglich kein Wort über die geäußerte Kritik. Auch die erst kürzlich wieder vehement geäußerten Kritik an dem Verband, dem diesmal sogar unverblümt Etikettenschwindel vorgeworfen wurde, findet keine Erwähnung. Solche Kritik finde ich nur in Blogs, nicht in den klassischen Medien. Die dpa-Meldung hingegen hat es schon in fast alle Online-Ableger der schleswig-holsteinischen Zeitungen gebracht, weswegen zu befürchten steht, das wir die Artikel morgen auch in den Printausgaben lesen können.. Die anderen Stellungnahmen werden ausgeblendet, in der Langfassung wird immerhin der Kontext der nötigen Wahlrechtsänderung noch einmal in Erinnerung gebracht.
Wenn Politik, wenn Parteien sich also darauf besinnen wollen, besser und mehr zu kommunizieren dann scheinen sie lernen zu müssen, sich nicht mehr allein auf die Presse zu verlassen. Kommunikation, Debatte, Diskurs findet nämlich dort, besonders in der regionalen Presse, kaum noch statt. Mir scheint, dass die immer kleiner werdenden Redaktionen, besonders in den lokalen und regionalen Zeitungen (den Agenturen geht es sicher nicht anders), einen qualitativ hochwertigen und der Demokratie förderlichen Diskurs nicht mehr gewährleisten können. Davon wird die Welt nicht untergehen, aber besser wird sie dadurch auch nicht. Wir werden also andere Mittel und Wege finden müssen, um informiert zu sein. Die zunehmende Vernetzung ermöglichst mehr und mehr Wege, wie sich Politiker unmittelbarer mit den Bürgerinnen und Bürgern auseinandersetzen können. Aber das löst nicht den berechtigten Wunsch nach Objektivität und Unabhängigkeit der Information. Diese Aufgabe können Blogs allein nicht übernehmen. Aber sie können ihren Teil dazu betragen. Und sie werden es wohl müssen. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt. Vorher dann ein paar Zeitungen.
Zum Weiterlesen empfehle ich Tom Schimmeck: „Wem gehören die Medien?” http://www.ruhrbarone.de/wem-gehoren-die-medien/
Und „Wessen Interessen vertritt der Bund der Steuerzahler?” http://www.nachdenkseiten.de/?p=8073
Nazi-Vergangenheit. Neoliberal. Pöse. :-)
Man kann dem Bund der Steuerzahler durchaus kritisch gegenüber stehen und dafür gibt es gute Gründe. Dieser triefige Artikel jedoch ist einer vernünftigen Auseinandersetzung mit dem Thema jedoch eher abträglich…
Dann schreib doch einen besseren. Ich verlinke ihn dann auch gerne. ;-)