Den 21. Mai hat die UNESCO zum Tag der interkulturellen Vielfalt bestimmt. Der Deutsche Kulturrat hat die Initiative aufgegriffen und den bundesweiten Aktionstag „Kultur gut stärken“ ins Leben gerufen. Thema in diesem Jahr war der „Wert der Kreativität.“ Das Kulturforum Schleswig-Holstein, die Kulturpolitische Gesellschaft im Land und der Landeskulturverband luden anlässlich der Aktion gestern (21. Mai) zu einem Vortrag mit Wolfgang Thierse (SPD) und Johanna Wanka, der niedersächsischen Ministerin für Wissenschaft und Kultur, in die Sparkassenakademie Schleswig-Holstein.
Wir brauchen, so die Vorsitzender der Kulturpolitischen Gesellschaft Jutta Johannsen zu Beginn der Veranstaltung, „eine intensive und konstruktive Diskussion über den Wert von Kultur in unserer Gesellschaft“. Dem sollten Vortrag und Austausch an diesem Abend dienen. Wanka kam krankheitsbedingt nicht nach Kiel. So blieb es an Wolfgang Thierse, zum Thema zu sprechen.
Der Wert der Kreativität, sagte der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, sei für das Leben substanziell und also könne man Kunst und Kultur nicht allein der Industrie (sprich: Kulturwirtschaft) überlassen. Er sei davon überzeugt, dass Kulturförderung eine Investition in die Zukunft sei. Das Ausspielen von öffentlicher Kulturförderung gegen die freie Szene würde eher zu einer Konfliktverschärfung führen als zu zukunftsweisenden Lösungen. Dass diese notwendig seien, darin ließ Thierse keinen Zweifel. Ja, es gäbe begrenzte finanzielle Ressourcen, und die seien sinnvoll einzusetzen. Kultur könne per se allerdings nicht gewinnbringend im ökonomischen Sinn sein. Andererseits stelle sie einen gesellschaftlichen Gewinn dar. Die kulturelle Infrastruktur sei, so Thierse, der größte Reichtum Deutschlands. Kultur und Kreativität trügen zur gesellschaftlichen Selbstreflexion bei, gerade angesichts wachsender Pluralität und Heterogenität.
Den Verheißungen der Kreativwirtschaft wolle er allerdings nicht blindlings glauben. Ein großer Anteil davon entfalle auf den Bereich von Was-mit-Medien, während der „traditionelle“ Kulturbereich starke Probleme zeige. Ein Großteil der Kultur verwirkliche sich in „prekären Kleinstbetrieben“. Viele Künstler verdienten zu wenig, um Leben und Kunst zu finanzieren. Ein kreatives Wachstum gebe es nur dann zu generieren, wenn investive Anreize vorhanden seien. Hier verhalte sich die Kultur ähnlich wie die Wirtschaft. Dafür sei es aber wichtig, so Thierse, Maßstäbe zu formulieren. Genau das sei die originäre Aufgabe der Kulturpolitik. „Wir müssen immer gute Gründe finden“, sagte Thierse und forderte Inhalte ein. „Finanzielle und traditionelle Gründe reichen nicht aus.“ In der Verantwortung des Staates liege es, die Freiheit der Kultur dort zu ermöglichen, wo die zivilgesellschaftliche Decke nicht ausreichend sein. In der Krise der öffentlichen Finanzen sieht der SPD-Politiker eine Chance, eingefahrene Strukturen aufzubrechen. Der Weg in eine Zukunft, in der Kultur gut gestärkt sei, führe über den öffentlichen Diskurs zu Wert und Rahmenbedingungen für Kreativität.
„Kulturpolitik ist die Verteidigung der Freiheit“, sagte Wolfgang Thierse mit einigem Pathos. Und: „Kulturpolitik ist handlungsorientierte Kommunikation mit dem Ziel wertbegründender Entscheidungen.“ Dass hieße jedoch, sich über Schwerpunksetzungen und die Ausrichtung von Kulturpolitik zu verständigen. Man müsse sich den Schwierigkeiten – hier nannte der Vorsitzende des Kulturforums der Sozialdemokratie explizit „Schrumpfungsprozesse“ – stellen und sie diskutieren.
Dem will der interessierte und kulturaffine Zuhörer gerne beipflichten. Wenn es nicht das Aber gäbe. Im Auditorium in der Sparkassenakademie waren interessierte Bürgerinnen und Bürger, dazu viele Aktive aus der Kulturszene. Wie aber soll man den notwendigen Streit führen, wenn man unter sich bleibt? Anders gesagt: Wo sind die Personen aus Kultur und Politik, um über den Wert von Kreativität zu sprechen? Wo sind die Räume, in denen man einen konstruktiven und innovativen Diskurs angesichts mangelnder finanzieller Ressourcen führen kann? Wann, wenn nicht jetzt?
Hierin liegt die eigentliche Herausforderung. Als positives Beispiel nannte Thierse einen von der Landesregierung in Sachsen-Anhalt initiierten Kulturkonvent. Er böte ein Forum, sich über Zukunft und Ziele im gemeinsamen Gespräch von Kultur und Politik zu vergewissern. Ob man einen solchen Prozess nun Kulturkonvent, Kulturdialog oder Gottorfer Prozess nennt, ist einerlei. Wichtig ist, dass wir Foren brauchen, in denen Politik, Kultur, Künstlerinnen und Künstler, Bürgerinnen und Bürger gemeinsam darum ringen, welche Ermöglichungsräume die Kultur in unserer Gesellschaft braucht und welche Räume von Kultur unsere Gesellschaft benötigt.
Themen gibt es zur Genüge. Wie kann es beispielsweise gelingen, kulturelle Exklusion zu verhindern? Wie kann die kulturelle Bildung gestärkt werden? Die soziale Selektivität von Kultur hat sich in den vergangenen dreißig Jahren kaum geändert, konzediert auch Thierse. Die Analyse stimmt. Wie aber kann die Theorie zur Praxis werden – und zwar bei Berücksichtigung vieler Meinungen und Blickwinkel?
Hierzulande wird in diesen Tagen ein Koalitionsvertrag verhandelt. Da bietet sich doch eine einmalige Chance, den Kairos der aktuellen Kulturdiskussionen beim Schopfe zu packen, Ideen für die Zukunft der Kultur in Schleswig-Holstein zu entwickeln und breit angelegte Dialoge zu beginnen. Bis dahin bleibt der Beziehungsstand zwischen Politik und Kultur in Schleswig-Holstein eingestellt auf: Es ist kompliziert.
Ein Dank an Martin Lätzel für den sehr guten Beitrag. Ich möchte ergänzen, dass Wolfgang Thierse sich auch kurz zur landespolitischen Situation eingelassen hat und den nur 0.3-%igen Anteil von Kulturausgaben am Landeshaushalt — Schleswig-Holstein ist damit das Schlusslicht unter den Bundesländern — als „Skandal” bezeichnete.
0,3 Prozent. Da ist die Zahl schon wieder. Ich las (hörte) die Zahl neulich hier: http://www.dradio.de/download/162904/
Genau so sieht das auch der Vorsitzende des Landeskulturverbandes, Rolf Teucher. Im Jahr 2000 lag der Anteil der Kulturausgaben am Gesamthaushalt des Landes noch bei knapp einem Prozent — seither ging es steil bergab, immer wieder wurde gekürzt.
„Alle Ausgaben des Landes, die derzeit für Kultur fließen im Landeshaushalt, machen genau 0,3 % des Haushalts aus.”
Ich kenne die Entwicklung der Kulturausgaben des Landes 1985 – 2007 aus diesen beide kleinen Anfragen http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl16/drucks/0000/drucksache-16 – 0048.pdf und http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl16/drucks/1600/drucksache-16 – 1687.pdf
sowie die (ebenfalls grottenschlechten aber mit den o.g. Zahlen nicht übereinstimmenden) Zahlen aus dem Kulturfinanzbericht 2010 (http://www.statistikportal.de/statistik-portal/kulturfinanzbericht_2010.pdf) Tabelle2-3 – 3
Gibt es irgendwo aktuellere Zahlen?
Das was Thierse sagte scheint mir doch total widersprüchlich zu sein. Zum einen lehnt er die Ökonomisierung von Kultur ab, spricht dann aber wohl von „Investition in die Zukunft”, „Kreativwirtschaft”. Oder „Ein kreatives Wachstum gebe es nur dann zu generieren, wenn investive Anreize vorhanden seien. Hier verhalte sich die Kultur ähnlich wie die Wirtschaft.”
Das ist eine furchtbare vollkommen durchökonomisierte Sprache, bei der dann Kultur zwar nicht total dem Markt überlassen wird, aber im Grunde vollkommen in deren Denken verhaftet ist. Da ist der nächste Schritt nicht mehr fern, der in der Politik ja bereits gegangen wurde, nämlich Kultur zu einem reinen Standortfaktor zu degradieren. Demnach ist die Kultur wertvoll, die Menschen in eine Region holt. Diese trägt dann nach unmittelbar aber mittelbar zu mehr Wirtschaftswachstum bei.