ACTA fängt auch an der Kieler Förde an

Von | 10. Februar 2012

ACTA hat die Landespolitik erreicht. ACTA, das steht für Anti-Counterfeiting Trade Agreement, und meint ein mul­ti­la­te­ra­les Handelsabkommen auf, das teils von Nationen, teils von Staatenbünden wie der EU unter­zeich­net wer­den soll. Ziel des Abkommens ist es, inter­na­tio­nal gel­ten­de Regeln für den Kampf gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen zu schaf­fen. Die Initiative für das Abkommen ging 2008 von den USA und Japan aus. Insbesondere die Musik- und Filmindustrie soll die Verhandlungen ange­trie­ben haben. Teilnehmende Länder sind Australien, Japan, Jordanien, Kanada, Marokko, Mexiko, Neuseeland, Schweiz, Singapur, Südkorea, Vereinigte Arabische Emirate, Vereinigte Staaten und die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten.

Kritiker fürch­ten, durch das Abkommen könn­ten Eingriff in die Privatsphäre und Grundrechte lega­li­siert wer­den. Zudem sei das Abkommen in vie­ler­lei Formulierungen „schwam­mig“, schaf­fe also kei­ne Rechtssicherheit bzw. ver­nich­te die­se. Da die Auslegung der unkla­ren Rechtsbegriffe allen­falls durch die Verhandlungsprotokolle geklärt wer­den kön­ne, die­se jedoch nicht ver­öf­fent­licht wären, sei es rechts­staat­lich unhalt­bar, wenn Parlamente ohne die­ses Wissen zustim­men müss­ten. Zudem sei es erkenn­bar Unfug, ein Abkommen über die Ächtung etwa der Markenpiraterie zu beschlie­ßen, ohne dass die „Hauptherkunftsländer“ sol­cher Produkte mit am Tisch säßen.

Die Bundesregierung hat­te stets betont, dass es in Deutschland auf­grund ACTA kei­ner­lei Gesetzgebungsbedarf gäbe. Hierzulande sei­en die ver­ein­bar­ten Regeln schon Stand der Dinge. Gleichwohl hat sie heu­te, wie schon zuvor Lettland, Polen, Slowakei, Tschechien, die Ratifizierung des Abkommens vor­erst gestoppt. Damit ACTA in Deutschland in Kraft tre­ten könn­te, müss­te es von Bundestag und Bundesrat in einem Zustimmungsgesetz beschlos­sen wer­den.

Für mor­gen haben Aktivisten welt­weit zu Protesten auf­ge­ru­fen. Die Karte der Proteste ist bein­dru­ckend: http://bitly.com/acta-karte. In Schleswig-Holstein ist in Kiel eine Demonstration geplant. Sie soll um 12:00 Uhr auf dem Asmus-Bremer-Platz star­ten und über Holstenstraße, Ziegelteich, Andreas-Gayk-Straße, Holstenbrücke am Kleinen Kiel ent­lang zum Justizministerium füh­ren. Dort ist die Abschlusskundgebung mit zwei Rednern geplant. Informationen fin­det man auf Twitter mit dem Hashtag #ACTAKI, bei Facebbook oder auch hier: https://piratenpad.de/p/ACTADemoKiel

In der Landespolitik gibt es eine brei­te Unterstützung für die Demonstration bzw. gegen ACTA. Die Jungen Liberalen hat­ten sich schon im Laufe der Woche gegen ACTA posi­tio­niert. Die Piratenpartei Schleswig-Holstein gehört wie der Landesverband der Grünen zu den Mitorganisatoren der Demonstration. Beide leh­nen ACTA ent­schie­den ab und rie­fen früh­zei­tig zur Demonstration auf. Heute posi­tio­nier­te sich die libe­ra­le Landtagsabgeordnete Ingrid-Brandt-Hückstadt klar gegen ACTA. „Das jetzt im Europaparlament dis­ku­tier­te Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) – oder auch Anti-Piraterie-Abkommen – lässt zu vie­le Fragen offen, als dass es dort ein­fach durch­ge­wun­ken wer­den darf.“ Jörg Nickel, Sprecher für Netzpolitik der Fraktion Bündnis 90/​Die Grünen konn­te sich nicht ver­knei­fen, dar­auf hin­zu­wei­sen, dass die „Bundesregierung ACTA schon am 30.11.2011 mit allen Stimmen der FDP-Minister pas­sie­ren las­sen“ habe und kün­dig­te einen Antrag im Landtag an (Update: Hier ist der Antrag), der sich gegen ACTA stellt und die Landesregierung auf­for­dert, sich auf „Bundes- und Europaebene gegen die Ratifizierung von ACTA ein­zu­set­zen“. Eine expli­zi­te Aufforderung an die Landesregierung, sich im Bundesrat einem etwai­gen Zustimmungsgesetz zu ver­wei­gern, könn­te dem Antrag noch gut tun. Könnte, denn mitt­ler­wei­le hat die Bundesregierung ja schon ange­kün­digt, die Ratifizierung aus­zu­set­zen.

Peter Eichstädt, medi­en­po­li­ti­sche Sprecher der SPD-Landtagsfraktion will Produktpiraterie bekämp­fen – aber ohne Eingriff in Grundrechte. „Entsprechende Regelungen dür­fen nicht dazu füh­ren, dass das Internet zu einer „über­wach­ten Zone“ wird und die – pri­va­ten – Provider für die Durchsetzung des Rechts sor­gen.“

Justizminister Emil Schmalfuß lies kein gutes Haar an dem Abkommen. „ACTA ist so über­flüs­sig wie falsch. Wir ver­fü­gen bereits über ein funk­tio­nie­ren­des System des Produkt und Markenrechtsschutzes. Weitere Eingriffe in die Grund- und Bürgerrechte sind nicht zu recht­fer­ti­gen und die­nen aus­schließ­lich ein­sei­tig den Interessen der Rechteinhaber.“ Er wen­de­te sich auch gegen die Art und Weise des Zustandekommens des Abkommens: „Die Verhandlungen wur­den unter stren­ger Geheimhaltung und ohne jede Transparenz geführt. Das belegt sei­nen Charakter als eine Maßnahme zuguns­ten von Lobbyisten und ist mit rechts­staat­li­chen Anforderungen schlicht unver­ein­bar. Schon damit die­ses unde­mo­kra­ti­sche Beispiel nicht Schule macht, darf dem ACTA kein Erfolg beschie­den sein.“

 

Beim letz­ten Argument bin ich mir nicht sicher, ob es wirk­lich stimmt. Dass Verhandlungen – ins­be­son­de­re dann, wenn man jeman­den über­zeu­gen möch­te, sei­ne Meinung zu ändern – geheim oder ver­trau­lich geführt wer­den, ist schon aus psy­cho­lo­gi­schen Gründen sinn­voll: Wir wah­ren schnel­ler das Gesicht, wenn wir nicht öffent­lich son­dern ver­trau­lich debat­tie­ren, unge­schützt – aber zugleich ohne Angst vor Repression – auch unse­re Ängste äußern kön­nen, frei von der Leber weg zuge­ben dür­fen, von etwas kei­ne Ahnung zu haben – aber den­noch zustim­men oder ableh­nen sol­len und des­halb Rat brau­chen. Da muss man nicht an der Frage „geheim“ oder ver­trau­lich“ rum­schrau­ben son­dern an unse­ren inne­ren Einstellungen – und an unse­ren Erwartungen an die poli­ti­sche Klasse.

Es wäre erstaun­lich, wenn die Landesregierung zum Beispiel dar­an däch­te, Kabinettsprotokolle regel­mä­ßig zeit­nah zu ver­öf­fent­li­chen. Wobei ich per­sön­lich in frü­he­ren beruf­li­chen Tätigkeiten regel­mä­ßig Kabinettsprotokolle las und ab und an sogar an Kabinettssitzungen teil­nahm und mich des­halb beru­fen füh­le zu behaup­ten, dass 95 Prozent der Protokolle ohne Schaden für irgend­wen ver­öf­fent­licht wer­den könn­ten.

Wenn das aber Anlass sein soll­te, die Fragen der Vertraulichkeit von Dokumente im Regierungs- und Parlamentsapparat neu zu dis­ku­tie­ren, dann ist das pri­ma.

Ich hät­te gleich ein Beispiel: Wir haben allein in die­ser Legislaturperiode 104 soge­nann­te Unterrichtungen der Landesregierung an den Landtag, alle­samt „nicht öffent­lich“. Hier die Titel der letz­ten:

  • Gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit zwi­schen dem Ministerium für Landwirtschaft des Gebietes Kaliningrad und dem MLUR in den Jahren 2012 bis 2016 Unterrichtung 17/​104 02.02.2012 (nicht öffent­lich)
  • Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug des Jugendarrestes in Schleswig-Holstein (Jugendarrestvollzugsgesetz — JAVollzG) Unterrichtung 17/​102 26.01.2012 (nicht öffent­lich)
  • Entwurf einer Bundesratsinitiative zur Änderung der Viehverkehrsverordnung hin­sicht­lich der Kennzeichnung von Equiden Unterrichtung 17/​99 26.01.2012 (nicht öffent­lich)
  • Konzeptionelle Überlegungen zur deutsch-däni­schen Zusammenarbeit (Dänemark-Strategie) Unterrichtung 17/​103 26.01.2012 (nicht öffent­lich)
  • Entwurf einer LVO über das Naturschutzgebiet „Binnendünen Nordoe” Unterrichtung 17/​100 25.01.2012 (nicht öffent­lich)
  • Bundesratsinitiative „Entschließung des Bundesrates zum Bildungsföderalismus” Unterrichtung 17/​98 24.01.2012 (nicht öffent­lich)

Eine voll­stän­di­ge Auflistung fin­det man im Landtagsinformationssystem, wenn man dort nach dem Typ Unterrichtung sucht. Allein nach den Titeln geur­teilt, erschließt sich dem ver­stän­di­gen Leser der Grund zur Vertraulichkeit sel­ten. Und wenn, dann allen­falls tem­po­rär. Absurde Stilblüte aus der letz­ten Zeit war die ver­trau­li­che Unterrichtung über den NDR-Digitalradio-Staatsvertrag (ich habe hier im Landesblog dar­über berich­tet), der zugleich in Hamburg im dor­ti­gen Parlamentssystem öffent­lich zugäng­lich war.

ACTA fängt an der Kieler Förde an.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

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