Ergebnisse aus einer von sechs Arbeitsgruppen beim Kulturkongress
Bloß zwei Zeitungen aus Schleswig-Holstein berichteten über den Kulturkongress des Landeskulturverbandes. Als wäre Kulturpolitik in Schleswig-Holstein ein Thema für Minderheiten, schwiegen auch die Magazine und die öffentlich-rechtlichen Sender. Dabei ging es einen Tag lang im Rendsburger Nordkolleg um nicht weniger als den Beginn eines Diskurses über die Zukunft der Kultur im Land. Der Koalitionsvertrag schreibt den Anstoß einer kulturpolitischen Debatte vor, in deren Verlauf zusammen mit den Kulturschaffenden und Kommunen Leitlinien erarbeitet werden sollen. Und obwohl bereits die Vorgängerregierung in den letzten Monaten ihrer Amtszeit diverse Veranstaltungen dieser Art initiiert hatte, folgten 140 Kulturinteressierte dem Aufruf vom Landeskulturverband: „Auf in die Zukunft – KulturLand Schleswig-Holstein“.
Angekündigt waren für mittags „Kulturelle Leitlinien der Landesregierung“, referiert von Anke Spoorendonk. Die Ministerin für Justiz, Kultur und Europa ist seit knapp einem halben Jahr im Amt. Sie trug einen Katalog erster Maßnahmen vor, der sich weitgehend an Themen des Koalitionsvertrages orientierte. Neu darunter sind zwei Ideen, die eine reifte zwei Wochen zuvor bei der Herbsttagung des Landesmusikrates: 2014 soll Jahr der kulturellen Bildung in Schleswig-Holstein werden. Zudem äußerte Anke Spoorendonk den Wunsch nach Organisation einer Landesausstellung. Konkret gestoppt hat sie den Stellenabbau bei den Archiven und dafür gesorgt, dass der Etat für den Erhalt von Schriftgut im Haushalt 2013 auf 350.000 Euro erhöht wird. Für das Frühjahr 2013 kündigte die Ministerin den Beginn einer breiten kulturpolitischen Debatte zwecks Entwicklung längerfristiger Perspektiven bis ins Jahr 2020 an.
Da Schleswig-Holstein nicht das einzige Flächenland im Bund ist, das am neuen Konzept bastelt, holten sich die Organisatoren des Kongresses Referenten von außerhalb: Olaf Zimmermann berichtete von den Erfahrungen eines Kulturkonvents in Sachsen-Anhalt und Dr. Annette Schwandner vom jüngsten Kulturkonzept aus Niedersachsen. Beide Prozesse sind in Gang. Schleswig-Holstein steht davor und könnte aus deren Erfahrungen lernen. Während anderswo vorrangig der Rückgang der Bevölkerungszahlen zum Handeln zwingt, bröckelt bei uns unaufhaltsam die kulturelle Infrastruktur des Landes. Sinnbild dafür ist das Theaterhaus in Schleswig. Es zwingt die Landesregierung zum sofortigen Handeln, obwohl ihr Theaterkonzept längst nicht steht. Alle Bühnen des Landes kürzten ihre Wochenspielpläne runter auf ein verlängertes Wochenende. Abgehängt vom nationalen Kulturgeschehen sind auch unsere staatlichen Museen. Sie schmoren überwiegend im eigenen Saft. Für den Austausch mit anderen Häusern auf nationaler oder gar internationaler Ebene fehlt eben zu viel, selbst das Geld für Kunsttransporte und Versicherungen. Nach erheblichen Kürzungen bei den staatlichen Fördermitteln für das Schleswig-Holstein Musik-Festival und dem Wegfall der Förderung für jazz baltica orientieren sich unsere beiden bekanntesten Musikfestivals Richtung Hamburger Publikum, unter dem sie zu Recht potente Sponsoren vermuten. Die dortige Kulturpresse nimmt die Festivals erfreut in ihre Berichterstattung auf. Dagegen scheitern alle Versuche, diese Redaktionen für Musik aus Flensburg, Rendsburg, Lübeck, Husum oder Kiel zu begeistern. Am Infotresen der Kieler Stadtgalerie liegen stets die aktuellen Programmhefte u.a. der Hamburger Oper, der Musikhalle, des Schauspielhauses aus. Das Programmheft unseres Landestheaters suchen wir dort vergebens. Hier ist eine bessere Vernetzung der Kulturanbieter untereinander notwendig – ein Thema, das ins Ressort der Ministerin fällt, und als Forderung mehrfach beim Kongress an sie gerichtet wurde. Auch die Schräglage im Verhältnis zu Hamburg gilt es im Rahmen einer kulturpolitischen Zusammenarbeit auf Länderebene dringend zu beheben. Dafür braucht es breiten öffentlichen Respekt vor der eigenen Kultur, Anerkennung der kulturellen Leistung unserer Kreativen, die mit vergleichsweise geringen Mitteln aus dem Nichts etwas schaffen, was anregt, was bewegt, was uns und das Land erhellt, und ihm eine kulturelle Identität gibt, die auch auf Menschen von anderswo attraktiv wirkt.
Bislang kennt Schleswig-Holstein seine Alleinstellungsmerkmale nicht. Wir wissen weder, welche Schätze wir neben den allseits bekannten Leuchttürmen besitzen, noch wie viele Bewohner unseres Landes sich ehrenamtlich in welchen Bereichen für ihre Kultur engagieren. Wir haben keine Vorstellung davon, wie viel Geld für Kultur ausgeben wird und wie viel Prozent der Bevölkerung die staatlichen Einrichtungen nutzt. Dasselbe gilt für die kulturelle Bildung von Kindern und Jugendlichen, das Thema mit der höchsten Priorität in der Koalition. Am Gymnasium in der Landeshauptstadt wird Unterricht in Musik und Kunst jeweils nur für ein halbes Jahr gegeben, aber als Ganzjahresnote im Zeugnis ausgewiesen. Dadurch taucht der Mangel in keiner Statistik auf und die Lage gilt als vergleichsweise gut. Ob an unseren Grundschulen Kunst und Musik unterrichtet wird und ob Fachlehrer dafür eingesetzt werden, weiß keiner genau zu sagen.
Bevor Bündnisse für Kultur mit Schulen geschlossen werden können, braucht es dort verständige Partner, also Fachlehrer, die in jeder Klassenstufe tatsächlich ästhetische Fächer unterrichten. Bevor wir Debatten zu kulturellen Leitlinien starten, brauchen wir verlässliche empirische Daten zur kulturellen Infrastruktur in Schleswig-Holstein. In den sechs Arbeitsgruppen am Nachmittag fiel dieses Thema unter den Begriff „Kulturkataster“. Jede brachte in dem anderthalb Stunden dauernden Gedankenaustausch eine Fülle von Anregungen hervor, die bei künftigen Wertediskussionen und Kulturdebatten Berücksichtigung finden sollten. Vielleicht war jemand so aufmerksam, der Ministerin die hundert bunten Merkzettel mit Stichworten aus den Arbeitsgruppen mitzugeben.
Warum warten, bis „jemand” die Kultur(anbieter) katastert oder vernetzt. Nimm man das nicht am Besten selbst in die Hand?
Wenn „man” das Ministerium bezeichnet, dann stimme ich zu. Wer sonst hat hier den Überblick — oder sollte den Überblick haben, um effizient kulturpolitisch zu wirken? Die Bundeskanzlerin fliegt mit Vertretern der Wirtschaft nach China. Unsere Kulturministerin könnte Kulturschaffende im RE nach Hamburg mitnehmen.
Ich würde erwarten, dass die Kulturschaffenden sich selbst organisieren. Wozu gibt es denn die entsprechenden Landesverbände? Und was die Vernetzung vor Ort angeht: Ich würde nicht drauf hoffen, dass das Ministerium dafür sorgt, dass in der Stadtgalerie das Programm des Schauspielhauses ausliegt. Das ist nicht die Aufgabe der Landesverwaltung.
Der Landeskulturverband als oberster Dachverband für Kultur in Schleswig-Holstein hat einen ehrenamtlich arbeitenden Vorstand und -so weit ich weiß — keine eigene Geschäftsstelle. Die tash wäre, meines Wissens, zuständig für die Koordination von Werbemaßnahmen für unser kulturelles Angebot. Für ihre Arbeit erhält sie Landesmittel vom Land. Hier könnte eine Zielvereinbarung helfen.
Die TASH ist die _Tourismus_ Agentur des Landes. Dazu gehört natürlich auch eine gewisse Vermarktung der Kultur. Aber nicht unbedingt in Schleswig-Holstein. Dazu kommt, dass sie sich nur um eine bestimmte Art der Kultur kümmern soll, wenn es dem Tourismusgutachten von 2006 folgen will: Urlaub für junge Familien, Best-Ager und „Anspruchsvolle Genießer”.
Die TASH ist nicht gerade überfinanziert und Schwarz/Gelb wollte die TASH sogar ganz einstampfen. Die TASH soll den Überbau für die 250 lokalen kleinst Tourismusmarketing-Organisationen bieten und dafür sorgen, dass sich Schleswig-Holstein als Ganzes gut nach Außen präsentiert.
Meinst Du so etwas wie die Kreativgesellschaft in HH, aber auf SH-Verhältnisse umgestaltet?
Mehr Verwaltung erscheint mir nicht sinnvoll. Gefühlt ernährt das Land bereits mehr Kulturmanager als Künstler. Bei jedem Kulturförderprogramm von Bund oder Land bleiben überproportional mehr Geldmittel bei den Organisatoren hängen als bei denen, die Kulturprojekte erdenken und vor Publikum durchführen. Ob meine Einzelerfahrungen mit der tash oder den Kreativpiloten auf die Gesamtsituation übertragbar sind? Uns fehlt Zahlenmaterial.