Im Wahlkampf, sieht man mal von Umfrageergebnissen ab, taugen Zahlen nur bedingt zur Überzeugung des Wählers. Zu dick aufgetragen bleiben sie im Halse stecken.
Von Hans-Jochen Vogel heißt es, dass er ein Regiment der Klarsichthüllen führte. Mit ihnen wedelte er, selbst in Reden, um seinen Argumenten Nachdruck zu verleihen. Er war sicher ein erfolgreicher Politiker. In gewisser Hinsicht. Sein Charisma lag allerdings, als er noch aktiv an der Politik teilnahm, irgendwo in der Nähe eines durchschnittlichen AOK-Geschäftsführers. Wahlsiege waren ihm, der in Land Bayern, in der Stadt Berlin und im Bund als Spitzenkandidat antrat, nicht vergönnt. Da mag es einen Zusammenhang geben.
Im Wahlkampf wollen die Parteien ihre Botschaften an Parteien, Personen und Themen heften. Bei letzteren passiert es, zumal wenn man gerade regiert, dass man bilanziert. Wenn man nicht regiert, bilanziert man auch gern, nur mit anderen Argumenten. Heikel wird es, wenn Zahlen als Argumente herhalten müssen.Es wird kein Zufall sein, dass die Begriffe „Kaufmann“ und „Krämerseele“ so dicht beieinander liegen. Die Vermutung liegt nah, dass Zahlen Visionen und Konzepte ersetzen müssen, weil eben dort Not am Mann herrscht. Zahlen haben eine verhängnisvolle Eigenschaft. Sie sehen so objektiv aus, taugen dabei aber fast noch mehr als Worte zur Manipulation.
Ein einfaches Beispiel (Die Zahlen sind übrigens echt): Die Vermutung liegt nah, dass Regierungsmitglieder versuchen, in Wahlkampfzeiten dienstliche Termine möglichst vorteilhaft für die Person und die dazugehörige Partei zu gestalten. Besonders viel öffentliche Aufmerksamkeit und Zuneigung erhält der Politiker, der mit dem offenen Portemonnaie durch Land fährt und Wohltaten kundtut. Hier wird eine Straße gebaut, dort ein Gebäude eröffnet. Und wird das alles erstmal angekündigt, dann wird (aber bitte nicht in der Klarsichthülle) mit einem „Zuwendungsbescheid“ verbal gewedelt. Betrachten wir also die Häufigkeit der Begriffe Zuwendungsbescheid(e), Förderbescheid(e) oder Scheck in den Presseerklärungen der Landesregierungen in den letzten drei Monaten. Uns huscht ein „erwischt“ über unsere Lippen:
Januar | Februar | März |
18.01.12 | 01.02.12 | 01.03.12 |
20.01.12 | 03.02.12 | 01.03.12 |
06.02.12 | 02.03.12 | |
10.02.12 | 05.03.12 | |
17.02.12 | 06.03.12 | |
09.03.12 | ||
09.03.12 |
War ja klar. Oder? Schaut man sich Kalenderreihe nämlich ein wenig länger an, dann sieht es auf einmal nicht mehr so dramatisch aus:
Jul | Aug | Sept | Okt | Nov | Dez | Jan | Feb | März |
05.07.11 | 03.08.11 | 01.09.11 | 04.10.11 | 02.11.11 | 07.12.11 | 18.01.12 | 01.02.12 | 01.03.12 |
07.07.11 | 09.08.11 | 21.09.11 | 19.10.11 | 02.11.11 | 09.12.11 | 20.01.12 | 03.02.12 | 01.03.12 |
14.07.11 | 12.08.11 | 22.09.11 | 28.10.11 | 03.11.11 | 13.12.11 | 06.02.12 | 02.03.12 | |
18.07.11 | 12.08.11 | 30.09.11 | 29.10.11 | 11.11.11 | 20.12.11 | 10.02.12 | 05.03.12 | |
20.07.11 | 29.08.11 | 31.10.11 | 11.11.11 | 20.12.11 | 17.02.12 | 06.03.12 | ||
31.08.11 | 17.11.11 | 22.12.11 | 09.03.12 | |||||
22.11.11 | 28.12.11 | 09.03.12 | ||||||
24.11.11 | ||||||||
24.11.11 | ||||||||
29.11.11 | ||||||||
30.11.11 | ||||||||
30.11.11 |
Irgendwie waren dann wohl Anfang Dezember Wahlen. Oder so.
Wahlkrampf: Bilanz-Broschüre
Jetzt ein anderes Beispiel. Die CDU hat eine Broschüre zusammengestellt, die mit Zahlen argumentiert: „Jede Regierung sagt von sich: Wir haben es trotz aller Widrigkeiten sehr gut gemacht. In unserem Fall sagen das aber auch die Zahlen“.
Die Zahl wird zum Beweis über das schnöde Wort erhoben.
Ich habe mir zwei Statistiken rausgegriffen, zu denen ich in den letzten Wochen Artikel hier im Landesblog geschrieben hatte und deshalb noch ein Gefühl für die Zahlenwerte habe. Ich komme bei näherer Betrachtung zu dem Schluss, dass die Broschüre mich (und damit wohl alle Wählerinnen und Wähler) für dumm verkaufen will.
Zunächst: Der Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein
Wir wissen, dass unsere Wirtschaft und Arbeitsmarkt globalen Effekten ausgesetzt sind, die wir vor Ort im besten Falle ein klein wenig mitgestalten können. Dazu braucht man dann aber große Werkzeuge. Das war einer der Gründe, warum Helmut Kohl die Mammutaufgabe anging, die regionale Währung DM durch den europäischen Euro zu ersetzten. Anders herum: Wenn in Kirchnüchel die Sonne scheint, dann liegt das nicht am Bürgermeister, da sind dann größere Kräfte am Werk.
Die CDU hat festgestellt, dass im Januar 2005, als die CDU von der SPD die Regierungsverantwortung übernahm, in Schleswig-Holstein mehr als 180.000 Menschen ohne Arbeit waren. Seither ist die Zahl der Arbeitslosen auf etwa 100.000 gesunken – so wenige wie zuletzt vor 18 Jahren. Das ist eine tolle Sache. So eine Entwicklung sieht prima aus.
Die Argumente sind aber bemerkenswert: „Diese Entwicklung hat Ursachen. Die Wichtigste: Aufgrund der mittelständisch geprägten Wirtschaft kam Schleswig-Holstein gut durch die Wirtschafts- und Finanzkrise“. Genau. Das Land ist mittelständig geprägt. Schon seit Jahren. Nicht erst seit 2005. Das hat nichts mit der aktuellen Regierung zu tun. Es gibt sogar Leute, die meinen, wir sollten das mit der mittelständig geprägten Wirtschaft überwinden, um mit noch mehr Steuereinnahmen aus großen, nicht mehr mittelständigen, Firmen zu erzielen – und dann Geberland im Finanzausgleich werden.
Weiter im Text:„Die CDU-geführte Landesregierung hat mit der Ausgestaltung ihrer Förderprogramme genau diesen Mittelstand gezielt gestärkt. Das wollen wir weiter tun.” Mal abgesehen davon, dass mir nicht erinnerlich ist, dass es in den letzten Jahren einen bemerkenswert großen Kurswechsel in der Förderung des Mittelstandes gegeben hätte — weder quantitativ noch inhaltlich. Die Antwort der Landesregierung auf die große Anfrage der CDU-Fraktion „Perspektiven für den Mittelstand in Schleswig-Holstein“ legt das jedenfalls nicht nahe. Und einem wird schon ziemlich schwindelig, wenn man sich vorstellt, die Förderprogramme hätten all die Arbeitsplätze geschaffen. Da wir im lokalen Volkshochschulkurs Elementares Volkswirtschaften – Grundkurs I alle gelernt haben, dass lokale Wirtschaftspolitiken im Form von staatlichen Förderprogrammen keine kurzfristig messbaren Erfolge auf Landesebene verursachen können, bleiben wir ruhig. Und tatsächlich klärt sich das Bild, wenn wir über die Landeszahlen die Zahlen der Bundesebene packen: SH bewegt sich fröhlich und sehr exakt im Bundestrend.
Egal ob, CDU, SPD oder FDP (mit) am Ruder sind. Die Aussage: „Jede Regierung sagt von sich: Wir haben es trotz aller Widrigkeiten sehr gut gemacht. In unserem Fall sagen das aber auch die Zahlen“ können wir dahingestellt lassen, denn: das sagt ja jede Regierung über sich. „In unserem Fall sagen das aber auch die Zahlen“. Nö, sagen sie nicht. Die Zahlen sagt nichts über Schleswig-Holstein aus. Sie blenden.
Anderes Beispiel: Die Kriminalstatistik in Schleswig-Holstein
Die CDU hat (…) einige neue Stellen bei der Polizei schaffen können … (und) … den großen Beförderungsstau aufgelöst, den die SPD in der Polizei verursacht hat.
All das zahlt sich aus: Es gab 2010 die niedrigste Zahl an Straftaten und gleichzeitig die höchste Aufklärungsquote seit 30 Jahren.
Das sieht ja irgendwie prima aus:
Lassen wir mal beiseite, dass es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen mehr Polizisten und weniger Straftaten gibt. Und denken wir nicht darüber nach, dass Schleswig-Holstein Polizisten ein hohes Arbeitsethos haben und nicht allein deshalb mehr Verbrechen aufklären, weil eine Partei schreibt, sie sei für deren Beförderungen verantwortlich. Und lassen wir auch unberücksichtigt, dass das Sinken der Kurve überdimensional betont wird, weil wir nur die Spitze der Säulen sehen und das Absinken weniger spektakulär wirkte, wenn wir uns den einfach gestrichenen Zahlenraum von 200.000 bis 0 hinzudächten (oder soll uns das nur sagen, dass 200.000 gemeldete Fälle in Schleswig-Holstein eigentlich schon so gut wie gar keine gemeldete Fälle wären?). Lassen wir also all das beiseite und schauen wir uns die Entwicklung der Aufklärungsquote etwas genauer an:
Ob alle Länder einige neue Stellen bei der Polizei geschaffen und den SPD-Beförderungsstau aufgelöst haben? Und sogar besser als in Schleswig-Holstein, denn die Aufklärungsquote ist im Bundeschnitt ja deutlich höher als in Schleswig-Holstein? (Wegen des abgeschnittenen Sockels von 42% bis 0% sieht es fieserweise sogar so aus, als ob die Aufklärungsquote bundesweit bald doppelt so hoch wäre) Ist Schleswig-Holstein Polizei also in Wirklichkeit schlechter als in anderen Bundesländern? Und warum sinkt die Aufklärungsquote im gerade vorgelegten Bericht im Jahr 2011 fast exakt auf den Stand von 2005 – wir erinnern uns: seit 2005 stellt die CDU den Regierungschef?
Und wieder: Egal ob, CDU, SPD oder FDP (mit) am Ruder sind. Die Aussage: „Jede Regierung sagt von sich: Wir haben es trotz aller Widrigkeiten sehr gut gemacht. In unserem Fall sagen das aber auch die Zahlen“ können wir dahingestellt lassen: denn das sagt ja jede Regierung über sich. „In unserem Fall sagen das aber auch die Zahlen“ Nö, sagen sie nicht. Die Zahlen sagt nichts über Schleswig-Holstein aus. Sie blenden. Ein genauerer Blick auf die Zahl der „gemeldeten Fälle” legt ebenfalls die Vermutung nahe, dass hier ein Bundestrend herrscht.
Alles Lüge?
Man stellt sich die Frage, was so eine Broschüre soll. Wen will man damit überzeugen? Wen soll das überzeugen? Mir erschließt sich da nichts. Ich würde solche Broschüren einstampfen. Sie sind sinnlos. Soll man sie am Wahlkampfstand dem Bürger vor die Nase halten und hoffen, dass er wegen der hübschen Statistik sagt: ja diese Krankenversicherung Partei wähle ich! Oder: Oh, Gott, jetzt wo ich das sehe!!11! Die [Sozis|Schwarzen|Chaoten|…] wähl ich lieber nicht, ich will ja in den Himmel kommen!
Wohl kaum. Wahrscheinlich kann man die CDU/FDP-Regierung für ihre Arbeit in den beiden Bereichen Arbeitsmarktpolitik und Innere Sicherheit sogar durchaus loben. Oder wenigstens mit dem Meckern nicht überborden. Denn sie hat bestimmt nicht alles komplett falsch gemacht. Aber so gewinnt man keinen Blumentopf.
Denn die Menschen wählen Kandidaten. Sie wollen in die Zukunft gerichtete Aussagen zu den brennenden politischen Fragestellungen hören. Sie wollen ihre Hoffnungen und Werte in einfachen, zentralen Botschaften wiederfinden. Angst schüren vor dem politischen Mitbewerber, schlecht über ihn reden – damit gewinnt man schon längst keine Wahl mehr. Die Äußerungen über drohende Schulschließungen waren ein wunderbar schlechtes Beispiel: Norddeutsche Meisterschaften im Niveau-Limbo.
Zumal dann am Tag nach der Wahl die Rechnung kommt: Dann nützt das Zeigen auf den anderen nicht mehr. Dann muss die eigene Worthülse mit Leben gefüllt werden – ohne dass Wähler schnell zu der Auffassung gelangt, einer Mogelpackung aufgesessen zu sein.