Auch wenn die gescheiterte Klage des Landtags gegen die Schuldenbremse im Grundgesetz fast schon wieder vom öffentlichen Radarschirm verschwunden ist, lohnt dieses verfassungsrechtliche Fiasko einen zweiten Blick.
Es war ein ehrbares Anliegen: Der Landtag beschloss im September 2009 auf Antrag des damaligen Landtagspräsidenten Kayenburg (CDU), die jüngst ins Grundgesetz eingefügte Schuldenbremse vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen.
Nicht weil man eine Schuldenbremse ablehnt — schließlich ist die im Mai 2010 in die Landesverfassung aufgenommene Bremse sogar strenger als die Regelung im Grundgesetz. Der Landtag war aber mit guten Gründen der Meinung, wegen des Eingriffs in die Budgethoheit der Bundesländer sei eine Schuldenbremse, die auch die Länder bindet, nicht Sache des Bundes. Es ging also nicht um eine Petitesse, sondern um einen Kernfrage der Eigenstaatlichkeit Schleswig-Holsteins. Man hätte schon gern erfahren, was der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts dazu zu sagen hat, denn es wären grundlegende Ausführungen zur Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern zu erwarten gewesen.
Allein, Schleswig-Holstein hat es verbockt, sich sogar veritabel blamiert: Kurz und knapp hat das Bundesverfassungsgericht den Antrag des Landtages als unzulässig zurückgewiesen und sich damit jeder inhaltlichen Prüfung entledigt.
Dass der Antrag des Landtags unzulässig ist und das Bundesverfassungsgericht sich verfassungsrechtlich einen schlanken Fuß machen kann, kam nicht überraschend. Denn § 68 BVerfGG bestimmt als antragsberechtigt im Bund-Länder-Streit auf Länderseite eben nur die Landesregierungen. Das wusste natürlich auch der Verfassungsrechtler Hans-Peter Schneider, der den Antrag für den Landtag begründet hat, und weil der Punkt heikel ist, verwendet die Klage viel Platz für ihre Argumentation, warum trotz des eindeutigen Gesetzeswortlauts der Landtag zulässiger Antragssteller sei.
Es wäre hingegen leicht gewesen, die Zulässigkeit des Antrags abzusichern: Die Landesregierung hätte nur dem Antrag des Landtages beitreten müssen. Geschehen ist indessen nichts, die Klatsche des Bundesverfassungsgerichts ist das vorhersehbare Ergebnis.
Warum ließ die Landesregierung den Landtag auflaufen?
Um die Gemengelage zu verstehen, muss man noch mal zurück zum Landtagsbeschluss, in dem der Landtag sich für den Gang nach Karlsruhe entschied: Die CDU-Fraktion stimmte dem Antrag damals nicht zu, weil die SPD-Fraktion in der gleichen Landtagssitzung die Aufnahme einer Schuldenbremse in die Landesverfassung verhinderte. In der Sache war aber auch die CDU für die Klage. Fraktionschef Wadephul am 16. September 2009:
Erstens: Die Schuldenbremse sollte in der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein verankert werden. Zweitens: Eine verfassungsrechtliche Überprüfung der entsprechenden Regelung im Grundgesetz ist geboten. (…) Deshalb appelliere ich an die Opposition, dass wir zuerst eine Schuldenbremse in unserer Landesverfassung verankern, die ab dem Jahr 2020 eine Neuverschuldung verbietet, und erst dann eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erheben.
Im Koalitionsvertrag von CDU und FDP wurde nach gewonnener Landtagswahl diese Linie verbindlich vereinbart:
Sobald wir ein Neuverschuldungsverbot in der Landesverfassung verankert haben, wird die vorbereitete Klage des Landtages gegen die Schuldenregel im Grundgesetz eingereicht werden, um den Eingriff des Bundes in die Haushaltshoheit des Landes abzuwehren.
So geschah es dann auch, Klage und Schuldenbremse kamen, allerdings in umgekehrter Reihenfolge: Im Februar 2010 wurde die Klage eingereicht, im Mai 2010 fügte der Landtag (gegen die Stimmen der Linken) in Art. 53 und Art. 59 a eine Schuldenbremse in die Landesverfassung ein. Nichts hätte näher gelegen, nun durch einen Beitritt der Landesregierung die Zulässigkeit der Klage sicherzustellen. Schließlich wollten Regierungs- und Oppositionsparteien gleichermaßen verfassungsrechtliche Klarheit.
Die FDP wollte einen Klagebeitritt, Ministerpräsident Carstensen, politisch ebenfalls an den Koalitionsvertrag gebunden, zeigte sich ebenfalls entschlossen zum Beitritt, lavierte dann aber. Die Grünen nahmen den Ball auf, doch am Ende geschah – nichts, frei nach Karl Valentin: „Mögen hätt’ ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.“ Denn die Bundeskanzlerin wollte nicht, dass eine CDU-geführte Landesregierung gegen eine CDU-geführte Bundesregierung vor den Kadi zieht.
Offenbar galt das Prinzip: Parteiräson vor Staatsräson. Der CDU-Teil der Landesregierung wollte Ärger mit seinen Bundesoberen vermeiden und nahmen dafür das Scheitern der Landtagsklage in Kauf. Nun, nachdem Karlsruhe den Antrag sang- und klanglos beerdigt hat, will die Landesregierung sogar den Misserfolg der Klage gewollt haben: Laut Finanzminister Wiegard habe man den Beitritt zum Antrag geprüft, sich aber dagegen entschieden, weil bei einem Erfolg die Schuldenbremse des Bundes auch in jenen Bundesländern nicht mehr gelten würde, die (noch) keine eigene Bremse in der Landesverfassung haben. Wiegard laut Kieler Nachrichten:
Wir wollen aber nicht Länder wie Hamburg, Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg aus der Schuldenbremse entlassen.
Im Klartext: Der schleswig-holsteinische Landtag entscheidet sich für eine Klage gegen die aufoktroyierte Schuldenbremse, weil er seine Rechte verletzt sieht, und die Landesregierung hofft nicht nur auf das Scheitern der Klage, sondern sorgt durch die Weigerung, ihr beizutreten, selbst dafür – nach dem Motto: Wenn der Bund Schleswig-Holstein eine Schuldenbremse vorschreibt, ist das verfassungswidrig, schreibt er sie anderen Ländern vor, ist das finanzpolitisch notwendig.
Das ist nicht nur verfassungsrechtlich schizophren, sondern auch ein Affront gegenüber dem Landtag. Einziger Trost: Das Bundesverfassungsgericht hat dem Landtag in seinem Beschluss den Weg aufgezeigt, wie er sich zukünftig gegen derlei Illoyalität der Landesregierung wehren kann:
Die Landesparlamente haben, sofern sie die Landesregierung nicht kraft ihrer Regierungsbildungs- und Kontrollfunktion zur Führung eines Bund-Länder-Streits anhalten können, die Möglichkeit, mit Hilfe einer Organklage vor dem Landesverfassungsgericht deren Verpflichtung zur Antragstellung zu erstreiten.
P.S.: Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass verfassungsprozessuales Gebaren der Landesregierung zu Stirnrunzeln führt: Bereits in den Wahlrechtsverfahren vor dem Landesverfassungsgericht im letzten Jahr, deren Ausgang für die Carstensen-Regierung von existenzieller Bedeutung war, sparte sich die Landesregierung eine eigene Meinung und verzichtete gegen alle Üblichkeiten auf eine Stellungnahme vor dem Landesverfassungsgericht. Der Focus berichtete seinerzeit, die Landesverfassungsrichter hätten sich über die „Gutsherrenart“ und das „ungeschickte Agieren“ der Regierung empört.