Wenn der so negativ besetzte Begriff des „Endlagers” ums Verrecken vermieden werden soll, kleidet man die Erforschung neuer Wege zur Entsorgung des von Menschen gemachten Drecks in hübsche, unverfängliche Worte, die nach Möglichkeit den damit mutmaßlichen herzustellenden technologischen Fortschritt hervorheben: „CCS-Technologie” ist ein Paradebeispiel für einen solchen PR-Coup. Auch in Schleswig-Holstein war zunächst versucht worden, den Bürgern die Forschung zur kommerziellen CO2-Entsorgung (neudeutsch: Carbon Capture and Storage) unter dem Aspekt der technischen Innovation und damit wirtschaftlicher Perspektive zu verkaufen. Der Schritt misslang kläglich, scheiterte er doch an einer von vornherein zweifelhaften Einsatzperspektive, den Sicherheitsrisiken für die Umwelt und schließlich an der aus verschiedenen Gründen sensibilisierten, ja alerten, schleswig-holsteinischen Bevölkerung, die sich sichtlich mühte, die staatlich-unternehmerisch zunächst aufrechterhaltene Halbtransparenz zu durchbrechen und eine gesellschaftliche Debatte darüber zu entzünden, ob das Verpressen des aus der Kohleverstromung entstehenden Kohlendioxids im Untergrund und die dazu angedachten Versuchsreihen im überwiegend touristisch genutzten schleswig-holsteinischen Naturerlebnisraum tatsächlich ohne kritisches Hinterfragen hingenommen werden darf.
Wo wir uns das CO2 künftig hinstecken können sollen
Am Wochenende veröffentlichte Greenpeace ein für die zukünftige Diskussion um Sinn und Gefahr einer potentiellen CO2-Verpressung insbesondere innerhalb Schleswig-Holsteins und innerhalb des Weltnaturerbes Wattenmeer zunächst zentral scheinendes Dokument, das zeigen soll, welche Standorte laut Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) geologisch für mögliche Endlager in Frage kommen.
Dabei bezog sich Greenpeace zumindest konkludent auf das Projekt der Bundesanstalt zur Herstellung eines sog. „CO2-Speicher-Katasters”. Hinter dieser Umschreibung steckt die „vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und Industrieunternehmen geförderte […] systematische, bundesweit einheitliche Erfassung und Interpretation von Informationen über unterirdische Porenspeicherräume in Deutschland” durch die BGR. Diese Körperschaft erstellte zu diesem Zweck „in enger Kooperation mit den staatlichen geologischen Diensten der Länder Potenzialkarten über die Verbreitung von Speicher- und Barrieregesteinen sowie detaillierte Charakterisierungen von geeigneten Speicherstrukturen in Deutschland” zur „qualifizierten Beratung von Politik, Öffentlichkeit und Wirtschaft”.
Greenpeace stellt Informationspolitik der Bundesanstalt in Frage
Greenpeace stellt mit seiner Veröffentlichung auch die Informationspolitik der Bundesanstalt in Frage. Man habe bereits im Juni 2010 erfolglos um entsprechende Auskünfte gebeten, die BGR habe aber „die Herausgabe der Standortinformationen mit unterschiedlichen Begründungen” verweigert, bis die Organisation mit Hilfe des Umweltinformationsgesetzes obsiegte. Während es dem Rechtsanspruch schließlich Folge leistete, habe sich die Bundesanstalt — quasi in einem letzten Akt des Widerstandes -dazu entschieden, Greenpeace die Veröffentlichung der Daten zu untersagen. Spitzfindig habe sich die BGR auf das Urheberrecht berufen und erklärt, man gewähre den Zugang zu den Informationen nur zum eigenen Gebrauch, dies enthalte nicht das Recht zur Weitergabe oder Verbreitung der Daten.
Greenpeace „leakt” brisante Ergebnisse dennoch
Greenpeace witterte Methode: Misstrauisch wähnte die Organisation, dass Informationen zu den geeigneten Standorten „wie Staatsgeheimnisse gehütet” werden sollten, um das wahre Ausmaß der systematischen Vorbereitungen zur CO2-Verpressung zu verschleiern und keine neuen Bürgerproteste in den betroffenen Regionen heraufzubeschwören. Daher entschied sie sich nach anwaltlicher Beratung, die Daten im Geiste des Umweltinformationsgesetzes dennoch zu veröffentlichen. Man würde es auf mögliche rechtliche Auseinandersetzungen ankommen lassen, nachdem es bereits schwer genug gewesen sei, sich gegenüber der Bundesanstalt überhaupt den Zugriff auf die Zusammenstellung der 408 geeigneten Standorte zu verschaffen.
Die so gewonnenen Daten bergen auf den ersten Blick in mehrfacher Hinsicht Zündstoff: So fällt bei der durch Greenpeace anhand des Materials erstellten Karte auf, dass die bislang als weitreichend geeignete Flächen in den Bereichen Nordfriesland/Schleswig-Flensburg und Ostholstein dargestellten Bereiche weit hinter den Endlagerpotentialen anderer deutscher Regionen anzusiedeln sind, bzw. überhaupt keine Endlagerkapazitäten bieten. Selbst unter dem Ballungsraum Hamburg-Billstedt, sowie zwischen Hamburg und Bremen bei Sittensen befänden sich danach deutlich größere Lagerungsvolumina. Auch im nord-östlichen und östlichen Nordrhein-Westfalen gäbe es danach — wesentlich industrienäher als an der schleswig-holsteinischen Westküste — Möglichkeiten einer CO2-Endlagerung. Zentrale Schlussfolgerung des Greenpeace-Kartenmaterials ist jedoch, das die weithin größten Endlagerpotentiale vor allem im schleswig-holsteinischen Wattenmeer, in Ostfriesland von Bremerhaven bis Oldenburg und Emden, sowie unter den ostfriesischen Inseln Spiekeroog und Langeoog und damit in Bereichen liegen, die sowohl aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung als Naturlebensraum sowie als touristischer Naturerlebens-, Erholungs-, Gesundungs- und Wohlfühlraum für den Menschen besonders schutzwürdig sind. Angesichts der noch immer als rein experimentell zu qualifizierenden, risikoreichen CCS-Technologie könne eine Abwägung nach Meinung von Greenpeace nur einen Ausschluss der Lagerung insbesondere in diesen Gebieten zu Folge haben und nicht geduldet werden. Dies gelte umso mehr, als selbst die Versicherungswirtschaft die Risiken für ein Wiederaustreten von Kohlendoxid für unkalkulierbar und nicht zu versichern erkläre und Bundesumweltminister Norbert Röttgen daher erwäge, die Industrie gänzlich von der Haftung zu befreien. Das muss angesichts der Haftungsdiskussionen im Nachklang des Dioxin-Skandals nur schizophren anmuten.
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe wehrt sich
Das auf die Greenpeace-Meldung entstandene Medien-Echo veranlasste die so angegriffene Bundesanstalt spät, sich gegen einen falschen Eindruck zu wehren. In einer Pressemitteilung erklärte man, es erarbeite geowissenschaftliche Grundlagen für verschiedene Nutzungsoptionen des tieferen Untergrundes in Deutschland (z.B. tiefe Geothermie & Energiespeicherung). Auch die Erfassung möglicher Strukturen für die dauerhafte geologische Speicherung von CO2 gehöre dazu, die Ausweisung von konkreten Standorten zur dauerhaften Speicherung von CO2 in Deutschland sei jedoch ausrücklich nicht Aufgabe der BGR.
Entschieden trat die Bundesanstalt der Darstellung in zahlreichen Medienberichten entgegen, die von Greenpeace angesprochenen 408 möglichen CO2-Speicherstrukturen seien das Ergebnis einer rein geowissenschaftlichen Bewertung des Untergrundes in drei großen Sedimentbecken Deutschlands (Norddeutsches Becken, Molassebecken, Oberrheingraben). Die BGR habe noch nicht alle Regionen mit Speicherpotenzial in Deutschland betrachten können. Zudem seien die Suchkriterien in den verschiedenen Regionalstudien aufgrund unterschiedlicher Zielsetzungen nicht einheitlich.
„Damit haben die bisherigen Befunde einen vorläufigen Charakter.
Die Datengrundlage, die den bisherigen BGR-Untersuchungen zugrunde liegt, ist für eine endgültige Bewertung einzelner Standorte nicht ausreichend und muss im Rahmen von künftigen Standorterkundungen umfangreich erweitert werden. Erst dann kann eine umfassende Karte erstellt werden.
Die in der Öffentlichkeit diskutierten 408 möglichen Speicher (siehe Anlage) sind nicht Bestandteil des Projektes „Speicher-Kataster Deutschland“, wie in einigen Medienberichten missverständlich dargestellt. Das Projekt „Speicher-Kataster Deutschland“ wird noch in diesem Jahr der Öffentlichkeit präsentiert. Es handelt sich um ein bundesweit standardisiertes Informationssystem über untersuchungswürdige Speicher- und Barrieregesteine und enthält zudem Informationen über Tiefbohrungen und seismische Daten.” [Pressemitteilung der BGR vom 14.Februar 2011]
Scheitert gesetzliches Veto-Recht?
Unabhängig von der daraus folgenden Bewertung der Greenpeace-Veröffentlichung ist der Zeitpunkt für die Veröffentlichung jedenfalls mit Bedacht gewählt, fällt er doch in eine Zeit, in der die CCS-Gesetzgebung endgültig ins Rollen gebracht werden soll. Der Gesetzentwurf zur rechtlichen Fundamentierung der CO2-Verpressung (CCS) steht demnächst im Kabinett zur Vorstellung an. „Ist er erst einmal verabschiedet, werden es die Gemeinden schwer haben, sich gegen Endlagerungspläne zur Wehr zu setzen.”, warnt Greenpeace.
Das Gesamtszenario steuert auch deshalb auf eine neuerliche Eskalation zu, weil die maßgeblich auf den Bürgerprotesten in Nordfriesland beruhende Forderung der schleswig-holsteinischen Landesregierung, der Bundesgesetzgeber müsse den Vorbehalten der Länder mit einem Vetorecht Rechnung tragen, zu verpuffen droht: Wie die shz berichtet, hat der bisherige Verbündete Niedersachsen gegenüber dem Bund Bereitschaft signalisiert, in dieser Frage einzulenken. Anhand eines Kompromissvorschlags aus Hannover sollen Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) ihren Gesetzentwurf zur Erprobung der Technik überarbeiten.
Ein Recht der Länder, Lager auf eigenem Territorium prinzipiell von vornherein zu verbieten, fehlt darin. Die Möglichkeit, vom Bundesgesetz abzuweichen, „kann und wird es für die Länder nicht geben“, sagt Röttgen gegenüber Schleswig-Holstein am Sonntag.
Die Niedersachsen wollen den Ländern zwar das Recht darüber belassen, welche Gebiete als Standorte für die umstrittenen Anlagen bestimmt werden, die konkrete Speicherung sollen sie aber nur „beim Vorliegen objektiver geologischer Aspekte oder anderer energiebezogener Optionen einschränken dürfen“, heißt es in dem Entwurfsvorschlag aus Hannover. Als Optionen seien dabei aber nur alternative Nutzungen des Untergrunds wie das Speichern von Öl oder Gas oder das Nutzen von Erdwärme gemeint.
Landeswirtschaftsminister Jost de Jager (CDU) lehnt auch weiter jede Beschneidung des ursprünglich geforderten Entscheidungsspielraums ab. Er fürchtet, dass Energiekonzerne sonst doch eine Hintertür für den Bau von Speichern finden könnten. Daher besteht er auch weiter auf dem „Recht, Nein zu sagen!” und verlangt die klare Gesetzesformulierung: „Die Länder können Gebiete für die Erprobung der Speicherung auf der Gesamtheit ihres Hoheitsgebiets ausschließen.“ http://www.youtube.com/watch?v=Zw091kftEcw
Unterstützung erhält er dafür von den umweltpolitischen Sprechern der Koalitionsfraktionen, Dr. Michael von Abercron (CDU) und Carsten-Peter Brodersen (FDP):
„Die CDU-Landtagsfraktion setzt sich unverändert dafür ein, dass im Rahmen der gesetzlichen Regelungen über die Einlagerung von CO2 den Ländern die Möglichkeit eröffnet wird, dauerhafteund unterirdische Speicherungen auf ihrem Gebiet auszuschließen. So steht es auch im Koalitionsvertrag und unsere Position ist unverändert.[…] Seit langem sind uns die Kavernen in der Nähe der Salzstöcke in Schleswig-Holstein bekannt. Wir haben uns nach reiflicher Überlegung und angesichts der betroffenen Menschen in unserem Land dafür entschieden, die unterirdische CO2Speicherung von dem Willen der Menschen vor Ort abhängig zu machen. Dies bleibt eine unverrückbare Position der CDU Schleswig-Holstein.” [Pressemitteilung Dr. Michael von Abercron (CDU)]
„Wir bleiben bei der Haltung, die wir schon im Koalitionsvertrag festgehalten haben: Den Ländern muss die Möglichkeit eingeräumt werden, eine dauerhafte CO2-Speicherung auf ihrem Gebiet auszuschließen. Gerade wenn man die nun ausgewiesenen Gebiete im vorgelegten Kataster betrachtet, wird es noch deutlicher, dass Schleswig-Holstein in die Lage versetzt werden muss, die Genehmigung zu verweigern […]Die Auswirkungen der Kohlenstoffdioxid-Verpressung auf die Natur sind bis heute noch nicht abschließend erforscht, und das Vorhaben birgt viele Unwägbarkeiten. Wenn man die derzeitigen Berichte aus Kanada hört und sich die Auswirkungen, die dort das eingepresste CO2 wahrscheinlich auf die Natur hat, vor Augen führt, darf es nicht zu einer Einspeicherung in einem so sensiblen Gebiet wie dem Weltnaturerbe Wattenmeer kommen”. [Pressemitteilung Carsten-Peter Brodersen (FDP)]
Den Bürger vermag das nicht mehr zu beruhigen, das Vertrauensverhältnis einfach nicht belastbar genug, um in diesem Punkt einen Vorschuss einzuräumen — Denn nur was schließlich im Gesetz steht, das der Bundespräsident ausfertigt, zählt!
Verweise:
Greenpeace
CO2-Endlager unter Berlin und Hamburg?
Pressemitteilung Greenpeace
Tabelle: Potentielle CO2-Lager in Deutschland
Karte: Potentielle CO2-Lager in Deutschland
Kurzgutachten zum Urheberschutz
GoogleEarth-Daten: Potentielle CO2-Lager in Deutschland
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
Pressemitteilung: Keine Vorfestlegung auf Standorte zur dauerhaften Speicherung von CO2 durch die BGR
Thema: CO2-Speicherung
Thema: Speicher-Kataster
Arbeitsergebnisse zur Bewertung von möglichen CO2-Speichern in Deutschland
Bürgerinitiative gegen das CO2-Endlager e.V.
Website
Referentenentwurf Kohlendioxid-Speicherungsgesetz
Pressemitteilung zu Gutachten über CO2-Leck in kanadischer CCS-Anlage
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