Torsten Albig im Gespräch mit Robert Habeck – Der Landeshaushalt als Wundertüte

Von | 23. April 2012

Es fing damit an, dass es nicht anfing. Manche Zuhörer hat­ten die Veranstaltung bereits wie­der ver­las­sen, als um 11.26 Uhr der kir­chen­be­dingt ver­spä­te­te Ministerpräsidentenkandidat mit den – Umfragen zufol­ge – bes­ten Aussichten, Torsten Albig, und der – min­des­tens – eben­so freund­lich lächeln­de Kandidat der Grünen, Robert Habeck, das Podium im gut gefüll­ten Saal im Kieler Hotel Atlantic bestie­gen.

Die Themen: Koalitionsaussage, Landeshaushalt und Verschuldung, Hilfe für Kommunen. Erstaunlich: Das nach Aussage von Torsten Albig im Wahlkampf meist ange­spro­che­ne Thema, die Bildungspolitik, war nur ein Thema am Rande. Hier ging es wie­der ein­mal – neben Kindertagesstätten – um schlich­te Strukturfragen: Soll es an Gymnasien in Fortsetzung der bis­he­ri­gen Schulpolitik auch wei­ter­hin G 9-Angebote geben, wofür Robert Habeck im Sinne des Schulfriedens plä­diert, oder sol­len kei­ne wei­te­ren G 9-Klassen geneh­migt wer­den, wie im SPD-Programm gefor­dert? Auch wenn Albig pflicht­ge­mäß die Parteilinie der SPD ver­trat, offen­kun­dig ist ihm dies kein Herzblut wert: „Das wer­den wir in den Koalitionsverhandlungen sicher klä­ren kön­nen“.

Weit span­nen­der, zumal kon­tro­vers, waren dage­gen die Auffassungen zum Landeshaushalt. Die von der SPD gefor­der­ten Mehrausgaben wür­den ja nur – auf 10 Jahre ver­teilt – rund 20 Millionen Euro im Jahr aus­ma­chen, das sei doch nur ein klei­ner Teil des ohne­hin vor­han­de­nen struk­tu­rel­len Defizits. Und über­haupt sei die Entnahme von 120 Millionen Euro aus dem kom­mu­na­len Topf zuguns­ten des Landes eben­so wie die Kürzungen bei den Schulen der däni­schen Minderheit oder beim Blindengeld letzt­lich auch ein Teil des struk­tu­rel­len Haushaltsdefizits, wes­halb die Konsolidierung dies eben­falls berück­sich­ti­gen müs­se und folg­lich auf 10 Jahre anzu­le­gen sei.

Nicht an ein­zel­nen Stellen Sparen, um zu zei­gen, dass es weh­tut, so das Credo von Torsten Albig, son­dern struk­tu­rell spa­ren und anschau­en, was wirk­lich nötig sei. Die – grund­sätz­lich unbe­strit­te­ne – Beendigung der Neuverschuldung („Schuldenbremse“) sei nur ein „sin­gu­lä­res Ziel“, hin­ter dem gegen­wär­tig alles Andere zurück­ste­he. Und wel­cher Zuhörer – und erst recht: Zuhörerin – hät­te in die­sem Auditorium der füh­ren­den kom­mu­nal­po­li­ti­schen Köpfe von SPD und Grünen bestrei­ten wol­len, dass die Arbeit der Erzieherin im Kieler (Problem-)Stadtteil Gaarden unver­zicht­bar ist, die neun­pro­zen­ti­ge Versorgung drin­gend ver­bes­sert wer­den muss und der Ausbau der Kinderbetreuung des­halb nicht der Schuldenbremse geop­fert wer­den darf?

Neu war, dass die „kom­mu­na­len“ 120 Millionen Euro den Kommunen nicht ohne Gegenleistungen gege­ben wer­den sol­len. Vielmehr möch­te die SPD die­se Millionen an die Einlösung des vom Bundestag beschlos­se­nen Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz bin­den. Und dies über 5 Jahre ver­teilt.

Eher vor­sich­tig die Replik von Robert Habeck: Wie sol­len die vor­ge­se­he­nen dau­er­haf­ten Mehrausgaben finan­ziert wer­den? Schließlich steigt das struk­tu­rel­le Defizit um eben jene 20 Millionen Euro (oder auch 44 Millionen Euro?) pro Jahr, was bedeu­tet: Zusätzlich zur für die Einhaltung des Konsolidierungspfads erfor­der­li­chen Kürzung von rd. 130 Millionen Euro pro Jahr müs­sen folg­lich jedes Jahr min­des­tens wei­te­re 20 Millionen Euro irgend­wo her­kom­men. Schon bis­lang sei es außer­or­dent­lich schwie­rig, rea­lis­ti­sche Einsparvorschläge zu ent­wi­ckeln, wie die Erfahrungen der Grünen Landtagsfraktion Rahmen der Haushaltsberatungen gezeigt hät­ten. Die Hoffnung auf höhe­re Einnahmen sei trü­ge­risch. So man­che Kommune etwa kön­ne bes­ser mit gerin­ge­ren Landeszuweisungen als mit wei­te­ren Steigerungen der Grunderwerbssteuer leben.

Insofern bleibt die Frage: Wo soll ein­ge­spart wer­den? Wo soll das Geld her­kom­men?
Kein Wunder, dass Robert Habeck die Frage von Moderator Carsten Kock nach den Eigenschaften, die er an Torsten Albig bewun­dert, beant­wor­tet mit: Seine Großzügigkeit bei Haushaltsangelegenheiten.

Ach ja, die Koalitionsaussagen.
Unisono wird die größ­te Gefahr für eine neue, rot-grü­ne Politik in den Piraten gese­hen. Das – an sich sym­pa­thi­sche – Konzept der Liquid Democracy kön­ne die feh­len­de Zielorientierung und Programmatik nicht erset­zen. Und klar sei: „Schwarz/​grün ist geges­sen.“

 

Ein Gedanke zu “Torsten Albig im Gespräch mit Robert Habeck – Der Landeshaushalt als Wundertüte”:

  1. Stefan Wehmeier

    Schuldenbremse?

    „Häufig wird die Volkswirtschaft mit einem ver­schul­de­ten Einzelhaushalt ver­gli­chen, der durch Sparmaßnahmen sei­ne Kredite ver­rin­gert. Dies ist zwar für Einzelelemente einer Volkswirtschaft mög­lich, jedoch nicht in der Gesamtbilanz aller Teilnehmer. In der gesam­ten Volkswirtschaft muss die Summe der Geldvermögen immer gleich groß sein wie die Gesamtverschuldung, da Vermögen auf der einen Seite Schulden auf der ande­ren Seite bedeu­ten. In unse­rem Geldsystem stei­gen die Geldvermögen durch die Verzinsung an, wes­halb die Verschuldung um den glei­chen Betrag wach­sen muss. Es ist unmög­lich, die Verschuldung abzu­bau­en und die Geldvermögen anwach­sen zu las­sen. Ein Rückgang der Kreditaufnahme wür­de zu einem fal­len­den Zinssatz füh­ren, weil sich der Zins aus Angebot und Nachfrage nach Krediten bil­det. Fällt nun der Zinssatz unter eine Mindesthöhe (Liquiditätsgrenze), kommt es zu einer Deflation, also einem Rückzug des Geldes, weil nie­mand bereit wäre, über­haupt noch Kapital ohne Mindestverzinsung zu ver­lei­hen. Die Folgen wären Massenarbeitslosigkeit, Verarmung der Bevölkerung, Hunger und Bürgerkrieg. Die Neuverschuldung dient letzt­lich dazu, den Zinssatz auf genü­gen­der Höhe zu hal­ten, um ein Abgleiten der Volkswirtschaft in die Deflation zu ver­hin­dern. Aus die­sem Grund ist die Gesamtverschuldung, seit Bestehen der Bundesrepublik, noch nie ohne Reduzierung der Geldvermögen zurück­ge­gan­gen. Wenn sich die Unternehmen nicht aus­rei­chend ver­schul­de­ten, muss­te der Staat ein­grei­fen und die schnell wach­sen­den Geldvermögen als ent­spre­chen­de Kredite neh­men. Weder Sparmaßnahmen der Unternehmen und des Staates noch der Wunsch nach Politikern mit Sparsinn kön­nen die­sen Verschuldungszwang unter­bre­chen.”

    Günter Hannich, aus „Der Weg in den Dritten Weltkrieg”, 2006

    Dass „Spitzenpolitiker” und „Wirtschaftsexperten” kein Interesse an einer funk­tio­nie­ren­den Volkswirtschaft haben, ist unmit­tel­bar ein­sich­tig, denn sie leben davon, dass die Wirtschaft eben nicht funk­tio­niert, so wie Zahnärzte davon leben, dass vie­le Menschen unge­sun­de Zähne haben. Doch was ist mit allen ande­ren, die ein Interesse dar­an haben müss­ten, dass die Wirtschaft funk­tio­niert?

    „Man beden­ke, es han­delt sich nur um einen Roman. Die Wahrheit wird – wie stets – weit erstaun­li­cher sein.”

    Arthur C. Clarke, Vorwort zu „2001”

    Wer die Welt ver­ste­hen will, muss zuerst die Religion (selek­ti­ve geis­ti­ge Blindheit gegen­über makro­öko­no­mi­schen Konstruktionsfehlern) ver­ste­hen: http://www.juengstes-gericht.net

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