Die Sommerpause nähert sich ihrem Ende. Kai Dolgner, Abgeordneter der SPD, hatte zu Beginn der Sommerferien zwei netz- bzw. datenschutzpolitisch interessante Kleine Anfragen gestellt, die ich im Landesblog notierte. Mittlerweile liegen die Antworten vor.
Keine weiträumigen Funkzellenabfragen in Schleswig-Holstein
Hinsichtlich der Funkzellenabfragen und Befragung von Busunternehmen bei Demonstrationen antwortete die Landesregierung auf die Frage „Wurde in Schleswig-Holstein von der Polizei anlässlich von Demonstrationen in den Jahren 2009, 2010, 2011 eine weiträumige Funkzellenauswertung durchgeführt?” angenehm knapp: Nein. Kai Dolgner hatte das schon vor ein paar Tagen in einem Kommentar hier im Blog erwähnt.
Keine stichhaltigen Argumente für Vorratsdatenspeicherung
Bei der Frage in Sachen Vorratsdatenspeicherung (VDS) ist die Antwort erwartungsgemäß länger ausgefallen. So richtig überzeugen können die Antworten aber nicht. Da die Veröffentlichung der Drucksache sicher noch ein wenig dauert, zitiere ich großzügig aus der Antwort:
Eingangs lässt die Landesregierung es sich nicht nehmen, den euphemistischen Neusprech in Sachen VDS zu benennen:
Vorbemerkung der Landesregierung:
Die Landesregierung hält die Verwendung des Begriffs der „Vorratsdatenspeicherung“ in dem Sachzusammenhang für missverständlich. Sie spricht vielmehr von „Mindestspeicherfristen“ für Bestandsdaten der Provider. Datenspeicherung auf Vorrat bei Sicherheitsbehörden fand nicht statt und wird nicht erörtert.
Die Frage, welche polizeiliche Aufklärungsquote sich bei den in den letzten drei Jahren geführten polizeilichen Ermittlungsverfahren wegen Verbreitung kinderpornographischer Schriften mit der Kennung „Tatmittel Internet” ergab, beantwortete die Landesregierung mit diesen Fallzahlen und Aufklärungsquoten aus der Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS):
Jahr 2008 2009 2010 Fälle 321 283 79 Aufklärungsquote 81,9% 83% 76%
Auf die Frage des Abgeordneten, wieviele Straftaten mit der Kennung „Tatmittel Internet” 2010 in Schleswig-Holstein wegen fehlender Vorratsdaten nicht aufgeklärt werden konnten, lautete die Antwort:
Im Hinblick auf alle Straftaten mit der Kennung „Tatmittel Internet“ ist die Aufklärungsquote im Jahr 2010 bei einer Gesamtfallzahl von 10.128 gegenüber dem Vorjahr (Gesamt: 10.595) von 75,3 auf 68,1 Prozentpunkte gesunken. Inwieweit allein fehlende Mindestspeicherfristen den Aufklärungserfolg verhindert haben, kann nur bei Betrachtung der Einzelfälle erhoben werden, was vom Aufwand her allerdings nicht leistbar ist. Hinsichtlich der unter Nr. 1 bezeichneten Straftaten wurden im Berichtszeitraum 2010 in der PKS 179 Fälle erfasst. Hiervon konnten 136 Fälle aufgeklärt werden. Unter den restlichen 43 Fällen waren acht, bei denen die IP-Adressen nicht mehr als Bestandsdaten bei den Providern vorrätig waren und deshalb nicht aufgeklärt werden konnten.
In der dritte Frage ging es um die Anzahl der schweren Straftaten: Wie viele dieser nicht aufgeklärten Straftaten unter 2.) sind schwere Straftaten im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO?
Alle in der Antwort zu Nr. 2, letzter Satz, genannten acht Fälle sind schwere Straftaten im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO.
Schließlich fragt Kai Dolgner, bei wievielen dieser nicht aufgeklärten Straftaten eine Zuordnung der IP-Adresse zum Anschlussinhaber aus Vorratsdaten weitere Ermittlungen ermöglicht hätte:
Eine Zuordnung der IP-Adresse zum Anschlussinhaber aus den bei den Providern hinterlegten Bestandsdaten hätte in den o.g. acht Fällen weitere Ermittlungen ermöglicht.
In einem ersten, persönlichen Einschätzung gegenüber dem Landesblog wunderte sich der Osterrönfelder, dass beim Tatmittel Internet nicht bei allen Straftaten regelmäßig erfasst werde, weshalb eine Aufklärung scheitert: „Angesichts der Diskussion um die VDS halte ich das für nicht nachvollziehbar”. Mit Blick auf die Zahlenreihe bei den Aufklärungsquoten verbieten sich für den Sozialdemokraten Interpretationen: „Veränderungen in Aufklärungsquoten sind selten monokausal”.
Dolgner ist sich sicher, dass die Landesregierung den empirischen Nachweis der Notwendigkeit für die weitergehenden Maßnahmen der VDS schuldig bleiben wird: „Auch hier zeigt sich wieder (wie bei fast allen Fällen der BKA-Studie auch) , dass es nachweisbar nur bei der fehlenden IP-Zuordnung zum Anschlussinhaber in 8 von 179 Fällen zu einer Verhinderung der Aufklärung kam”.
Bei den in der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung so gern, weil so bedrückenden, vorgeblich „internettypischen” Kinderpornografiedelikten war nur in unter 5% der Fälle die fehlende IP-Speicherung das Problem: „Bei einer Aufklärungsquote von 76% sollte man also auch ohne VDS nicht von einem „rechtsfreien” Raum sprechen, die Chance erwischt zu werden ist deutlich höher als bei Brandstiftung oder Raub.”
Bei der vor dem Verfassungsgericht gescheiterten Vorratsdatenspeicherung ging es um deutlich mehr Daten als die hier erwähnte IP-Adresse. In den von Kai Dolgner erwähnten 8 Fällen hätte eine Speicherung der IP-Adresse nach Auffassung des Innenministeriums „weitere Ermittlungen ermöglicht” — Fahndungserfolge hätten das längst nicht werden müssen, von einer „Verhinderung der Aufklärung” kann deshalb nicht zwingend die Rede sein. Es bleibt Strombergs Hätte hätte Fahrradkette: Eine so vage Vermutung kann in meinen Augen kein Anlass sein, ein ganzen Volk flächendeckend zu rastern.
Ich finde ja immer noch den Vorschlag reizvoll, anstatt von „Mindestspeicherfristen” lieber von „Mindestfristspeicherung” zu reden. Das gibt einfach die bessere Abkürzung. ;-)
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