Steuerschätzung und Wahlkampf: Zeit für Sündenfälle

Von | 9. November 2011

Die Steuerschätzung des Bundes hat die ers­te Wahlkampfsünde in Schleswig-Holstein pro­vo­ziert: Die Regierung ver­hält sich inkon­se­quent und gefähr­det die Konsolidierung des Haushaltes. Ein star­ker Staat hat kei­ne Schulden.

Dass das mit dem Schuldenmachen kei­ne pri­ma Sache ist, hat sich lang­sam rum­ge­spro­chen. Der Landtag in Schleswig-Holstein hat vor 1 ½ Jahren fast ein­stim­mig (nur die Linke stimm­ten dage­gen) eine Schuldenbremse in die Landesverfassung geschrie­ben. Geht es um zukünf­ti­ge Haushalte, dann herrscht weit­ge­hend Einheit, dass die Finanzen des Landes kei­ne Sprünge zulassen.So ver­wun­dert es nicht, wenn die Ergebnisse der jüngs­ten Steuerschätzung, die dem Land Schleswig-Holstein mehr Einnahmen als bis­lang geplant besche­ren, den Landespolitikern zum Verwechseln ähn­li­che Aussagen ent­lo­cken. 

Finanzminister Rainer Wiegard prä­sen­tier­te ges­tern (8. November 2011) die auf Schleswig-Holstein run­ter­ge­bro­che­nen Ergebnisse der Schätzung: 2011 kann er mit 230 Millionen Euro mehr rech­nen, als noch im Mai vor­her gesagt. Er setz­te die pro­gnos­ti­zier­ten Einnahmen in Beziehung zu einer älte­ren Prognose, um die „Delle“ der letz­ten Krise zu ver­deut­li­chen: „Damit haben wir das Einnahmeergebnis von 2008 schon in die­sem Jahr wie­der ein­ge­holt“. Für nächs­tes Jahr, 2012, rech­net er mit 180 Millionen Euro mehr. Und in den Jahren bis 2016 sol­len die Einnahmen jähr­lich um etwa 300 Millionen Euro stei­gen. Passiert in den nächs­ten bei­den Monaten nichts unvor­her­ge­se­he­nes (oder soll­te man in sol­chen Zeiten bes­ser: „uner­wünsch­tes“ sagen?) dann betra­gen 2011 Schleswig-Holstein Steuereinnahmen 6,88 Milliarden Euro. (Zum Vergleich: der Bilanzierungsfehler der Bad Bank der ver­staat­lich­ten HRE betrug 56 Milliarden Euro, das sind 8 Jahresgehälter des Landeshaushaltes) Schleswig-Holsteins Kassenwart sag­te, was man von ihm, trotzt begin­nen­den Wahlkampfes, hören will: „Zu ver­tei­len gibt es auf­grund die­ser Steuerschätzung nichts. Neue Aufgaben müs­sen aus dem Verzicht auf bis­he­ri­ge Aufgaben finan­ziert wer­den.“

Für Monika Heinold, finanz­po­li­ti­sche Sprecherin der Grünen im Kieler Landtag, ist es, wie sie in ihrer Reaktion auf die Steuerschätzung sag­te, eine „schles­wig-hol­stei­ni­sche Erkenntnis, dass Steuermehreinnahmen kei­ne neu­en Ausgaben erlau­ben“. Ihre sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Kollegin, Birgit Herdejürgen, beschied so knapp wie klar: „Für uns steht außer Frage, dass die höhe­ren Einnahmen für die Konsolidierung des Haushalts ver­wen­det wer­den müs­sen.“ Für den SSW stell­te Lars Harms den Vorrang der Haushaltskonsolidierung fest. Diese Phalanx der Haushaltskonsolidiererinnen hat­te die Finanzexpertin der FDP-Landtagsfraktion, Katharina Loedige, am 4. November eröff­net, als sie die (aus­schließ­li­che) Reduktion der Neuverschuldung for­der­te: „denn nur so blei­be Schleswig-Holstein zukunfts­fä­hig“. Lediglich Ulrich Schippels von den Linken emp­fahl ange­sichts aktu­el­ler nied­ri­ger Zinsen eine „Umorientierung in der Finanzpolitik“ hin zu mehr Verschuldung. Bei einem Zinssatz unter­halb der Inflationsrate sei es an der Zeit „Geld in die Hand zu neh­men und klug zu inves­tie­ren, um so das struk­tu­rel­le Haushaltsdefizit nach­hal­tig zu ent­las­ten.“ Die nahe­lie­gen­de Frage, mit wel­chem Geld die­se Schulden zurück­ge­zahlt wer­den sol­len, stell­te er sich nicht. Dazu sage ich nach­her noch was.

Erst ein­mal aber die bei­den wei­te­ren Abweichler vom Konsolidierungskurs: Peter Harry Carstensen (CDU) und Wolfgang Kubicki (FDP). Beide unter­stütz­ten am Wochenende die Beschlüsse der Bundesregierung, mit der die­se die Staatseinnahmen – und damit auch die Einnahmen des Landes Schleswig-Holstein – redu­zie­ren will. Für den Ministerpräsident wei­sen die zusätz­li­chen Belastungen für den Landeshaushaltin die rich­ti­ge Richtung“, Die Steuersenkungen (so etwas wagen gemein­hin nicht mal mehr die Linken zu for­dern) sei „gute Sozialpolitik“. Die beschlos­se­nen Mehrausgaben im Bundeshaushalt (Herr Schippels nennt das „Geld in die Hand neh­men und klug inves­tie­ren“) begrüß­te er. Die Einführung der von der FDP abge­lehn­ten „Herdprämie“ ist für ihn „ein wich­ti­ger Ausdruck von Solidarität“. Der Liberale Wolfgang Kubicki hör­te gute Signale für Schleswig-Holstein. Für ihn ist der Einnahmeverzicht des Staates ein Ausdruck von „Steuergerechtigkeit“. 

Der libe­ra­len Katharina Loedige, die am ver­gan­ge­nen Freitag noch sou­ve­rän erklärt hat­te, dass es „auch in Zeiten spru­deln­der Staatseinnahmen“ wich­tig sei, „den Pfad der Haushaltskonsolidierung nicht zu ver­las­sen“, wer­den die Ohren geklin­gelt haben. Immerhin: Ihr Orakel, „in der jetzt fol­gen­den Debatte wer­de sich zei­gen, wel­che Parteien ver­ant­wor­tungs­be­wuss­te Politik für das Land betrei­ben. Es blei­be zu befürch­ten, dass die Oppositionsparteien mit teu­ren und beden­ken­lo­sen Wahlversprechen das lang­fris­ti­ge Wohl des Landes ihrem Machtstreben unter­ord­ne­ten“ hat sich bis auf ein Detail („Oppositionsparteien“) bewahr­hei­tet. 

Die bei­den Spitzenpolitiker der Kieler Regierung sind anschei­nend getrie­ben von der Idee, im Wahlkampf mache es sich gut, Geschenke zu machen. Dabei zei­gen aktu­el­le Umfragen immer wie­der, dass die Menschen ver­stan­den haben, dass Verzicht das Gebot der Stunde ist. Selbst die Vorstellung, die Bürger könn­te sich an das „mehr Brutto vom Netto“ der FDP erin­nern und dann schal­lend lachen, wenn sie die ver­gleichs­wei­se nied­ri­ge Entlastung als „wir haben gelie­fert“ kate­go­ri­siert wird, schreckt nicht ab. 

Das Argument, es gin­ge – jeden­falls bei einem Teil des Einnahmeverzichts – um aus ver­fas­sungs­recht­li­cher Sicht gebo­te­ne Korrekturen, (Tobias Koch von der CDU argu­men­tiert so) zün­det nicht: Das Bundesverfassungsgericht hat mit Sicherheit kei­ne Mindereinnahmen des Staates beschlos­sen. So ver­ur­sach­te Mindereinnahmen kann man, Willen zu nach­hal­ti­gem Handeln vor­aus­ge­setzt, durch Mehreinnahmen an ande­rer Stelle aus­glei­chen.

Gesellen sich zu Mindereinnahmen aber auch noch Mehrausgaben: Mit wel­chen Argumenten kann die schwarz-gel­be Regierung nun noch gleich­lau­ten­de Forderungen in Kiel ableh­nen? 

Steuersenkungen zu Lasten des Landes sind ein Einnahmeverzicht. Und den kann das Land sich – fra­gen Sie den Finanzminister – nicht leis­ten. Denn das führt zu höhe­ren Krediten und in der Folge zu höhe­ren Zinsausgaben, die das Land sich nicht leis­ten kann. Fazit: Gradlinigkeit und Stringenz gehen anders. 

Es bleibt dabei: Höhere Zinsausgaben ver­en­gen den eh schon gerin­gen Gestaltungsspielraum der (Landes)Politik. Schulden belas­ten zukünf­ti­ge Generationen nach­hal­tig. Sie ver­hin­dern auf Jahrzehnte jed­we­den Gestaltungsspielraum des Staates. Die Folge ist ein schwa­cher Staat. 

Wer möch­te einen schwa­chen Staat? Einen Staat, der den Banken und den Finanzmärkten aus­ge­lie­fert ist, weil ihm deren Kontrolle seit den 80er Jahren voll­stän­dig ent­glit­ten ist, ist ein schwa­cher Staat (Leseempfehlung: Die Straße der Tyrannen in der aktu­el­len ZEIT). Mit Blick auf die Linke: Ein schwa­cher Staats kann kei­ne Ziel fort­schritt­li­cher lin­ker Politik sein. Nur der star­ker Staat kann die Schwachen stüt­zen, Differenzen aus­glei­chen, Unterschiede ein­eb­nen, Lücken schlie­ßen. Um die Kontrolle über Banken, Hedgefonds, Börsenspekulanten und Rating-Agenturen erobern zu kön­nen, muss man erst ein­mal (wie­der) unab­hän­gig von ihnen sein, nicht wort­wört­lich in deren Schuld ste­hen. Jeder Kredit birgt die Gefahr in sich, dass für sei­ne Tilgung ent­we­der ein Steuersatz erhöht oder eine Sozialleistung gesenkt wer­den muss. Das trifft jedes Mal end­lich die Schwachen in unse­rer Gesellschaft. Überspitzt: Schulden sind kapi­ta­lis­tisch, durch und durch böse und völ­lig ver­rot­tet. Nur ein mög­lichst schul­den­frei­er Staat ist ein star­ker Staat. Wer einen star­ken Staat will, darf kei­ne Schulden machen. 

Oder ein­fach die Schulden weg­in­fla­tio­nie­ren? Hohe Inflation und künst­lich nied­ri­ge Zinsen, immer­hin haben die US-Amerikaner ihre Schuldenquote so nach dem teu­ren II. Weltkrieg in 10 Jahren fak­tisch hal­biert. Mal abge­se­hen davon, dass ich davon kei­ne tie­fe Ahnung habe und die Turbulenzen der letz­ten Jahre den Verdacht auf­kom­men lasen, dass es allen Volkswirten auf unse­rem Planeten nicht anders geht, hat mich neu­lich ein Kommentar in der Süddeutschen über­zeugt: Das wird nichts, das geht allen­falls nach hin­ten los. Bevor die Schulden des Staates ver­nich­tet sind, hat es die Sparvermögen – Kollateralschaden – der „Kleinen“ ver­nich­tet. „Wie man es auch dreht und wen­det, den Politikern bleibt als Mittel gegen Finanzlöcher nur die Erhöhung von Steuern und die Senkung von Ausgaben, eine rea­le Konsolidierung, und kein Entfesselungstrick wie einst bei Harry Houdini, dem Zauberer.“

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

5 Gedanken zu “Steuerschätzung und Wahlkampf: Zeit für Sündenfälle”:

  1. Kai Dolgner

    Lieber Swen,

    gucke Dir auch mal die Spitzsteuersätze der USA (Beginnt mit dem New Deal). an Es war nicht die Inflation, die die Verschuldung abge­baut hat!
    Spitzensteuersatz 1931: 25% 1932:63% und in den 50ern sogar 91% (!)
    http://www.taxfoundation.org/files/fed_individual_rate_history_nominal&adjusted-20110909.pdf
    Unter Reagan wur­de der dann bis auf 28% gesenkt. Das Ergebnis ist bekannt, auch wenn Clinton kurz­zei­tig ver­sucht hat mit einer Erhöhung gegen­zu­steu­ern. Eine lang­fris­ti­ge Entschuldung ist noch nie über Steuersenkungen gelun­gen, das Gegenteil ist die his­to­ri­sche Erfahrung, wie man an der Überwindung der Weltwirtschaftskrise und der Kriegskosten in der USA gut able­sen kann.

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    1. Swen Wacker Post author

      Hallo Kai,

      ja das stimmt. Denn wenn wir uns die abso­lu­te Höhe der Schulden in den Jahren 1945 bis 1955 anschau­en, dann hat sich die­se kaum ver­än­dert: http://www.sgipt.org/politpsy/finanz/schuldp/usa/usa0.htm#Tabelle 1945: 258,7 Mrd $ 1955: 280,8 Mrd $. Die Schuldenquote sank zwar (laut Artikel SZ), die Schuldenhöhe jedoch nicht.
      Aus mei­ner Sicht kom­men wir nicht um Steuererhöhungen nicht her­um, am Besten ein­ge­bet­tet in eine Steuerreform, die den Namen ver­dient hat.

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      1. Kai Dolgner

        Die abso­lu­te Schuldenhöhe ist übri­gens irre­füh­rend und als „Erfolgsmesswert” unge­eig­net, da sie weder Wirtschafstwachstum noch Inflation berück­sich­tigt. (Auch wenn zuge­ge­be­ner­ma­ßen die Grafiken in abso­lu­ten Werten natür­lich noch dra­ma­ti­scher aus­se­hen ;-))
        Die kumu­lier­te Inflationsrate beträgt von 1945 bis 1955 ca. 50% http://www.usinflationcalculator.com/inflation/historical-inflation-rates/, d.h. von der rea­len Kaufkraft her gerech­net, haben die USA von 1945 bis 1955 Schulden abge­baut(!), ein durch­schnitt­li­ches Wirtschaftswachstum von über 6% erzielt und das bei einem Spitzensteuersatz von 91%. Nach wirt­schafst­li­be­ra­ler Lesart dürf­te das gar nicht mög­lich sein! Komisch nur, dass sich für den libe­ra­len Entschuldungsansatz so wenig Belege fin­den las­sen.

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  2. Axel

    Zitat:
    „Der Landtag in Schleswig-Holstein hat vor 1 ½ Jahren ein­stim­mig (nur die Linke stimm­ten dage­gen) […]”

    Einstimmig mit Gegenstimmen? Das scheint mir ein Fehler zu sein.

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