Briefe an den neuen Landtag - Barrierefreiheit

Von | 9. Mai 2012

Lieber Landtag, 

Du bist neu gewählt wor­den, sor­tierst Dich gera­de und wirst nächs­ten Monat so rich­tig Deine Arbeit auf­neh­men. Ich wün­sche Dir dort, wo man sich trotz aller Umsicht tas­tend im Dunkeln bewegt, ein fei­nes Gespür. Ich wün­sche Dir eine glück­li­che Hand, die Du uns und unse­ren Nachbarn aus­streckst. Ich wün­sche Dir einen guten Riecher für die Dinge, die noch weit vor uns lie­gen und die Du trotz­dem auf­spü­ren sollst. Und ein fei­nes Gehör, wenn wir – mal gemein­sam laut, mal ver­ein­zelt lei­se – von Sorgen und Nöten erzäh­len, wün­sche ich Dir auch. Und – wenn es Not tut – eine lau­te Stimme. Die wach­sa­men Augen natür­lich auch — Augen, die sich auch mal selbst betrach­ten. 

Bei man­chen Abläufen wirst Du sagen: Das mache ich so, wie wir das bis­her gemacht haben. Bei ande­ren wirst Du Dich fra­gen, ob Du das nicht ändern kannst. Ich hab da was, wo Du Dich ändern soll­test. Nein: wo Du Dich ändern musst. 

Gestern war näm­lich wie­der so ein Tag, da dach­te ich, es hackt und Du willst Dich und mich und alle ande­ren hier im Land für dumm ver­kau­fen. 

Das ZDF hat am 26. April den Bericht des ZDF an die Landesparlamente nach § 5 a des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrags ver­sandt. Als Gebührenzahler – ehr­lich: ich zah­le für einen öffent­lich-recht­li­chen Rundfunk lei­den­schaft­lich gern Gebühren – inter­es­siert mich so etwas. Interessiert Dich das auch? Nein, ich glau­be nicht. Schau Dir mir den Umdruck 17/​3997 an. 

Was fällt uns auf: 

Der Brief ist ein­ge­scannt, also abfo­to­gra­fiert, wor­den. Ein PDF-Dokument ist nicht bar­rie­re­frei, wenn der Text innen drin kein Text ist son­dern ein Foto. Solche PDF-Dokumente ent­spre­chen nicht nur nicht der Gesetzeslage: Die Träger der öffent­li­chen Verwaltung gestal­ten ihre Internetseiten sowie die von ihnen zur Verfügung gestell­ten gra­fi­schen Oberflächen tech­nisch so, dass Menschen mit Behinderung sie nut­zen kön­nen. Sie kön­nen auch von Suchmaschine nicht „gele­sen“ wer­den, wer­den folg­lich auch nicht inde­xiert. Für uns Bürger, beson­ders, wenn wir (seh)behindert sind, ist das ein gro­ßer Mist. Das ist kein Einzelfall: Ich habe das hier und hier schon mal kri­ti­siert und könn­te dar­aus locker eine wöchent­li­che Kolumne machen. 

Der Brief hat eine Anlage. Der Absender weiß, dass Papier heut­zu­ta­ge sub­op­ti­mal ist und schreibt: „Zur Geschäftserleichterung erhal­ten Sie den Bericht zusätz­lich als pdf-Datei per E-Mail.“

„Ah, super“ den­ke ich und fan­ge an mit der Maus durch das Dokument zu rol­len und … schla­ge mir mit der Hand auf die fla­che Stirn (face­pal­mie­ren wäre wohl der rich­ti­ge Slangausdruck). Denn was machst Du? Na? Liegt doch auf der Hand! Nicht ein­fa­cher als das! Du schreibst auf den Umdruck:

Hinweis: Der „Bericht über die wirt­schaft­li­che und finan­zi­el­le Lage des ZDF“ vom April 2012 wur­de an die Mitglieder des Innen- und Rechtsausschusses ver­teilt und kann im Ausschussbüro – Zi. 138 – ein­ge­se­hen wer­den.

Oh, man! Das kann doch nicht Dein Ernst sein! Sollen jetzt die Abgeordneten, die nicht im Innen- und Rechtsausschuss sind, die Abgeordneten, die dem­nächst im Innen- und Rechtsausschuss sein wer­den und alle Bürger, die sich dafür inter­es­sie­ren, zu den übli­chen Bürozeiten in den Raum 138 des Landehauses pil­gern und den Bericht „ein­se­hen“. Einsehen? EINSEHEN? Das geht ein­fa­cher. So zum Beispiel

Lieber Landtag, 

tu mir bit­te einen Gefallen. Verschone uns zukünf­tig von sol­chen Dingen. Sicher, es wird immer mal pas­sie­ren, dass Dir Dritte Papier zuschi­cken, Dir trotz Deiner Bitte kei­ne elek­tro­ni­sche Fassung über­las­sen und das Einlesen mit einer Texterkennungssoftware zu auf­wän­dig erscheint. Das wird aber die Ausnahme sein. In der Praxis kommt sol­che ein­ge­scann­ten PDF viel zu häu­fig vor. Komme bit­te nie wie­der auf die Idee, als PDF vor­lie­gen­de Dokumente „zur Einsicht“ in Büros aus­zu­le­gen. Und: Lass es Dir nicht wie­der gefal­len, wenn Dir von der Regierung aus­ge­rech­net die Stellungnahme auf Deine Frage, war­um die Mittel für den Fonds zur Herstellung der Barrierefreiheit für blin­de und seh­be­hin­der­te Menschen ab 2011 gestri­chen wer­den, als ein­ge­scann­tes PDF-Dokument zur Verfügung gestellt wird.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

4 Gedanken zu “Briefe an den neuen Landtag - Barrierefreiheit”:

  1. Kai Dolgner

    Vielleicht soll­te mensch der Landtagsverwaltung mal einen Tipp gibt, dass es Services gibt, die u.a. pdf mit images -> office doku­ment für wenig Geld umwan­deln, wenn es denn im Landtag nie­mand mit einer OCR-Software umge­hen kann, die es prin­zi­pi­ell schon seit 20 Jahren gibt. (Ja ja, der gute alte Handscanner…). Nicht ver­nünf­tig ska­lie­ren­de pdfs sind näm­lich auf mobi­len Geräten eine Zumutung, selbst wenn mensch das Glück hat, über funk­tio­nie­ren­de Augen zu ver­fü­gen. Von Gesetzesvorlagen als Hypertexten wage ich nur zu träu­men…

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  2. Dirk

    Vielen Dank für die­sen Artikel.
    Der zwei­te Link im Artikel ist- und ver­bin­det mit dem ein­schlä­gi­gen Gesetzestext. Es scheint, als ob sich der Landtag mit sei­nem vor kür­ze­rer Zeit erneu­er­ten Internetauftritt nicht an die­ses Landesgesetz gebun­den fühlt. Es ist viel­leicht eine Betrachtung wert, war­um die­ses Gesetz auch fast zehn Jahre nach sei­nem Inkrafttreten selbst von sei­nem -Geber, also dem Gesetzgeber, also dem Landtag selbst nicht befolgt wird und was das über die Wertschätzung des Parlaments über selbst ver­ab­schie­de­te Regelungen aus­sagt …

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