Thorsten Fürter, grüner Landtagsabgeordneter und Mitglied des Kieler Innen- und Rechtsausschusses, hat sich am Wochenende auf Facebook verfassungsrechtliche Gedanken über die Initiative des Kieler Datenschutzbeauftragten Thilo Weichert zu dem sozialen Netzwerk Facebook gemacht: „Bei der Frage, ob Seiten bei Facebook abgeschaltet werden müssen, (…) wird bisher völlig übersehen, dass diese Seiten hauptsächlich für die Meinungsäußerung genutzt werden. Die datenschutzrechtlichen Vorschriften müssen im Sinne des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung ausgelegt werden.“ Heute (19. September 2011) hat er auf seiner Webseite nachgelegt und die Idee ausführlicher begründet:
- Die Seiten-NutzerInnen haben zur Zeit keine Möglichkeit, die Nutzung von Facebook-Insights abzuwählen, wenn sie eine Seite erstellen.
- Die Seiten-NutzerInnen erheben auch selbst keine Daten und erstellen keine Persönlichkeitsprofile.
- Den Seiten-NutzerInnen werden auch keine personenbezogenen Daten zur individuellen Verfügung gestellt.
Der Jurist, im Zivilberuf Richter, fragt sich, ob „die vom ULD festgestellte ‚Mitverantwortlichkeit‘ der Seiten-NutzerInnen angesichts dessen so gravierend ins Gewicht fällt, dass ihnen durch eine öffentliche Stelle verboten werden darf, für ihre Meinung weiter auf Facebook-Seiten zu streiten.“ Er hält das für zweifelhaft, sieht hier „eine Schwachstelle in der juristischen Argumentation die deckungsgleich ist mit dem Unbehagen, das ich politisch verspüre“.
Fürter, der sich auch um das Amt des Lübecker Bürgermeisters bewirbt und wie Amtsinhaber Bernd Saxe bei Facebook ordentlich die Werbetrommel rührt (die CDU-Kandidatin Alexandra Dinges-Dierig finde ich bei Facebook nicht) hat das ULD heute in dieser Sache angeschrieben.
Die Kieler Datenschützer hatten im Innen- und Rechtsausschuss des Landtags darauf hingewiesen, dass sie nicht sämtliche Webseitenbetreiber in Schleswig-Holstein sanktioniert werden. Im Vordergrund stünden (ab Oktober) „öffentliche Stellen sowie große private Anbieter.“
Von Seite der Wirtschaft hatte man den Vorstoß stark kritisiert: Es sei „vollkommen unverständlich“, wenn „einseitig alle Internetseitenanbieter aus Schleswig-Holstein in diesem Datenschutzkonflikt die Leidtragenden sein sollen“, findet die IHK Kiel.
Aber auch auf Seite der Verwaltung trifft die Initiative nicht auf ungeteilte Freunde. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen hatte am vergangenen Donnerstag vor dem Kieler Landtag das Datenschutzzentrum kritisiert. Zur Zeit sind zwei Kieler Behörden besonders aktiv bei Facebook: Die Staatskanzlei betreut die Fanpage Schleswig-Holstein, das Wirtschaftsministerium ist ebenfalls aktiv.
An der Umsetzung der Fanpage Schleswig-Holstein kann man Kritik üben (ich habe das z.B. hier getan). Im Prinzip ist das Engagement aber zu begrüßen. Man denke nur an die Schulausfälle wegen Schnee und Eis im vergangenen Winter zurück. Antiquierte Mitteilungswege des vergangenen Jahrhundert (Telefon-Hotline) waren nie erreichbar, der Webserver des Kultusministeriums ächzte, im Radio werden die Meldungen nur in Abständen wiederholt. Auf den Nachrichtenstrom Facebook konnte man sich jedoch verlassen. Die Zugriffszahlen, wie aus der Staatskanzlei damals zu hören war, belegen das eindeutig.
In anderen Bundesländern gehen Polizeibehörden offensiv den Weg in die sozialen Netzwerke. Die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern oder die Polizei Hannover nutzen Facebook. Präventive Arbeit, Aufklärung und Information findet am Besten dort statt, wo die Leute sind.
Die Frage des Datenschutzes ist nicht das einzige Argument, das bewegt werden muss. Für uns bleibt die Hoffnung, dass die staatlichen Institutionen sich jetzt nicht gegenseitig den Ball zuspielen, sondern das Problem anpacken.
Es gibt einige Kritikpunkte die tatsächlich für die rechtliche Argumentation der ULD relevant sind. Und es gibt Kritik an der Art und Weise. Aber dann gibt es diesen ganzen faktenfreien Gefühlskram, den zum Beispiel der Ministerpräsident oder die IHK verzapft. „Es kann doch nicht sein…” Und dieser Meinungsfreiheitsquatsch von Herrn Fürter ist auch nur so ein Anbiederungsversuch. Die Äußerung einer Meinung entbindet doch niemanden von der Beachtung von anderen Gesetzen. Wenn Herr Fürter und Herr Carstensen ihr eigenes Datenschutzgesetz schlecht finden, dann sollen sie zusehen, dass sie es ändernu nd nicht den Datenschutzbeauftragen kritisieren, der es umsetzt.
Die Argumentation der ULD, dass Fanseiten Angebote wie Webseiten wären, finde ich auch besteitbar solange man davon ausgeht, dass Fanseiten ergänzend zu einer Webseite sind — quasi als Verbindung zwischen den Profilen der Nutzer, und der eigenen Homepage, auf der man rechtlich zuständig ist. Wenn es aber bereits heute Firmen und Aktionen gibt, die ausschließlich auf einer Facebook-Seite präsentieren und das in Zukunft noch mehr wird, kann man sich irgendwann darauf nicht mehr zurück ziehen.
Mit Verlaub: Genau das Argument „Es kann doch nicht sein” ist der tragende Gedanke, aus dem heraus das ULD die juristisch fragwürdige Rechtfertigung zieht, statt des Verursachers Facebook die Nutzer der fraglichen Tools anzugehen, obwohl diese weder im Sinne des BDSG noch des TMG einen Haftungstatbestand erfüllen…
Wieso ist denn Facebook Verursacher, wenn ich mir deren Sachen auf die Seite einbau? Volkswagen ist ja auch nicht Verursacher dessen, was ich mit meinem Auto anstelle. Es gibt natürlich auch bestimmte Dinge, die direkt beim Hersteller abgestellt werden können — aber letztlich ist jeder für sein handeln selbst verantwortlich.
Das mit Facebook-Fan-Seiten sind Webseiten ist ja nun mal technisch so. Auch vom Angebotscharakter: Heute kann man sich frei entscheiden, ob man einen eigenen Server, eine eigene Domain, ein eigenes Unterverzeichnis, ein gehostetes Blog oder eine Seite bei Facebook ordert. Natürlich ist derjenige verantwortlich, der die Inhalte anlegt. Wer denn sonst? Alternativ dazu wäre ja: Volle Verantwortung bei eigener Domain — keine Verantwortung für die Nur-Facebook-User. Den Unterschied muss mir jemand erst mal erklären — z.B. bei angenommen identischen Inhalt und Autorenschaft. Für ich erscheint die ganze Diskussion eher so, dass Leute beleidigt sind, dass man ihnen ihr Spielzeug wegnehmen will. Mehr nicht.
Das ULD weiß sehr genau um die Schwäche seiner rechtlichen Argumentation. Damit meine ich noch nicht einmal die unterschlagene Diskussion um den Personenbezug von IP-Adressen. Sondern die Tatsache, dass weder die von ihm angezogenen haftungsbegründenden Tatbestände erfüllt sind, noch aus allgemeinen Verantwortungsgrundsätzen eine Haftung der fb-User schlüssig begründet werden kann. Das ULD stauiert faktisch eine Störerhaftung, die es so im rechtlichen Anwendungsbereich,um den es hier geht (TMG / BDSG) tatsächlich nicht gibt. Und in der Tat kollidieren hier zwei mindestens gleichwertige (Grund-)Rechtsgüter: Persönlichkeitsrecht und Kommunikations-/Informationsrecht. Die durch das ULD vorgenommene (Nicht-)Abwägung offenbart das gleiche Denkproblem, das Herrn Weichert im letzten Jahr zu einem Gesetzesvorschlag zur „Regulierung des Internet” getrieben hat…
Ich rate zur Vorsicht, beim Ruf nach dem Staat. Neben den technischen und rechtlichen Fragen ist es an der Zeit einmal die Post-Privacy-Debatte aufleben zu lassen. Ich sehe durchaus Parallelen zur Diskussion um den JMStV. Da haben wir auch das Problem, dass wir als Gesetzgeber eigentlich den Jugendschutz sicherstellen müssen, d.h. dass z.B. Kinder mit Pornografie oder Gewaltdarstellungen konfrontiert werden. In der „analogen Welt” waren die Verbreitungswege kontrollierbarer (Sendezeiten, Indizierung/Verkauf ab einem gewissen Alter etc.) wenn auch nicht lückenlos. In der heutigen „digitalen und globalen Welt” ist das so nicht machbar. Nun fordern uns (die Politik) die Kinder- und Jugendschützer auf, da rechtlich „nachzuziehen”, deshalb kommen dabei häufig gutgemeinte aber abstruse bzw. in ihrer Wirkung schädliche Ideen wie Filterprogramme oder gar Netzsperren auf. Die alternative Antwort zu immer stärkern staatlichen Eingriffen lautet „Vermittlung von Medienkompetenz”, auch wenn es ein langer und schwerer Weg ist. Auch beim Datenschutz können wir kaum gesetzlich(!) verhindern, dass deutsche Nutzer ihre Daten ausländischen Konzernen zur Verfügung stellen, ohne dass dabei ähnlich abstruse und einengende Rechtsvorschriften dabei herauskommen. Neben dem, was staatlicherseits machbar und vernünftig an Rechtsvorschriften ist, kann auch hier die Antwort nur Medienkompetenz sein. Gerade jüngere Menschen, die nicht aus der „Volkszählungsgeneration” kommen, finden häufig den persönlichen Datenschutz gar nicht so wichtig sondern begrüßen teilweise sogar die Kaufempfehlungen nach Ausspähen ihres Konsumverhaltens zum Beispiel bei Amazon.