Schnüffelsoftware ruft Fraktionen und Verbände auf den Plan

Von | 2. November 2011

Der Ende 2010 von den Kultusministern der Länder mit den Verwertungsgesellschaften und Schulbuchverlagen abge­schlos­se­ne Vertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach dem Urhebergesetz, das Landesblog berich­te­te, hat ges­tern in Schleswig-Holstein die Parteien und Berufsverbände auf den Plan geru­fen. Grund für die Aufregung ist nicht der Vertrag als sol­cher son­dern des­sen Ausgestaltung. Der Bildungsausschuss im Kieler Landtag wird sich am Donnerstag (3. November) mit dem Thema beschäf­ti­gen.

Es las­sen sich drei Kritikpunkte unter­schei­den:

  • Die Denkweise über die Lehrkräfte, die der Geist des Vertrages aus­strah­le
    Die, wie es die GEW for­mu­liert, „Ausspähung von Lehrerinnen und Lehrern durch Schnüffelprogramme im Interesse von Schulbuchverlagen“, zudem wenn sie ohne kon­kre­ten Verdacht erfol­ge, sei ein „inak­zep­ta­bler Eingriff in den Arbeitsbereich der Lehrkräfte“. In die glei­che Kerbe haut die zum Deutschen Beamtenbund gehö­ren­de IVL, der fin­det, dass das Land nicht der „Büttel der Schulbuchwirtschaft“ wer­den dür­fe, der „sei­ne Lehrkräfte unter Generalverdacht stel­le“.
     
  • Die daten­schutz­recht­li­che Bedenklichkeit einer Schnüffelsoftware
    So for­dert z.B. die Fraktion der LinkenAufklärung zu Schnüffler-Software an Schulen“ und den Kultusminister auf, „dar­über Auskunft zu geben, wel­che Stelle mit der daten­schutz­recht­li­chen Prüfung der Software beauf­tragt“ wor­den sei. Die SPD-Fraktion im Kieler Landtag befürch­tet, dass „Big Brother is watching your school com­pu­ter“ und mel­det „erheb­li­che Bedenken hin­sicht­lich des Datenschutzes“ an. Für die Grünen-Fraktion sind heim­li­che Kontrollen an Schulen der fal­sche Weg. Sie sieht die „Frage der Missbrauchsmöglichkeiten die­ser Software zur Überwachung von LehrerInnen“ als „völ­lig offen“ an. Auch die Jungliberalen in Schleswig-Holstein for­dern Bildungsminister Klug auf, „die­ses Überwachungsverfahren in Schleswig-Holstein zu unter­bin­den“. Der Landesdatenschutzbeauftragte sol­le sich des Themas anneh­men und „die Vereinbarkeit des Rahmenvertrages mit dem all­ge­mei­nen Datenschutz über­prü­fen“.
     
  • Die per­so­nal- und mit­be­stim­mungs­recht­li­che Frage, die etwa die Grünen pro­ble­ma­ti­sie­ren, wenn sie die vom Land ein­ge­gan­ge­ne Verpflichtung, gegen Schulleitungen und Lehrkräfte bei der Entdeckung von Urheberrechtsverstößen dis­zi­pli­na­ri­sche Maßnahmen ein­zu­lei­ten, „extrem kri­tisch“ sehen: „Ob LehrerInnen dis­zi­pli­na­risch belangt wer­den, steht nor­ma­ler­wei­se im Ermessen“. Auch die JuLis sehen „mit­be­stim­mungs­pflich­ti­gen Maßnahmen in Bezug auf die Lehrerschaft, die somit einer Form der Überwachung am Arbeitsplatz unter­lie­gen“.

Durchwoben ist die Kritik am Vertrag durch das anschei­nend von vie­len getra­ge­nen Gefühl, hier wer­de ver­sucht, ein von wirt­schaft­li­chen Argumenten getra­ge­nen sta­tus quo zu zemen­tie­ren. Die grü­ne Landtagsabgeordnete Anke Erdmann sagt:

„Die Verlage ste­hen einem Schulbuchmarkt gegen­über, der klei­ner wird und sich sehr ver­än­dert hat. Der demo­gra­fi­sche Wandel bedeu­tet weni­ger SchülerInnen, weni­ger Klassen. Neue Methoden in den Schulen füh­ren eben­falls dazu, dass weni­ger Klassensätze ver­kauft wer­den. Zudem setzt die Digitalisierung die Verlage unter Druck. Laptopklassen gehen ins Netz und ver­zich­ten oft auf das Schulbuch im Klassensatz. Auch der Austausch zwi­schen Lehrkräften für selbst erstell­te Arbeitsmaterialien ver­än­dert sich. Diesem Wandel wird man aber nicht durch Kontrollprogramme in Schulen begeg­nen kön­nen.“

Kultusminister Ekkehard Klug ver­such­te ges­tern, die gan­ze Angelegenheit nied­ri­ger zu hän­gen. „Viel Lärm um nichts mach­te er aus: Die Software gibt es noch nicht. Und bevor sie zum Einsatz kom­men kön­ne, müs­se „die tech­ni­sche und daten­schutz­recht­li­che Unbedenklichkeit der Software“ klar sein. Dies zu beschei­ni­gen wird in Schleswig-Holstein Aufgabe des ULD sein. Der Minister schluss­fol­gert klar: „Selbstverständlich las­sen wir nichts an die Schulen, was die­se Unbedenklichkeitsbescheinigung nicht erhält.“ Das ULD hat den Ball ges­tern erwar­tungs­ge­mäß auf­ge­nom­men und eine Prüfung zuge­sagt.

Die Presseerklärung des Ministers ver­weist dann noch auf die Bekanntmachung des Ministeriums, mit der es unter der Überschrift „Urheberrecht an Schulen“ Anfang Juni auf die Rechtslage auf­merk­sam und Auszüge aus dem Gesamtvertrag den Schulen bekannt mach­te. Die Kontrollen wer­den eher unver­bind­lich erwähnt: „Die Einhaltung der durch den Gesamtvertrag zu § 53 UrhG getrof­fe­nen, vor­ge­nann­ten Regelungen zum „Fotokopieren in Schulen“ ist durch geeig­ne­te infor­ma­to­ri­sche, orga­ni­sa­to­ri­sche und tech­ni­sche Maßnahmen in der Schule sicher­zu­stel­len.

Angesprochen auf die von den Kultusministerien gegen­über den pri­va­ten Verlagen zuge­sag­te Verpflichtung („Die Länder ver­pflich­ten sich, bei … Verstößen gegen die in die­sem Gesamtvertrag fest­ge­leg­ten Vorgaben … dis­zi­pli­na­ri­sche Maßnahmen ein­zu­lei­ten“) weist das Ministerium dar­auf hin, dass man nicht unter­stel­le kön­ne, dass allein die Einleitung dis­zi­pli­na­ri­scher Maßnahmen auch zu eben­sol­chen füh­ren müs­se.

In der Bekanntmachung des Ministeriums hat das Ministerium mei­nes Erachtens dann den Ermessensvorbehalt beach­tet. Auch von einer Verpflichtung zu dis­zi­pli­na­ri­schen Maßnahmen ist kei­ne Rede. Dort heißt es (Hervorhebung von mir): „Wird eine Urheberrechtsverletzung vor­sätz­lich oder grob fahr­läs­sig vor­ge­nom­men, kann die han­deln­de Lehrkraft zum Ausgleich des ver­ur­sach­ten Schadens in Rückgriff genom­men wer­den.

Ein vier­ter Kritikpunkt könn­te die Höhe der zu zah­len­den Vergütung sein. Sie steigt über die Laufzeit des Vertrages, wäh­rend zeit­gleich die Schülerzahlen (und damit das Kopiervolumen) sin­ken. Eine Erklärung für die­ses unmo­ti­viert erschei­nen­de Ansteigen könn­te sein, dass man im Laufe der Verhandlungen mit den Rechteanbietern dazu kam – die Verhandlungen fan­den zu einen Zeitpunkt statt, als das Urheberrecht sich änder­te und die dahin gel­ten­de Sonderregelung zum Kopieren obso­let gewor­den war. Wie ich aus zuver­läs­si­ger Quelle weiß, hat­ten die Rechteinhaber zunächst deut­li­che höhe­re Forderungen (fast das Dreifache der jet­zi­gen Summe) gegen­über den Ländern erho­ben. Es könn­te sein, dass man sich im Laufe des Vertrages auf eine Art Staffel (wie bei Staffelmietverträgen) einig­te. Wäre das nicht nicht der Fall, wäre der Anstieg der Vergütung sinn­frei.
Um über­schlä­gig ein Gefühl für die Höhe des Betrages zu bekom­men: knapp 3,4 Prozent (Königsteiner Schlüssel) beträgt der Anteil Schleswig-Holstein an dem 7,3 Mio Euro Beitrag für das ers­te Jahr. Macht rund 60 Cent für jeden der rund 400.000 Schüler in Schleswig-Holstein.  

 

Interessant ist in mei­nen Augen auch die Zuversicht, mit der der Verband der Schulbuchverlage und Hersteller von Bildungsmedien in einer FAQ detail­liert erklärt, wie die Prüfung ablau­fe wer­de. In einer Stellungnahme erklärt der Verband, man wol­le ledig­lich „die Speichersysteme, also die Server der Schulen“, durch­sucht wis­sen. Ich glau­be, die waren noch nie in einer schles­wig-hol­stei­ni­schen Schule. Warum sol­len sich dort (auf dem Server) nicht auch schüt­zens­wer­te Daten befin­den? Und wie soll es zusam­men­pas­sen, wenn laut Stellungnahme des Verbandes die „erho­be­nen Daten aus­schließ­lich beim Schulträger ver­blei­ben“, aber, so § 6 Nr. 6 des Vertrages, die „Meldung von Urheberrechtsverletzungen durch die Rechteinhaber“ erfol­gen soll?

Die Software gibt es also noch nicht. Und nicht nur ange­sichts der gewich­ti­gen daten­schutz­recht­li­chen Probleme wird sie, wenn über­haupt, wohl auch kaum Wirkung ent­fal­ten: Aus mei­ner per­sön­li­chen Lebenserfahrung mit Lehrern und Unterrichtsmaterial nei­ge ich zu der These, dass (elek­tro­nisch) kopier­te Materialien zur Unterrichtsgestaltung schon für Schüler schwer les­bar sind; wie soll das erst Programmen erge­hen? Wäre ich ein Programm, ich wür­de mich wei­gern, man­che Vorlage zu lesen :-) Ernsthafte Frage: Extrahieren han­dels­üb­li­ches Plagiatssoftware zuver­läs­sig unsau­ber ein­ge­scann­te PDF-Dokumente?

Bis dahin muss man aber nicht die Diskussion ruhen las­sen. Der Bildungsausschuss wird sich am Donnerstag (3. November) also aus guten Gründen mit dem Thema beschäf­ti­gen. Dann wird man viel­leicht auch in Erfahrung brin­gen, wel­che per­so­nal­recht­li­chen bzw. mit­be­stim­mungs­pflich­ti­gen Maßnahmen noch ergrif­fen wer­den müs­sen, bevor der bis­lang hypo­the­ti­sche Einsatz der Software über­haupt begin­nen könn­te.

Und nicht zuletzt wird die­se Diskussion hof­fent­lich einen wei­te­ren wei­ßen Fleck auf der Karte des Fortschritts in das digi­ta­le Zeitalter schlie­ßen. Auch den Schulbuchverlagen muss klar wer­den, dass sich Unterricht und Unterrichtsmaterialien wan­deln und Bücher (sowie des­sen elek­tro­ni­schen Geschwister) einen ande­ren Stellenwert bekom­men wer­den. Das mag Nachteile nicht nur bei den Verlagen nach sich zie­hen. Denn auch Schüler, Lehrkräfte und nicht zuletzt der Staat als Käufer von Schulbüchern (in Schleswig-Holstein herrscht weit­ge­hend Lernmittelfreiheit) wer­den sich umstel­len müs­sen. Was ja nicht das Schlimmste sein muss.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

2 Gedanken zu “Schnüffelsoftware ruft Fraktionen und Verbände auf den Plan”:

  1. Heinz-Werner Jezewski

    Eine span­nen­de Diskussion …

    … aber lei­der geht sie total am Thema vor­bei.

    Der eigent­li­che Skandal ist, dass digi­ta­le Kopien beim Einsatz im Untericht so anders behan­delt wer­den als ana­lo­ge (Foto-)Kopien. Die Regeln für die ana­lo­ge Kopie fin­den sich z.B. hier

    http://www.schulbuchkopie.de/neuenregeln.html

    Analoge Kopien sind also in einem klei­nen Rahmen erlaubt, digi­ta­le Kopien kom­plett ver­bo­ten. Das ist nicht nur eine extre­me Behinderung für jede Lehrerin und jeden Schüler, son­dern auch abso­lut welt­fremd.

    Der Grund dafür leuch­tet aber ein. Die Urheber (die ja schließ­lich von der Nutzung ihrer Weke leben müs­sen), sind seit Urzeiten an der Nutzung ana­lo­ger Kopien über die Kopier-Abgabe der VG-Wort betei­ligt. Aus die­ser Zeit stammt auch die zur Zeit gül­ti­ge Regelung.

    Nun gibt es aber seit 2008 auch die „Geräteabgabe” nach §54 UrhG, die auf jeden Copmputer erho­ben wird, mit dem man digi­ta­le Kopien anfer­ti­gen kann und die die Urheber auch an digi­ta­len Kopien betei­ligt. Es wird zwar erwar­tet, dass der EUGH die­se Regleung kip­pen wird, aber bis dahin gibt es kei­nen Grund, Schulen die Nutzung digi­ta­ler Kopien zu Unterichtszwecken zu unter­sa­gen. aller­dings müss­ten die Verwerter (VG-Wort) hier Methoden fin­den, die UrheberInnen an die­ser Abgabe gerecht zu betei­li­gen, was offen­bar nicht gewollt ist.

    Man kön­te also Minister Klug gut kri­ti­sie­ren, dass er nicht dafür gesorgt hat, dass die­se Tatsache in der Vereinbarung der Kultusminister mit der VdS-Bildungsmedien berück­sich­tigt wor­den ist. Ihm aller­dings den Einsatz einer Kontroll- und Abrechnungssoftware als „Schnüffelei” vor­zu­wer­fen, geht völ­lig am Problem vor­bei. Sie eig­net sich allen­falls, das Rauschen im Blätterwald anzu­fa­chen.

    Das Problem ist näm­lich unser völ­lig ver­al­te­tes und nicht für den Einsatz digi­ta­ler Medien geeig­ne­tes Urheberrecht. DIE LINKE Bundestagsfraktion hat bereits einen Gesetzentwurf zum Urheberrecht vor­g­legt, der das ändern soll.

    Danach wird dann end­lich auch der Einsatz digi­ta­ler Kopien zu Unterrichtszwecken erlaubt, und auch die not­wen­di­ge Vergütung der Urheber wird dabei ange­mes­sen berück­sich­tigt. Bei einer ers­ten Anhörung zu die­sem Gesetz durch die Linksfraktion gab es dafür grund­sät­zich viel Lob, von Urhebern, Nutzern (spe­zi­ell LehrerInnen, WissenschaftlerInnen und BibliothekarInnen), aber auch von den Verbänden der Verwerter und UrheberInnen.

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