Die Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 6. Mai ist gewesen. Was sagen Autoren des Landesblogs zum Wahlergebnis (sofern sie gestern Abend nicht mit anderen Dingen beschäftigt waren)? Die Beiträge in der Reihe ihrer Entstehung, manche weit vor dem vorläufigen amtlichen Endergebnis geschrieben:
Volker Thomas:
Staunen und Verwunderung: Nach Aussagen aller Parteien und der Wahlkämpfer war Bildungspolitik das wichtigste Thema des Parteienwettstreits. Wie ist es da möglich, dass eine Partei, die in der Schulpolitik in den letzten Jahren Stillstand und Rückschritt zu verantworten hat, trotzdem so viele Stimmen erhalten und alle Prognosen klar hinter sich gelassen hat. Offenkundig ist es der FDP gelungen, durch andere Themen und Köpfe hiervon abzulenken, das Kubicki-Profil ist phänomenal. Dagegen ist es der SPD nicht gelungen, allein durch ein sympathisches Profil hinreichend Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. Als traditionelle „Programm-Partei“ fehlte es auf der einen Seite an Inhalten, die Leidenschaften entfachen könnten, auf der anderen Seite ist die SPD unverändert gebeutelt von Agenda-Politik und Dominanz der alten Herren in Berlin. Allein die Grünen kommen deutlich gestärkt aus der Wahl heraus. Nur eine große Koalition, die eigentlich niemand will, könnte ohne sie auskommen, alle anderen Konstellationen sind auf sie angewiesen. In Anbetracht der vielfältigen möglichen Koalitionen bleibt Landespolitik spannend. Eine klare Perspektive hat die Wahl nicht erbracht. Umso mehr wird es in den kommenden Wochen auf Diplomatie und Verhandlungsgeschick ankommen.
Sebastian Maas:
Schleswig-Holstein sucht den Superwahlsieger und alle sind verwirrt: Machen es jetzt die Grünen in Jamaika oder gibt‘s doch die Dänenampel mit thematischer Piraten-Toleranz? Oder bekommen wir am Ende doch nur wieder eine große Koalition (was sich keiner wünscht — tut es nicht, Torsten und Jost!!)?
Die Kleinen sind für mich bei dieser Wahl die Großen, in dieser Legislaturperiode werden alle gespannt auf grün, gelb und orange schauen.
Ich persönlich freue mich über einen strahlenden Kubicki, einen feixenden Habeck und einen nicht ganz so überraschten Torge Schmidt; an alle drei hier mein Appell:
Eure tollen Wahlergebnisse entstammen dem Wunsch vieler Bürger nach mehr Freiheit, Ehrlichkeit und Transparenz — also haltet euch an eure Linie! Setzt euch zusammen und erhaltet gemeinsam unsere Umwelt, Wirtschaft und das Internet: Ihr schafft das. :P
Oliver Fink:
Wieder einmal haben sich die Umfrageinstitute nicht mit Ruhm bekleckert: CDU vor SPD, Linke deutlich und nicht knapp raus, FDP überhaupt und dann deutlich und nicht knapp drin – auf Augenhöhe mit den Piraten. Mögliche Regierungskoalitionen sind durch die Absage Habecks an Jamaika (CDU, Grüne, FDP) sowie Kubickis an die Ampel (SPD, Grüne, FDP) bei Beteiligung Ralf Stegners stark eingeschränkt. Albig scheint die Dänen-Ampel (SPD, Grüne, SSW) auch mit knapper Mehrheit riskieren zu wollen – trotz schlechter Erfahrungen 2005. Aber auch der SSW geht mit seiner erstmalig so klaren Positionierung im politischen Spektrum auf der linken Seite ein großes Risiko ein. Sollte die Dänen-Ampel nicht gelingen, wird Schleswig-Holstein wohl wieder von einer so genannten „Großen Koalition” regiert werden. Ob diese Landtagsperiode dann über die volle Distanz geht, darf mit Spannung und einiger Skepsis beobachtet werden.
Dr. Knud Andresen:
SPD und Grünen ist es nicht gelungen, die Wechselstimmung in eine deutliche Mehrheit umzusetzen. Dennoch haben sich CDU und FDP mit Ihrer Politik der letzten Jahre so isoliert, dass es eine Koalition um das Gravitationszentrum SPD geben wird: technischer K.O. für die alte Regierung.
Dr. Ulf Kämpfer:
Wenn der Nebel des Wahlabends sich lichtet, liegen die Dinge doch recht klar auf der Hand: SPD, Grüne und SSW werden über eine Schleswig-Holstein-Ampel verhandeln, vermutlich mit Erfolg. Bei der Ministerpräsidentenwahl werden alle die Luft anhalten, aber spätestens im dritten Wahlgang klappt es, weil die Piraten wohler eher nicht geschlossen für de Jager stimmen werden.
Der Nachwahlkater wird bei der CDU am größten sein: Mutmaßlicher Regierungsverlust, die drei Spitzenkandidaten de Jager, Geerdts und Herold nicht mehr im Parlament, und es gibt eine verfassungsändernde Mehrheit jenseits der CDU. Das Parlament ist kleiner, bunter, unberechenbarer. Spannende Zeiten.
Malte Steckmeister:
Die Umfragen haben ihren Prognosespielraum in jeder Hinsicht ausgenutzt. Kubicki hat es vermocht, im Alleingang eine darniederlegende FDP auferstehen zu lassen und vergessen zu machen, daß diese rechnerisch der stärkste Wahlverlierer ist. Die CDU wird aus ihrem knappen ersten Platz wenig machen können, zumal es nicht einmal für den Einzug des Spitzenkandidaten in den Landtag gereicht hat. Die sog. Dänenampel hat eine Mehrheit, die zwar nur sehr knapp ist, wie beim letzten Versuch des Dreierbündnisses — aber eben auch so groß wie die der bisherigen Regierung. Diese wird nicht nur deshalb bequem regieren können wird, weil alle drei Partner das vorher auch so anvisiert haben, sondern weil die Piraten, deren Einzug niemanden mehr vom Hocker gehauen hat, für ihren offenen und pragmatischen Ansatz ohne klaren Fraktionszwang bekannt sind. Das Ausscheiden der Linken war sowohl angesichts ihrer populistischen Performance wie auch hinsichtlich des Wünsch-Dir-Was-Freibier-Für-Alle-Wahlkampfes verdient und gut für die Demokratie. Weniger gut hingegen Wahlbeteiligung: Hier muß man hoffen, daß (vielleicht angespornt und angestoßen durch die Piraten) die Politik an sich arbeitet aber auch Bürger und Medien sich in der gemeinsamen Verantwortung fühlen.
Swen Wacker:
Die Wähler wollen einen Wechsel. Es ist nicht ihre Aufgabe, es den Partien dabei leicht zu machen. „Namibia“, so scheint es, wird den Ministerpräsidenten stellen. Die drei werden es sich nicht nehmen lassen, die Chance einer vorübergehend kopflosen CDU-Opposition auszunutzen. Einstimmen-Mehrheiten sind machbar, das haben CDU und FDP bewiesen.
Sie werden Großes im Lande organisieren müssen: Die umzusetzende Energiewende, die notleidende Bildungspolitik, die überfällige Reform der kommunalen Verwaltungsstrukturen, die am Horizont erkennbaren Folgen der Demographie. Auf Bundesebene steht die Reform der Länderfinanzierung bevor. All das verlangt Mut und Weitsicht. Und es ist zugleich der Grund, warum eine große Koalition nicht kommen darf: Sie wäre aller Voraussicht nach nicht „stark“ sondern „starr“. Und Stillstand kann sich das Land nicht leisten.
Die Linke ist nicht an ihren Themen sondern an holzschnittartiger Biederkeit und fehlendem Charisma gescheitert. Dort wird man nun Tacheles reden müssen.
Die Piraten haben jetzt 5 Jahre Zeit, landespolitische Kompetenz zu entwickeln. Zugleich müssen sie die Rathäuser und Gemeindevertretungen erobern, wenn sie sich etablieren wollen.
Es wird einem zumindest nie langweilig in der Landespolitik S-H.
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Als Nachzügler nach einer langen Nacht gebe ich an dieser Stelle auch noch gerne meinen Kommentar zur Landtagswahl ab!
Die Schleswig-Holsteiner haben gewählt was sie wollen: 60% eine Partei, der Rest entschied sich für das Echo der Entscheidungslosigkeit und damit die Ausübung ihrer negativen Wahlfreiheit zur Nichtpartizipation.
Eine ernstgemeinte Gratulation an Grüne und Piraten — aber auch an meine FDP, die es mit Wolfgang Kubicki geschafft hat, mehr als nur 2% der Wählerinnen und Wähler von sich zu überzeugen und damit alle diejenigen Lügen straft, die durch Wort und Tat in den letzten Monaten den Eindruck nicht verhehlen mochten, die Liberalen als staats- und menschenfeindlich — ja sagen wir es offen — unwertes politisches Leben ganz offen zu miss- und verachten. Das die politische Kultur in diesem Land durch diese Menschen noch nicht gänzlich bankrott gegangen ist, haben mir weit mehr als die 100.000 Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner bewiesen, die das Kreuzchen bei der FDP gemacht haben, und dafür bin ich dankbar.
Wer sich am Wahlabend und am Tag danach trotz eines Stimmenanteils von nur 30% als Wahlsieger feiern läßt, obwohl man auf den mit mehr oder weniger behaartem Schädel verzierten (wohlgemerkt aufgestellten) Wahlplakaten von Nordsee- zur Ostseeküste gehen könnte, ohne jemals den Boden des „Lieblingslandes” zu berühren, das man als „Mensch, Macher, Ministerpräsident” regieren will, muss sich allerdings fragen lassen, ob man mit derart verzerrtem Realitätssinn ein Fahrzeug bedienen, geschweige denn ein Land regieren können sollte.