Landtag: Arbeitsparlament oder Quasselbude?

Von | 25. Januar 2012

Ist der Landtag ein Arbeitsparlament oder eine Quasselbude? Eine Kategorisierung lässt den Schluss zu, dass drei von vier Themen im Landtag zum „Kerngeschäft“ gehö­ren. 

Ein belieb­ter Vorwurf, dem auch ich ab und an gern nach­hän­ge, ist, dem Landtag zu unter­stel­len, er beschäf­ti­ge sich zu häu­fig mit unnö­ti­gen Themen. Er dis­ku­tie­re Dinge, die er weder bewe­gen noch beför­dern kön­ne und ver­kom­me so zur Quasselbude, der ein eigen­stän­di­ges schles­wig-hol­stei­ni­sches Profil feh­le. Weshalb es kein Wunder sei, dass sei­ne Debatten kaum Resonanz fän­den. Ein paar die­ser Vorwürfe habe ich vor ein paar Wochen in die­sem Artikel unter­ge­bracht.

Nun sind Eindrücke und Vorwürfe das eine – Statistiken sind aber auch was. Deshalb habe ich mir die Tagesordnung der heu­te begin­nen­den Landtagssitzung vor­ge­nom­men und die Tagesordnungspunkte (TOP) kate­go­ri­siert. Wiederholte man drei- oder vier­mal die Kategorisierung, dann könn­te man ein Bild dar­über gewin­nen, ob Arbeitsparlament oder Quasselbude zutref­fen­der ist.
Ich bin noch nicht ganz sicher, ob die Kategorien aus­rei­chend und sinn­voll sind und freue mich des­halb über Verbesserungsvorschläge. Natürlich kann man über die Zuordnung strei­ten und nicht zuletzt hängt es auch vom Verlauf der Debatte ab, ob ein Thema wirk­lich „am Land“ ori­en­tiert dis­ku­tiert wird, oder ob es in Beliebigkeit zer­fa­sert.
Die Idee ist, mit den Kernaufgaben zu begin­nen und bei den Folgen des Waldsterbens in der Antarktis zu enden. Wobei letz­te­re Kategorie nicht in ers­ter Linie  das jewei­li­ge Thema ent­wer­ten soll, son­dern ver­deut­licht, dass kei­ne Umsetzung in den Kernkompetenzfeldern des Landtages gefor­dert oder beschlos­sen wird.

Eigenbeschäftigung: Dinge, die ein Landtag tun muss, weil er ein Landtag ist.

Landesrecht: Themen, die in den Landtag zwin­gend gehö­ren, weil er die gesetz­ge­ben­de Gewalt ist.

Landespolitik: Themen, die zum Aufgabenkanon eines Landes in der Bundesrepublik Deutschland gehö­ren, ohne Landesrecht zu sein. Also die Kontrolle der Regierung/​Verwaltung (Exekutive) und der Gerichte (Judikative), aber auch die Reflexion kom­mu­nal­po­li­ti­scher Themen. Oft, aber nicht immer, geht es dabei um Geld, also um den Landeshaushalt.

Föderalismus: Themen, die im Rahmen der ver­fas­sungs­recht­li­chen Aufgabenteilung dem Bund oder der Gesamtheit der Länder oblie­gen, aber nicht oblie­gen müs­sen. Themen, die man unter der Überschrift „nord­deut­sche Zusammenarbeit” zusam­men­fas­sen könn­te, habe ich eben­falls hier zuge­ord­net.

Fremdgeld: Das Thema hat Auswirkungen auf den Landeshaushalt (und damit auf die Landespolitik), es han­delt sich aber im Wesentlichen um durch­lau­fen­de Bundes- oder EU-Mittel, zumeist gibt es einen Eigenanteil des Landes sowie die Kosten der Verwaltung.

Bundesrecht: Themen, deren Zuordnung zum Bund in dem aktu­el­len Kontext nicht in Frage gestellt wer­den: Der Landtag hat kei­ne unmit­tel­ba­re Regelungskompetenz, die Regierung kann evtl. über den Bundesrat oder „in Berlin” ein­wir­ken.

EU-Recht: Der Landtag hat kei­ne Regelungskompetenz, die Regierung kann evtl. über den Bundesrat oder „in Brüssel” (mit­tel­bar) ein­wir­ken.

Bundespolitik: Themen, deren Zuordnung zum Bund in dem aktu­el­len Kontext nicht in Frage gestellt wer­den: Der Landtag hat kei­ne unmit­tel­ba­re Regelungskompetenz, die Regierung eben­falls nicht.

Europapolitik: Der Landtag hat kei­ne Regelungskompetenz, die Regierung eben­falls nicht.

Appell: Allgemeinpolitische Äußerung, ent­we­der an den Bürger oder in die Zukunft gerich­tet.

Folgen des Waldsterbens in der Antarktis:

TOP, die von der TO abge­setzt wer­den sol­len, kate­go­ri­sie­re ich nicht.

In einer Sammeldrucksache wer­den Gesetzentwürfe, Anträge, Berichte, Beschlussempfehlungen der Ausschüsse und Wahlvorschläge auf­ge­führt, über die eine Aussprache nicht vor­ge­se­hen ist. Sofern kein Abgeordneter wider­spricht, ent­schei­det der Landtag in einer Gesamtabstimmung.

 

Von den 26 Tagesordnungspunkten, zu denen eine Aussprache vor­ge­se­hen ist, fal­len 20 unter die ers­ten vier Kategorien. Das sind 76 Prozent Kernkompetenzthemen.

Update: Durch einen Defekt in der Tonanlage ent­fiel die heu­ti­ge (25. Januar) Vormittagssitzung fast voll­stän­dig. Die Sitzung begann fak­tisch erst um 15.00 Uhr. Der Ältestenrat hat vier TOP abge­setzt und bei zwei­en die Aussprache gestri­chen. Es ver­blei­ben 18 TOP mit Aussprache, davon sind 15 Kernkompetenzthemen (83 %). Der Landtag hat ent­schie­den, sich in zeit­li­cher Enge auf Kernthemen zu kon­zen­trie­ren.

Bei den Sammeldrucksachen gehö­ren 18 von 24 TOP zu den Kernkompetenzthemen, das ent­spricht exakt 75 Prozent.

 

TOPZuordnung
TOP 1 Bildungsfinanzierung – KooperationsverbotFöderalismus
TOP 26 Erhalt Sexualmedizin am UKSHLandespolitik
TOP 3 LandesjagdgesetzLandesrecht
TOP 4 WeiterbildungsgesetzLandesrecht
TOP 16 b und 31 Antibiotikaeinsatz in der TierhaltungBundesrecht
TOP 8 KonnexitätsausführungsgesetzLandesrecht
TOP 9 KommunalabgabengesetzLandesrecht
TOP 21 Rückstellungen f. AKW-StilllegungBundesrecht
TOP 48 Tätigkeitsbericht des PetitionsausschussesEigenbeschäftigung
TOP 58 Bericht ZukunftsinvestitionsgesetzFremdgeld
TOP 23 und 33 Norddeutsche Hafenkooperation, ElbvertiefungFöderalismus
TOP 25 Faschist_innen-Demo in LübeckLandesrecht
TOP 27 BildungsqualitätLandespolitik
TOP 60 Bericht zur Eigenverantwortlichkeit von SchulenLandespolitik
TOP 37 und 57 Landestheater, Bericht SoziokulturLandespolitik
TOP 30 EU-Fischereireform 2013EU-Recht
TOP 13 Gesetz zur Förderung des MittelstandesLandesrecht
TOP 32 ELER Mittel für Schleswig-HolsteinFremdgeld
TOP 36 Perspektiven wis­sen­schaft­li­chen NachwuchsesLandespolitik
TOP 38 Gemeinsame Berufsbildungskonferenz von Bund und LändernFöderalismus
TOP 20 Landesweites SozialticketLandespolitik
TOP 40 Landesweite Kita-SozialstaffelLandespolitik
TOP 41 Bericht Bürokratie und Verwaltungsaufwand in der LandwirtschaftEU-Recht, Fremdgeld
TOP 55 Wiedereinrichtung des BlindenfondsLandespolitik
TOP 59 Illegale Drogen in Schleswig-HolsteinLandespolitik
TOP 61 Schutz von Frauen und ihrer KinderLandespolitik
  
Sammeldrucksache 
TOP 2 Gesetz zur Stärkung der Mitwirkung der Seniorinnen und SeniorenLandesrecht
TOP 7 Anpassung Landesrecht in JustizsachenLandesrecht
TOP 10 SpielbankgesetzLandesrecht
TOP 11 Ausführungsgesetz SGB II und BundeskindergeldgesetzLandesrecht
TOP 12 MitbestimmungsgesetzLandesrecht
TOP 14 TherapieunterbringungsvollzugsgesetzLandesrecht
TOP 18 Steuerabkommen SchweizBundesrecht
TOP 22 Neuausrichtung KrankenhausfinanzierungLandespolitik
TOP 34 ExistenzgründungenLandespolitik
TOP 35 Familie und QualifizierungLandespolitik
TOP 39 Rentenkürzung /​ Rente mit 67Bundesrecht
TOP 42 Biomasse nach­hal­tig nut­zenBundesrecht
TOP 43 Wildtierhaltung in ZirkussenBundesrecht
TOP 44 Zukunft Jugend in Schleswig-HolsteinLandespolitik
TOP 45 EHEC-ErkrankungswelleLandespolitik
TOP 46 Barrierefreiheit im Nah- und FernverkehrLandespolitik
TOP 47 Europäische NordseestrategieEuropapolitik
TOP 50 Veräußerung von GrundstückenLandesrecht
TOP 51 Bildungsföderalismus neu gestal­tenFöderalismus
TOP 52 Rechtspopulismus ent­ge­gen­tre­tenAppell
TOP 53 Verfahren vor LandesverfassungsgerichtLandesrecht
TOP 54 Verfahren vor LandesverfassungsgerichtLandesrecht
TOP 56 Suchthilfe und SuchtpräventionLandespolitik
TOP 62 AsbestmülltransporteLandespolitik
  
von der Tagesordnung abge­setzt 
TOP 5 Gesetz über das Studentenwerk SH 
TOP 6 /​ 17 Änderung des Schulgesetz 
TOP 15 Mädchen und Frauen im Strafvollzug 
TOP 16 a /​ 24 Tierfabriken, art­ge­rech­ten Nutztierhaltung 
TOP 19 Europäisches Jahr akti­ves Altern /​ Bürgerbeteiligung 
TOP 28 Entwicklungspolitische Verantwortung  
TOP 29 Plagiatssoftware an Schulen 
TOP 49 Überprüfung der GMSH 

 

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

2 Gedanken zu “Landtag: Arbeitsparlament oder Quasselbude?”:

  1. Alexander Ruoff

    Swen, gera­de der Punkt Europapolitik muss sehr dif­fe­ren­ziert betrach­tet und bewer­tet wer­den.

    Schaut man sich an, wel­chen Stellenwert die EU- & Europapolitik in den süd­li­chen Bundesländern hat und in wel­cher Form die­se Länder, Dank ihres Engagements, davon pro­fi­tie­ren, dann muss man sich die Frage stel­len, ob die Europapolitik von Schleswig-Holstein in den letz­ten Jahren (bzw. Jahrzehnten) nicht nur unter­schätzt, son­dern sogar sträf­lich ver­nach­läs­sigt wur­de.

    Man kann jetzt hin­sicht­lich reprä­sen­ta­ti­ver Gebäude, wie dem „Stoiber-Castle”, geteil­ter Meinung sein aber gera­de Bayern, Baden-Württemberg und Hessen sind in Brüssel sehr gut ver­netzt und schaf­fen es ihre (regio­na­len, wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen) Interessen bei den diver­sen EU-Institutionen zu ver­tre­ten und auch durch­zu­set­zen.

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    1. Swen Wacker

      Die Differenzierung, die ich in den Artikel anstreb­te, begrün­det sich aus der Aufgabenstellung eines Parlamentes, die in der Verfassung fest­ge­legt ist. Und aus die­sem Blickwinkel gehört die Einflussnahme oder Mitwirkung in Europaangelegenheiten nicht zum Kernbereich. Wie ich schon im Artikel. Damit ist kei­ne Bewertung des Themas als sol­ches ver­bun­den.

      Bayerns gute Vernetzung in Brüssel hat vie­le Gründe. Vor eini­gen Jahren noch (kei­ne Ahnung, ob das heu­te auch noch Stand der Dinge ist), konn­te man als Ministerialbeamter in der baye­ri­schen Landesverwaltung in der Regel nur dann in Spitzenpositionen (Abteilungsleiter o.ä.) auf­stei­gen, wenn man eine gewis­se Dienstzeit in Brüssel ver­bracht hat. Solche Mechanismen schaf­fen mehr Einflußpotentiale und Frühwarnsignale in der EU-Politik als gele­gent­li­che Bildungsreisen von Parlamentariern.

      Es will mir doch kei­ner ernst­lich erzäh­len wol­len, dass eine Debatte im Kieler Landtag über die Brüssler Fischereipolitik auch nur einen I-Punkt in den dor­ti­gen Vorlagen ändern wird.

      Europäische Lobbyarbeit, dass muss ich Dir aber nicht erzäh­len, fin­det nicht hier in Kiel son­dern vor Ort in Brüssel statt.

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