Global denken, lokal handeln - Netzpolitik im politischen Alltag

Von | 10. Mai 2011

Der Deutsche Bundestag hat am 4. März 2010 die Einsetzung einer Enquete-Kommission „Internet und Digitale Gesellschaft“ beschlos­sen. In dem frak­ti­ons­über­grei­fend for­mu­lier­ten Text heißt es:

Die digi­ta­le Gesellschaft bie­tet neue Entfaltungsmöglichkeiten für jeden Einzelnen eben­so wie neue Chancen für die demo­kra­ti­sche Weiterentwicklung unse­res Gemeinwesens, für die wirt­schaft­li­che Betätigung und für die Wissensgesellschaft.“ 

Die bei­spiel­haft auf­ge­zähl­ten Felder betref­fen unser Gemeinwesen in vie­ler­lei Ausprägungen: Staat und Gesellschaft, Bürger und Wirtschaft, Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmer, Bund und Länder, Verbände und Kommunen, Lernende und Lehrende … Ich ver­mis­se allein den kul­tu­rel­len Aspekt.

Das Internet hat sich in erstaun­li­cher Geschwindigkeit mit unse­rem Gemeinwesen ver­wo­ben, ist kei­ne tei­len­de Mode son­dern bin­den­der gesell­schaft­li­cher Kitt. In dem Einsetzungsbeschluss heißt es des­halb zu Recht:

„Das Internet ist nicht län­ger nur eine tech­ni­sche Plattform, son­dern ent­wi­ckelt sich zu einem inte­gra­len Bestandteil des Lebens vie­ler Menschen, denn gesell­schaft­li­che Veränderungen fin­den maß­geb­lich im und mit dem Internet statt.“

Die Kommission beschloss 12 Projektgruppen, von denen die ers­ten vier unver­züg­lich die Arbeit auf­nah­men:

  • Netzneutralität
  • Datenschutz, Persönlichkeitsrechte
  • Urheberrecht
  • Medienkompetenz
  • Demokratie und Staat
  • Internationales und Internet Governance
  • Zugang, Struktur und Sicherheit im Netz
  • Wirtschaft, Arbeit und Green IT
  • Interoperabilität, Standards, Open Source
  • Kultur, Medien, Öffentlichkeit
  • Bildung und Forschung
  • Verbraucherschutz

Die Enquete-Kommission hat nun einen ers­ten Zwischenbericht vor­ge­legt, der aller­dings nichts Inhaltliches bie­tet son­dern eine Art Tätigkeitsbericht ist. Das über­rascht nicht, da die Positionen der ein­zel­nen Mitglieder, sieht man viel­leicht von Bereich Medienkompetenz ab, unter­schied­lich sind. Zudem ist es zeit­lich nicht nötig, jetzt über das Knie bre­chend Formelkompromisse oder abwei­chen­de Voten zu for­mu­lie­ren, da die Kommission ihre Ergebnisse und Handlungsempfehlungen erst im Sommer 2012 ver­öf­fent­li­chen will. Zudem hat die Kommission die Aufgabe, wie die Vizepräsidentin des Bundestages Petra Pau bei der Konstituierung for­mu­lier­te, „Wissen zu bün­deln und mög­lichst par­tei­über­grei­fen­de Positionen zu erar­bei­ten“, ist also aus gutem Grund nicht zur Eile getrie­ben.

Deshalb ist es auch kei­ne ver­geb­li­che Mühe, wenn der Schleswig-Holsteinische Landtag sich vor­ge­nom­men hat, „nach dem im Frühjahr 2011 zu erwar­ten­den Zwischenbericht die­ser Enquete-Kommission einen Beschlussvorschlag zur Positionierung des Landes Schleswig-Holstein zu geben“.

Im Gegenteil eröff­net das Chancen, eine fun­dier­te Position Schleswig-Holstein in die Meinungsbildung aktiv mit ein­flie­ßen zu las­sen. Denn Internet und Digitale Gesellschaft lässt sich weder auf Deutschland begren­zen (wie wir es zum Beispiel hier im Lande in der Diskussion um den Glücksspielstaatsvertrag gera­de bemer­ken), noch sind die Landesverwaltung oder die Kommunen frei von Lern- und Veränderungsbedarf. Das gilt nicht nur für das Agieren von Parlament und Verwaltung im und mit dem Internet, das betrifft auch den Gesetzgeber Landesparlament oder Zuwendungsgeber Landesverwaltung bzw. deren Pendants auf kom­mu­na­ler Ebene. Die staat­li­chen Institutionen in ihrer Vorbildfunktion sind eh gefor­dert.
Ich hal­te es des­halb nicht nur sym­bo­lisch für ein gutes Zeichen, wenn Landesparlamente die Debatte im Bundestag kom­men­ti­ern, beglei­ten, erwei­tern.

Wir dür­fen uns also auf span­nen­de Diskussionen in den Ausschüssen des Schleswig-Holsteinischen Landtages freu­en. Im Europaausschuss und beson­ders im Innen- und Rechtsausschuss ste­hen am Mittwoch ers­te Befassungen an.

Wir haben in der Redaktion ein wenig auf „Schleswig-Holstein und Internet“ geschaut und Kopfsalat zube­rei­tet. Es fan­den sich schnell eine Reihe von Punkten, die eine Positionierung Schleswig-Holstein (bzw. der Länder) sinn­voll erschei­nen las­sen. Es geht aber nicht nur ums Reden, son­dern ums Handeln. Schon die nur ein­zel­ne Themen anrei­ßen­de, sicher unvoll­stän­di­ge Liste zeigt reich­lich Handlungsfelder, auf denen der Staat, die Politik hier in Schleswig-Holstein han­deln kann und muss. Es ist ja nicht der Bund, des­sen Verwaltung mit den Bürgern kom­mu­ni­ziert. Nein, es sind in ers­ter Linie die Kommunen, in kul­tu­rel­len, bil­dungs­po­li­ti­schen, schu­li­schen Fragen auch die Länder. Gesetze oder von Worthülsen über­bor­den­de Strategiepapiere muss man leben und umset­zen.

  • Demokratie und Staat
    • E-Government
      (Wie, solan­ge Netz nicht über­all aus­rei­chend vor­han­den ist?)
    • E-Demokratie
    • E-Administration
    • E-Partizipation
    • E-Information
    • E-Voting
    • E-Petition
  • nPA
  • De-Mail
  • Open Government
    setzt eine Open Data Strategie vor­aus, hält dort aber nicht an, son­dern geht viel wei­ter: Transparenz, Partizipation und Kollaboration
  • Open Data
    • Strukturell
      • Geodaten
      • Statistiken
      • Wissenschaftliche Publikationen
        (Kosten)freier Zugang zu wis­sen­schaft­li­chen Publikationen, die aus staat­lich (mit)geförderter Forschung her­vor­ge­hen
      • Hörfunk- und Fernsehsendungen
        Zeitlich unbe­grenzt frei­er Zugang zu Hörfunk- und Fernsehsendungen, die von öffent­lich-recht­lich Medien aus­ge­strahlt wor­den sind
    • Formell/​Inhaltlich
      • Anonymisierung
        Ab einer gewis­sen Tiefe ist Anonymisierung wegen klein­struk­tu­riert­heit nicht mehr mög­lich?
      • Offene Dateiformate
        Statistiken nicht als pdf, son­dern xml-basiert
      • Rechtliche Bestimmungen
        Notwendige Rahmenbedingungen, um Veröffentlichung zu gewähr­leis­ten und Missbrauch zu ver­hin­dern
  • Zugang zum und Struktur des Netzes
    • Soziale Zugänglichkeit (Sozialhilfe)
    • Politische Teilhabe ohne Internet?
    • Definition Breitband
      1Mbit/​s ist noch lan­ge kein Breitband und wird heu­ti­gen Anforderungen des Netzes nicht gerecht
    • Breitband über Alternativen zum DSL
      wün­schens­wert, aber nur in Gebieten, wo eine Verkabelung wirt­schaft­lich abso­lut kei­nen Sinn macht
    • Breitband soll­te über­wie­gend über Leitungen erfol­gen, um lang­fris­tig allen Bürgern einen voll­wer­ti­gen Zugang zu neu­en Medien geben zu kön­nen
    • Wohnungen las­sen sich ohne Breitbandanschluss irgend­wann nicht mehr ver­mie­ten, Baugrundstücke nicht ver­kau­fen
    • kei­ne Wirtschaft, Start-Ups ohne Breitband
      neue Geschäftsmodelle set­zen Breitbandanschlüsse vor­aus (Stichworte Cloud Computing, Video on Demand, TV over IP)
  • Kultur
    • Digitalisierung von Archiv- und Bibliotheksgut
      (Brahms-Institut vs. DigiCULT
    • Digitalisierter Zugang zu Exponaten /​ Archivgut
    • Virtuelle Museen
    • Virtuelle Ausstellungen
    • Virtuelle Bibliotheken
    • Zugang zu Archiven
  •  Bildung und Forschung
    • Medienkompetenz
    • Inhalte der Lehrer(aus)bildung
    • PC-Arbeits-/Lehrplätze an Schulen
    • Internetanschlüssen an (Hoch)Schulen

Es wäre in mei­nen Augen ver­fehlt, die Diskussion bis zum Abschlussbericht der Enquete-Kommission oder „nach der Wahl“ zu ver­schie­ben. Sicher, man kann auch war­ten, bis ande­re was getan haben und dann dar­auf ach­ten, im Ranking nicht hint­an zu ste­hen, also „sei­nen“ ver­meint­lich ange­stamm­ten Platz ein­zu­neh­men. Das ist Gegenwart. Zukunft geht anders.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

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