ÖPP-Projekt L 192: Nichts Neues außer neue Worte - Baumaufsicht und Baumschächtungen

Von | 19. Januar 2012

Die Landesstraße 192 ist seit Jahren in einem schlech­ten Zustand. Schon 2004 teil­te der Verkehrsminister dem Abgeordneten Harms (SSW) mit, dass die Grundsubstanz der L 192 aus einer in den 1930er Jahren her­ge­stell­ten Betonfahrbahn bestehe. Die gesam­te Strecke zwi­schen Süderlügum und Ellund sei durch Risse und Aufplatzungen gekenn­zeich­net, eine in der Mitte der 1990er Jahre auf­ge­brach­te Oberflächenbehandlung löse sich ab. Betonplatten ver­schie­ben sich; Schlaglöcher, Querrisse und Absackungen präg­ten ihr trau­ri­ges Bild.

Da die Baulast für Landesstraßen das Land trägt, das Land aber kein Geld hat, einig­te man sich auf ein ÖPP-Projekt, das in den Jahren 2008 und 2009 die Politiker im Landtag aus­gie­big beschäf­tig­te.

Um ÖPP-Projekte (Öffentlich-Private Partnerschaft, auch Public Private Partnership (PPP)) zu erklä­ren, wird gern tief in die Buzzwort-Kiste gegrif­fen und von „Mobilisierung pri­va­ten Kapitals und Fachwissens zur Erfüllung staat­li­cher Aufgaben“ oder „koope­ra­ti­ven Zusammenwirken von Hoheitsträgern mit pri­va­ten Wirtschaftssubjekten“ schwa­dro­niert. Häufig genug geht es aber allein um die Mobilisierung von Kapital zur Finanzierung zwin­gend erfor­der­li­cher hoheit­li­cher Aufgaben – was prak­tisch ist, weil man sich jetzt dafür kein Geld bei Banken lei­hen muss und statt­des­sen zukünf­ti­ge Generationen mit noch wei­ter ver­stei­ner­ten Haushalten ner­ven kann. Die Vorstellung fußt außer­dem auf der Annahme, dass „die Behörden“ eh nicht effi­zi­ent arbei­ten und wirt­schaf­ten kön­nen. ÖPP kann man dif­fe­ren­zier­ter und distan­zier­ter sehen (so machen das die eher kri­tisch gestimm­ten Rechnungshöfe von Bund und Ländern – Seite 43ff in dem ganz frisch ver­öf­fent­lich­ten Gemeinsamen Erfahrungsbericht zur Wirtschaftlichkeit von ÖPP-Projekten – oder (so wie ich) für schlich­ten, ideo­lo­gisch moti­vier­ten Dummfug hal­ten.

Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren, am 21. Januar 2010 wur­de der ers­te Spaten an der L 192 gesto­chen. Das ÖPPPP (ÖPP-Pilot-Projekt) „Grundinstandsetzung der L 192“ von Ellund bis Süderlügum begann. Das Ministerium ging dop­pelt sicher, es wur­de nicht nur der ers­te Spatenstich gesetzt, son­dern zugleich noch der „offi­zi­el­le Startschuss“ gege­ben. Im Hintergrundmaterial des Verkehrsministeriums wur­de das Projekt, die Straße und die Schwedischen Mehlbeeren, die bei Bau der L 192 als Alleebäume ange­pflanzt wur­den, gerühmt. Nicht so gerühmt wur­de die Entstehungsgeschichte der Straße: Sie wur­de 1938 von 250 Jugendlichen des Reicharbeitsdienstes als Panzerstraße gebaut, sie dien­te der Grenzsicherung zwi­schen Deutschland und Dänemark. Aus dem Lagerareal des Reichsarbeitsdienstes wur­de übri­gens spä­ter ein Nebenlager des Konzentrationslagers Neuengamme.

Ein Jahr nach Baubeginn wur­de dann das ÖPP-Vorzeigeprojekt zum Ärgernis. Ein Sturm am Wochenende 5./6. Februar 2011 kipp­te eini­ge Bäume ent­lang der Straße um. Auf 30 km muss­te die Strecke am 11. Februar 2011 kurz­fris­tig gesperrt wer­den. Die Begutachtung ergab: An etwa 300 Bäumen wur­den Schäden an den Wurzeln fest­ge­stellt, die Standfestigkeit der Bäume in Zweifel gezo­gen. „Offensichtlich sei“, so erläu­ter­te Staatssekretärin Dr. Tamara Zieschang dem Umwelt- und Agrarausschuss, „dass der Bauunternehmer die Auflagen, die in dem Projektvertrag hin­sicht­lich des Baumschutzes expli­zit fest­ge­schrie­ben sei­en, nicht beach­tet habe“.

Seitdem beschäf­tigt sich der Kieler Landtag mit dem mitt­ler­wei­le gefäll­ten Bäumen. Akten (und eine CD) wur­de in der Sache „Baumschäden an der L 192” den Ausschüssen vor­ge­legt, Berichte vor­ge­tra­gen und Umdrucken ver­um­druckt – das ist Behördendeutsch und ver­sprech­schö­nert den Umstand, dass ein Dokument hun­dert­fach kopiert und an Gott und die Welt und den Landtag ver­schickt und wahr­schein­lich eben­so hun­dert­fach unge­le­sen in den Papierkörben (beschleu­nig­tes Verwaltungsverfahren) oder Akten (vor­schrif­ten­ge­treu­es Verwaltungsverfahren) ver­schwin­den wird.

Gestern (18. Januar 2012) hat sich Wirtschaftsausschuss auf Antrag der SPD mit den Bäumen beschäf­tigt. Denn wich­ti­ge Fragen sind noch offen.

Die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Abgeordnete Regina Poersch fand nach der Sitzung, dass die Baumaufsicht ver­sagt habe. Ich bin mir unsi­cher, ob das „m“ jetzt ein Schreibfehler, eine Freudsche Fehlleistung oder ein guter Witz ist. Ich bin für letz­te­res.

Björn Thoroe von den Linken war „erstaunt, dass das Ministerium zugibt, die Sanierung hät­te sechs Monate län­ger gedau­ert, wären die Baumschächtungen wie vor­ge­schrie­ben von Hand durch­ge­führt wor­den.“ Ich gebe zu, dass ich das Wort Baumschächtung nicht kann­te (genau­ge­nom­men ken­ne ich es immer noch nicht, Google kennt es auch nicht) und mich eine klit­ze­klei­ne Sekunde lang gefragt habe, ob es sich dabei um eine kosche­re Art des Bäumeschlach­tensfäl­lens han­deln könn­te.

Die bei­den Christdemokratinnen Astrid Damerow und Petra Nicolaisen erklär­ten gemein­sam, dass es nun(sic!) gel­te, „Ansprüche an das Bauunternehmen zu prü­fen und durch­zu­set­zen“ und: „Das wird auch pas­sie­ren“. Ja gut, das beru­higt. Es ist ja auch erst ein Jahr her. Man muss sol­che Sachen mit Umsicht ange­hen.

Ich neh­me an, irgend­wann in den nächs­ten Wochen kommt der Punkt, an dem all die Bäume, die an der L 192 gefällt wer­den muss­ten, aus­nahms­los für das Papier her­hal­ten muss­ten, das bis­lang für all die Umdrucke, Drucksachen, Presseerklärungen und Protokolle nötig war. Vielleicht am 25. April. Dann bege­hen wir den Tag des Baumes zum 60sten Mal.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

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