Der Ende 2010 von den Kultusministern der Länder mit den Verwertungsgesellschaften und Schulbuchverlagen abgeschlossene Vertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach dem Urhebergesetz, das Landesblog berichtete, hat gestern in Schleswig-Holstein die Parteien und Berufsverbände auf den Plan gerufen. Grund für die Aufregung ist nicht der Vertrag als solcher sondern dessen Ausgestaltung. Der Bildungsausschuss im Kieler Landtag wird sich am Donnerstag (3. November) mit dem Thema beschäftigen.
Es lassen sich drei Kritikpunkte unterscheiden:
- Die Denkweise über die Lehrkräfte, die der Geist des Vertrages ausstrahle
Die, wie es die GEW formuliert, „Ausspähung von Lehrerinnen und Lehrern durch Schnüffelprogramme im Interesse von Schulbuchverlagen“, zudem wenn sie ohne konkreten Verdacht erfolge, sei ein „inakzeptabler Eingriff in den Arbeitsbereich der Lehrkräfte“. In die gleiche Kerbe haut die zum Deutschen Beamtenbund gehörende IVL, der findet, dass das Land nicht der „Büttel der Schulbuchwirtschaft“ werden dürfe, der „seine Lehrkräfte unter Generalverdacht stelle“.
- Die datenschutzrechtliche Bedenklichkeit einer Schnüffelsoftware
So fordert z.B. die Fraktion der Linken „Aufklärung zu Schnüffler-Software an Schulen“ und den Kultusminister auf, „darüber Auskunft zu geben, welche Stelle mit der datenschutzrechtlichen Prüfung der Software beauftragt“ worden sei. Die SPD-Fraktion im Kieler Landtag befürchtet, dass „Big Brother is watching your school computer“ und meldet „erhebliche Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes“ an. Für die Grünen-Fraktion sind heimliche Kontrollen an Schulen der falsche Weg. Sie sieht die „Frage der Missbrauchsmöglichkeiten dieser Software zur Überwachung von LehrerInnen“ als „völlig offen“ an. Auch die Jungliberalen in Schleswig-Holstein fordern Bildungsminister Klug auf, „dieses Überwachungsverfahren in Schleswig-Holstein zu unterbinden“. Der Landesdatenschutzbeauftragte solle sich des Themas annehmen und „die Vereinbarkeit des Rahmenvertrages mit dem allgemeinen Datenschutz überprüfen“.
- Die personal- und mitbestimmungsrechtliche Frage, die etwa die Grünen problematisieren, wenn sie die vom Land eingegangene Verpflichtung, gegen Schulleitungen und Lehrkräfte bei der Entdeckung von Urheberrechtsverstößen disziplinarische Maßnahmen einzuleiten, „extrem kritisch“ sehen: „Ob LehrerInnen disziplinarisch belangt werden, steht normalerweise im Ermessen“. Auch die JuLis sehen „mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen in Bezug auf die Lehrerschaft, die somit einer Form der Überwachung am Arbeitsplatz unterliegen“.
Durchwoben ist die Kritik am Vertrag durch das anscheinend von vielen getragenen Gefühl, hier werde versucht, ein von wirtschaftlichen Argumenten getragenen status quo zu zementieren. Die grüne Landtagsabgeordnete Anke Erdmann sagt:
„Die Verlage stehen einem Schulbuchmarkt gegenüber, der kleiner wird und sich sehr verändert hat. Der demografische Wandel bedeutet weniger SchülerInnen, weniger Klassen. Neue Methoden in den Schulen führen ebenfalls dazu, dass weniger Klassensätze verkauft werden. Zudem setzt die Digitalisierung die Verlage unter Druck. Laptopklassen gehen ins Netz und verzichten oft auf das Schulbuch im Klassensatz. Auch der Austausch zwischen Lehrkräften für selbst erstellte Arbeitsmaterialien verändert sich. Diesem Wandel wird man aber nicht durch Kontrollprogramme in Schulen begegnen können.“
Kultusminister Ekkehard Klug versuchte gestern, die ganze Angelegenheit niedriger zu hängen. „Viel Lärm um nichts“ machte er aus: Die Software gibt es noch nicht. Und bevor sie zum Einsatz kommen könne, müsse „die technische und datenschutzrechtliche Unbedenklichkeit der Software“ klar sein. Dies zu bescheinigen wird in Schleswig-Holstein Aufgabe des ULD sein. Der Minister schlussfolgert klar: „Selbstverständlich lassen wir nichts an die Schulen, was diese Unbedenklichkeitsbescheinigung nicht erhält.“ Das ULD hat den Ball gestern erwartungsgemäß aufgenommen und eine Prüfung zugesagt.
Die Presseerklärung des Ministers verweist dann noch auf die Bekanntmachung des Ministeriums, mit der es unter der Überschrift „Urheberrecht an Schulen“ Anfang Juni auf die Rechtslage aufmerksam und Auszüge aus dem Gesamtvertrag den Schulen bekannt machte. Die Kontrollen werden eher unverbindlich erwähnt: „Die Einhaltung der durch den Gesamtvertrag zu § 53 UrhG getroffenen, vorgenannten Regelungen zum „Fotokopieren in Schulen“ ist durch geeignete informatorische, organisatorische und technische Maßnahmen in der Schule sicherzustellen.“
Angesprochen auf die von den Kultusministerien gegenüber den privaten Verlagen zugesagte Verpflichtung („Die Länder verpflichten sich, bei … Verstößen gegen die in diesem Gesamtvertrag festgelegten Vorgaben … disziplinarische Maßnahmen einzuleiten“) weist das Ministerium darauf hin, dass man nicht unterstelle könne, dass allein die Einleitung disziplinarischer Maßnahmen auch zu ebensolchen führen müsse.
In der Bekanntmachung des Ministeriums hat das Ministerium meines Erachtens dann den Ermessensvorbehalt beachtet. Auch von einer Verpflichtung zu disziplinarischen Maßnahmen ist keine Rede. Dort heißt es (Hervorhebung von mir): „Wird eine Urheberrechtsverletzung vorsätzlich oder grob fahrlässig vorgenommen, kann die handelnde Lehrkraft zum Ausgleich des verursachten Schadens in Rückgriff genommen werden.“
Ein vierter Kritikpunkt könnte die Höhe der zu zahlenden Vergütung sein. Sie steigt über die Laufzeit des Vertrages, während zeitgleich die Schülerzahlen (und damit das Kopiervolumen) sinken. Eine Erklärung für dieses unmotiviert erscheinende Ansteigen könnte sein, dass man im Laufe der Verhandlungen mit den Rechteanbietern dazu kam – die Verhandlungen fanden zu einen Zeitpunkt statt, als das Urheberrecht sich änderte und die dahin geltende Sonderregelung zum Kopieren obsolet geworden war. Wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß, hatten die Rechteinhaber zunächst deutliche höhere Forderungen (fast das Dreifache der jetzigen Summe) gegenüber den Ländern erhoben. Es könnte sein, dass man sich im Laufe des Vertrages auf eine Art Staffel (wie bei Staffelmietverträgen) einigte. Wäre das nicht nicht der Fall, wäre der Anstieg der Vergütung sinnfrei.
Um überschlägig ein Gefühl für die Höhe des Betrages zu bekommen: knapp 3,4 Prozent (Königsteiner Schlüssel) beträgt der Anteil Schleswig-Holstein an dem 7,3 Mio Euro Beitrag für das erste Jahr. Macht rund 60 Cent für jeden der rund 400.000 Schüler in Schleswig-Holstein.
Interessant ist in meinen Augen auch die Zuversicht, mit der der Verband der Schulbuchverlage und Hersteller von Bildungsmedien in einer FAQ detailliert erklärt, wie die Prüfung ablaufe werde. In einer Stellungnahme erklärt der Verband, man wolle lediglich „die Speichersysteme, also die Server der Schulen“, durchsucht wissen. Ich glaube, die waren noch nie in einer schleswig-holsteinischen Schule. Warum sollen sich dort (auf dem Server) nicht auch schützenswerte Daten befinden? Und wie soll es zusammenpassen, wenn laut Stellungnahme des Verbandes die „erhobenen Daten ausschließlich beim Schulträger verbleiben“, aber, so § 6 Nr. 6 des Vertrages, die „Meldung von Urheberrechtsverletzungen durch die Rechteinhaber“ erfolgen soll?
Die Software gibt es also noch nicht. Und nicht nur angesichts der gewichtigen datenschutzrechtlichen Probleme wird sie, wenn überhaupt, wohl auch kaum Wirkung entfalten: Aus meiner persönlichen Lebenserfahrung mit Lehrern und Unterrichtsmaterial neige ich zu der These, dass (elektronisch) kopierte Materialien zur Unterrichtsgestaltung schon für Schüler schwer lesbar sind; wie soll das erst Programmen ergehen? Wäre ich ein Programm, ich würde mich weigern, manche Vorlage zu lesen :-) Ernsthafte Frage: Extrahieren handelsübliches Plagiatssoftware zuverlässig unsauber eingescannte PDF-Dokumente?
Bis dahin muss man aber nicht die Diskussion ruhen lassen. Der Bildungsausschuss wird sich am Donnerstag (3. November) also aus guten Gründen mit dem Thema beschäftigen. Dann wird man vielleicht auch in Erfahrung bringen, welche personalrechtlichen bzw. mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen noch ergriffen werden müssen, bevor der bislang hypothetische Einsatz der Software überhaupt beginnen könnte.
Und nicht zuletzt wird diese Diskussion hoffentlich einen weiteren weißen Fleck auf der Karte des Fortschritts in das digitale Zeitalter schließen. Auch den Schulbuchverlagen muss klar werden, dass sich Unterricht und Unterrichtsmaterialien wandeln und Bücher (sowie dessen elektronischen Geschwister) einen anderen Stellenwert bekommen werden. Das mag Nachteile nicht nur bei den Verlagen nach sich ziehen. Denn auch Schüler, Lehrkräfte und nicht zuletzt der Staat als Käufer von Schulbüchern (in Schleswig-Holstein herrscht weitgehend Lernmittelfreiheit) werden sich umstellen müssen. Was ja nicht das Schlimmste sein muss.
Eine spannende Diskussion …
… aber leider geht sie total am Thema vorbei.
Der eigentliche Skandal ist, dass digitale Kopien beim Einsatz im Untericht so anders behandelt werden als analoge (Foto-)Kopien. Die Regeln für die analoge Kopie finden sich z.B. hier
http://www.schulbuchkopie.de/neuenregeln.html
Analoge Kopien sind also in einem kleinen Rahmen erlaubt, digitale Kopien komplett verboten. Das ist nicht nur eine extreme Behinderung für jede Lehrerin und jeden Schüler, sondern auch absolut weltfremd.
Der Grund dafür leuchtet aber ein. Die Urheber (die ja schließlich von der Nutzung ihrer Weke leben müssen), sind seit Urzeiten an der Nutzung analoger Kopien über die Kopier-Abgabe der VG-Wort beteiligt. Aus dieser Zeit stammt auch die zur Zeit gültige Regelung.
Nun gibt es aber seit 2008 auch die „Geräteabgabe” nach §54 UrhG, die auf jeden Copmputer erhoben wird, mit dem man digitale Kopien anfertigen kann und die die Urheber auch an digitalen Kopien beteiligt. Es wird zwar erwartet, dass der EUGH diese Regleung kippen wird, aber bis dahin gibt es keinen Grund, Schulen die Nutzung digitaler Kopien zu Unterichtszwecken zu untersagen. allerdings müssten die Verwerter (VG-Wort) hier Methoden finden, die UrheberInnen an dieser Abgabe gerecht zu beteiligen, was offenbar nicht gewollt ist.
Man könte also Minister Klug gut kritisieren, dass er nicht dafür gesorgt hat, dass diese Tatsache in der Vereinbarung der Kultusminister mit der VdS-Bildungsmedien berücksichtigt worden ist. Ihm allerdings den Einsatz einer Kontroll- und Abrechnungssoftware als „Schnüffelei” vorzuwerfen, geht völlig am Problem vorbei. Sie eignet sich allenfalls, das Rauschen im Blätterwald anzufachen.
Das Problem ist nämlich unser völlig veraltetes und nicht für den Einsatz digitaler Medien geeignetes Urheberrecht. DIE LINKE Bundestagsfraktion hat bereits einen Gesetzentwurf zum Urheberrecht vorglegt, der das ändern soll.
Danach wird dann endlich auch der Einsatz digitaler Kopien zu Unterrichtszwecken erlaubt, und auch die notwendige Vergütung der Urheber wird dabei angemessen berücksichtigt. Bei einer ersten Anhörung zu diesem Gesetz durch die Linksfraktion gab es dafür grundsätzich viel Lob, von Urhebern, Nutzern (speziell LehrerInnen, WissenschaftlerInnen und BibliothekarInnen), aber auch von den Verbänden der Verwerter und UrheberInnen.
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