Es fing damit an, dass es nicht anfing. Manche Zuhörer hatten die Veranstaltung bereits wieder verlassen, als um 11.26 Uhr der kirchenbedingt verspätete Ministerpräsidentenkandidat mit den – Umfragen zufolge – besten Aussichten, Torsten Albig, und der – mindestens – ebenso freundlich lächelnde Kandidat der Grünen, Robert Habeck, das Podium im gut gefüllten Saal im Kieler Hotel Atlantic bestiegen.
Die Themen: Koalitionsaussage, Landeshaushalt und Verschuldung, Hilfe für Kommunen. Erstaunlich: Das nach Aussage von Torsten Albig im Wahlkampf meist angesprochene Thema, die Bildungspolitik, war nur ein Thema am Rande. Hier ging es wieder einmal – neben Kindertagesstätten – um schlichte Strukturfragen: Soll es an Gymnasien in Fortsetzung der bisherigen Schulpolitik auch weiterhin G 9-Angebote geben, wofür Robert Habeck im Sinne des Schulfriedens plädiert, oder sollen keine weiteren G 9-Klassen genehmigt werden, wie im SPD-Programm gefordert? Auch wenn Albig pflichtgemäß die Parteilinie der SPD vertrat, offenkundig ist ihm dies kein Herzblut wert: „Das werden wir in den Koalitionsverhandlungen sicher klären können“.
Weit spannender, zumal kontrovers, waren dagegen die Auffassungen zum Landeshaushalt. Die von der SPD geforderten Mehrausgaben würden ja nur – auf 10 Jahre verteilt – rund 20 Millionen Euro im Jahr ausmachen, das sei doch nur ein kleiner Teil des ohnehin vorhandenen strukturellen Defizits. Und überhaupt sei die Entnahme von 120 Millionen Euro aus dem kommunalen Topf zugunsten des Landes ebenso wie die Kürzungen bei den Schulen der dänischen Minderheit oder beim Blindengeld letztlich auch ein Teil des strukturellen Haushaltsdefizits, weshalb die Konsolidierung dies ebenfalls berücksichtigen müsse und folglich auf 10 Jahre anzulegen sei.
Nicht an einzelnen Stellen Sparen, um zu zeigen, dass es wehtut, so das Credo von Torsten Albig, sondern strukturell sparen und anschauen, was wirklich nötig sei. Die – grundsätzlich unbestrittene – Beendigung der Neuverschuldung („Schuldenbremse“) sei nur ein „singuläres Ziel“, hinter dem gegenwärtig alles Andere zurückstehe. Und welcher Zuhörer – und erst recht: Zuhörerin – hätte in diesem Auditorium der führenden kommunalpolitischen Köpfe von SPD und Grünen bestreiten wollen, dass die Arbeit der Erzieherin im Kieler (Problem-)Stadtteil Gaarden unverzichtbar ist, die neunprozentige Versorgung dringend verbessert werden muss und der Ausbau der Kinderbetreuung deshalb nicht der Schuldenbremse geopfert werden darf?
Neu war, dass die „kommunalen“ 120 Millionen Euro den Kommunen nicht ohne Gegenleistungen gegeben werden sollen. Vielmehr möchte die SPD diese Millionen an die Einlösung des vom Bundestag beschlossenen Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz binden. Und dies über 5 Jahre verteilt.
Eher vorsichtig die Replik von Robert Habeck: Wie sollen die vorgesehenen dauerhaften Mehrausgaben finanziert werden? Schließlich steigt das strukturelle Defizit um eben jene 20 Millionen Euro (oder auch 44 Millionen Euro?) pro Jahr, was bedeutet: Zusätzlich zur für die Einhaltung des Konsolidierungspfads erforderlichen Kürzung von rd. 130 Millionen Euro pro Jahr müssen folglich jedes Jahr mindestens weitere 20 Millionen Euro irgendwo herkommen. Schon bislang sei es außerordentlich schwierig, realistische Einsparvorschläge zu entwickeln, wie die Erfahrungen der Grünen Landtagsfraktion Rahmen der Haushaltsberatungen gezeigt hätten. Die Hoffnung auf höhere Einnahmen sei trügerisch. So manche Kommune etwa könne besser mit geringeren Landeszuweisungen als mit weiteren Steigerungen der Grunderwerbssteuer leben.
Insofern bleibt die Frage: Wo soll eingespart werden? Wo soll das Geld herkommen?
Kein Wunder, dass Robert Habeck die Frage von Moderator Carsten Kock nach den Eigenschaften, die er an Torsten Albig bewundert, beantwortet mit: Seine Großzügigkeit bei Haushaltsangelegenheiten.
Ach ja, die Koalitionsaussagen.
Unisono wird die größte Gefahr für eine neue, rot-grüne Politik in den Piraten gesehen. Das – an sich sympathische – Konzept der Liquid Democracy könne die fehlende Zielorientierung und Programmatik nicht ersetzen. Und klar sei: „Schwarz/grün ist gegessen.“
Schuldenbremse?
„Häufig wird die Volkswirtschaft mit einem verschuldeten Einzelhaushalt verglichen, der durch Sparmaßnahmen seine Kredite verringert. Dies ist zwar für Einzelelemente einer Volkswirtschaft möglich, jedoch nicht in der Gesamtbilanz aller Teilnehmer. In der gesamten Volkswirtschaft muss die Summe der Geldvermögen immer gleich groß sein wie die Gesamtverschuldung, da Vermögen auf der einen Seite Schulden auf der anderen Seite bedeuten. In unserem Geldsystem steigen die Geldvermögen durch die Verzinsung an, weshalb die Verschuldung um den gleichen Betrag wachsen muss. Es ist unmöglich, die Verschuldung abzubauen und die Geldvermögen anwachsen zu lassen. Ein Rückgang der Kreditaufnahme würde zu einem fallenden Zinssatz führen, weil sich der Zins aus Angebot und Nachfrage nach Krediten bildet. Fällt nun der Zinssatz unter eine Mindesthöhe (Liquiditätsgrenze), kommt es zu einer Deflation, also einem Rückzug des Geldes, weil niemand bereit wäre, überhaupt noch Kapital ohne Mindestverzinsung zu verleihen. Die Folgen wären Massenarbeitslosigkeit, Verarmung der Bevölkerung, Hunger und Bürgerkrieg. Die Neuverschuldung dient letztlich dazu, den Zinssatz auf genügender Höhe zu halten, um ein Abgleiten der Volkswirtschaft in die Deflation zu verhindern. Aus diesem Grund ist die Gesamtverschuldung, seit Bestehen der Bundesrepublik, noch nie ohne Reduzierung der Geldvermögen zurückgegangen. Wenn sich die Unternehmen nicht ausreichend verschuldeten, musste der Staat eingreifen und die schnell wachsenden Geldvermögen als entsprechende Kredite nehmen. Weder Sparmaßnahmen der Unternehmen und des Staates noch der Wunsch nach Politikern mit Sparsinn können diesen Verschuldungszwang unterbrechen.”
Günter Hannich, aus „Der Weg in den Dritten Weltkrieg”, 2006
Dass „Spitzenpolitiker” und „Wirtschaftsexperten” kein Interesse an einer funktionierenden Volkswirtschaft haben, ist unmittelbar einsichtig, denn sie leben davon, dass die Wirtschaft eben nicht funktioniert, so wie Zahnärzte davon leben, dass viele Menschen ungesunde Zähne haben. Doch was ist mit allen anderen, die ein Interesse daran haben müssten, dass die Wirtschaft funktioniert?
„Man bedenke, es handelt sich nur um einen Roman. Die Wahrheit wird – wie stets – weit erstaunlicher sein.”
Arthur C. Clarke, Vorwort zu „2001”
Wer die Welt verstehen will, muss zuerst die Religion (selektive geistige Blindheit gegenüber makroökonomischen Konstruktionsfehlern) verstehen: http://www.juengstes-gericht.net