Wenn der Wind weht - Ausbau des Stromnetzes im Lande in aller Eile?

Von | 31. August 2011

Man hat ja so sei­ne Bilder im Kopf. Ministerpräsidentenkandidaten zum Beispiel: Die tre­ten auf und sind ganz selbst­ver­ständ­lich Mittelpunkt. Und wenn sie dann spre­chen, dann geht es ganz klar um das gro­ße Ganze, das sieht man auch an den gro­ßen Gesten. 

Oder eben nicht. Bei Jost de Jager zum Beispiel. Der will Ministerpräsident in Schleswig-Holstein wer­den; aber zeigt das nicht, son­dern bleibt, wie er ist. Man kann das, wie die FAZ, ein biss­chen lang­wei­lig fin­den. Oder, wie das Hamburger Abendblatt, den Leisetreter hören kom­men. Man kann das auch authen­tisch nen­nen.

Dabei hät­te er ges­tern (30. August 2010) allen Anlass gehabt, anders auf­zu­tre­ten. Einen Weltrekord im schnel­len „Stromtrassen pla­nen und bau­en” will man auf­stel­len und die Bürger vor­bild­haft ein­bin­den.

Nach Fukushima ist die Energiewelt auch in der CDU eine ande­re. Die Partei, die die SPD mit sanf­tem Spott beleg­te, als jene in den 80er Jahren als Ziel vor­gab, im Jahr 2010 in Schleswig-Holstein einen Anteil der Windenergie am Stromverbrauch von 25% zu errei­chen (und das Ziel vor­zei­tig 2004 erreich­te), muss sich heu­te nicht ver­stel­len, wenn sie als Ziel für 2020 vor­gibt, Schleswig-Holstein kön­ne bis zu 10 Prozent des deut­schen Strombedarfs aus Erneuerbaren Energien bei­steu­ern. Seit Fukushima auch schleu­nigst ohne Atomstrom.
Ohne die Atomenergie ist jedoch der Bericht der Landesregierung zur Entwicklung der Stromnetze aus dem Februar digi­ta­les Altpapier: Neben dem Ziel, 9.000 Megawatt (MW) Windstrom auf dem Festland und 3.000 MW off­shore zu pro­du­zie­ren, muss das gesam­te Netz zügig umge­krem­pelt wer­den, um eine dezen­tra­le­re Lastaufnahme bewäl­ti­gen zu kön­nen. Schon jetzt berei­tet es Schwierigkeiten, den Windstrom stets abneh­men zu kön­nen. Zauberwörter wie Netzmanagement, Freileitungsmonitoring oder Hochtemperaturbeseilung rei­chen längst nicht mehr aus. Neue, zusätz­li­che Leitungen müs­sen her. Und das gefällt nicht jedem, schließ­lich sehen die nicht nur häss­lich aus und stö­ren den frei­en Blick son­dern ste­hen auch in dem Ruf, irgend­wie gefähr­lich zu sein.

Vor die­sem Hintergrund unter­zeich­ne­te der Wirtschaftsminister ges­tern mit Vertretern der bei­den Netzbetreiber Tennet und E.ON eine Beschleunigungsvereinbarung zum Ausbau der Strom-Autobahnen. Das ehr­gei­zi­ge Ziel: 700 Kilometer an neu­en Hoch- (110 Kilovolt) und Höchstspannungsleitungen (380 Kilovolt) müs­sen gebaut wer­den. Spätestens 2015 soll mit dem Bau einer 380-KV-Leitung an der Westküste begon­nen wer­den, man­che 110-KV-Trasse mög­li­cher­wei­se noch frü­her.

Das soll trotz der beschleu­nig­ter Verfahren – übli­cher­wei­se dau­ert die gern mal 10 Jahre – nicht auf Kosten der Bürgerbeteiligung gehen. Den förm­li­chen Planfeststellungsverfahren sol­len Regionalkonferenzen vor­ge­la­gert wer­den, auf denen die Bürger ihre Wünsche und Vorstellungen ein­brin­gen kön­nen. Man will früh­zei­tig auf die Beteiligten zuge­hen. „Nicht immer, aber soviel wie mög­lich“ sol­len sie Einfluss neh­men kön­nen. Die Auswirkungen auf Menschen und schüt­zens­wer­te Naturräume: „so wenig wie mög­lich“.

Möglichst ent­lang von Straßen, Schienenwegen und soweit irgend­mög­lich auf jetzt schon bestehen­den Leitungswegen sol­len die Stromkabel ver­legt wer­den. Zu den 760 vor­han­de­nen Kilometern an 380-KV-Trassen in Schleswig-Holstein sol­len 500 wei­te­re Kilometer kom­men. Die 1.400 Kilometer 110-KV-Leitungen wer­den um 200 Kilometer ver­län­gert. Der Regelfall wer­den Freileitungen sein. Erdgebundene Leitungen sind im 380-KV-Netz nach Auskunft der bei­den Betreiber welt­weit Zukunftsmusik. Und bei 110-KV-Leitungen ist das zwar grund­sätz­lich mach­bar, aber mit immensen Kosten ver­bun­den: Die Preise erhö­hen sich um den Faktor 4 bis 8, sagen E.ON und Tennet.

Überlegungen für den 110-kV-Leitungsausbau (noch vor Fukushima) Quelle: Drucksache 17/2112)

Überlegungen für den 110-kV-Leitungsausbau (noch vor Fukushima) Quelle: Drucksache 17/​2112)

Die Kosten, die heu­te noch nicht zuver­läs­sig abschätz­bar sei­en, wer­den im zig-Millionen-Bereich lie­gen und von den Netzbetreibern auf­ge­bracht wer­den müs­sen (und auf uns Kunden umge­wälzt wer­den). Das Land enga­giert sich durch die Zusage, aus­rei­chend Kapazitäten in den Straßenbauämtern für die Planfeststellungsverfahren bereit­zu­stel­len. Angesichts der Aussagen von Minister de Jager zum (Nicht-)Bau der Westküstenautobahn könn­ten dort viel­leicht tat­säch­lich Kapazitäten frei sein.

Die ers­te Regionalkonferenz für Plön und Ostholstein wird schon am 26. September in Ostholstein statt­fin­den. Durch die Kreise Plön und Ostholstein soll sich eine der neu­en 380-KV-Leistungen zie­hen. Von Kiel über Lütjenburg Richtung Heiligenhafen, von dort wei­ter süd­lich bis Lübeck. Weitere Konferenzen für die Westküste wer­den fol­gen. Dort wird eine neue Leitung von Nord nach Süd die Kreise Nordfriesland und Dithmarschen durch­que­ren.

Überlegungen für den 380-kV-Leitungsausbau (noch vor Fukushima) Quelle: Drucksache 17/2112)

Überlegungen für den 380-kV-Leitungsausbau (noch vor Fukushima) Quelle: Drucksache 17/​2112)

 

Das Vorhaben ist ambi­tio­niert. Der gesell­schaft­li­che Konsens über den Atomausstieg lässt Stromtrassen nicht streit­frei wer­den. Beschleunigte Verfahren könn­ten Bürgerrechte beschnei­den. In Zeiten der kla­ren Forderung der Menschen nach mehr Teilhabe an Entscheidungsprozessen wird man sich das nicht erlau­ben kön­nen. Eine vor­ge­la­ger­te Information, die nicht zur wir­kungs­lo­sen Farce wird, kann die­ses Manko mehr als wett machen. 

Update: Das Ministerium hat jetzt auch die Vereinbarung online zugäng­lich gemacht: Beschleunigungsvereinbarung. Ich habe den Link auch oben in den Artikel ein­ge­fügt. Anwohner oder Interessierte soll­ten sich das Dokument unbe­dingt durch­le­sen. Besonders die Planungsgrundsätze für die Erarbeitung von Trassenalternativen und die zwi­schen Netzbetreibern, Kreisen und Landesregierung ver­ab­re­de­te Zeitschiene sind rele­vant. Auch die wei­te­ren Details im Verfahren (das Innenministerium will z.B. auf das Raumordnungsverfahren, das häu­fig dem Planfeststellungsverfahren vor­ge­schal­tet ist, ver­zich­ten) sind inter­es­sant.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

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