Der öffentliche Herr Abgeordnete

Von | 24. April 2012

Ein Listenkandidat einer Partei fin­det, dass sein Beruf zu sei­ner Privatsphäre gehö­re. Geht das?

Diskussionen über Transparenz in der Politik gibt es seit Jahren. Glaubt man Umfragen und Meinungsforschern, dann erhöht sich gleich­wohl mehr und mehr die Vorstellung, die Bevölkerung habe in poli­ti­sche Prozesse im Allgemeinen und Politiker im Besonderen kein Vertrauen (mehr). Reden allein genügt also nicht.

Soweit es um die poli­ti­sche und admi­nis­tra­ti­ve Prozesse geht, kön­nen wir – auch dank fort­schrei­ten­der Digitalisierung von „Vorgängen“ – mit fak­tisch jeder­zeit öffent­lich ein­seh­ba­ren und bar­rie­re­frei zugäng­li­chen Informationen eine gewis­se sta­ti­sche Durchschaubarkeit schaf­fen („gewis­se“, weil Öffentlichkeit allein nicht auch schon Verständlichkeit schafft). Politische Transparenz umfasst über die sta­ti­sche Bereitstellung hin­aus auch die Möglichkeit zur Kommunikation und Partizipation.

Dass dies auf der Agenda der Politik steht, ver­dan­ken wir auch Ereignissen wie Stuttgart 21 und der Arbeit der Piratenpartei, zu deren Hauptforderungen die Schaffung von poli­ti­scher Transparenz gehört.

Transparenz kann kein Vertrauen schaffen

Transparenz kann kein Vertrauen stif­ten“ hat Christoph Kappes als Sachverständiger gegen­über der Enquete-Kommission „Internet und digi­ta­le Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages aus­ge­führt:

Transparenz betrifft infor­ma­to­ri­sche Sachverhalte in Vergangenheit und Gegenwart, Vertrauen aber ist immer eine Erwartung an Verhalten in der Zukunft. Transparenz kann kein Vertrauen stif­ten. Vertrauen wird erlernt oder ver­lo­ren, wenn Personen Handlungsfreiheit in die­se oder jene Richtung nut­zen. Gegenüber jeman­dem, der stän­dig beob­ach­tet ist, kann man kein Vertrauen ent­wi­ckeln. Daher steht die Forderung nach Transparenz in der Zukunft in einem Spannungsverhältnis zu Vertrauen wie Kontrolle zu Vertrauen.”

Ebenso argu­men­tiert Byung-Chul Han, Professor für Philosophie und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Er ver­tritt in einem Artikel in der ZEIT die Meinung, das gern benutz­te Motto „Transparenz schafft Vertrauen“ ver­ber­ge in sich einen Widerspruch: „Vertrauen ist nur mög­lich in einem Zustand zwi­schen Wissen und Nichtwissen. Vertrauen heißt, trotz Nichtwissen gegen­über dem ande­ren eine posi­ti­ve Beziehung zu ihm auf­zu­bau­en.“ Und: „Die Forderung nach Transparenz wird gera­de da laut, wo kein Vertrauen mehr vor­han­den ist. Die Transparenzgesellschaft ist eine Gesellschaft des Misstrauens, die auf­grund des schwin­den­den Vertrauens auf Kontrolle setzt.“ Der Umkehrschluss „Keine Transparenz schafft Vertrauen“ gin­ge fehl, denn nicht die Transparenz son­dern ihr Abgleiten in die Kontrolle, ihre „Ideologisierung, Fetischisierung oder Totalisierung“, steht in der Kritik.

Wir brau­chen also Transparenz. Aber nicht nur. Fordern wir Transparenz auch von den Akteuren (damit mei­ne ich nicht die auf die Offenlegung jeg­li­cher Privatsphäre schie­len­de „post-pri­va­cy“ Diskussion), ver­las­sen wir also den insti­tu­tio­nel­len Teil, schau­en wir auf deren Handeln oder Verhandeln. Für Kappes geht die Entwicklung (auch dank Informationstransparenz und Social-Media-Profanität) dahin, dass „Politik noch weni­ger insze­niert wer­den kann, noch weni­ger durch Symbolakte geschieht und noch weni­ger durch emo­tio­na­le Aufladung wir­ken kann.“ Mehr Sachlichkeit also und mehr Authentizität.  

Dies kann aber nur gesche­hen, wenn 1.) die han­deln­den Akteure die­se Kulturtechniken beherr­schen (wer ab und an Debatten in Parlamenten ver­folgt, weiß, dass das ein wei­ter Weg ist) und 2.) wir den Akteuren wegen ihres (authen­ti­schen, sach­li­chen und kom­pe­ten­ten) Seins und Handelns Vertrauen schen­ken wol­len.

Verlust an Privatsphäre

Damit wir einer Person Vertrauen schen­ken kön­nen, dür­fen wir sie nicht durch Orwellsche Überwachung, die als Transparenz getarnt auf­tritt, kon­trol­lie­ren. Das wäre so wider­sprüch­lich. Ist die Person Abgeordnete, wäre das zudem unmög­lich, denn der Abgeordnete ist kei­ne Marionette, son­dern allein sei­nem Gewissen unter­wor­fen und damit not­wen­di­ger­wei­se mit etwas aus­ge­stat­tet, was sich jeder äuße­ren Kontrolle und Überwachung ent­zieht. Jenseits sei­nes Gewissens jedoch sind sein Handeln, sei­ne Geschichte und sei­ne Verflechtungen nicht allein Privatsphäre son­dern immer auch im Fokus des Volkes, das er zu ver­tre­ten gewählt wur­de. Wer ein öffent­li­ches Amt wahr­nimmt, Volksvertreter sein möch­te, der ver­liert Privatsphäre.

Aus die­ser Grundidee sind, auch durch das Bundesverfassungsgericht, Offenbarungspflichten für Abgeordnete ent­stan­den, die sich unter ande­rem in Verhaltensregeln mani­fes­tiert haben. Die Regeln wol­len Transparenz erzeu­gen, die die Abgeordneten zu „regel­kon­for­men Verhalten“ anhält, ohne zu sank­tio­nie­ren: „Es ist an der infor­mier­ten Öffentlichkeit, den Wählern, die Konsequenzen zu zie­hen, indem sich die Wahlchance des Abgeordneten (und ggfs sogar sei­ner Partei) ver­schlech­tern.“ (Jürgen Bröhmer, Transparenz als Verfassungsprinzip)

Verhaltensregeln

Die in Schleswig-Holstein gel­ten­den Regeln sind, um Vertrauen in den Politiker set­zen zu kön­nen und Korruption und Bestechlichkeit zu ver­hin­dern, sich noch ver­bes­se­rungs­fä­hig. Neben den Tätigkeiten und Funktionen in Vereinen oder Verbänden wür­de ich mir zum Beispiel eine Aufzählung aller Mitgliedschaften wün­schen.

Die per­sön­li­chen Angaben der Abgeordneten (als Beispiel Herr Dr. Abercron – weil er der Erste im Alphabet ist) geben schon jetzt einen guten Überblick. Angaben über Umstände, die – mitt­ler­wei­le – ein­mü­tig der pri­va­ten Sphäre zuge­ord­net wer­den (wie etwa Familienstand, Zahl etwai­ger Kinder, Religionszugehörigkeit), unter­lie­gen der Freiwilligkeit. Nach den Vorstellungen der Opposition soll­ten die wei­te­ren Angaben nach den Verhaltensregeln für die Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtages jedoch in bestimm­ten, finan­zi­el­len Bereichen erwei­tert wer­den.

Kleine Abweichungen (wie etwa das Fehlen eines Geburtstages) kann man lächelnd hin­neh­men. Und sicher gibt es Grenzbereiche, über die man strei­ten kann: Herr Kubicki hat z.B. (als ein­zi­ger Abgeordneter) erklärt, dass er – auf­grund sei­nes infor­ma­tio­nel­len Selbstbestimmungsrechts – bestimm­te Verhaltensregeln nicht ein­hal­ten und dies­be­züg­lich kei­ne Angaben machen wird. Nun ist es also am Wähler zu ent­schei­den, ob ihm die­ses Verhalten Respekt abringt und Vertrauen ein­flößt – oder eben nicht.

Selbstverständliches

Worüber man heu­te nicht mehr strei­tet, sind Angaben über Nebentätigkeiten, Funktionen in Unternehmen oder beruf­li­che Tätigkeiten. Wir wol­len wis­sen, woher ein/​e Abgeordnete/​r ihr/​sein Geld bezieht, bei und für wen sie oder er gear­bei­tet hat, bevor sie/​er ihr/​sein Mandat errang. Das ist auch legi­tim: Wir erfah­ren etwas über ihre Kompetenz, ihre Erfahrung, ihre Zugehörigkeit zu einem Klientel. Wir wis­sen dann auch um ihre finan­zi­el­le Abhängigkeit, denn sie genie­ßen – sofern sie nicht selbst­stän­dig waren –  den Kündigungsschutz für Abgeordnete. Sie kön­nen also in den alten Beruf zurück­keh­ren und sind eben­so frei wie sie Einflüssen und Zwängen aus­ge­lie­fert sein kön­nen. Wir wäh­len näm­lich kei­ne Abstimmungsmaschinen oder Katzen im Sack son­dern Menschen, die unse­re Interessen ver­tre­ten sol­len, denen wir also ver­trau­en kön­nen wol­len.

Bis ges­tern (23. April) hat­te ich gedacht, dass man sol­che Dinge nicht mehr auf­schrei­ben muss. Doch dann las ich ein Portrait in der taz über Dr. Patrick Breyer, der auf Platz vier der Landesliste der Piratenpartei für die Landtagswahl am 6.Mai steht: Der pri­va­te Herr Breyer In dem Artikel heißt es: „Für wen der Jurist arbei­tet, sagt er nicht. Passt das zur Transparenz, die Piraten for­dern? ‚Was wir für ande­re machen, muss trans­pa­rent und öffent­lich lau­fen.‘ Sein Job gehört für ihn zur Privatsphäre. Und was ist mit Interessenkonflikten? ‚Wenn wir Erfolg haben, dann bin ich dort nicht mehr beschäf­tigt.‘“

Ach ne!? Ich fürch­te, da hat jemand etwas ganz Grundsätzliches noch nicht ver­stan­den. Wer meint, dass sein Job zu sei­ner Privatsphäre gehört und den Wähler und die Öffentlichkeit nichts angeht, der soll sich bit­te fra­gen, ob er das Mandat des Abgeordneten in sei­ner gesell­schaft­li­chen Tragweite wirk­lich ver­stan­den hat. Abgeordnete sind weder an ihre Partei noch an ihre Fraktion gebun­den. Sie sind an kei­nen Auftrag der Wähler gebun­den son­dern allein ihrem Gewissen unter­wor­fen. Aus die­ser Freiheit des Mandats ergibt sich, wie ich oben begrün­det habe, eine imma­nen­te Pflicht zur Offenlegung gegen­über den Wählerinnen und Wählern.

Wem, wie Breyer, die Offenlegung der Nebeneinkünfte wich­tig ist, und wer, wie Breyer, den glä­ser­nen Abgeordneten a la Ulrich Kelber for­dert, dem kann es doch nicht egal sein, womit ein Abgeordneter vor dem Mandat sein Geld ver­dient hat. Zumal, wenn er einen Beruf aus­übt, der von Verfassung wegen per­so­ni­fi­zier­bar ist. Der gesetz­li­che Richter ist per Geschäftsverteilungsplan bekannt. Auch beim Amtsgericht Meldorf

Update: In der ers­ten Fassung des Artikels stand, dass bei den per­sön­li­chen Angaben Aussagen zum Familienstand, der Zahl etwai­ger Kinder oder der Religionszugehörigkeit fehl­ten. Das ist, wie der bei­ge­füg­te Link exem­pla­risch zeigt, nicht rich­tig. Ich habe den Satz kor­ri­giert.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

4 Gedanken zu “Der öffentliche Herr Abgeordnete”:

  1. Pingback: Patrick Breyer » Zum taz-Portrait “Der private Herr Breyer” [ergänzt] (Piratenpartei) - Klarmachen zum Ändern!

  2. hm

    Patrick Breyer schreibt:

    „Landesblogger Swen Wacker (…) hat im Internet her­aus­ge­fun­den, dass es am Amtsgericht Meldorf einen Richter mei­nes Familiennamens gibt, und zieht dar­aus den Schluss, dass es sich um mich han­deln müs­se. Das ent­sprä­che den Grundsätzen jour­na­lis­ti­scher Sorgfalt dann, wenn jeweils nur eine Person pro Familiennamen in einem Ort woh­nen oder arbei­ten wür­de.”

    Im Internet kann man auch (auf der ziem­lich unsäg­li­chen Seite vaeternotruf.de, die aber das Handbuch der Justiz im wesent­li­chen feh­ler­frei abge­tippt hat und aktua­li­siert) nach­le­sen, dass Dr. Patrick Breyer, Jahrgang 1977, am Amtsgericht Meldorf als Richter tätig ist. Ich fin­de es ja aller Ehren wert, bei einem poli­ti­schen Engagement nicht öffent­lich das Richteramt her­aus­zu­keh­ren. Das „Outing” aber damit zu kom­men­tie­ren, es ent­spre­che nicht der jour­na­lis­ti­schen Sorgfaltspflicht, fin­de ich durch­aus etwas, nun, albern.

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