Die Landesstraße 192 ist seit Jahren in einem schlechten Zustand. Schon 2004 teilte der Verkehrsminister dem Abgeordneten Harms (SSW) mit, dass die Grundsubstanz der L 192 aus einer in den 1930er Jahren hergestellten Betonfahrbahn bestehe. Die gesamte Strecke zwischen Süderlügum und Ellund sei durch Risse und Aufplatzungen gekennzeichnet, eine in der Mitte der 1990er Jahre aufgebrachte Oberflächenbehandlung löse sich ab. Betonplatten verschieben sich; Schlaglöcher, Querrisse und Absackungen prägten ihr trauriges Bild.
Da die Baulast für Landesstraßen das Land trägt, das Land aber kein Geld hat, einigte man sich auf ein ÖPP-Projekt, das in den Jahren 2008 und 2009 die Politiker im Landtag ausgiebig beschäftigte.
Um ÖPP-Projekte (Öffentlich-Private Partnerschaft, auch Public Private Partnership (PPP)) zu erklären, wird gern tief in die Buzzwort-Kiste gegriffen und von „Mobilisierung privaten Kapitals und Fachwissens zur Erfüllung staatlicher Aufgaben“ oder „kooperativen Zusammenwirken von Hoheitsträgern mit privaten Wirtschaftssubjekten“ schwadroniert. Häufig genug geht es aber allein um die Mobilisierung von Kapital zur Finanzierung zwingend erforderlicher hoheitlicher Aufgaben – was praktisch ist, weil man sich jetzt dafür kein Geld bei Banken leihen muss und stattdessen zukünftige Generationen mit noch weiter versteinerten Haushalten nerven kann. Die Vorstellung fußt außerdem auf der Annahme, dass „die Behörden“ eh nicht effizient arbeiten und wirtschaften können. ÖPP kann man differenzierter und distanzierter sehen (so machen das die eher kritisch gestimmten Rechnungshöfe von Bund und Ländern – Seite 43ff in dem ganz frisch veröffentlichten Gemeinsamen Erfahrungsbericht zur Wirtschaftlichkeit von ÖPP-Projekten – oder (so wie ich) für schlichten, ideologisch motivierten Dummfug halten.
Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren, am 21. Januar 2010 wurde der erste Spaten an der L 192 gestochen. Das ÖPPPP (ÖPP-Pilot-Projekt) „Grundinstandsetzung der L 192“ von Ellund bis Süderlügum begann. Das Ministerium ging doppelt sicher, es wurde nicht nur der erste Spatenstich gesetzt, sondern zugleich noch der „offizielle Startschuss“ gegeben. Im Hintergrundmaterial des Verkehrsministeriums wurde das Projekt, die Straße und die Schwedischen Mehlbeeren, die bei Bau der L 192 als Alleebäume angepflanzt wurden, gerühmt. Nicht so gerühmt wurde die Entstehungsgeschichte der Straße: Sie wurde 1938 von 250 Jugendlichen des Reicharbeitsdienstes als Panzerstraße gebaut, sie diente der Grenzsicherung zwischen Deutschland und Dänemark. Aus dem Lagerareal des Reichsarbeitsdienstes wurde übrigens später ein Nebenlager des Konzentrationslagers Neuengamme.
Ein Jahr nach Baubeginn wurde dann das ÖPP-Vorzeigeprojekt zum Ärgernis. Ein Sturm am Wochenende 5./6. Februar 2011 kippte einige Bäume entlang der Straße um. Auf 30 km musste die Strecke am 11. Februar 2011 kurzfristig gesperrt werden. Die Begutachtung ergab: An etwa 300 Bäumen wurden Schäden an den Wurzeln festgestellt, die Standfestigkeit der Bäume in Zweifel gezogen. „Offensichtlich sei“, so erläuterte Staatssekretärin Dr. Tamara Zieschang dem Umwelt- und Agrarausschuss, „dass der Bauunternehmer die Auflagen, die in dem Projektvertrag hinsichtlich des Baumschutzes explizit festgeschrieben seien, nicht beachtet habe“.
Seitdem beschäftigt sich der Kieler Landtag mit dem mittlerweile gefällten Bäumen. Akten (und eine CD) wurde in der Sache „Baumschäden an der L 192” den Ausschüssen vorgelegt, Berichte vorgetragen und Umdrucken verumdruckt – das ist Behördendeutsch und versprechschönert den Umstand, dass ein Dokument hundertfach kopiert und an Gott und die Welt und den Landtag verschickt und wahrscheinlich ebenso hundertfach ungelesen in den Papierkörben (beschleunigtes Verwaltungsverfahren) oder Akten (vorschriftengetreues Verwaltungsverfahren) verschwinden wird.
Gestern (18. Januar 2012) hat sich Wirtschaftsausschuss auf Antrag der SPD mit den Bäumen beschäftigt. Denn wichtige Fragen sind noch offen.
Die sozialdemokratische Abgeordnete Regina Poersch fand nach der Sitzung, dass die Baumaufsicht versagt habe. Ich bin mir unsicher, ob das „m“ jetzt ein Schreibfehler, eine Freudsche Fehlleistung oder ein guter Witz ist. Ich bin für letzteres.
Björn Thoroe von den Linken war „erstaunt, dass das Ministerium zugibt, die Sanierung hätte sechs Monate länger gedauert, wären die Baumschächtungen wie vorgeschrieben von Hand durchgeführt worden.“ Ich gebe zu, dass ich das Wort Baumschächtung nicht kannte (genaugenommen kenne ich es immer noch nicht, Google kennt es auch nicht) und mich eine klitzekleine Sekunde lang gefragt habe, ob es sich dabei um eine koschere Art des Bäumeschlachtensfällens handeln könnte.
Die beiden Christdemokratinnen Astrid Damerow und Petra Nicolaisen erklärten gemeinsam, dass es nun(sic!) gelte, „Ansprüche an das Bauunternehmen zu prüfen und durchzusetzen“ und: „Das wird auch passieren“. Ja gut, das beruhigt. Es ist ja auch erst ein Jahr her. Man muss solche Sachen mit Umsicht angehen.
Ich nehme an, irgendwann in den nächsten Wochen kommt der Punkt, an dem all die Bäume, die an der L 192 gefällt werden mussten, ausnahmslos für das Papier herhalten mussten, das bislang für all die Umdrucke, Drucksachen, Presseerklärungen und Protokolle nötig war. Vielleicht am 25. April. Dann begehen wir den Tag des Baumes zum 60sten Mal.