Am Ende waren die Stimmen der Vernunft zu schwach und die politischen Beharrungskräfte zu groß, um doch noch einen parteiübergreifenden Konsens über die Neuzuschneidung der Landtagswahlkreise zu erreichen. Mit den Stimmen von CDU, FDP, SSW und der Landeswahlleiterin hat der Wahlkreisausschuss heute seine Grundsatzentscheidung vom 19. Mai bestätigt und heute lediglich eine straßengenaue Abgrenzung und kleinere Gebietsänderungen vorgenommen. Die verabschiedete Wahlkreiskulisse sieht nun so aus:
Warum diese Einteilung den gesetzlichen Vorgaben mehr schlecht als recht Beachtung schenkt, das Entstehen von Überhangmandaten fördert und starke regionale Umwuchten zur Folge hat, haben wir im Landesblog ausführlich beschrieben.
Ein Blick auf die neue Wahlkreiskarte zeigt: Es gibt nun acht sehr kleine Wahlkreise (mehr als 15 Prozent Abweichung nach unten), die mit Ausnahme von Schleswig-Nord alle im westlichen Landesteil liegen, und es gibt sieben große Wahlkreise (mehr als 10 Prozent Abweichung nach oben), die alle im östlichen Landesteil liegen, vorwiegend im östlichen Holstein. Weil die Wahlkreise Steinburg-Ost und Lübeck-Ost die maximal erlaubte Abweichung nach unten bzw. oben von 20 Prozent fast ausschöpfen, könnten schon bald neue Zuschneidungen erforderlich werden.
Am Donnerstag hatte sich noch einmal erheblicher öffentlicher Druck aufgebaut. Die Lübecker Bürgerschaft setzte sich — wenig überraschend — in einer Resolution für den Erhalt der gegenwärtig drei Lübecker Wahlkreise ein. Die SPD-Landtagsabgeordneten aus der Region sezierten in einer gemeinsamen Pressemitteilung im Einzelen die Unsinnigkeiten bei der geplanten Zerschneidung der Ostholsteiner und Lübecker Wahlkreise. Und Lübecks Bürgermeister Saxe (SPD) und OH-Landrat Sager (CDU) zogen vor der Landespresse in Kiel gemeinsam gegen das Mehrheitsmodell vom Leder. Sager zeigte sich „hell entsetzt“ darüber, dass Ostholstein wahlkreismäßig „regelrecht zerschossen“ werde. Das beschlossene Modell sei „augenfällig unsachlich“, eine vernünftige Begründung habe er noch nicht bekommen.
Auch der Landeswahlleiterin war offenkundig nicht mehr ganz wohl mit dem durch ihre Stimme veredelten Grundsatzbeschluss. Vor der heutigen Sitzung hat sie die Mitglieder des Wahlkreisausschusses auf die Möglichkeit hingewiesen, noch einmal grundsätzlich die Diskussion zu eröffnen und dadurch doch noch – wie in der Vergangenheit guter Brauch in Schleswig-Holstein – in einer so grundlegenden Angelegenheit wie der Wahlkreiszuschneidung einen parteiübergreifenden Konsens zu erreichen.
Die SSW-Vertreterin im Ausschuss, Silke Hinrichsen, zeigte sich im Vorfeld für eine Diskussion über eine Alternativkulisse offen, CDU-Vertreter Axel Bernstein äußerte hingegen, er sehe keinen „dritten Weg“. Dieser „dritte Weg“ hätte nach Vorstellung der Landeswahlleiterin so aussehen können, dass Lübeck und Dithmarschen ungeschoren davon kommen und stattdessen Schleswig-Flensburg einen Wahlkreis verliert. Damit stieß sie in der heutigen Ausschusssitzung aber bei der CDU und natürlich beim SSW auf taube Ohren.
Bei der Frage der genauen Zuschneidung der Wahlkreise im Bereich Plön, Ostholstein und Lübeck wäre sicher eine Konsenslösung möglich gewesen, zumal die im Mehrheitsbeschluss vorgesehene Zerstückelung von Ostholstein und der Plöner Gemeinde Schwentinental nicht zu rechtfertigen ist, ohne rot zu werden. Eine Konsenslösung stand und fiel letztlich allein damit, ob Dithmarschen oder Lübeck einen Wahlkreis verliert, was sowohl für die Regionen als auch für CDU und SPD offenbar mit Sieg oder Niederlage gleichgesetzt wurde. Ein gesichtswahrender Kompromiss war angesichts dieser Entweder-Oder-Ausgangslage kaum möglich, zumal sich die CDU schon soweit in ihr Modell verrannt hatte, dass die politischen Kosten einer Kehrtwende am Ende wohl höher gewesen wären als auf das Prinzip „Augen zu und durch“ zu setzen. Die CDU hat damit erreicht, dass überwiegend Wahlkreise wegfallen, in denen CDU-Kandidaten entweder kein Direktmandat gewonnen haben oder die derzeitigen Wahlkreisvertreter bei der nächsten Landtagswahl nicht mir antreten.
Eine eigene Betrachtung wert ist das Verhalten der Landeswahlleiterin. Sie hat in der Sitzung am 19. Mai u.a. ausdrücklich auf die problematische Zerschneidung der Gemeinde Schwentinental und mögliche Alternativen hingewiesen. Dann äußerte sie, sollte sich dennoch für den CDU-Vorschlag eine Mehrheit finden, werde sie sich dem Votum anschließen. Maßstab für ihr Stimmverhalten sei die Rechtmäßigkeit und politische Mehrheitsfähigkeit eines Vorschlags. Damit hat sich die Landeswahlleiterin einerseits selbst zum politischen Eunuchen gemacht (was angesichts ihrer Rolle als Vertreterin der Exekutive nicht zu kritisieren ist), andererseits hat sie durch Mittragen des Mehrheitsbeschluss diesem zu einem erheblichen politischen Bonus verholfen, da sich CDU, FDP und SSW in der Öffentlichkeit darauf berufen konnten, auch die nicht an Parteiinteressen orientierte Landeswahlleiterin sei ja für ihren Vorschlag. SPD, Grüne und Linken werden nun als schlechte Verlierer dargestellt, die, anders als die Mehrheitskoalition, rein parteipolitisch agiert und sich beim Machtpoker verzockt hätten. Dass die Landeswahlleiterin ausdrücklich den Mehrheitsentwurf nicht wegen einer eigenen Überzeugung von dessen Überlegenheit gegenüber anderen Vorschlägen mitgetragen hat, sondern allein, weil er rechtlich zulässig und von einer (mit 6:4 denkbar knappsten) Mehrheit gestützt worden ist, verschweigen CDU/FDP/SSW geflissentlich.
Mit ihrem Verhalten hat die Landeswahlleiterin faktisch dem SSW eine Schlüsselrolle zugewiesen. Denn ohne SSW-Unterstützung hätte das CDU-Modell lediglich fünf Stimmen von CDU und FDP erhalten, und die „politische Mehrheitsfähigkeit“ verfehlt, die die Landeswahlleiterin zur Bedingung ihrer Zustimmung gemacht hatte.
Was bleibt, ist ein erheblicher politischer Flurschaden, erstens im Landtag, wo die Wahlkreisdiskussion wohl Ton und Stil des nach der Sommerpause beginnenden Vorwahlkampfes gesetzt hat und zweitens im östlichen Holstein, wo man sich quer durch die Parteien demokratiepolitisch ausgebootet fühlt.
Interessant ist auch die argumentative Flexibilität des SSW, der ja jetzt meinte, dass die ländlichen Wahlkreise (flächenmäßig) nicht zu groß werden dürften und man deshalb mit der CDU/FDP gestimmt habe. Abgesehn davon, dass dieses Argument offenbar nur für bestimmte Wahlkreise galt, wenn man sich die Karten jetzt so anschaut, war der SSW ja noch im März für eine Reduktion auf 27 Wahlkreise. Das hätte zur Streichung von weiteren 8 Wahlkreisen und damit zu noch viel größeren Wahlkreisen geführt.
In der Ostholsteiner CDU ist man wegen der Wahlkreiseinteilung noch immer sehr, sehr sauer auf die eigene Führung:
http://www.ln-online.de/nachrichten/3148640/CDU_sauer_auf_Landesvorstand%3A__%E2%80%9ESchlag_in_die_Magengrube%E2%80%9C