Nachlese: Verfassungsrechtliches Vabanquespiel - Die Landesregierung düpiert den Landtag

Von | 19. September 2011

Auch wenn die geschei­ter­te Klage des Landtags gegen die Schuldenbremse im Grundgesetz fast schon wie­der vom öffent­li­chen Radarschirm ver­schwun­den ist, lohnt die­ses ver­fas­sungs­recht­li­che Fiasko einen zwei­ten Blick.

Es war ein ehr­ba­res Anliegen: Der Landtag beschloss im September 2009 auf Antrag des dama­li­gen Landtagspräsidenten Kayenburg (CDU), die jüngst ins Grundgesetz ein­ge­füg­te Schuldenbremse vor das Bundesverfassungsgericht zu brin­gen.

Nicht weil man eine Schuldenbremse ablehnt — schließ­lich ist die im Mai 2010 in die Landesverfassung auf­ge­nom­me­ne Bremse sogar stren­ger als die Regelung im Grundgesetz. Der Landtag war aber mit guten Gründen der Meinung, wegen des Eingriffs in die Budgethoheit der Bundesländer sei eine Schuldenbremse, die auch die Länder bin­det, nicht Sache des Bundes. Es ging also nicht um eine Petitesse, son­dern um einen Kernfrage der Eigenstaatlichkeit Schleswig-Holsteins. Man hät­te schon gern erfah­ren, was der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts dazu zu sagen hat, denn es wären grund­le­gen­de Ausführungen zur Kompetenzabgrenzung zwi­schen Bund und Ländern zu erwar­ten gewe­sen.

Allein, Schleswig-Holstein hat es ver­bockt, sich sogar veri­ta­bel bla­miert: Kurz und knapp hat das Bundesverfassungsgericht den Antrag des Landtages als unzu­läs­sig zurück­ge­wie­sen und sich damit jeder inhalt­li­chen Prüfung ent­le­digt.

Dass der Antrag des Landtags unzu­läs­sig ist und das Bundesverfassungsgericht sich ver­fas­sungs­recht­lich einen schlan­ken Fuß machen kann, kam nicht über­ra­schend. Denn § 68 BVerfGG bestimmt als antrags­be­rech­tigt im Bund-Länder-Streit auf Länderseite eben nur die Landesregierungen. Das wuss­te natür­lich auch der Verfassungsrechtler Hans-Peter Schneider, der den Antrag für den Landtag begrün­det hat, und weil der Punkt hei­kel ist, ver­wen­det die Klage viel Platz für ihre Argumentation, war­um trotz des ein­deu­ti­gen Gesetzeswortlauts der Landtag zuläs­si­ger Antragssteller sei.

Es wäre hin­ge­gen leicht gewe­sen, die Zulässigkeit des Antrags abzu­si­chern: Die Landesregierung hät­te nur dem Antrag des Landtages bei­tre­ten müs­sen. Geschehen ist indes­sen nichts, die Klatsche des Bundesverfassungsgerichts ist das vor­her­seh­ba­re Ergebnis.

Warum ließ die Landesregierung den Landtag auf­lau­fen?

Um die Gemengelage zu ver­ste­hen, muss man noch mal zurück zum Landtagsbeschluss, in dem der Landtag sich für den Gang nach Karlsruhe ent­schied: Die CDU-Fraktion stimm­te dem Antrag damals nicht zu, weil die SPD-Fraktion in der glei­chen Landtagssitzung die Aufnahme einer Schuldenbremse in die Landesverfassung ver­hin­der­te. In der Sache war aber auch die CDU für die Klage. Fraktionschef Wadephul am 16. September 2009:

Erstens: Die Schuldenbremse soll­te in der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein ver­an­kert wer­den. Zweitens: Eine ver­fas­sungs­recht­li­che Überprüfung der ent­spre­chen­den Regelung im Grundgesetz ist gebo­ten. (…) Deshalb appel­lie­re ich an die Opposition, dass wir zuerst eine Schuldenbremse in unse­rer Landesverfassung ver­an­kern, die ab dem Jahr 2020 eine Neuverschuldung ver­bie­tet, und erst dann eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erhe­ben.

Im Koalitionsvertrag von CDU und FDP wur­de nach gewon­ne­ner Landtagswahl die­se Linie ver­bind­lich ver­ein­bart:

Sobald wir ein Neuverschuldungsverbot in der Landesverfassung ver­an­kert haben, wird die vor­be­rei­te­te Klage des Landtages gegen die Schuldenregel im Grundgesetz ein­ge­reicht wer­den, um den Eingriff des Bundes in die Haushaltshoheit des Landes abzu­weh­ren.

So geschah es dann auch, Klage und Schuldenbremse kamen, aller­dings in umge­kehr­ter Reihenfolge: Im Februar 2010 wur­de die Klage ein­ge­reicht, im Mai 2010 füg­te der Landtag (gegen die Stimmen der Linken) in Art. 53 und Art. 59 a  eine Schuldenbremse in die Landesverfassung ein. Nichts hät­te näher gele­gen, nun durch einen Beitritt der Landesregierung die Zulässigkeit der Klage sicher­zu­stel­len. Schließlich woll­ten Regierungs- und Oppositionsparteien glei­cher­ma­ßen ver­fas­sungs­recht­li­che Klarheit.

Die FDP woll­te einen Klagebeitritt, Ministerpräsident Carstensen, poli­tisch eben­falls an den Koalitionsvertrag gebun­den, zeig­te sich eben­falls ent­schlos­sen zum Beitritt, lavier­te dann aber. Die Grünen nah­men den Ball auf, doch am Ende geschah – nichts, frei nach Karl Valentin: „Mögen hätt’ ich schon wol­len, aber dür­fen hab ich mich nicht getraut.“ Denn die Bundeskanzlerin woll­te nicht, dass eine CDU-geführ­te Landesregierung gegen eine CDU-geführ­te Bundesregierung vor den Kadi zieht.

Offenbar galt das Prinzip: Parteiräson vor Staatsräson. Der CDU-Teil der Landesregierung woll­te Ärger mit sei­nen Bundesoberen ver­mei­den und nah­men dafür das Scheitern der Landtagsklage in Kauf. Nun, nach­dem Karlsruhe den Antrag sang- und klang­los beer­digt hat, will die Landesregierung sogar den Misserfolg der Klage gewollt haben: Laut Finanzminister Wiegard habe man den Beitritt zum Antrag geprüft, sich aber dage­gen ent­schie­den, weil bei einem Erfolg die Schuldenbremse des Bundes auch in jenen Bundesländern nicht mehr gel­ten wür­de, die (noch) kei­ne eige­ne Bremse in der Landesverfassung haben. Wiegard laut Kieler Nachrichten:

Wir wol­len aber nicht Länder wie Hamburg, Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg aus der Schuldenbremse ent­las­sen.

Im Klartext: Der schles­wig-hol­stei­ni­sche Landtag ent­schei­det sich für eine Klage gegen die auf­ok­troy­ier­te Schuldenbremse, weil er sei­ne Rechte ver­letzt sieht, und die Landesregierung hofft nicht nur auf das Scheitern der Klage, son­dern sorgt durch die Weigerung, ihr bei­zu­tre­ten, selbst dafür – nach dem Motto: Wenn der Bund Schleswig-Holstein eine Schuldenbremse vor­schreibt, ist das ver­fas­sungs­wid­rig, schreibt er sie ande­ren Ländern vor, ist das finanz­po­li­tisch not­wen­dig.

Das ist nicht nur ver­fas­sungs­recht­lich schi­zo­phren, son­dern auch ein Affront gegen­über dem Landtag. Einziger Trost: Das Bundesverfassungsgericht hat dem Landtag in sei­nem Beschluss den Weg auf­ge­zeigt, wie er sich zukünf­tig gegen der­lei Illoyalität der Landesregierung weh­ren kann:

Die Landesparlamente haben, sofern sie die Landesregierung nicht kraft ihrer Regierungsbildungs- und Kontrollfunktion zur Führung eines Bund-Länder-Streits anhal­ten kön­nen, die Möglichkeit, mit Hilfe einer Organklage vor dem Landesverfassungsgericht deren Verpflichtung zur Antragstellung zu erstrei­ten.

P.S.: Es ist übri­gens nicht das ers­te Mal, dass ver­fas­sungs­pro­zes­sua­les Gebaren der Landesregierung zu Stirnrunzeln führt: Bereits in den Wahlrechtsverfahren vor dem Landesverfassungsgericht im letz­ten Jahr, deren Ausgang für die Carstensen-Regierung von exis­ten­zi­el­ler Bedeutung war, spar­te sich die Landesregierung eine eige­ne Meinung und ver­zich­te­te gegen alle Üblichkeiten auf eine Stellungnahme vor dem Landesverfassungsgericht. Der Focus berich­te­te sei­ner­zeit, die Landesverfassungsrichter hät­ten sich über die „Gutsherrenart“ und das „unge­schick­te Agieren“ der Regierung empört.

 

Ulf Kämpfer
Von:

Dr. Ulf Kämpfer, 39, ist Jurist, arbeitet und lebt in Kiel

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