DEBATTE - Kultivierter Datenschmutz?

Von | 7. Oktober 2011

Der Konflikt zwi­schen dem Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz (ULD) und Facebook um den „Gefällt-Mir-Button“ und Fanseiten hat zu kon­tro­ver­sen Diskussionen bei Parteien, Institutionen, Verbänden und Experten, aber auch auf Seiten der Besucher/-innen und Nutzer-/in­nen von Facebook geführt. 

Das Landesblog will nicht nur berich­ten, son­dern auch Platz für Debatten sein. Ich habe des­halb alle Parteien sowie eini­ge Verbände aus Schleswig-Holstein gebe­ten, uns ihre Sicht der Dinge zum Themenkomplex Facebook/​Datenschutz im Landesblog dar­zu­stel­len. Hier der Beitrag der von Dr. Martin Lätzel, Verbandsdirektor des Landesverbandes der Volkshochschulen Schleswig-Holsteins.

Weitere Artikel in der Debatte um Facebook fin­den Sie hier 

Dr. Martin Lätzel, 41 aus Molfsee, ist Verbandsdirektor des Landesverbandes der Volkshochschulen Schleswig-Holsteins und Publizist. Er twit­tert unter @VHS_SH und betreibt einen Blog zu Bildungsfragen unter bildungsweg.wordpress.com


Kultivierter Datenschmutz?

Eine Reaktion auf die Facebookdiskussion aus dem Kultur- und Bildungsbereich

Die Diskussion wird auch unter Kulturschaffenden im Land geführt: Was bedeu­tet die Androhung des ULD für uns? In den ver­gan­ge­nen Jahren hat sich die Facebook-Präsenz im Land expo­nen­ti­ell erhöht. Facebook, Twitter und Co waren in Kultur und Erwachsenenbildungskreisen Thema: Sollen wir das nut­zen? Wenn ja, war­um? Was spricht dage­gen? Was dafür?

Die Diskussionen sind in Kultur- und Bildungsszene oft kon­tro­vers geführt wor­den. Man sieht durch­aus die nega­ti­ven Implikationen der sozia­len Netzwerke, die eine rea­le Auseinandersetzung ver­hin­dern und den Diskurs in eine vir­tu­el­le Parallelwelt ver­la­gert. Zu hohe Medienpräsenz gera­de bei jun­gen Leuten – sol­len wir das auch noch unter­stüt­zen? Werden nicht die Werte, die wir immer ver­tre­ten haben – Reflexion, Kommunikation, Interaktion – durch die sozia­len Medien unter­mi­niert? Die Diskussion lau­fen wei­ter­hin, gleich­zei­tig sind vie­le Kultureinrichtungen auf Facebook, Twitter, Xing und Google+ aktiv.

So weit, so gut. Auf die­ser abs­trak­ten, medi­en­theo­re­ti­schen Ebene, hät­te die Diskussion wei­ter geführt wer­den kön­nen, ja gera­de­zu wei­ter­ge­führt wer­den müs­sen. Denn es ist ja gera­de die Kultur, die das kri­ti­sche Potenzial in die Gesellschaft bringt, die „Hemmungen“, von denen Klaus Mann sprach, her­vor­ruft.

Andererseits haben sich Kommunikationsformen ver­än­dert, Vernetzung eine ganz neue Wertigkeit durch das Internet bekom­men. Das betrifft Abläufe und Strukturen – in gro­ßen Volkshochschulen und Bildungsstätten bei­spiels­wei­se mel­det sich mitt­ler­wei­le rund ein Drittel der Teilnehmenden per E-Mailformular an – das betrifft aber auch Chancen der Aktivierung von Interessierten und Kulturaffinen, mit­hin die Kampagnenfähigkeit. Und ja, es kann durch­aus Sinn erge­ben, sich offen­siv um das jun­ge Publikum via Facebook zu bemü­hen, um eben nicht nur Follower, son­dern auch Kulturfollower zu bekom­men, wie der Berliner Intendant Martin Hoffmann ein­drucks­voll beweist.

Dass die Kultur und dass Kultureinrichtungen Facebook und ande­re sozia­le Netzwerke nut­zen, ist also nur kon­se­quent. Kultur ent­wi­ckelt sich wei­ter, und mit dem Netz ent­wi­ckelt sich auch die Netzkultur wei­ter. Blogger, Künstler, blog­gen­de Künstler, Kultureinrichtungen nut­zen Social Media, um ihre Programme bekannt zu machen, um krea­ti­ve Interaktionen anzu­re­gen und um mit ande­ren Künstlern oder auch Interessierten in Kontakt zu kom­men. Kultur macht das Netz bun­ter, macht die Netznutzung kri­ti­scher und macht letzt­lich deut­lich, dass sie kei­ne Nischenveranstaltung ist, son­dern gesell­schaft­lich mit­ten­drin ist. Insofern ist Social Media Engagement ein Ausweg aus dem Elfenbeinturm.

Seit eini­gen Jahren gibt es in Duisburg die stArt Conference, ein Forum zum Austausch von Kultur und Web. Die rege Beteiligung und die Themen der ver­gan­ge­nen Konferenzen zei­gen: das Medium ist aktu­ell, wird rezi­piert und ist in so man­cher Altersklasse zum zen­tra­len leit­me­di­um gewor­den. Facebook und Co wer­den auch im Kulturbereich inten­siv genutzt.

Durch die Äußerungen des ULD ist die Debatte neu befeu­ert wor­den. Allerdings auf einer ganz ande­ren Ebene. Jetzt geht es nicht mehr um qua­si päd­ago­gi­sche Fragestellungen, son­dern um recht­li­che, und die geben natür­lich den­je­ni­gen, die das Web2.0-Engagement kri­tisch sehen, fun­dier­te Argumente an die Hand. Alles nur – wenn auch kul­ti­vier­ter – Datenschmutz?

Die Auseinandersetzung muss geführt wer­den. Der Datenschutz ins­be­son­de­re bei Facebook ist man­gel­haft, und Thilo Weichert legt zurecht einen Finger in die Wunde. Wer kei­nen Datenschmutz pro­du­zie­ren will, muss reagie­ren. Wir vom Landesverband haben unse­re Fanpage erst ein­mal abge­schal­tet. Grund ist die Unsicherheit, die der­zeit recht­lich besteht, Grund ist auch, Facebook deut­lich zu machen, dass Nachbesserungen im Datenschutz not­wen­dig sind. Ähnliche Diskussionen wer­den übri­gens schon seit län­ge­rer Zeit im Kulturbereich zu Google-Adwords geführt.

Aber machen wir uns doch nichts vor: Zuckerberg und Co sind kei­ne Philanthropen. Facebook als sozia­les Netzwerk ist eine gute Idee, aber es ist letzt­lich ein – zuge­ge­ben genia­les – Geschäftsmodell. Wer die­sen Sachverhalt bei der Nutzung kom­plett aus­blen­det, mag sich dar­über wun­dern, dass die Firma die Daten wei­ter­ver­wen­det. By the way: Wie vie­le Konsumenten nut­zen gedan­ken­los Payback und Rabattkarten, ohne sich über die Verwendung ihrer (Einkaufs)Daten Gedanken zu machen? Wer sich bewusst ist, dass Daten heu­te Geld wert sind, wird ler­nen müs­sen, behut­sam mit dem „Medium“ Facebook und ande­ren sozia­len Medien umzu­ge­hen.

Die Idee der sozia­len Netzwerke ist näm­lich geni­al. Sie ver­bin­den Menschen, Ideen und erzeu­gen krea­ti­ves Potenzial. Für den Kulturbereich ist das eine gute Entwicklung. Das zu lösen­de Problem ist der Datenschutz, spe­zi­ell bei Facebook. Nicht mehr, nicht weni­ger.

Die kul­tu­rel­le Kommunikation über Facebook und Co wird wei­ter­ge­hen, eben weil Social Media selbst­ver­ständ­li­cher Teil unse­rer Alltagskultur gewor­den ist. Davon kann und will sich nie­mand im Kulturbereich dis­pen­sie­ren. Weil der Kulturbereich sen­si­bel ist, was den per­sön­li­chen Bereich des Individuums angeht, reagiert man dort aller­dings sen­si­bel und kon­tro­vers auf all­zu unsen­si­blen Umgang mit Daten. Die Diskussionen wer­den eben­so geführt wie das Engagement auf die Dauer wei­ter­ge­führt wird. Vielleicht kann es ja mit krea­ti­vem Potenzial gelin­gen, ech­te Alternativen zum Monopolisten Facebook zu kre­ieren. Facebook ist eben nur ein Baustein in der Web 2.0 Welt. Und es soll­te fer­ner nur ein Baustein in der trans­me­dia­len Kulturwelt sein. Wir brau­chen wei­te­re Plattformen, die dem Kulturaustausch die­nen, auf denen Anregungen und Kritik erfol­gen kön­nen, Impulse und Ideen trans­por­tiert wer­den und Ergebnisse bekannt gemacht wer­den kön­nen — natür­lich nur mit kul­ti­vier­tem Datenschutz.


Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

Ein Gedanke zu “DEBATTE - Kultivierter Datenschmutz?”:

  1. Christian Henner-Fehr

    Ich fin­de es rich­tig, dass sich die Politik Gedanken zum Thema Datenschutz und -sicher­heit macht (das soll­te sie übri­gens auch bezüg­lich des eige­nen Umgangs mit unse­ren Daten machen). Ich fin­de es auch rich­tig, dass ver­sucht wird, Facebook & Co (rechtliche)Schranken zu set­zen. Ob es aber sinn­voll ist, die­ses Problem auf Bundesländerebene anzu­ge­hen und nicht dem Unternehmen, son­dern des­sen Kunden zu dro­hen, bezweif­le ich doch etwas.

    Ich wür­de mei­ne Facebookseiten des­halb nicht off­line neh­men, aller­dings set­ze ich nicht nur auf Facebook allei­ne, son­dern nut­ze auch ande­re Netzwerke. Insofern ist mei­ne Abhängigkeit nicht so groß wie bei vie­len ande­ren. Warum z.B. nicht auf Diaspora aktiv wer­den? Kommunikation und Interaktion sind dort mög­lich, ohne dass man gleich mit Werbung beläs­tigt wird.

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