Landtagssitzung im Spiegel der Presse

Von | 30. November 2011

Die Berichterstattung über Landtagssitzungen in Schleswig-Holstein ist immer wie­der Anlass zu der Frage, war­um nicht mehr über sie in der Presse berich­tet wird. Eine Rückschau auf die letz­te Landtagssitzung, zeigt, wie viel bzw. wie wenig berich­tet wird. Das hat aber weni­ger was mit der Presse als mit unse­rem Bild von der „Wichtigkeit“ einer Plenarsitzung zu tun.

Wenn der Schleswig-Holsteinische Landtag zu sei­ner monat­li­chen Plenarsitzung zusam­men­kommt, dann ist das auch die hohe Zeit sei­nes Wunsches nach media­ler Aufmerksamkeit. Ich hat­te in Das Schweigen im Juli anhand des Auf und Ab der Vielwörterei im Rhythmus der Landtagssitzungen beschrie­ben. In gewis­ser Hinsicht ist das tra­diert. Der Schwerpunkt des par­la­men­ta­ri­schen Handelns liegt längst in den Ausschusssitzungen, wie ich in Welche Kleidergröße hat der Landtag ver­sucht habe zu bele­gen.

Die Sitzungstage in der vor­ver­gan­ge­nen Woche geba­ren vie­le Presseerklärungen (Mittwoch: 45, Donnerstag: 40, Freitag: 53, zum Vergleich die Woche davor: Mittwoch: 11, Donnerstag: 4, Freitag:14).

Über die Sitzung des Parlaments am Mittwoch fand ich Pressespiegel der Staatskanzlei und des Landtag 13 Artikel. Die Debatten am Donnerstag führ­ten zu wie­der 13 Artikeln. Über die Freitagssitzung fand ich noch ein­mal 12. Das Schleswig-Holstein-Magazin, dem täg­lich um 19.30 Uhr erschei­nen­den Nachrichtenmagazin des NDR, berich­te­te an den drei Sitzungstagen über vier Themen (den Nachrichtenblock außer Acht gelas­sen).

Über welche Landtagsthemen berichten die klassischen Medien?

Die Tagesordnung der Novembertagung des Landtages umfass­te 68 Tagesordnungspunkte. Wie üblich, wur­den man­che Themen (14) wie­der abge­setzt. Zu ande­ren, eher bei­läu­fi­gen, geschäft­li­chen, for­ma­len oder längst aus­dis­ku­tier­ten Punkte (21) fand kei­ne Aussprache statt. Betrachtet man sich die Liste (inter­es­sier­te Leser fin­den die detail­lier­te Aufstellung hier) quan­ti­ta­tiv, dann stellt man fest:

 

     

       

       

       

        • Sieben Tagesordnungspunkte, zu denen min­des­tens eine Presseerklärung erschien, fan­den brei­ten Niederschlag in der Berichterstattung (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7)

         

        • Vier wei­te­re Tagungsgegenstände wur­de nur ver­ein­zelt erwähnt (je ein Artikel) (1, 2, 3, 4)

         

         

        • Ein Tagesordnungspunkt, der ohne Aussprache und ohne Presseerklärung behan­delt wur­de, fand, wohl wegen der lokal­po­li­ti­schen Bedeutung (Asbestmülltransporte), den Weg in die Presse

         

         

        • Über elf Themen, die in Presserklärungen meh­re­rer oder aller Fraktionen erwähnt wur­den, wur­de nicht berich­tet (1,

         

         

        • Am meis­ten berich­tet und kom­men­tiert (5 Artikel, 3 Kommentare) wur­de eine Äußerung des Oppositionsführers, die er im Zusammenhang mit einem Landtagsthema gemacht hat­te. Grund der Berichterstattung war weni­ger der Anlass der Anmerkungen als das benutz­te Medium bzw. die ver­let­zen­de Wortwahl.

         

         

        • Die brei­tes­te Berichterstattung fand im (dänisch­spra­chi­gen) Flensborg Avis statt.

         

         

        • In der gan­zen Woche wur­de sehr breit über die ras­sis­tisch und rechts­ex­trem moti­vier­ten Taten einer Terrorzelle in Thüringen berich­tet. Die Debatte im Landtag hat nur ein ver­hal­te­nes Echo in der Berichterstattung gefun­den.

         

        Solche Zahlenspiele erwe­cken schnell den Eindruck, dass hier vie­les im Argen lie­ge. Und tat­säch­lich höre ich immer wie­der Sätze wie: Die Qualitätsmedien müss­ten mehr und der Sache ver­pflich­tet und nicht allein den ver­meint­li­chen Skandal berich­ten.

        Das ist zu ein­fach gedacht. Aus vie­ler­lei Gründen.

        1) Das, was in einer Demokratie an Entscheidungen getroffen wird, muss nicht a) just an dem Tag der Debatte b) eine breite Öffentlichkeit interessieren.

        Die Linie 1 der AKN (Das Unternehmen gehört dem Land zu knapp 50 Prozent und Hamburg zu 50 Prozent) fährt mit die­sel­be­trie­be­nen Zügen von Neumünster bis zum Hamburg Hauptbahnhof. Auf dem Teilstück von Kaltenkirchen nach Hamburg-Eidelstedt könn­te die Linie eine strom­be­trie­be­ne, zügi­ge fah­ren­de S-Bahn wer­den, die in wirk­li­che Konkurrenz zum Individualverkehr trä­te. An der Diskussion über die S-Bahn-Strecke zwi­schen Kaltenkirchen und HH-Eidelstedt kann man sicher­lich die Zukunft des ÖPNV, das Verhältnis zwi­schen HH und Schleswig-Holstein oder die Frage der Finanzierung von öffent­li­chen Infrastrukturmaßnahmen in föde­ra­ti­ven Staaten dis­ku­tie­ren. Im Kern bleibt es jedoch ein nur regio­nal­po­li­ti­sches als auch wenig tages­ak­tu­el­les Thema. Es wun­dert also nicht, wenn die lan­des­po­li­ti­sche Tagespresse die Diskussion nicht (unmit­tel­bar) auf­nimmt. Zudem ist in Debatte nichts „tages­ak­tu­ell“ oder „neu“ oder „ent­schei­dend“. Mittelbar fin­det das Thema mit ein wenig Verzögerung doch den Weg in die Hamburger Lokalpresse.

        2.) Keine Mitte ohne Ränder

        Ein wei­te­rer Aspekt ist die Breite der Themen, die ein Parlament beschäf­ti­gen kann und muss. Nicht jedes ist so zen­tral, dass wir ein brei­tes Interesse der gan­zen Bevölkerung erwar­ten dür­fen. Das gilt dann auch für die Medien. So man­ches Thema wird es nie in die lan­des­po­li­ti­schen Seiten oder in Schleswig-Holstein-Magazin schaf­fen. Es wird nur von einer über­schau­ba­ren Teilöffentlichkeit (etwa Landwirtschaft, oder Netzpolitik) wahr­ge­nom­men und wird vie­le Leser und Zuschauern im Bauernblatt, im Landesblog oder in der Sendung „Markt“ (im Dritten) haben. Nur weil etwas nicht im Pressespiegel steht, ist es längst noch nicht exis­tent.

        3.) Landespolitische Betroffenheit fällt nicht vom Himmel

        Das 2013 in Kraft tre­ten­de Basel III-Abkommen sieht vor, dass Banken künf­tig mehr finan­zi­el­le Mittel vor­hal­ten müs­sen, um vor etwai­gen Turbulenzen auf dem Finanzmarkt bes­ser gerüs­tet zu sein. Eine Reihe der Sparkassen in Schleswig-Holstein wird das Abkommen wegen der nun deut­lich stren­ge­ren Eigenkapital- und Liquiditätsregeln stres­sen. Da die Sparkassen der Aufsicht des Landes (Sparkassengesetz) unter­ste­hen, ist es „irgend­wie“ ein lan­des­re­le­van­tes Thema; wenn man auch ein­wen­den könn­te, dass die Sparkassen auch der Aufsicht nach dem Kreditwesengesetz unter­lie­gen sowie und die Umsetzung des Basel III-Abkommens Bundessache sein wird. Allerdings kommt die Mehrzahl der frei­en Sparkassen aus Schleswig-Holstein … Man merkt schnell: Dieses Thema ist kom­plex.
        Es so auf­zu­ar­bei­ten, dass nicht nur Expertinnen und Mitarbeiter der Sparkassen die Auswirkungen ver­ste­hen son­dern auch die Kundinnen und Kunden, braucht Zeit, Platz – und „Manpower“. In den nach mei­ner Wahrnehmung eher dünn aus­ge­stat­te­ten lan­des­po­li­ti­schen Redaktionen in Schleswig-Holstein wird das kaum zu leis­ten sein. Die Transferleistung müss­te aber schon in den Reden voll­zo­gen wer­den: Nicht „die Sparkassen“ sind betrof­fen. Sondern greif­bar nahe, sehr kon­kre­te Einrichtungen. Da der inhalt­li­che Neuigkeitswert der Debatte kaum über das bekann­te Maß hin­aus ging und zudem eine für den Zuhörer nur schwer ver­ständ­li­che Vermischung mit der Reform des Sparkassengesetzes erfolg­te wun­dert der Abwesenheit von Berichterstattung nicht.

        4.) „Die Presse“ ist kein Medium, das über alles zu berichten hätte. Sie war es auch noch nie.

        Zeitungen, zumal Tageszeitungen, sind seit ihrem ver­mehr­ten Aufkommen etwa Ende des 19. Jahrhunderts schon auf­grund ihrer exklu­si­ven Fähigkeit, vor­ta­ges­ak­tu­ell zu berich­ten, begehrt. Man hät­te ihnen sicher mit gewis­sem Recht auch eine „gesell­schaft­li­che Verpflichtung“ auf­er­le­gen kön­nen, sozu­sa­gen als Sachwalter der Öffentlichkeit die Information der Bürger zu orga­ni­sie­ren. Tatsächlich sagt man Tageszeitungen auch nach, sie hät­ten die „Aufgabe“, Bürgerinnen und Bürger breit zu infor­mie­ren (und zu kom­men­tie­ren) und so das Meinungsbild zu för­dern. Aber es besteht nun mal kei­ne Zeitungslesepflicht, die Blätter unter­lie­gen dem Wettbewerb und die Meinungsfreiheit thront dar­über.
        So ent­stand zwi­schen Parlamenten und Journalisten eine Hassliebe. In dem Buch „Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland“ berich­tet Dr. Sten Martenson, ehe­ma­li­ger Leiter der Bundespressekonferenz, von einem Streik der Reichtstags-Korrespondenten im Jahre 1908, die pro­vo­ziert durch Beschimpfungen eines Abgeordneten, für fünf Tage ihre jour­na­lis­ti­sche Arbeit ein­stell­ten; die Politiker hiel­ten die­sem Druck nicht stand. Der Vordemokrat Bismarck wird von Martensen zitiert: „Mein Respekt vor der soge­nann­ten ver­öf­fent­lich­ten Meinung, das heißt vor dem Lärm der Redner und Zeitungen, war nie­mals groß gewe­sen.“ Auch wenn in den demo­kra­ti­schen Zeiten unse­rer Geschichte die Einsicht durch­setz­te, dass es mit der Presse gut gin­ge, gegen sie aber nicht (vom Ex-Bundeskanzler Schröder wird behaup­tet, er habe gesagt, zum Regieren brau­che er nur BILD, BamS und Glotze): Daraus folgt eben nicht, dass man „der Presse“ vor­schrei­ben kön­ne, über was sie berich­tet.

        5.) Der Glaube, der (vermeintliche) Höhepunkt eines parlamentarischen Verfahrens sei auch der Höhepunkt des medialen Berichtens, ist ein Irrglaube.

        Die weit über­wie­gen­de Zahl der Gesetze und ver­gleich­ba­ren Rechtsakte initi­iert die Regierung. Das liegt zum einen in der Komplexität man­cher Dinge, zum ande­ren aber auch im Wechselspiel der par­la­men­ta­ri­schen Ebenen (Land, Bund, Europa) begrün­det. Initiativen aus der Mitte des Parlamentes, wie wir sie in Schleswig-Holstein etwa beim Glücksspielgesetz erlebt haben, sind die Ausnahme, die die Regel bestä­tigt.

        Häufig ver­hält es sich so: Die Regierung stellt ihren Entwurf (der Presse) vor. Wochen spä­ter berich­tet der Fachminister zudem noch ein­mal (der Presse) über wesent­li­che Änderungen auf­grund von Anhörungen oder ander­wei­tig beding­tem Schlauerwerden. Mittlerweile haben die Interessenverbände und Lobbyisten eben­falls ihre Mannen mobi­li­siert und (die Presse) von ihren Bedenken und Freuden infor­miert. Das Einbringen des Gesetzesentwurfes in die Plenarsitzung wird nach so viel Aufmerksamkeit häu­fig nur noch als ein wei­te­rer tech­ni­scher Akt, der kaum ein Bericht wert ist, wahr­ge­nom­men: Es ist der übli­che Gang der Dinge. Wenn alles gut läuft – ein Landtagsausschuss z.B. eine Anhörung ver­an­stal­tet, die wis­sens­wer­te neue Eindrücke und Sichtweisen lie­fert – dann kommt es in der Tagespresse noch ein­mal zu Meldungen. Danach ist dann aber auch beim span­nends­ten Thema irgend­wann die Luft drau­ßen. Wird das Thema dann letzt­ma­lig im Landtag debat­tiert und beschlos­sen, dann ist nicht nur bei den Rednerinnen und Rednern im Landtag die argu­men­ta­ti­ve Lust ver­gan­gen son­dern auch die media­le Luft drau­ßen.

        Bei vie­len der Themen, zu denen Presseerklärungen meh­re­rer oder aller Fraktionen ver­teilt wur­den, über die aber nicht berich­tet wur­de (1,), fin­den wir in den Zeitungsarchiven oder unse­ren pri­va­ten Zettelkästen reich­lich Presseartikel.

        6.) Landesjournalisten berichten über Landesparlamente, die Landespolitik machen

        Hört sich banal an, ist es aber nicht. Am schon erwähn­ten Beispiel Basel III hat­te ich es wei­ter oben schon ange­ris­sen: Keiner Presseerklärung, kei­ne Rede gelang es anschei­nend, die­ses Thema wirk­lich auf Schleswig-Holstein run­ter­zu­bre­chen und span­nen­de Betroffenheit auf­zu­bau­en. Allein das Wort „Sparkassengesetz“ macht aus dem Thema noch kei­ne Landespolitik. Das Thema so auf­zu­grei­fen, dass die tat­säch­li­che Betroffenheit der regio­na­len Sparkasse aus dem Wahlkreis dar­ge­stellt wird, gelang kei­ner Rednerin, kei­nem Redner. Das Thema bleibt damit ein Bundes- oder Europathema, sper­rig dazu.
        Das ist kein Einzelfall. Die Bundesratsinitiative für ein Verbot von Wildtierhaltung in Zirkussen zum Beispiel. Im Bundesrat stimmt die Landesregierung ab, sie müss­te sich nicht ein­mal an das Votum des Landtages hal­ten. Und das ist auch gut so, denn das all­täg­li­che Regierungsarbeit und die Stimmabgabe der Regierung im Bundesrat ist sel­ten ein ein­fa­ches Ja.
        Oder die Debatte über das Personenbeförderungsgesetz, ein Bundesgesetz. Wie auch der Tagesordnungspunkt Abfallgesetz. Und ein Mindestlohn/​die Lohnuntergrenzen wür­den eben­falls in der Hauptstadt der Republik ver­ab­schie­det wer­den.
        Und nur weil ein Thema auch in Schleswig-Holstein pas­siert, ist es des­halb schon lan­des­po­li­tisch rele­vant. Natürlich ist es ange­sichts des gras­sie­ren­den Schwindels bei der Erlangung von Promotionen und Habilitationen gut zu wis­sen, was in Schleswig-Holsteins Universitäten abgeht. Aber was bit­te hat das Thema in einer Plenarsitzung zu suchen? 

        Zusammenfassend fin­de ich kei­nen Ansatzpunkt, groß­ar­ti­ge Kritik an der Landespresse hin­sicht­lich der Berichterstattung über die Landtagssitzung zu üben.

        Und wäre es so, dann wäre das nicht dra­ma­tisch, weil es zuneh­mend Wege gibt, unmit­tel­bar die Kommunikation zwi­schen Parlament, Fraktionen, Abgeordneten einer­seits und Bürgerinnen und Bürger ande­rer­seits zu gestal­ten. Darüber will ich reden, bevor ich mich fra­ge, was im Landtag anders lau­fen könn­te. Denn ich fin­de es schon wich­tig, dass mehr über den Landtag berich­tet wird.

        Mitten im Wandel

        Zunehmend ver­schwin­det das Unbehagen „der Politik“ über die gefühl­te Abhängigkeit von „der Presse“. Das Monopol, aktu­ell zu berich­ten, ist gebro­chen. Seit dem Beginn des Zeitalters des WWW, in dem „Everyone’s a publisher“ gilt, ist die Filterfunktion der Presse einem deut­li­chen, längst noch nicht voll­ende­ten Wandel unter­wor­fen.

        Auf Seiten „der Politik“ erwei­tert sich der Begriff der Akteure. Nicht allein demo­kra­tisch gewähl­te Gremien wol­len poli­ti­sche Prozesse betrei­ben. NGOs oder spon­ta­ne Zusammenschlüsse inter­es­sier­ter Bürger begeh­ren Teilhabe an den Gestaltungsprozessen.

        Auch die Parteien öff­nen sich Nichtmitgliedern. Die SPD in Schleswig-Holstein hat einen Demokratiesommer hin­ter sich, die CDU lässt Nichtmitglieder an ihrem Landtagswahlprogramm mit­dis­ku­tie­ren.

        Die „Gatekeeper“-Funktion der Medien, also der Einfluss, den die Medien als Schleusenwärter auf dem Weg der Information durch den Veröffentlichungskanal neh­men, deut­lich gerin­ger gewor­den. Besonders durch die Verbreitung des Zugangs zum Internet und der Weiterentwicklung der Web 2.0-Techniken hat sich der kul­tu­rel­le Wandel im Informationsfluss ver­stärkt. Die Bürger sind zuneh­mend gewillt und bereit, Informationen unge­fil­tert zu erhal­ten und deren Filterung selbst zu gestal­ten.

        Der Landtag berichtet selbst

        Der Landtag hat dar­auf längst reagiert. Wer den Links zu den oben genann­ten Beispielen aus der Tagesordnung der letz­ten Sitzung gefolgt ist, der wird die Informationstexte, die der Landtag zu jedem Thema und zum Verlauf der Debatte bereit­stellt, ken­nen. Schon wäh­rend des Sitzungsverlaufes kann sich jeder über Hintergründe und Argumente der Fraktionen infor­mie­ren. Plenum-online, das sich selbst als die „ers­te und ein­zi­ge Internetzeitung eines deut­schen Parlaments“ bezeich­net und deren Redaktion wäh­rend des Verlaufes jeder Sitzung die par­la­men­ta­ri­schen Dokumente aktua­li­siert, Berichte zu den Tagungsthemen ein­stellt und in abseh­ba­rer Zeit auch den Livestream jeder Sitzung auf­be­rei­ten und dau­er­haft vor­hal­ten wird, leis­tet eine nicht hoch genug zu loben­de Berichterstattung über jeden Tagesordnungspunkt jeder Plenarsitzung. Die Bündelung des Informationsangebotes (Als Beispiel: Das ist die Einladung zu einer Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses, das der dazu­ge­hö­ri­ge Vorgang) im Landtagsinformationssystem lässt auf der Ebene der Beschaffung vor­han­de­ner Informationen schon vie­le Wünsche wahr wer­den. Sicher, das Layout darf noch wach­sen, man­cher mag sich eine Schnittstelle wün­schen, um die Daten selbst auf­be­rei­ten zu kön­nen … aber all so etwas soll­te das Lob für den infor­ma­to­ri­schen Fortschritt, den wir haben, nicht schmä­lern.

        Strukturenwandel

        Nicht zu unter­schät­zen ist auch die gestie­ge­ne Bandbreite der Informationsquellen. Abgeordneten reden nicht nur in Parlamenten oder geben Presseerklärungen her­aus. Sie twit­tern, äußern sich bei Facebook, unter­hal­ten Blogs. Der Journalist muss die Fülle (von Flut mag ich nicht reden, Flut ist nega­tiv besetzt) erfas­sen, sor­tie­ren, abglei­chen, auf­be­rei­ten und schnel­ler als noch vor 20 Jahren prä­sen­tie­ren. Pressesprecher haben nicht nur die ihnen bekann­ten Journalisten aus dem Medien, son­dern auch Blogger, jour­na­lis­ti­sche Blogger, blog­gen­de Journalisten … Wo solch ein Wandel in den Berichterstattungsprozessen pas­siert, wan­delt sich auch die Berichterstattung. Landespolitische Seiten sind, wenn wir sie mit dem ver­glei­chen, was uns selbst in Erinnerung ist oder was wir in Büchern wie dem oben schon erwähn­ten „Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland“ lesen kön­nen, längst nicht mehr Mitteilungsblätter wo „die Chronistenpflicht gebie­tet“, Ereignisse her­un­ter­zu­be­ten. Sie wer­den, so mein sub­jek­ti­ver Eindruck, mehr und mehr der Platz für poin­tier­te, exem­pla­ri­sche Darstellungen, ein­ord­nen­de oder über­blick ver­schaf­fen­de Berichte und könn­ten in Zukunft noch inten­si­ver vom Sammler von Informationen zum Aufbereiter, zum Kurator von Informationen wer­den.

        Doch zurück zu unse­rem Patienten, dem Landtag.

        Was könnte im Landtag anders laufen?

        Parlamente refor­mie­ren sich in einem stän­di­gen Prozess. Mal sind die Anlässe erleb­te Krisen (etwa die Reformen in Schleswig-Holstein nach der Barschelaffäre 1987), manch­mal sind es klei­ne Schritte. Thorsten Geerdts, Landtagspräsident im Kieler Landtag hat im April eine Initiative zum Parlamentarismus im Wandel ange­sto­ßen, die wohl flei­ßig tagt und bald hof­fent­lich eben­so  inno­va­ti­ve wie ein­ver­nehm­li­che Anstöße lie­fern wird. Vieles von dem, was ich in die­sem Beitrag an Kritik anriss und zur Forderung wen­den könn­te, wird in der Initiative schon erwähnt: direk­ter Landesbezug in Plenardebatten; Landtag als Ort der Debatte über die Zukunft des Landes; geziel­te­re Öffentlichkeitsarbeit der Ausschüsse.

        Manchen Vorschlägen ste­he ich skep­tisch gegen­über:

          • Ein Parlament, das sich als zen­tra­ler Ort der Zukunftsdebatte ver­steht, ver­lö­re sich im klein­klein, wenn es ein Weisungsrecht des Parlamentes gegen­über der Landesregierung bei Entscheidungen des Bundesrates ver­langt. Der Kapitän bestimmt den Kurs, weicht nicht ein­zel­nen Wellen aus.
          • Eigene Pressekonferenzen der Abgeordneten mögen für vie­le Abgeordnete eine span­nen­de Erfahrung mit vie­len unge­ahn­ten Ergebnissen sein. Mehr ritua­li­sier­te Pressearbeit „in Kiel“ braucht es aber wohl nicht. Eher anders her­um: Mehr Argumente und Sichtweisen der Menschen und Institutionen „vor Ort“ könn­te in die par­la­men­ta­ri­sche Argumentation drän­gen.
          • Das Argument, der twit­tern­de oder ein ande­re sozia­les Netzwerk benut­zen­de Abgeordnete eröff­ne Paralleldebatten im Plenum, die für das Präsidium nicht nach­voll­zieh­bar und daher schwer zu kon­trol­lie­ren sei­en, kann nur nach hin­ten los gehen. Zum einen hat sich bis­lang stets gezeigt, wie gut so etwas nach­voll­zieh­bar ist, zum ande­ren gab es die Kontrolle schon vor Twitter und Co nicht. Abgeordneten, die etwa mit Journalisten in der Lobby des Landtages spra­chen und auf die­sem Weg die­ses oder jenes ver­brei­te­ten, ent­zo­gen sich – völ­lig zu Recht und völ­lig unspek­ta­ku­lär – seit jeher der „Kontrolle“ des Präsidiums. Ein Verhaltenskodex spe­zi­ell für die­se Medien erhöh­te allen­falls deren Bedeutung. Es ist völ­lig egal, ob Abgeordnete A. aus B. etwas „schrieb“, „sag­te“, „ins Telefon nuschel­te“ oder „twit­ter­te“. Wenn ich den Werkzeug der Kommunikation und nicht den Inhalt der Kommunikation the­ma­ti­sie­re oder stig­ma­ti­sie­re, ste­he ich mir selbst im Weg.
            Es geht in der strit­ti­gen Frage zum einen um Anstand. Dessen Regeln ändern sich wenig und nur lang­sam. Dafür brau­chen erwach­se­ne Menschen kei­nen Kodex.
            Zum ande­ren geht es um Benimmregeln. Die ändern sich, manch­mal sogar recht zügig. Und pas­sen des­halb in kei­nen Kodex. Wer das nicht glaubt, der beant­wor­te die Frage, ob männ­li­che Abgeordneten nicht doch bes­ser ver­pflich­tet wer­den sol­len, einen Schlips aber nie wei­ße Socken zu tra­gen.

          In ande­ren Punkten belegt die obi­ge Auswertung die Vorschläge:

           

          • Die Notwendigkeit, was in der Plenarsitzung debat­tiert wer­den „muss“, muss enger gefasst wer­den. Das Plenum ist ein wich­ti­ger Teil des par­la­men­ta­ri­schen Ablaufes, sicher auch im Wortsinne häu­fig das „ent­schei­den­de“ Gremium, aber nicht der media­le Mittelpunkt.
          • Landesbezüge müs­sen sich prä­gnan­ter in Anträgen, Reden oder Presseerklärungen fin­den.
          • Die Ausschussarbeit muss belebt wer­den. Dafür müs­sen sich die Abgeordneten aus der Rolle befrei­en, im Ausschuss „Plenum“ zu spie­len.
            Starke Abgeordnete nut­zen die Ausschussberatung (die in Schleswig-Holstein schon seit den 1990er-Jahren öffent­lich tagen), um Fragen zu stel­len, um dazu­zu­ler­nen, um ihre Argumente zu prü­fen, um in der Sache „mei­nungs­fes­ter“ wer­den zu kön­nen. Schaufensterreden braucht dort nie­mand. Abgeordnete, die wäh­rend der Dauer eines par­la­men­ta­ri­schen Verfahrens vehe­ment eine Meinung ver­tre­ten, in den Beratungen aber kei­ne Fragen stel­len, wir­ken nicht sou­ve­rän. Die Öffentlichkeit, Bürger wie Berichtende, dür­fen das Stellen von Fragen wie­der­um nicht als Schwäche ver­ste­hen.
            Transparenz gin­ge mit der Öffentlichkeit der Ausschüsse ein­her, wenn der Zuhörer weni­ger den Eindruck hät­te, die ent­schei­den­de Verständigung über das Anliegen sei schon im Vorfeld der Sitzung erfolgt. 

          Wir kön­nen gespannt sein auf die Ideen der Parlamentarier. Nötig sind neue Ideen, um die par­la­men­ta­risch gebun­de­ne Landespolitik zu bele­ben und ent­kramp­fen.

          Von:

          Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

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