Die Steuerschätzung des Bundes hat die erste Wahlkampfsünde in Schleswig-Holstein provoziert: Die Regierung verhält sich inkonsequent und gefährdet die Konsolidierung des Haushaltes. Ein starker Staat hat keine Schulden.
Dass das mit dem Schuldenmachen keine prima Sache ist, hat sich langsam rumgesprochen. Der Landtag in Schleswig-Holstein hat vor 1 ½ Jahren fast einstimmig (nur die Linke stimmten dagegen) eine Schuldenbremse in die Landesverfassung geschrieben. Geht es um zukünftige Haushalte, dann herrscht weitgehend Einheit, dass die Finanzen des Landes keine Sprünge zulassen.So verwundert es nicht, wenn die Ergebnisse der jüngsten Steuerschätzung, die dem Land Schleswig-Holstein mehr Einnahmen als bislang geplant bescheren, den Landespolitikern zum Verwechseln ähnliche Aussagen entlocken.
Finanzminister Rainer Wiegard präsentierte gestern (8. November 2011) die auf Schleswig-Holstein runtergebrochenen Ergebnisse der Schätzung: 2011 kann er mit 230 Millionen Euro mehr rechnen, als noch im Mai vorher gesagt. Er setzte die prognostizierten Einnahmen in Beziehung zu einer älteren Prognose, um die „Delle“ der letzten Krise zu verdeutlichen: „Damit haben wir das Einnahmeergebnis von 2008 schon in diesem Jahr wieder eingeholt“. Für nächstes Jahr, 2012, rechnet er mit 180 Millionen Euro mehr. Und in den Jahren bis 2016 sollen die Einnahmen jährlich um etwa 300 Millionen Euro steigen. Passiert in den nächsten beiden Monaten nichts unvorhergesehenes (oder sollte man in solchen Zeiten besser: „unerwünschtes“ sagen?) dann betragen 2011 Schleswig-Holstein Steuereinnahmen 6,88 Milliarden Euro. (Zum Vergleich: der Bilanzierungsfehler der Bad Bank der verstaatlichten HRE betrug 56 Milliarden Euro, das sind 8 Jahresgehälter des Landeshaushaltes) Schleswig-Holsteins Kassenwart sagte, was man von ihm, trotzt beginnenden Wahlkampfes, hören will: „Zu verteilen gibt es aufgrund dieser Steuerschätzung nichts. Neue Aufgaben müssen aus dem Verzicht auf bisherige Aufgaben finanziert werden.“
Für Monika Heinold, finanzpolitische Sprecherin der Grünen im Kieler Landtag, ist es, wie sie in ihrer Reaktion auf die Steuerschätzung sagte, eine „schleswig-holsteinische Erkenntnis, dass Steuermehreinnahmen keine neuen Ausgaben erlauben“. Ihre sozialdemokratische Kollegin, Birgit Herdejürgen, beschied so knapp wie klar: „Für uns steht außer Frage, dass die höheren Einnahmen für die Konsolidierung des Haushalts verwendet werden müssen.“ Für den SSW stellte Lars Harms den Vorrang der Haushaltskonsolidierung fest. Diese Phalanx der Haushaltskonsolidiererinnen hatte die Finanzexpertin der FDP-Landtagsfraktion, Katharina Loedige, am 4. November eröffnet, als sie die (ausschließliche) Reduktion der Neuverschuldung forderte: „denn nur so bleibe Schleswig-Holstein zukunftsfähig“. Lediglich Ulrich Schippels von den Linken empfahl angesichts aktueller niedriger Zinsen eine „Umorientierung in der Finanzpolitik“ hin zu mehr Verschuldung. Bei einem Zinssatz unterhalb der Inflationsrate sei es an der Zeit „Geld in die Hand zu nehmen und klug zu investieren, um so das strukturelle Haushaltsdefizit nachhaltig zu entlasten.“ Die naheliegende Frage, mit welchem Geld diese Schulden zurückgezahlt werden sollen, stellte er sich nicht. Dazu sage ich nachher noch was.
Erst einmal aber die beiden weiteren Abweichler vom Konsolidierungskurs: Peter Harry Carstensen (CDU) und Wolfgang Kubicki (FDP). Beide unterstützten am Wochenende die Beschlüsse der Bundesregierung, mit der diese die Staatseinnahmen – und damit auch die Einnahmen des Landes Schleswig-Holstein – reduzieren will. Für den Ministerpräsident weisen die zusätzlichen Belastungen für den Landeshaushalt „in die richtige Richtung“, Die Steuersenkungen (so etwas wagen gemeinhin nicht mal mehr die Linken zu fordern) sei „gute Sozialpolitik“. Die beschlossenen Mehrausgaben im Bundeshaushalt (Herr Schippels nennt das „Geld in die Hand nehmen und klug investieren“) begrüßte er. Die Einführung der von der FDP abgelehnten „Herdprämie“ ist für ihn „ein wichtiger Ausdruck von Solidarität“. Der Liberale Wolfgang Kubicki hörte gute Signale für Schleswig-Holstein. Für ihn ist der Einnahmeverzicht des Staates ein Ausdruck von „Steuergerechtigkeit“.
Der liberalen Katharina Loedige, die am vergangenen Freitag noch souverän erklärt hatte, dass es „auch in Zeiten sprudelnder Staatseinnahmen“ wichtig sei, „den Pfad der Haushaltskonsolidierung nicht zu verlassen“, werden die Ohren geklingelt haben. Immerhin: Ihr Orakel, „in der jetzt folgenden Debatte werde sich zeigen, welche Parteien verantwortungsbewusste Politik für das Land betreiben. Es bleibe zu befürchten, dass die Oppositionsparteien mit teuren und bedenkenlosen Wahlversprechen das langfristige Wohl des Landes ihrem Machtstreben unterordneten“ hat sich bis auf ein Detail („Oppositionsparteien“) bewahrheitet.
Die beiden Spitzenpolitiker der Kieler Regierung sind anscheinend getrieben von der Idee, im Wahlkampf mache es sich gut, Geschenke zu machen. Dabei zeigen aktuelle Umfragen immer wieder, dass die Menschen verstanden haben, dass Verzicht das Gebot der Stunde ist. Selbst die Vorstellung, die Bürger könnte sich an das „mehr Brutto vom Netto“ der FDP erinnern und dann schallend lachen, wenn sie die vergleichsweise niedrige Entlastung als „wir haben geliefert“ kategorisiert wird, schreckt nicht ab.
Das Argument, es ginge – jedenfalls bei einem Teil des Einnahmeverzichts – um aus verfassungsrechtlicher Sicht gebotene Korrekturen, (Tobias Koch von der CDU argumentiert so) zündet nicht: Das Bundesverfassungsgericht hat mit Sicherheit keine Mindereinnahmen des Staates beschlossen. So verursachte Mindereinnahmen kann man, Willen zu nachhaltigem Handeln vorausgesetzt, durch Mehreinnahmen an anderer Stelle ausgleichen.
Gesellen sich zu Mindereinnahmen aber auch noch Mehrausgaben: Mit welchen Argumenten kann die schwarz-gelbe Regierung nun noch gleichlautende Forderungen in Kiel ablehnen?
Steuersenkungen zu Lasten des Landes sind ein Einnahmeverzicht. Und den kann das Land sich – fragen Sie den Finanzminister – nicht leisten. Denn das führt zu höheren Krediten und in der Folge zu höheren Zinsausgaben, die das Land sich nicht leisten kann. Fazit: Gradlinigkeit und Stringenz gehen anders.
Es bleibt dabei: Höhere Zinsausgaben verengen den eh schon geringen Gestaltungsspielraum der (Landes)Politik. Schulden belasten zukünftige Generationen nachhaltig. Sie verhindern auf Jahrzehnte jedweden Gestaltungsspielraum des Staates. Die Folge ist ein schwacher Staat.
Wer möchte einen schwachen Staat? Einen Staat, der den Banken und den Finanzmärkten ausgeliefert ist, weil ihm deren Kontrolle seit den 80er Jahren vollständig entglitten ist, ist ein schwacher Staat (Leseempfehlung: Die Straße der Tyrannen in der aktuellen ZEIT). Mit Blick auf die Linke: Ein schwacher Staats kann keine Ziel fortschrittlicher linker Politik sein. Nur der starker Staat kann die Schwachen stützen, Differenzen ausgleichen, Unterschiede einebnen, Lücken schließen. Um die Kontrolle über Banken, Hedgefonds, Börsenspekulanten und Rating-Agenturen erobern zu können, muss man erst einmal (wieder) unabhängig von ihnen sein, nicht wortwörtlich in deren Schuld stehen. Jeder Kredit birgt die Gefahr in sich, dass für seine Tilgung entweder ein Steuersatz erhöht oder eine Sozialleistung gesenkt werden muss. Das trifft jedes Mal endlich die Schwachen in unserer Gesellschaft. Überspitzt: Schulden sind kapitalistisch, durch und durch böse und völlig verrottet. Nur ein möglichst schuldenfreier Staat ist ein starker Staat. Wer einen starken Staat will, darf keine Schulden machen.
Oder einfach die Schulden weginflationieren? Hohe Inflation und künstlich niedrige Zinsen, immerhin haben die US-Amerikaner ihre Schuldenquote so nach dem teuren II. Weltkrieg in 10 Jahren faktisch halbiert. Mal abgesehen davon, dass ich davon keine tiefe Ahnung habe und die Turbulenzen der letzten Jahre den Verdacht aufkommen lasen, dass es allen Volkswirten auf unserem Planeten nicht anders geht, hat mich neulich ein Kommentar in der Süddeutschen überzeugt: Das wird nichts, das geht allenfalls nach hinten los. Bevor die Schulden des Staates vernichtet sind, hat es die Sparvermögen – Kollateralschaden – der „Kleinen“ vernichtet. „Wie man es auch dreht und wendet, den Politikern bleibt als Mittel gegen Finanzlöcher nur die Erhöhung von Steuern und die Senkung von Ausgaben, eine reale Konsolidierung, und kein Entfesselungstrick wie einst bei Harry Houdini, dem Zauberer.“
Lieber Swen,
gucke Dir auch mal die Spitzsteuersätze der USA (Beginnt mit dem New Deal). an Es war nicht die Inflation, die die Verschuldung abgebaut hat!
Spitzensteuersatz 1931: 25% 1932:63% und in den 50ern sogar 91% (!)
http://www.taxfoundation.org/files/fed_individual_rate_history_nominal&adjusted-20110909.pdf
Unter Reagan wurde der dann bis auf 28% gesenkt. Das Ergebnis ist bekannt, auch wenn Clinton kurzzeitig versucht hat mit einer Erhöhung gegenzusteuern. Eine langfristige Entschuldung ist noch nie über Steuersenkungen gelungen, das Gegenteil ist die historische Erfahrung, wie man an der Überwindung der Weltwirtschaftskrise und der Kriegskosten in der USA gut ablesen kann.
Hallo Kai,
ja das stimmt. Denn wenn wir uns die absolute Höhe der Schulden in den Jahren 1945 bis 1955 anschauen, dann hat sich diese kaum verändert: http://www.sgipt.org/politpsy/finanz/schuldp/usa/usa0.htm#Tabelle 1945: 258,7 Mrd $ 1955: 280,8 Mrd $. Die Schuldenquote sank zwar (laut Artikel SZ), die Schuldenhöhe jedoch nicht.
Aus meiner Sicht kommen wir nicht um Steuererhöhungen nicht herum, am Besten eingebettet in eine Steuerreform, die den Namen verdient hat.
Die absolute Schuldenhöhe ist übrigens irreführend und als „Erfolgsmesswert” ungeeignet, da sie weder Wirtschafstwachstum noch Inflation berücksichtigt. (Auch wenn zugegebenermaßen die Grafiken in absoluten Werten natürlich noch dramatischer aussehen ;-))
Die kumulierte Inflationsrate beträgt von 1945 bis 1955 ca. 50% http://www.usinflationcalculator.com/inflation/historical-inflation-rates/, d.h. von der realen Kaufkraft her gerechnet, haben die USA von 1945 bis 1955 Schulden abgebaut(!), ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von über 6% erzielt und das bei einem Spitzensteuersatz von 91%. Nach wirtschafstliberaler Lesart dürfte das gar nicht möglich sein! Komisch nur, dass sich für den liberalen Entschuldungsansatz so wenig Belege finden lassen.
Zitat:
„Der Landtag in Schleswig-Holstein hat vor 1 ½ Jahren einstimmig (nur die Linke stimmten dagegen) […]”
Einstimmig mit Gegenstimmen? Das scheint mir ein Fehler zu sein.
Stimmt, da fehlt ein „fast”. Ich trage das nach. Danke für den Hinweis.