Bilanz-Broschüre: Zahlkrampf im Wahlkampf

Von | 13. März 2012

Im Wahlkampf, sieht man mal von Umfrageergebnissen ab, tau­gen Zahlen nur bedingt zur Überzeugung des Wählers. Zu dick auf­ge­tra­gen blei­ben sie im Halse ste­cken.

Von Hans-Jochen Vogel heißt es, dass er ein Regiment der Klarsichthüllen führ­te. Mit ihnen wedel­te er, selbst in Reden, um sei­nen Argumenten Nachdruck zu ver­lei­hen. Er war sicher ein erfolg­rei­cher Politiker. In gewis­ser Hinsicht. Sein Charisma lag aller­dings, als er noch aktiv an der Politik teil­nahm, irgend­wo in der Nähe eines durch­schnitt­li­chen AOK-Geschäftsführers. Wahlsiege waren ihm, der in Land Bayern, in der Stadt Berlin und im Bund als Spitzenkandidat antrat, nicht ver­gönnt. Da mag es einen Zusammenhang geben.

Im Wahlkampf wol­len die Parteien ihre Botschaften an Parteien, Personen und Themen hef­ten. Bei letz­te­ren pas­siert es, zumal wenn man gera­de regiert, dass man bilan­ziert. Wenn man nicht regiert, bilan­ziert man auch gern, nur mit ande­ren Argumenten. Heikel wird es, wenn Zahlen als Argumente her­hal­ten müssen.Es wird kein Zufall sein, dass die Begriffe „Kaufmann“ und „Krämerseele“ so dicht bei­ein­an­der lie­gen. Die Vermutung liegt nah, dass Zahlen Visionen und Konzepte erset­zen müs­sen, weil eben dort Not am Mann herrscht. Zahlen haben eine ver­häng­nis­vol­le Eigenschaft. Sie sehen so objek­tiv aus, tau­gen dabei aber fast noch mehr als Worte zur Manipulation.

Ein ein­fa­ches Beispiel (Die Zahlen sind übri­gens echt): Die Vermutung liegt nah, dass Regierungsmitglieder ver­su­chen, in Wahlkampfzeiten dienst­li­che Termine mög­lichst vor­teil­haft für die Person und die dazu­ge­hö­ri­ge Partei zu gestal­ten. Besonders viel öffent­li­che Aufmerksamkeit und Zuneigung erhält der Politiker, der mit dem offe­nen Portemonnaie durch Land fährt und Wohltaten kund­tut. Hier wird eine Straße gebaut, dort ein Gebäude eröff­net. Und wird das alles erst­mal ange­kün­digt, dann wird (aber bit­te nicht in der Klarsichthülle) mit einem „Zuwendungsbescheid“ ver­bal gewe­delt. Betrachten wir also die Häufigkeit der Begriffe Zuwendungsbescheid(e), Förderbescheid(e) oder Scheck in den Presseerklärungen der Landesregierungen in den letz­ten drei Monaten. Uns huscht ein „erwischt“ über unse­re Lippen:

Januar
2012

Februar
2012

März
2012

18.01.12

01.02.12

01.03.12

20.01.12

03.02.12

01.03.12

 

06.02.12

02.03.12

 

10.02.12

05.03.12

 

17.02.12

06.03.12

  

09.03.12

  

09.03.12

War ja klar. Oder? Schaut man sich Kalenderreihe näm­lich ein wenig län­ger an, dann sieht es auf ein­mal nicht mehr so dra­ma­tisch aus:

Jul

Aug

Sept

Okt

Nov

Dez

Jan

Feb

März

05.07.11

03.08.11

01.09.11

04.10.11

02.11.11

07.12.11

18.01.12

01.02.12

01.03.12

07.07.11

09.08.11

21.09.11

19.10.11

02.11.11

09.12.11

20.01.12

03.02.12

01.03.12

14.07.11

12.08.11

22.09.11

28.10.11

03.11.11

13.12.11

 

06.02.12

02.03.12

18.07.11

12.08.11

30.09.11

29.10.11

11.11.11

20.12.11

 

10.02.12

05.03.12

20.07.11

29.08.11

 

31.10.11

11.11.11

20.12.11

 

17.02.12

06.03.12

 

31.08.11

  

17.11.11

22.12.11

  

09.03.12

    

22.11.11

28.12.11

  

09.03.12

    

24.11.11

    
    

24.11.11

    
    

29.11.11

    
    

30.11.11

    
    

30.11.11

    

Irgendwie waren dann wohl Anfang Dezember Wahlen. Oder so.

Wahlkrampf: Bilanz-Broschüre

Jetzt ein ande­res Beispiel. Die CDU hat eine Broschüre zusam­men­ge­stellt, die mit Zahlen argu­men­tiert: „Jede Regierung sagt von sich: Wir haben es trotz aller Widrigkeiten sehr gut gemacht. In unse­rem Fall sagen das aber auch die Zahlen“.
Die Zahl wird zum Beweis über das schnö­de Wort erho­ben.

Ich habe mir zwei Statistiken raus­ge­grif­fen, zu denen ich in den letz­ten Wochen Artikel hier im Landesblog geschrie­ben hat­te und des­halb noch ein Gefühl für die Zahlenwerte habe. Ich kom­me bei nähe­rer Betrachtung zu dem Schluss, dass die Broschüre mich (und damit wohl alle Wählerinnen und Wähler) für dumm ver­kau­fen will.

Zunächst: Der Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein

Wir wis­sen, dass unse­re Wirtschaft und Arbeitsmarkt glo­ba­len Effekten aus­ge­setzt sind, die wir vor Ort im bes­ten Falle ein klein wenig mit­ge­stal­ten kön­nen. Dazu braucht man dann aber gro­ße Werkzeuge. Das war einer der Gründe, war­um Helmut Kohl die Mammutaufgabe anging, die regio­na­le Währung DM durch den euro­päi­schen Euro zu ersetz­ten. Anders her­um: Wenn in Kirchnüchel die Sonne scheint, dann liegt das nicht am Bürgermeister, da sind dann grö­ße­re Kräfte am Werk.

Die CDU hat fest­ge­stellt, dass im Januar 2005, als die CDU von der SPD die Regierungsverantwortung über­nahm, in Schleswig-Holstein mehr als 180.000 Menschen ohne Arbeit waren. Seither ist die Zahl der Arbeitslosen auf etwa 100.000 gesun­ken – so weni­ge wie zuletzt vor 18 Jahren. Das ist eine tol­le Sache. So eine Entwicklung sieht pri­ma aus.

Ausriss aus der CDU-Bilanz-Broschüre (http://www.cdu-sh.de) -> Unsere Arbeit -> Downloads

Die Argumente sind aber bemer­kens­wert: „Diese Entwicklung hat Ursachen. Die Wichtigste: Aufgrund der mit­tel­stän­disch gepräg­ten Wirtschaft kam Schleswig-Holstein gut durch die Wirtschafts- und Finanzkrise“. Genau. Das Land ist mit­tel­stän­dig geprägt. Schon seit Jahren. Nicht erst seit 2005. Das hat nichts mit der aktu­el­len Regierung zu tun. Es gibt sogar Leute, die mei­nen, wir soll­ten das mit der mit­tel­stän­dig gepräg­ten Wirtschaft über­win­den, um mit noch mehr Steuereinnahmen aus gro­ßen, nicht mehr mit­tel­stän­di­gen, Firmen zu erzie­len – und dann Geberland im Finanzausgleich wer­den.

Weiter im Text:„Die CDU-geführ­te Landesregierung hat mit der Ausgestaltung ihrer Förderprogramme genau die­sen Mittelstand gezielt gestärkt. Das wol­len wir wei­ter tun.” Mal abge­se­hen davon, dass mir nicht erin­ner­lich ist, dass es in den letz­ten Jahren einen bemer­kens­wert gro­ßen Kurswechsel in der Förderung des Mittelstandes gege­ben hät­te — weder quan­ti­ta­tiv noch inhalt­lich. Die Antwort der Landesregierung auf die gro­ße Anfrage der CDU-Fraktion „Perspektiven für den Mittelstand in Schleswig-Holstein“ legt das jeden­falls nicht nahe. Und einem wird schon ziem­lich schwin­de­lig, wenn man sich vor­stellt, die Förderprogramme hät­ten all die Arbeitsplätze geschaf­fen. Da wir im loka­len Volkshochschulkurs Elementares Volkswirtschaften – Grundkurs I alle gelernt haben, dass loka­le Wirtschaftspolitiken im Form von staat­li­chen Förderprogrammen kei­ne kurz­fris­tig mess­ba­ren Erfolge auf Landesebene ver­ur­sa­chen kön­nen, blei­ben wir ruhig. Und tat­säch­lich klärt sich das Bild, wenn wir über die Landeszahlen die Zahlen der Bundesebene packen: SH bewegt sich fröh­lich und sehr exakt im Bundestrend.

Arbeitslosenquote SH und Bund

Arbeitslosenquote SH und Bund

Egal ob, CDU, SPD oder FDP (mit) am Ruder sind. Die Aussage: „Jede Regierung sagt von sich: Wir haben es trotz aller Widrigkeiten sehr gut gemacht. In unse­rem Fall sagen das aber auch die Zahlen“ kön­nen wir dahin­ge­stellt las­sen, denn: das sagt ja jede Regierung über sich. „In unse­rem Fall sagen das aber auch die Zahlen“. Nö, sagen sie nicht. Die Zahlen sagt nichts über Schleswig-Holstein aus. Sie blen­den.

Anderes Beispiel: Die Kriminalstatistik in Schleswig-Holstein

Die CDU hat (…) eini­ge neue Stellen bei der Polizei schaf­fen kön­nen  … (und) … den gro­ßen Beförderungsstau auf­ge­löst, den die SPD in der Polizei ver­ur­sacht hat.
All das zahlt sich aus: Es gab 2010 die nied­rigs­te Zahl an Straftaten und gleich­zei­tig die höchs­te Aufklärungsquote seit 30 Jahren.
Das sieht ja irgend­wie pri­ma aus:

Mehr Polizisten, weniger Straftaten

Ausriss aus der CDU-Bilanz-Broschüre (http://www.cdu-sh.de) -> Unsere Arbeit -> Downloads

Lassen wir mal bei­sei­te, dass es kei­nen zwin­gen­den Zusammenhang zwi­schen mehr Polizisten und weni­ger Straftaten gibt. Und den­ken wir nicht dar­über nach, dass Schleswig-Holstein Polizisten ein hohes Arbeitsethos haben und nicht allein des­halb mehr Verbrechen auf­klä­ren, weil eine Partei schreibt, sie sei für deren Beförderungen ver­ant­wort­lich. Und las­sen wir auch unbe­rück­sich­tigt, dass das Sinken der Kurve über­di­men­sio­nal betont wird, weil wir nur die Spitze der Säulen sehen und das Absinken weni­ger spek­ta­ku­lär wirk­te, wenn wir uns den ein­fach gestri­che­nen Zahlenraum von 200.000 bis 0 hin­zu­däch­ten (oder soll uns das nur sagen, dass 200.000 gemel­de­te Fälle in Schleswig-Holstein eigent­lich schon so gut wie gar kei­ne gemel­de­te Fälle wären?). Lassen wir also all das bei­sei­te und schau­en wir uns die Entwicklung der Aufklärungsquote etwas genau­er an:

Aufklärungsquote SH und Bundesdurchschnitt

Aufklärungsquote SH und Bundesdurchschnitt

Ob alle Länder eini­ge neue Stellen bei der Polizei geschaf­fen und den SPD-Beförderungsstau auf­ge­löst haben? Und sogar bes­ser als in Schleswig-Holstein, denn die Aufklärungsquote ist im Bundeschnitt ja deut­lich höher als in Schleswig-Holstein? (Wegen des abge­schnit­te­nen Sockels von 42% bis 0% sieht es fie­ser­wei­se sogar so aus, als ob die Aufklärungsquote bun­des­weit bald dop­pelt so hoch wäre) Ist Schleswig-Holstein Polizei also in Wirklichkeit schlech­ter als in ande­ren Bundesländern? Und war­um sinkt die Aufklärungsquote im gera­de vor­ge­leg­ten Bericht im Jahr 2011 fast exakt auf den Stand von 2005 – wir erin­nern uns: seit 2005 stellt die CDU den Regierungschef?

Und wie­der: Egal ob, CDU, SPD oder FDP (mit) am Ruder sind. Die Aussage: „Jede Regierung sagt von sich: Wir haben es trotz aller Widrigkeiten sehr gut gemacht. In unse­rem Fall sagen das aber auch die Zahlen“ kön­nen wir dahin­ge­stellt las­sen: denn das sagt ja jede Regierung über sich. „In unse­rem Fall sagen das aber auch die Zahlen“ Nö, sagen sie nicht. Die Zahlen sagt nichts über Schleswig-Holstein aus. Sie blen­den. Ein genaue­rer Blick auf die Zahl der „gemel­de­ten Fälle” legt eben­falls die Vermutung nahe, dass hier ein Bundestrend herrscht.

Alles Lüge?

Man stellt sich die Frage, was so eine Broschüre soll. Wen will man damit über­zeu­gen? Wen soll das über­zeu­gen? Mir erschließt sich da nichts. Ich wür­de sol­che Broschüren ein­stamp­fen. Sie sind sinn­los. Soll man sie am Wahlkampfstand dem Bürger vor die Nase hal­ten und hof­fen, dass er wegen der hüb­schen Statistik sagt: ja die­se Krankenversicherung Partei wäh­le ich! Oder: Oh, Gott, jetzt wo ich das sehe!!11! Die [Sozis|Schwarzen|Chaoten|…] wähl ich lie­ber nicht, ich will ja in den Himmel kom­men!

Wohl kaum. Wahrscheinlich kann man die CDU/FDP-Regierung für ihre Arbeit in den bei­den Bereichen Arbeitsmarktpolitik und Innere Sicherheit sogar durch­aus loben. Oder wenigs­tens mit dem Meckern nicht über­bor­den. Denn sie hat bestimmt nicht alles kom­plett falsch gemacht. Aber so gewinnt man kei­nen Blumentopf.
Denn die Menschen wäh­len Kandidaten. Sie wol­len in die Zukunft gerich­te­te Aussagen zu den bren­nen­den poli­ti­schen Fragestellungen hören. Sie wol­len ihre Hoffnungen und Werte in ein­fa­chen, zen­tra­len Botschaften wie­der­fin­den. Angst schü­ren vor dem poli­ti­schen Mitbewerber, schlecht über ihn reden – damit gewinnt man schon längst kei­ne Wahl mehr. Die Äußerungen über dro­hen­de Schulschließungen waren ein wun­der­bar schlech­tes Beispiel: Norddeutsche Meisterschaften im Niveau-Limbo.
Zumal dann am Tag nach der Wahl die Rechnung kommt: Dann nützt das Zeigen auf den ande­ren nicht mehr. Dann muss die eige­ne Worthülse mit Leben gefüllt wer­den – ohne dass Wähler schnell zu der Auffassung gelangt, einer Mogelpackung auf­ge­ses­sen zu sein.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

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