Der Religionsuntericht ist in der Diskussion

Von | 25. April 2012

Der Religionsunterricht ist in der Diskussion. Mal wie­der. Und genau­so, wie seit Jahrzehnten lei­den­schaft­lich um ihn gerun­gen wird, geschieht das auch in die­sen Tagen in Schleswig-Holstein. Was war gesche­hen? Der Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidat der Grünen in Schleswig-Holstein, Robert Habeck, hat­te mit Verweis auf das grü­ne Wahlprogramm ange­regt, einen über­kon­fes­sio­nell gepräg­ten Religionsunterricht ein­zu­füh­ren. Die Reaktionen der Kirchen und ande­rer Parteien lie­ßen nicht lan­ge auf sich war­ten. Bis auf den kir­chen­po­li­ti­schen Sprecher der SPD, Rolf Fischer, waren sie eher ableh­nend und pro­pa­gier­ten den tra­dier­ten kon­fes­sio­nel­len Religionsunterricht. Die Diskussion indes geht wei­ter, am 24.4. berich­te­te wie­der die LN aus­führ­lich.

Das Thema ist zu evi­dent, als dass man es ein­fach so im Rechts-Links-Schema erle­di­gen könn­te. In der schu­li­schen Realität kommt dem Religionsunterricht, gleich wel­cher Konfessionen, bei­lei­be nicht mehr die Bedeutung zu, die er einst gehabt hat. Vielfach fal­len die Stunden aus, oder der Unterricht wird in Randstunden unter­teilt, und von Seiten vie­ler Eltern nimmt man ihn eh nicht so wich­tig. Seit PISA gel­ten für vie­le die har­ten Fakten, weni­ger die meta­phy­si­schen Fragen.

Folgt man dem Grundgesetz (Artikel 7 Absatz 3), ist die Sachlage klar: der Religionsunterricht ist in den meis­ten Bundesländern (Ausnahmen sind Bremen und Berlin) an öffent­li­chen Schulen „ordent­li­ches Lehrfach“. Er unter­liegt zwar der staat­li­chen Schulaufsicht, wird aber in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der jewei­li­gen Religionsgemeinschaft erteilt. Der Religionsunterricht rich­tet sich vor allem an die Schülerinnen und Schüler der jewei­li­gen Religion bzw. Konfession und ist für die­se Pflichtfach. Aber, und hier folgt der ers­te Einwand: Die Zeiten, in denen die­se Regelung ein­ge­führt wur­de, haben sich geän­dert. Es gibt kei­ne kon­fes­sio­nel­les Pari mehr bei uns im Land, die kon­fes­sio­nel­le Dichotomie – hier evan­ge­lisch, da katho­lisch – ist vor­bei. Die gro­ßen christ­li­chen Konfessionen haben jeweils nur noch einen Anteil von ca. 30% der Bevölkerung und selbst das nur im Mittel. In vie­len Gegenden Nord- und Ostdeutschlands sieht das schon ganz anders aus. Hier sind die Konfessionslosen in der Mehrheit. In vie­len Ballungsgebieten gibt es eine signi­fi­kan­te Anzahl von Muslimen, auch die jüdi­schen Gemeinden wach­sen. Wer also allein auf den kon­fes­sio­nel­len Religionsunterricht als ordent­li­ches Lehrfach pocht, muss erklä­ren, wie er denn die Kinder und Jugendlichen im Land erreicht, die nicht gläu­big sind, oder einer nicht­christ­li­chen Religion ange­hö­ren. Religionsunterricht darf nicht zur reli­giö­sen oder kul­tu­rel­len Ausgrenzung bei­tra­gen. Der Staat wäre dem­nach eigent­lich ver­pflich­tet, über den Status quo hin­aus auch ande­ren Glaubensrichtungen die Bereitstellung eines Religionsunterrichtes zu ermög­li­chen. Ein isla­mi­scher Religionsunterricht wür­de der gesell­schaft­li­chen Wirklichkeit Rechnung tra­gen und einen Beitrag zur Integration der Bürgerinnen und Bürger mus­li­mi­schen Glaubens leis­ten.

Das erwäh­nen die, die jetzt auf den Status quo pochen, lei­der nicht. Die Diskussion aber ist wich­tig. Erstens stellt sich die Frage, wie wir mit dem Unterricht ange­sichts der reli­giö­sen Heterogenität in die­sem Land umge­hen. Und zwei­tens stellt sich die Frage, wie wir reli­giö­se Traditionen, Gebräuche, aber auch Konflikte und, ja, Werte erklär­bar machen kön­nen. Wer glaub­te, Religion sei out, wur­de in den ver­gan­ge­nen zehn Jahren eines bes­se­ren belehrt. Gerade jüngst dis­ku­tier­te die Islamkonferenz, ob sala­fis­ti­sche Gruppen bei uns den Koran ver­tei­len dür­fen. Viele Politiker stör­ten sich an Christian Wulffs Ausspruch, der Islam gehö­re zu Deutschland. Andere beto­nen unse­re „christ­lich-jüdi­sche“ Leitkultur. Die Medien berich­ten über den Präsidentschaftswahlkampf in den USA unter der Frage, ob ein Mormone Präsident wer­den darf. Beispiele könn­ten hier noch zur Genüge auf­ge­stellt wer­den. Wie aber soll jemand, der wenig Einblick in die reli­giö­se Kultur hat – ob er oder sie nun gläu­big ist oder nicht – sich an der Diskussion betei­li­gen? Bildung tut auch hier Not, gera­de auch die Bildung in reli­giö­sen Fragen. Der rich­ti­ge Ort für die­se Bildung ist die Schule.

Ob das nun über einen kon­fes­sio­nel­len Religionsunterricht, einen öku­me­ni­schen Religionsunterricht, über Religionskunde oder Ethik zu leis­ten ist, mag dahin gestellt sein, muss aber unter den ver­än­der­ten Bedingungen dis­ku­tiert wer­den. Es geht ja in einer sol­chen Diskussion wahr­lich nicht dar­um, anti-reli­giö­se oder anti-kirch­li­che Ressentiments zu wecken. Es geht schlicht um die Frage, wie wir in Zukunft unse­ren Kindern und Jugendlichen ver­mit­teln, dass reli­giö­se Fragen, reli­giö­se Bräuche, reli­giö­ses Denken, Gläubigkeit und Zweifel zur Natur des Menschen gehö­ren, und zwar in welt­weit unter­schied­li­chen Ausprägungen.

Das Thema auf die Agenda zu set­zen, zeugt von einem Denken, das um gesell­schaft­li­che Veränderungen weiß und das dar­um bemüht ist, dem ange­mes­sen Rechnung zu tra­gen. Insofern ist der Ansatz der Grünen legi­tim. Veränderungen in der bis­he­ri­gen Praxis müs­sen da nicht das Schlechteste sein. Von einem kon­fes­sio­nel­len Religionsunterricht, der von immer weni­ger Schülern besucht wird, haben auch die bei­den Kirchen nichts. Die ande­ren Religionsgemeinschaften schon gar nicht.

Aber Obacht: Die Diskussion darf kei­nen Freibrief für Schulpolitiker zum Kürzen dar­stel­len. Wir brau­chen eher mehr reli­giö­se Kompetenzvermittlung, nicht weni­ger. Wir brau­chen gut aus­ge­bil­de­te und in ihrer Konfession oder Religion fest ver­wur­zel­te Lehrkräfte. Wie der Unterricht dann aus­sieht, dar­über darf man wahr­haft dis­ku­tie­ren. Ob er als Religionskunde statt­fin­det, ob er abwech­selnd kon­fes­sio­nell und über­kon­fes­sio­nell erfolgt, ob er in gemein­sa­mer Verantwortung der Kirchen und/​oder Religionsgemeinschaften statt­fin­det, ob die Lehrkräfte der ver­schie­de­nen Religionen und Konfessionen viel­leicht rotie­ren und so die Schülerinnen und Schüler alle Sichtweisen ver­mit­telt bekom­men – all das soll­te dis­ku­tiert wer­den, weil es der Realität Rechnung trägt.

Von daher wird es Zeit, sich gemein­sam, Kirchen, Religionsgemeinschaften, Lehrer und Schulplanung an einen (run­den) Tisch zu set­zen, um Modelle zu erar­bei­ten, wie reli­giö­ses Wissen in Zukunft gemein­sam und für alle ver­mit­telt wer­den kann. Ganz neu ist der Gedanke nicht. Schon 1997 gab es in Schleswig-Holstein einen umfas­sen­den Runderlass, der die gesell­schaft­li­chen Veränderungen prä­zi­se for­mu­lier­te und für eine ver­stärk­te Kooperation der christ­li­chen Konfessionen in punc­to Religionsunterricht plä­dier­te. „Darüber hin­aus­ge­hen­de Formen der kon­fes­sio­nel­len Kooperation“, so heißt es in dem Erlass, „erfor­dern Absprachen zwi­schen den Kirchen und den zustän­di­gen staat­li­chen Stellen.“ Das ist doch die rich­ti­ge for­mu­lier­te Bereitschaft zu einem Dialog über die Zukunft der reli­giö­sen Bildung an unse­ren Schulen. Der Dialog wäre ein kon­struk­ti­ver Angang für die Zukunft; die Debatte ist eröff­net, und wir soll­ten sie nut­zen.

Von:

Dr. Martin Lätzel ist Theologe und Publizist. Er blogt zu bildungs- und kulturpolitischen Themen auf dem Bildungsweg.

6 Gedanken zu “Der Religionsuntericht ist in der Diskussion”:

  1. Melanie Richter

    Religionsgeschichtliche und ethi­sche Fragen, die ja auch in den tra­di­tio­nel­len Religionsunterricht fal­len, kön­nen mei­ner Meinung nach in einem kon­fes­si­ons­frei­en Fach Ethik unter­rich­tet wer­den, dass sich an SchülerInnen aller Konfessionen bzw. kon­fes­si­ons­lo­se rich­ten.
    Für kon­fes­si­ons­ge­bun­de­ne Inhalte könn­ten Angebote in den Wahlpflichtbereich gelegt wer­den, was zumin­dest an vie­len Gemeinschaftsschulen auch schon der Fall ist. In die­sem Bereich ist auch eine Zusammenarbeit mit den Kirchen im Stadtteil anzu­stre­ben, damit Arrangements geschaf­fen wer­den, die es bei­spiels­wei­se Ganztagsschülern ermög­li­chen, statt einem Ganztagsangebot den Konfirmationsunterricht der ansäs­si­gen Gemeinde zu besuch­ten.

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  2. Rainer Beuthel

    Aus mei­ner Sicht gibt es nur einen Weg: das Grundgesetz muß geän­dert, das Staatskirchenrecht incl. Kirchensteuer abge­schafft wer­den. Religion ist dann end­gül­tig Privatsache, die unter­schied­li­chen Konfessionen kön­nen ihren jewei­li­gen Gläubigen ger­ne Wissen und Werte ver­mit­teln — außer­halb der Schulen. In den Schulen gehö­ren zugleich alle wesent­li­chen Religionen — wie auch Atheismus und Agnostizismus — zum Unterrichtsstoff. In wel­chen Fächern dies geschieht, ist zweit­ran­gig, ob „Ethik”, „Religionskunde”, „Philosophie” oder was immer: es kommt dar­auf an, die unter­schied­li­chen Varianten reli­giö­sen Lebens, huma­ner Weltauffassung, gott­lo­sen Denkens dar­zu­stel­len — ohne kirch­lich gelenk­ten Interessendrall. Das wäre fair.

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    1. Oliver Fink

      Wenn wir mal einer Meinung sind, Rainer, dann macht mich das immer so ein wenig nach­denk­lich. ;)
      Hier ist es übri­gens der Fall.

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      1. Rainer Beuthel

        Nur bei der Kompostierungsanlage konn­ten wir uns nie eini­gen.…
        Aber manch­mal schrei­tet das Leben auch ohne­hin vor­an!
        Bis spä­ter.

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  3. Nicole Simon

    Religion kann ger­ne als frei­wil­li­ges Wahlfach unter­rich­tet wer­den, ich wür­de es als okay anse­hen, wenn dort Schulen Räume bereit­stel­len. Aber wer tief­grei­fen­de­re ‚Religion’ ver­mit­teln möch­te, soll das in sei­ner Kirche tun, egal in wel­cher.

    Ob das nun unbe­dingt ein Fach Ethik sein muß oder ob „ler­ne was Deine Geschichte in Europa ist und wel­che Rolle Religion in Kulturen spielt’ in den Kontext von ande­ren Fächern gehört sei dahin­ge­stellt.

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    1. Swen Wacker

      Inhaltlich bin ich bei Dir. Nur ist der Weg wegen der Verfassung (Der Religionsunterricht ist … ordent­li­ches Lehrfach) lang. Die Bereitschaft der Nordkirche zum Gespräch ist des­halb wich­tig. Sie zeugt davon, dass sie nicht auf Bestimmungen rum­rei­ten will son­dern an gesell­schaft­li­chem Konsens inter­es­siert ist.

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