Der Religionsunterricht ist in der Diskussion. Mal wieder. Und genauso, wie seit Jahrzehnten leidenschaftlich um ihn gerungen wird, geschieht das auch in diesen Tagen in Schleswig-Holstein. Was war geschehen? Der Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidat der Grünen in Schleswig-Holstein, Robert Habeck, hatte mit Verweis auf das grüne Wahlprogramm angeregt, einen überkonfessionell geprägten Religionsunterricht einzuführen. Die Reaktionen der Kirchen und anderer Parteien ließen nicht lange auf sich warten. Bis auf den kirchenpolitischen Sprecher der SPD, Rolf Fischer, waren sie eher ablehnend und propagierten den tradierten konfessionellen Religionsunterricht. Die Diskussion indes geht weiter, am 24.4. berichtete wieder die LN ausführlich.
Das Thema ist zu evident, als dass man es einfach so im Rechts-Links-Schema erledigen könnte. In der schulischen Realität kommt dem Religionsunterricht, gleich welcher Konfessionen, beileibe nicht mehr die Bedeutung zu, die er einst gehabt hat. Vielfach fallen die Stunden aus, oder der Unterricht wird in Randstunden unterteilt, und von Seiten vieler Eltern nimmt man ihn eh nicht so wichtig. Seit PISA gelten für viele die harten Fakten, weniger die metaphysischen Fragen.
Folgt man dem Grundgesetz (Artikel 7 Absatz 3), ist die Sachlage klar: der Religionsunterricht ist in den meisten Bundesländern (Ausnahmen sind Bremen und Berlin) an öffentlichen Schulen „ordentliches Lehrfach“. Er unterliegt zwar der staatlichen Schulaufsicht, wird aber in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaft erteilt. Der Religionsunterricht richtet sich vor allem an die Schülerinnen und Schüler der jeweiligen Religion bzw. Konfession und ist für diese Pflichtfach. Aber, und hier folgt der erste Einwand: Die Zeiten, in denen diese Regelung eingeführt wurde, haben sich geändert. Es gibt keine konfessionelles Pari mehr bei uns im Land, die konfessionelle Dichotomie – hier evangelisch, da katholisch – ist vorbei. Die großen christlichen Konfessionen haben jeweils nur noch einen Anteil von ca. 30% der Bevölkerung und selbst das nur im Mittel. In vielen Gegenden Nord- und Ostdeutschlands sieht das schon ganz anders aus. Hier sind die Konfessionslosen in der Mehrheit. In vielen Ballungsgebieten gibt es eine signifikante Anzahl von Muslimen, auch die jüdischen Gemeinden wachsen. Wer also allein auf den konfessionellen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach pocht, muss erklären, wie er denn die Kinder und Jugendlichen im Land erreicht, die nicht gläubig sind, oder einer nichtchristlichen Religion angehören. Religionsunterricht darf nicht zur religiösen oder kulturellen Ausgrenzung beitragen. Der Staat wäre demnach eigentlich verpflichtet, über den Status quo hinaus auch anderen Glaubensrichtungen die Bereitstellung eines Religionsunterrichtes zu ermöglichen. Ein islamischer Religionsunterricht würde der gesellschaftlichen Wirklichkeit Rechnung tragen und einen Beitrag zur Integration der Bürgerinnen und Bürger muslimischen Glaubens leisten.
Das erwähnen die, die jetzt auf den Status quo pochen, leider nicht. Die Diskussion aber ist wichtig. Erstens stellt sich die Frage, wie wir mit dem Unterricht angesichts der religiösen Heterogenität in diesem Land umgehen. Und zweitens stellt sich die Frage, wie wir religiöse Traditionen, Gebräuche, aber auch Konflikte und, ja, Werte erklärbar machen können. Wer glaubte, Religion sei out, wurde in den vergangenen zehn Jahren eines besseren belehrt. Gerade jüngst diskutierte die Islamkonferenz, ob salafistische Gruppen bei uns den Koran verteilen dürfen. Viele Politiker störten sich an Christian Wulffs Ausspruch, der Islam gehöre zu Deutschland. Andere betonen unsere „christlich-jüdische“ Leitkultur. Die Medien berichten über den Präsidentschaftswahlkampf in den USA unter der Frage, ob ein Mormone Präsident werden darf. Beispiele könnten hier noch zur Genüge aufgestellt werden. Wie aber soll jemand, der wenig Einblick in die religiöse Kultur hat – ob er oder sie nun gläubig ist oder nicht – sich an der Diskussion beteiligen? Bildung tut auch hier Not, gerade auch die Bildung in religiösen Fragen. Der richtige Ort für diese Bildung ist die Schule.
Ob das nun über einen konfessionellen Religionsunterricht, einen ökumenischen Religionsunterricht, über Religionskunde oder Ethik zu leisten ist, mag dahin gestellt sein, muss aber unter den veränderten Bedingungen diskutiert werden. Es geht ja in einer solchen Diskussion wahrlich nicht darum, anti-religiöse oder anti-kirchliche Ressentiments zu wecken. Es geht schlicht um die Frage, wie wir in Zukunft unseren Kindern und Jugendlichen vermitteln, dass religiöse Fragen, religiöse Bräuche, religiöses Denken, Gläubigkeit und Zweifel zur Natur des Menschen gehören, und zwar in weltweit unterschiedlichen Ausprägungen.
Das Thema auf die Agenda zu setzen, zeugt von einem Denken, das um gesellschaftliche Veränderungen weiß und das darum bemüht ist, dem angemessen Rechnung zu tragen. Insofern ist der Ansatz der Grünen legitim. Veränderungen in der bisherigen Praxis müssen da nicht das Schlechteste sein. Von einem konfessionellen Religionsunterricht, der von immer weniger Schülern besucht wird, haben auch die beiden Kirchen nichts. Die anderen Religionsgemeinschaften schon gar nicht.
Aber Obacht: Die Diskussion darf keinen Freibrief für Schulpolitiker zum Kürzen darstellen. Wir brauchen eher mehr religiöse Kompetenzvermittlung, nicht weniger. Wir brauchen gut ausgebildete und in ihrer Konfession oder Religion fest verwurzelte Lehrkräfte. Wie der Unterricht dann aussieht, darüber darf man wahrhaft diskutieren. Ob er als Religionskunde stattfindet, ob er abwechselnd konfessionell und überkonfessionell erfolgt, ob er in gemeinsamer Verantwortung der Kirchen und/oder Religionsgemeinschaften stattfindet, ob die Lehrkräfte der verschiedenen Religionen und Konfessionen vielleicht rotieren und so die Schülerinnen und Schüler alle Sichtweisen vermittelt bekommen – all das sollte diskutiert werden, weil es der Realität Rechnung trägt.
Von daher wird es Zeit, sich gemeinsam, Kirchen, Religionsgemeinschaften, Lehrer und Schulplanung an einen (runden) Tisch zu setzen, um Modelle zu erarbeiten, wie religiöses Wissen in Zukunft gemeinsam und für alle vermittelt werden kann. Ganz neu ist der Gedanke nicht. Schon 1997 gab es in Schleswig-Holstein einen umfassenden Runderlass, der die gesellschaftlichen Veränderungen präzise formulierte und für eine verstärkte Kooperation der christlichen Konfessionen in puncto Religionsunterricht plädierte. „Darüber hinausgehende Formen der konfessionellen Kooperation“, so heißt es in dem Erlass, „erfordern Absprachen zwischen den Kirchen und den zuständigen staatlichen Stellen.“ Das ist doch die richtige formulierte Bereitschaft zu einem Dialog über die Zukunft der religiösen Bildung an unseren Schulen. Der Dialog wäre ein konstruktiver Angang für die Zukunft; die Debatte ist eröffnet, und wir sollten sie nutzen.
Religionsgeschichtliche und ethische Fragen, die ja auch in den traditionellen Religionsunterricht fallen, können meiner Meinung nach in einem konfessionsfreien Fach Ethik unterrichtet werden, dass sich an SchülerInnen aller Konfessionen bzw. konfessionslose richten.
Für konfessionsgebundene Inhalte könnten Angebote in den Wahlpflichtbereich gelegt werden, was zumindest an vielen Gemeinschaftsschulen auch schon der Fall ist. In diesem Bereich ist auch eine Zusammenarbeit mit den Kirchen im Stadtteil anzustreben, damit Arrangements geschaffen werden, die es beispielsweise Ganztagsschülern ermöglichen, statt einem Ganztagsangebot den Konfirmationsunterricht der ansässigen Gemeinde zu besuchten.
Aus meiner Sicht gibt es nur einen Weg: das Grundgesetz muß geändert, das Staatskirchenrecht incl. Kirchensteuer abgeschafft werden. Religion ist dann endgültig Privatsache, die unterschiedlichen Konfessionen können ihren jeweiligen Gläubigen gerne Wissen und Werte vermitteln — außerhalb der Schulen. In den Schulen gehören zugleich alle wesentlichen Religionen — wie auch Atheismus und Agnostizismus — zum Unterrichtsstoff. In welchen Fächern dies geschieht, ist zweitrangig, ob „Ethik”, „Religionskunde”, „Philosophie” oder was immer: es kommt darauf an, die unterschiedlichen Varianten religiösen Lebens, humaner Weltauffassung, gottlosen Denkens darzustellen — ohne kirchlich gelenkten Interessendrall. Das wäre fair.
Wenn wir mal einer Meinung sind, Rainer, dann macht mich das immer so ein wenig nachdenklich. ;)
Hier ist es übrigens der Fall.
Nur bei der Kompostierungsanlage konnten wir uns nie einigen.…
Aber manchmal schreitet das Leben auch ohnehin voran!
Bis später.
Religion kann gerne als freiwilliges Wahlfach unterrichtet werden, ich würde es als okay ansehen, wenn dort Schulen Räume bereitstellen. Aber wer tiefgreifendere ‚Religion’ vermitteln möchte, soll das in seiner Kirche tun, egal in welcher.
Ob das nun unbedingt ein Fach Ethik sein muß oder ob „lerne was Deine Geschichte in Europa ist und welche Rolle Religion in Kulturen spielt’ in den Kontext von anderen Fächern gehört sei dahingestellt.
Inhaltlich bin ich bei Dir. Nur ist der Weg wegen der Verfassung (Der Religionsunterricht ist … ordentliches Lehrfach) lang. Die Bereitschaft der Nordkirche zum Gespräch ist deshalb wichtig. Sie zeugt davon, dass sie nicht auf Bestimmungen rumreiten will sondern an gesellschaftlichem Konsens interessiert ist.