Können 73 Schleswig-Holsteiner Bildungspanik verursachen?

Von | 26. April 2012

Gestern (25. April) hat eine Zeitung in Schleswig-Holstein berich­tet, dass in „Schleswig-Holstein so vie­le Bürger wie in kei­nem ande­ren Bundesland für ein mehr­glied­ri­ges Schulsystem mit Gymnasium — und gegen eine ‚Einheitsschule‘“ sei­en. Das gin­ge aus einer Allensbach-Studie her­vor. In einem Kommentar hieß es, die „gro­ße Schulstudie“ sei „geeig­net, den Wahlkampf in Schleswig-Holstein in den letz­ten ein­ein­halb Wochen neu zu befeu­ern.“ Den Wahlkampf mag das befeu­ern. Die Bildungspolitik ver­brennt aber als Kollateralschaden.

Die bil­dungs­po­li­ti­sche Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, Cornelia Conrad, erklär­tedie schles­wig-hol­stei­ni­schen Sozialdemokraten und Grünen machen Bildungspolitik an den Bürgern vor­bei.“ Ihre Kollegin aus der CDU-Fraktion, Heike Franzen sekun­dier­te: „Für uns – und wie Sie heu­te der Allensbach-Studie ent­neh­men kön­nen, auch für den über­wie­gen­den Teil der Bevölkerung – ist das geglie­der­te Schulwesen (…) die Zukunftsperspektive für Schleswig-Holstein“. Die IVL-Landesvorsitzende Grete Rhenius fand, durch die Allensbach-Befragung wer­de deut­lich: „Die viel­fach kol­por­tier­te poli­ti­sche Auffassung, die Schleswig-Holsteiner wünsch­ten sich ein Einheitsschulsystem, ist wider­legt.“

Die Argumentationen wur­den schnell in den sozia­len Netzwerken von den jewei­li­gen, wahl­kämp­fen­den Parteigängern über­nom­men und so konn­te man bei­spiels­wei­se lesen, dass nun dank Allensbach „Fakten alle Positionen und Argumente wider­le­gen“ oder „so sind sie halt die Schleswig-Holsteiner, erst­mal mit gesun­dem Menschenverstand und dann frei von Ideologien.“ Und es wäre nicht erstaun­lich, wenn ab heu­te an den Wahlkampfständen sol­che und ähn­li­che Sprüche wie­der und wie­der wie­der­holt wer­den.

Nun ist das nichts Neues. Bildungspolitik ist in Wahlkampfzeiten der Dauerbrenner, wenn es dar­um geht, mit gro­bem Pinsel dicke Striche zu zie­hen. Da wird fröh­lich ver­ein­facht, ket­ze­risch das Wort im Munde umge­dreht oder dreist gelo­gen. Von dem einen mehr, von dem ande­ren weni­ger. „Drogenfreigabe“ und „Sex mit Kindern“ sind aktu­ell aus der Mode gekom­men. Die aktu­el­len Äquivalente „Raubkopieren“ und „Gegen-irgend­was-sein“ schaf­fen es ein­fach nicht, der Hasen Herz so rich­tig zu ängs­ti­gen.

Diese Infantilisierung ist in Wahlkampfzeiten anschei­nend nicht zu ver­mei­den. Vermeidbar ist aber das Weitergeben von dün­nen Argumenten. Ich habe lan­ge mit mir gerun­gen, ob ich die Analyse der Wahlprogramme der Parteien durch die Uni Hohenheim hier ver­öf­fent­li­che, nach­dem ich, rück­schau­end betrach­tet, eine Woche zuvor viel­leicht ein wenig zu eil­fer­tig über eine sehr ähn­li­che Studie berich­tet habe. Ich frag­te mich, ob ich mit der Veröffentlichung viel­leicht nur gern gehör­te Argumentationsmuster über „die Parteien“ und „die Politik“ bedie­ne: „Höhö, die kön­nen ja nicht ein­mal die Wähler ordent­lich anspre­chen“. Und ist das, was die Uni gemacht hat, über­haupt belast­bar – oder ein­fach nur schnell daher­ge­sagt? Erst als ich mir sicher war, dass das Hand und Fuß hat, habe ich die Meldung trans­por­tiert.

Bei der Meinungsumfrage aus Allensbach ent­schei­de ich mich dage­gen.

Ich hal­te es für falsch, kom­ple­xe Themen wie Bildungspolitik durch Meinungsumfragen „beur­tei­len“ zu las­sen. Da brau­chen wir Fakten, nicht Vorurteile. Ich zie­he Studien vor, in denen Experten belast­ba­res Datenmaterial sich­ten und wich­ten und ihre Methoden offen legen.

Es ver­stört mich, wenn eine schon zum drit­ten Mal jähr­lich ähn­lich wie­der­keh­ren­de Umfrage meint, mit rei­ße­ri­schen Titeln auf­war­ten zu müs­sen: „Lehre® in Zeiten der Bildungspanik“ ist so ziem­lich der bescheu­ers­te Titel, der mir in die­sem Jahr unter­ge­kom­men ist.

Ich fin­de es unver­ant­wort­lich, bei 2.096 bun­des­weit Befragten die Antworten auf Länder run­ter­zu­bre­chen. 3,5 Prozent von den 2.096 müss­ten Schleswig-Holsteiner sein: 73 befrag­te Schleswig-Holsteiner! Ist hier irgend­je­mand, der ernst­haft glaubt, dass 73 befrag­te Schleswig-Holstein aus­rei­chen, um zu bele­gen, irgend­je­mand mache „Bildungspolitik an den Bürgern vor­bei“? Das ist also schon eine „gro­ße Schulstudie“? Und was sind dann PISA, TIMSS und IGLU? „uni­ver­sums­gro­ße Mega-Schulstudien?“ Sollte man eine Umfrage über­haupt Studie nen­nen? Ist die eige­ne Argumentation so mau, dass man schon so schwa­che Zahlen als Beleg gebrau­chen kann? Und ist der NDR eigent­lich doof, wenn er ein Institut dafür bezahlt, 1.000 Wähler/-innen für sei­ne Wahlumfrage anzu­ru­fen, wo schon 73 Hausbesuche aus­reich­ten? Nein, solan­ge die Umfrage-Institute ihre Methoden nicht ver­öf­fent­li­chen, soll­te man sol­che Zahlen mit ganz gro­ßer Vorsicht genie­ßen („Was hal­ten Sie von die­sen Zahlen?“ „Ich hal­te Abstand“).

Oh, und wo wir schon dabei sind. Das gilt, lie­ber NDR, auch für „Online-Umfragen“ nach Radioduellen. Wer mel­det sich frei­wil­lig und behaup­tet, dass er den Satz, es gebe „ein kla­res Votum der Nutzer von NDR.de“ aus fes­ter inne­rer Überzeugung geschrie­ben hat?

Diese Umfrage ist nicht nur „nicht reprä­sen­ta­tiv“ son­dern kom­plett unsin­nig. Klar, wäre ich CDU, wür­de ich die­se Ergebnisse auch in die Welt raus­ru­fen. Und wäre ich SPD, wür­de ich mir jetzt auch fest vor­neh­men, das nächs­te Mal nicht zu ver­ges­sen, die „Klick-Perser“ zei­tig zu infor­mie­ren. Aber wäre ich NDR, wür­de ich mir das nächs­te Mal lie­ber vor­neh­men, irgend­ei­nen Spezialexperten mit Professorentitel mega­rich­ti­ge Analysesätze sagen las­sen oder eine Infratest-dimap-SMS-Blitzumfrage oder irgend­was ande­res Innovatives durch­zie­hen. Aber nicht noch­mal sol­che Bandbreiten-Verschwendungen, bit­te. Nachdem ich jetzt nicht nur ein­mal gehört und gele­sen habe, dass sich erwach­se­ne Menschen ernst­haft dar­über unter­hal­ten haben, ob das Ergebnis wohl dar­an lie­gen kön­ne, dass die Hörer von NDR 1 nun mal älter und damit eher kon­ser­va­tiv sei­en … kom­me ich lang­sam zu der Einsicht, dass so etwas nicht mal mehr wit­zig ist.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

2 Gedanken zu “Können 73 Schleswig-Holsteiner Bildungspanik verursachen?”:

  1. Cornelius Samtleben

    Aber wir haben doch gar kei­ne „Klick-Perser”…

    Reply

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