Symbolpolitik

Von | 7. November 2011

Heute, am 7. November 2011, hän­gen die Flaggen an den Dienstgebäude in Schleswig-Holstein auf Halbmast. 97 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, viel­leicht sind es auch ein paar mehr, wer­den nicht wis­sen war­um. 

Am Volkstrauertag und am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus ist in Schleswig-Holstein halb­mast zu flag­gen. Das Innenministerium kann zudem „in beson­de­ren Fällen“ die Beflaggung der Dienstgebäude anord­nen. Die Terroranschläge in New York, Washington, Madrid, Djerba oder Utoya; Katastrophen wie der Tsunami ins Südasien, wäh­rend der Duisburger Loveparade oder ein Busunglück in der Nähe von Lyon, bei denen auch Schleswig-Holsteinische Bürger ums Leben kamen, der 50. Jahrestag des Beginns des Mauerbaus, der Tod von Heinz-Werner Arens, Johannes Rau oder Gerhard Stoltenberg oder auch der tra­gi­sche Tod des pol­ni­schen Staatspräsidenten Lech Kaczynski und vie­ler wei­te­rer hoch­ran­gi­ger pol­ni­scher Persönlichkeiten bei einem Flugzeugabsturz. All das waren in den letz­ten 10 Jahren bei­spiel­haf­te Anlässe für schles­wig-hol­stei­ni­sche Innenminister, Trauerbeflaggung anzu­ord­nen. 

In der Nacht auf dem 27. Oktober ist in Augsburg ein Polizist bei einem Schusswechsel erschos­sen wor­den. Der 41-Jährige ver­folg­te mit sei­ner Kollegin ein Motorrad, des­sen Fahrer und Sozius sie kon­trol­lier­ten woll­ten. Wie es den Anschein hat, kam es zu einer Schießerei, in deren Verlauf die Polizisten beschos­sen wur­den; bei­de schos­sen mehr­mals zurück. Der Polizist erlitt dabei töd­li­che Verletzungen. Die bei­den mut­maß­li­chen Täter konn­ten, bis­lang uner­kannt, flie­hen. Heute ist eine öffent­li­che Trauerfeier im Augsburger Dom für den getö­te­ten Polizisten. Aus die­sem Anlass haben Bayern und Schleswig-Holstein Trauerbeflaggung ange­ord­net, ande­re Länder anschei­nend nicht.

Der Tod eines Polizisten macht uns betrof­fen. Auch wenn es so scheint, als dass der Anlass einer ist, der zu den bedau­er­li­chen Risiken des Berufs des Polizisten gehört. Bei allem Respekt vor der trau­ern­den Familie und bei allem Verständnis für die Betroffenheit aller Polizisten, denen bei sol­chen Fällen gegen­wär­tig wird, dass sie all­täg­lich viel ris­kie­ren, dass sie getö­tet wer­den kön­nen, schwe­re Verletzungen – auch see­lisch – davon­tra­gen kön­nen: ist das ein Grund, in Schleswig-Holstein Trauerbeflaggung anzu­ord­nen?

Ich mei­ne: Nein. Die Trauerbeflaggung öffent­li­cher Gebäude darf nicht infla­tio­nie­ren, will sie nicht zur Beliebigkeit und damit zur Bedeutungslosigkeit ten­die­ren. Sie muss eine Ausnahme blei­ben. Und sie darf nie Ausdruck poli­ti­scher Schwerpunktsetzung sein. Diese auf die Langfristigkeit des sym­bo­li­schen staat­li­chen Akts schau­en­de Denkweise ist einer der Gründe, war­um wir nicht bei jedem toten deut­schen Soldaten Trauerbeflaggung anord­nen, nicht jeden ver­stor­be­nen lang­jäh­ri­gen Parlamentarier mit die­sem Ehrenakt aus­zeich­nen. Diese Tat, so schreck­lich sie ist, ist nicht signi­fi­kant her­aus­ra­gend unter den zu bekla­gen­den Todesfällen. Sie hat kei­ne tie­fe­re Verbindung zu Schleswig-Holstein. Die Beflaggung wird nie­man­den, der Gewalt gegen Polizisten als „nor­mal“ erach­tet, von sei­ner Tat abhal­ten. 

Bleibt die Frage: Warum dann die Trauerbeflaggung? Der Innenminister, der sich erst kürz­lich bis auf die Knochen bla­mier­te, läuft Gefahr, dass man ihm vor­wirft, er mache sich lieb Kind bei der Landespolizei. Das wird kein Erfolg haben. Betrachtet man Forderungen der GDP zu älte­ren Studien des KFN oder jün­ge­re Studien der KFN, über die auch hier im Landesblog berich­te­ten, dann weiß man, dass das Thema dif­fe­ren­zier­te Behandlung ver­dient, die Folgerungen nicht sym­bo­li­scher son­dern han­deln­der Natur sein müs­sen. Aber weder der­be Holzhammer noch bil­li­ge Betroffenheitssymbolik.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

2 Gedanken zu “Symbolpolitik”:

  1. Oliver M.

    Den Tod zu klas­si­fi­zie­ren ist eh von schlech­tem Geiste. Würde dafür plä­die­ren die Flagge immer auf Halbmast zu las­sen.

    Reply
  2. Jürgen Weber

    Symbolik ist (fast)immer uti­li­ta­ris­tisch. Das mag man bedau­ern. Zudem miss­lingt sie oft genug.(s.o.) Das muss einen letzt­lich nicht wirk­lich beun­ru­hi­gen.

    Reply

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert