Auch nach vielen Jahren des Trockenseins ist natürlich Achtsamkeit geboten. Das heißt darauf achten, dass zum Beispiel auch das Essen alkoholfrei ist. In den unterschiedlichsten Restaurationen erlebe ich immer wieder folgende Redensarten: Auf meine Frage, ob die Soße mit Alkohol abgeschmeckt sei, kommt häufig die Antwort: „Nein, — machen wir aber gerne!“ Und auf meine Frage, was für alkoholfreie Getränke im Angebot sind, heißt es häufig: „Mein Herr, nehmen Sie doch etwas Alkoholarmes, vielleicht einen Campari.“ Dort, wo ich mit meinen Trink- und Essgewohnheiten bekannt bin, sagen die Bedienungen häufig: „Ach, Herr Legband stimmt ja, Sie dürfen ja keinen Alkohol trinken“. Ich antworte dann meistens: „Unsinn, ich will keinen Alkohol trinken!“ Dieser kleine Unterschied ist entscheidend. Verboten hat mir niemand den Alkohol. Entscheidend war mein Wille, es nicht mehr zu tun!
In den über 27 Jahren des abstinenten Lebens wurde ich von meiner Umwelt nicht sonderlich mit dummen Sprüchen gequält. Ich denke, in all den Jahren waren es höchst vier bis fünf Situationen, in denen irgendwelche Zeitgenossen mit Unverständnis auf meinen alkoholfreien Lebenswandel reagierten. Manchmal war es auch Gedankenlosigkeit. Sehr dümmlich verhielt sich mal ein Arzt während meines Zeitungsvolontariats in Marne. Immer wieder wollte er mich, obwohl er wusste, dass ich nicht trank, zum Schnaps verführen. Vor zahlreichen Gästen stellte ich ihn im „Holsteinischen Haus“ bloß: Ich fragte, ob er so wenig Patienten habe, dass er auf diesem Weg für neue sorgen müsse. Der Medizinmann verließ wie ein geprügelter Hund das Lokal. Auf einem Empfang im Landeshaus, drückte mir ein Politiker, der mich früher wegen meines heftigen Alkoholkonsums kritisiert hatte und wusste, dass ich längst trocken war, ein Glas Sekt in die Hand. Ich guckte ihm in die Augen und ließ es fallen. Basta! Dass der gute Mann puterrot anlief, war mir ein innerer Reichsparteitag.
Aber im Großen und Ganzen fällt es heute nicht mehr auf, wenn man auf Alkoholfreies bestehe. Die Gesellschaft hat sich gewandelt. Ich selber gehe nach wie vor ausgesprochen gerne in Gaststätten oder Cocktailbars. Ganz großartig finde ich das umfangreiche Angebot von alkoholfreien Getränken. Denn auf die Dauer wird Selters, Cola, Kaffee oder Tee einfach zu langweilig. Da gefällt schon mal eine „Virgin Mary“.
Als der soziale und wirtschaftliche Tiefpunkt in meinem Leben erreicht war, habe ich mich an eine Alkoholselbsthilfegruppe gewandt. In meinem Fall war es das Blaue Kreuz in der evangelischen Kirche. Hier habe ich viele Menschen getroffen, die das gleiche Schicksal wie ich hinter sich hatten und mir durch ihr Vorleben Möglichkeiten eines Lebens ohne Alkohol aufgezeigt haben. Grundsätzlich ist es meines Erachtens schwerer trocken zu bleiben als trocken zu werden. Mir haben dabei einige Regeln geholfen, die ich bis heute beachte: Wird mir etwa von einem Gastgeber ein Sherry zur Begrüßung angeboten, sage ich nicht schnöde „nein danke“, sondern nenne eine Alternative: „Ich würde mich sehr über eine Tasse Kaffee freuen!“ Die Reaktion ist immer die Gleiche. Niemand fragt warum, sondern frau/man will mich als guter Gastgeber zufrieden stellen und besorgt den Kaffee. Auf die Frage von Kollegen: „Kommen Sie heute Abend mit ein paar Bierchen zischen?“ antworte ich: „Gerne komme ich mit, aber Sie wissen ja, ich trinke keinen Alkohol.“ Und abends in der Kneipe mach ich dann gerne mit, kann fröhlich ohne jede Art von Stoff sein. Als Genussmensch gönne ich mir lediglich eine gute Zigarre. Jedoch: verlasse ich den Tresen, um die Örtlichkeiten aufzusuchen, trinke ich vorher das Glas aus. Nur um sicher zu sein, dass mir niemand dort ein Schnäpschen reinpanscht.
Im Prinzip gehe ich sehr offen mit meiner Krankheit um. Ich bin damit auch immer gut gefahren. Ich binde niemandem die Story ungefragt auf die Nase. Will es aber jemand wissen, dann rede ich darüber. Noch eines zum Thema Gastronomie. Wie gesagt, ich schätze ein vielfältiges gastronomisches Angebot sehr und kann auch damit umgehen, dass in meiner Umgebung heftig gebechert wird. Denn mein Tresengenosse kann ja nichts dafür, dass ich nicht mit Alkohol umgehen kann. Nur zu Hause, da ist meine alkoholfreie Zone. Denn das ist der Ort, an dem ich mich fallen lasse, wo auch schon mal Gemütsschwankungen stattfinden sollen und dürfen. Da wäre es mir zu gefährlich, auf einen Vorrat von Wein oder Hochprozentigem zu wohnen. Der Weg in die nächste Kneipe ist gegebenenfalls weit und da wird dann im Fall des Falles ja wohl das Gehirn wieder anspringen. Hoffentlich!
Wie gehe ich am Arbeitsplatz mit dem Thema Alkohol um. Das ist ein weites Feld, um es mit einem Nobelpreisträger zu sagen. Als ich meinen Job bei der Industrie- und Handelskammer zu Kiel antrat, wurde mir zum Beispiel in der Geschäftsführerrunde ein Glas Sekt angeboten. Das habe ich freundlich abgelehnt und (siehe oben) nach einem Wasser gefragt. Seitdem habe ich nie wieder am Arbeitsplatz Alkohol angeboten bekommen. Und bei der einen oder anderen Veranstaltung, wo Getränke angeboten werden, stehen ja eh immer alkoholfreie Drinks auf dem Tisch.
Wie gehe ich mit Kollegen um, von denen ich weiß, dass sie Alkoholiker sind oder zumindest stark gefährdet. Ich laufe nicht als Apostel durch die Gegend und versuche meine Mitmenschen zu missionieren. Aber ich lehne konsequent jede Art von Co-Alkoholismus ab. So habe ich es zum Beispiel stets abgelehnt, für Redaktionskollegen die Arbeit mit zu erledigen, wenn diese ständig durch einen dicken Kopf oder ähnliche Alkohol bedingte Ausfallerscheinungen auffielen. Entsprechend auch meine Begründung gegenüber den Kollegen. War ich Vorgesetzter, so habe ich die Problematik sehr deutlich angesprochen. Bis hin zum Rausschmiss mit der Zusage: „Du kannst hier wieder anfangen, wenn Du trocken bist!“ – War zwar nicht ganz gesetzlich. Hat aber geholfen. Zwei ehemalige Kollegen sind mir bis heute dankbar, dass ich sie so wachgerüttelt habe und sie heute trocken sind. Also: auch hier offen mit dem Konflikt umgehen und nicht herumeiern. Ein Abhängiger versteht nur die harte Sprache. Alles andere hilft nicht!
Vielen Dank für diese offenen Worte. Ich hab als Kind schon gelernt, dass bei Vereinsfesten etc. als „Danke schön” für aktive Mitglieder weder Weinflaschen noch Schokolade mit Alkohol drin gekauft wurden, und das habe ich eigentlich mein Leben lang beibehalten (es sei denn, es sind Geschenke für Freunde und Bekannte, bei denen ich den gemäßigten Alkoholkonsum kenne).
Ja, ihre Ausführung ist wirklich sehr gut. Ich bin jetzt seit neun Jahren trocken, und komme auch sehr gut klar. Auch wenn ich heute oft von Feiern früher nach Hause gehe, weil ich es nicht leiden kann wenn fast alle um einen herum betrunken sind, nicht weil ich ihnen den Alkohol neide, sondern weil Menschen, die nüchtern total lieb und nicht nervig sind auf Alkohol zu regelrechten Stressbolzen mutieren. Ich frage mich dann immer: Ob ich früher auch so war? Grusel. Ekelig. :)
Auffällig ist hierbei, wie schnell sich die Leute betrinken. Sind wir früher mit einer Pulle Korn und einem Sixer Bier bis Morgens hingekommen, trinken viele Heute so eine Flasche Hochprozentigen in zwei Stunden leer. Das Vorglühen hat massiv überhand genommen, meist gehen die Leute schon völlig besoffen in die lokale Dorfdisko (hier: D-Halle, Meldorf). Dort klebt dann der Boden, es ist als hätte man Magnetschuhe an, die Toiletten sind nicht begehbar und man kann nicht laufen oder sogar stehen, ohne angerempelt zu werden.
Aber vielleicht war es früher schon genau so, ich habe es nur nicht gemerkt, weil ich selbst immer voll drauf war.
Es ist schön zu lesen.
Der Titel führt einen etwas in die Irre.
„Wie bleibt man trocken.”
Es wird beschrieben was einem geschieht, wenn man ohne Alkohol ist. Es wird aber nicht beschrieben, wie man dann lebt.
Ich kann mir gut vorstellen, ein Leben ohne Alkohol ist sicherlich viel angenehmer. Man lebt also viel besser. Man lebt gesunder. Der Alkohol bestimmt nicht mehr das Leben. Das Leben ist nicht mehr so teuer. Und so weiter, und so weiter …Wie lebt man ohne Alk? Man lebt besser.
Danke und viele Tage ohne Alkohol.
Ciao
Ein toller Beitrag! Sehr offen… Ich persönlich war nie süchtig nach Alkohol. Nach diversen betrunkenen Wochenenden in jungen Jahren habe ich einfach aufgehört, weil die Siechtage immer mehr wurden. Nun trinke ich schon seit gut acht Jahren kaum Alkohol (mal ein Glas Sekt zu Silvester). Meine Erfahrung ist jedoch, dass ich mich sehr oft rechtfertigen muss, weil ich keinen Alkohol möchte. Das nervt und ist für Suchtgefährdete oder Alkoholsüchtige wohl kaum zu ertragen. Mir persönlich fällt es nicht schwer abzulehnen, da mir die meisten alkoholischen Getränke schlichtweg nicht schmecken. Meine persönliche Meinung ist, dass Alkohol in der Gesellschaft viel zu sehr verharmlost und als Lebensmittel betrachtet wird.
Ich wünsche Ihnen eine lebenslange „Trockenzeit”.
Herzlichst
Misses B
Hallo,
auch ich danke dir für deine schönen und persönlichen Worte. Ich muss sagen, dass einfach in unserer Gesellschaft der Konsum von Alkohol viel zu harmlos dargestellt wird. Auf jeder Party, Geburtstag gibt es Alkohol. In den Medien wird viel zu häufig der Konsum von Alkohol gezeigt. Unserer Regierung sollte dagegen etwas nehmen.
Grüße
Henning