Der Vorsitzende der Schleswig-Holsteinischen FDP-Landtagsfraktion, Wolfgang Kubicki, ist der große Gewinner des neuen Polittalks von Stefan Raab, „Absolute Mehrheit”. Mit 42,6% der Stimmen konnte der liberale Politiker zwar das namensgebende Ziel der Sendung nicht erreichen, stellte seine Mitbewerber damit aber dennoch in den Schatten. Den zweiten Platz errang interessanterweise der linke Hamburger Bundestagsabgeordnete und gebürtige Schleswig-Holsteiner Jan van Aken.
Wie konnten zwei Politiker, deren Parteien bundesweit mit der Fünf-Prozent-Hürde zu kämpfen haben, bei einem solchen Event so viel Zustimmung erhalten?
„Absolute Mehrheit” ist ein Medienexperiment, das Elemente aus klassischen Polit-Talkshows mit Strukturen aus Unterhaltungssendungen und Castingshows verbindet. Den fünf Kandidaten werden im Laufe der Sendung drei Themen zur Diskussion vorgegeben, diese werden jeweils durch kurze Filmschnipsel mit „Populärmeinung” eingeleitet. Die ganze Zeit haben die Zuschauer die Möglichkeit über Telefon oder SMS für ihren Lieblingskandidaten zu stimmen. Nach jedem Thema fliegt allerdings der „schlechteste” Teilnehmer aus der Wertung, nicht aber aus der Diskussion. Sollte am Ende der Sendung ein Teilnehmer sogar über die absolute Mehrheit (also mehr als 50% der Stimmen) verfügen, würde er 100.000 Euro gewinnen.
Die Sendung war als Pilotfolge natürlich an einigen Stellen etwas zäh, das dauerhafte Einblenden der Telefonnummern und Zwischenergebnisse störte extrem den Fluss der Diskussionen und schnitt dadurch nicht nur einmal Teilnehmern das Wort ab. Auch war sich Stefan Raab seiner Rolle als Moderator im eigentlichen Sinn nicht ganz bewusst. In der bekannten Showmaster-Tradition stichelte er oftmals oder bezog klar Position. Anders als man erwarten würde begeisterte er sich beispielsweise für Jan van Akens Idee eines „Maximallohns”, ein anderes Mal witzelte er in Richtung Thomas Oppermanns, wieder einmal mache der Sozi einer jungen Untermehmerin einen Strich durch die Rechnung (als dieser eine Runde knapp vor Teilnehmerin Delius gewann).
FDP-Landeschef Wolfgang Kubicki stand am Ende der ersten Ausgabe des Formats also als Sieger da. Zwar konnte er sich nicht über das Preisgeld freuen, aber dafür über eine extreme Bestätigung seiner Popularität. In den drei Diskussionsrunden zu den Themen „Reichensteuer”, „Energiewende” und „Soziale Netzwerke” hatte er auch dauerhaft einen Vorsprung vor seinen Mitbewerbern (Dr. Michael Fuchs, Thomas Oppermann, Jan van Aken und Verena Delius). Zum Schluss ließ sich der als Politikexperte bestellte Peter Limbourg sogar dazu hinreißen, Kubicki als „sympathischen Volkstribun” zu bezeichnen. Ein erstaunliches Ergebnis selbst für den schleswig-holsteinischen „Mister 8,2 Prozent”.
Ein FDP-Mann und ein Linker auf den ersten Plätzen einer Talkshow, der CDU-Teilnehmer flog zuerst raus. Im Vergleich zum momentanen Bundestrend ein denkwürdiges Abstimmungsergebnis. Woran könnte das liegen? Zynische Beobachter machten auf Facebook gleich Gedanken laut, dass nur FDP-Anhänger sich die Gebühren für die SMS und Anrufe zur Abstimmung hätten leisten können, oder das die Linken-Wähler ja morgen nicht zur Arbeit gehen müssten und deshalb Sonntags um Mitternacht noch Fernsehen gucken könnten. Das finde ich natürlich witzig, aber als Erklärung ist das nicht zu gebrauchen.
Für mich als Poltikwissenschaftler wären natürlich die Grunddaten der Abstimmenden interessant. Haben hauptsächlich Alte oder Junge abgestimmt? Welches Einkommen haben sie? Wie viele Stimmen wurden überhaupt abgegeben? Da wir auf diese Daten keinen Zugriff haben, müssen wir versuchen die extremen Unterschiede zu klassischen „Sonntagsfragen” anders zu erklären.
Im Gegensatz zu klasssichen Meinungsumfragen, die sich auf das generelle Gefühl von Wählern zur politischen Lage beziehen, ging es hier um die Einstellung zu einzelnen Personen. Charismatiker (oder Populisten) haben hier natürlich einen Vorteil. Ist Kubicki also entweder ein charismatischer Sympathieträger oder Volksaufhetzer? Wer sich Kubicki-Kritiker anhört hört oft, dieser sei „arrogant”. Die Teilnehmer der Diskussion als auch der Moderator versuchten zudem immer wieder, ihn in die Ecke der Superreichen zu stecken. Er wisse ja, wie das mit den Kosten von Riesenjachten sei. Aber trotz dieses Brandings als arrogantes Mitglied der oberen 1% wurde Kubicki später zum Volkstribun erklärt.
Ganz subjektiv muss ich hierbei sagen, dass sein Diskussionsverhalten sehr dezent war. Er fiel den Konkurrenten nicht trotzig ins Wort und er warf auch nicht mit Ideologien um sich. Stattdessen erklärte er ruhig, ganz der Anwalt, warum die Forderungen der anderen Teilnehmer gegen das Grundgesetz verstoßen würden. So nahm er ihnen schnell den Wind aus den Segeln. Aber lag es nur daran?
Ein anderer nicht unwichtiger Punkt bei jeder Abstimmung ist der Modus der Wahl:
Die der Abstimmung vorangegangene Diskussion erlaubt den Teilnehmern, ihre Argumente kurz und prägnant vorzustellen, während der Bürger auf dem Sofa sitzt und von zu Hause stimmt. Klassisch faule Nichtwähler werden also animiert, ihre Stimme abzugeben ohne sich eine Hose anziehen zu müssen. Außerdem wird das Gedächtnis nicht überstrapaziert, weil man sonst ja auf dem Weg zur Wahlurne oft schnell vergisst, wofür die Politiker stehen.
Ebenfalls wichtig: Die Zahl der Stimmen pro Person ist bei „Absolute Mehrheit” nicht begrenzt. Wieder so ein Punkt bei dem die Daten der „Wähler” interessant wären: Von wie vielen unterschiedlichen Wählern kommen die Gesamtstimmen?
Ohne diese Informationen ist der Erkenntnisgewinn der Sendung leider bis zur Unbrauchbarkeit gering.
Vielleicht ist Pro7 ja so nett und rückt die Daten irgendwann zur Analyse raus…
Was sagt uns dieses merkwürdige Ergebnis nun aber? Sollte Kubicki entgegen seiner Dementis doch gegen Philipp Rösler putschen und die FDP zur stärksten Kraft in der nächsten Bundestagswahl machen, mit dem Linken Jan van Aken als Oppositionsführer? Wahrscheinlich nicht. Denn dort müssen die Wähler ja noch aufstehen und zur Wahl hingehen, haben nur zwei Stimmen und sehen das fiese Buchstabentrio F, D und P neben seinem Namen auf dem Wahlschein. Trotzdem gratuliere ich der FDP und ihrem „größten Kritiker” Wolfgang Kubicki zum Ausgang der Sendung.
Disclaimer: Ich bin kein FDP-Mitglied, aber nach dem Verfassen dieses Artikels extrem müde! Wenn ihr also etwas auszusetzen habt, schreibt es gerne in die Kommentare.
Interessant, dass dieser Beitrag mit keinem Wort darauf eingeht, dass Stefan Raab in seiner Show vor einem Millionen-Publikum Phillip Rösler rassistisch beleidigen kann, ohne dass irgendeiner der Diskussionteilnehmer_innen darauf reagiert hätte. Das ist offenbar der Preis dafür, dass viele Menschen mit einer Polit-Talkshow erreicht werden. „Macht euch mal locker”? Nein danke!
Hi Elena, ich stimme dir zu, dass der „Stäbchen”-Kommentar von Raab ziemlich deftig war. Während der Sendung habe ich das nur als dummen Spruch abgetan, doch jetzt habe ich länger über deinen Kommentar nachgedacht. Viele von Raabs Sprüchen in der Sendung waren hart, aber du hast schon Recht, dass dort ein Witz auf Kosten der Ethnie einer Person gemacht wurde, und dass das eigentlich ‚politisch inkorrekt’ ist.