Hundert bunte Merkzettel für die Ministerin - Vom Jahreskongress des Landeskulturverbandes Schleswig-Holstein

Von | 13. Dezember 2012
Pinnwand einer Arbeitsgruppe

Ergebnisse aus einer von sechs Arbeitsgruppen beim Kulturkongress

Bloß zwei Zeitungen aus Schleswig-Holstein berich­te­ten über den Kulturkongress des Landeskulturverbandes. Als wäre Kulturpolitik in Schleswig-Holstein ein Thema für Minderheiten, schwie­gen auch die Magazine und die öffent­lich-recht­li­chen Sender. Dabei ging es einen Tag lang im Rendsburger Nordkolleg um nicht weni­ger als den Beginn eines Diskurses über die Zukunft der Kultur im Land. Der Koalitionsvertrag schreibt den Anstoß einer kul­tur­po­li­ti­schen Debatte vor, in deren Verlauf zusam­men mit den Kulturschaffenden und Kommunen Leitlinien erar­bei­tet wer­den sol­len. Und obwohl bereits die Vorgängerregierung in den letz­ten Monaten ihrer Amtszeit diver­se Veranstaltungen die­ser Art initi­iert hat­te, folg­ten 140 Kulturinteressierte dem Aufruf vom Landeskulturverband: „Auf in die Zukunft – KulturLand Schleswig-Holstein“.

Angekündigt waren für mit­tags „Kulturelle Leitlinien der Landesregierung“, refe­riert von Anke Spoorendonk. Die Ministerin für Justiz, Kultur und Europa ist seit knapp einem hal­ben Jahr im Amt. Sie trug einen Katalog ers­ter Maßnahmen vor, der sich weit­ge­hend an Themen des Koalitionsvertrages ori­en­tier­te. Neu dar­un­ter sind zwei Ideen, die eine reif­te zwei Wochen zuvor bei der Herbsttagung des Landesmusikrates: 2014 soll Jahr der kul­tu­rel­len Bildung in Schleswig-Holstein wer­den. Zudem äußer­te Anke Spoorendonk den Wunsch nach Organisation einer Landesausstellung. Konkret gestoppt hat sie den Stellenabbau bei den Archiven und dafür gesorgt, dass der Etat für den Erhalt von Schriftgut im Haushalt 2013 auf 350.000 Euro erhöht wird. Für das Frühjahr 2013 kün­dig­te die Ministerin den Beginn einer brei­ten kul­tur­po­li­ti­schen Debatte zwecks Entwicklung län­ger­fris­ti­ger Perspektiven bis ins Jahr 2020 an.

Da Schleswig-Holstein nicht das ein­zi­ge Flächenland im Bund ist, das am neu­en Konzept bas­telt, hol­ten sich die Organisatoren des Kongresses Referenten von außer­halb: Olaf Zimmermann berich­te­te von den Erfahrungen eines Kulturkonvents in Sachsen-Anhalt und Dr. Annette Schwandner vom jüngs­ten Kulturkonzept aus Niedersachsen. Beide Prozesse sind in Gang. Schleswig-Holstein steht davor und könn­te aus deren Erfahrungen ler­nen. Während anders­wo vor­ran­gig der Rückgang der Bevölkerungszahlen zum Handeln zwingt, brö­ckelt bei uns unauf­halt­sam die kul­tu­rel­le Infrastruktur des Landes. Sinnbild dafür ist das Theaterhaus in Schleswig. Es zwingt die Landesregierung zum sofor­ti­gen Handeln, obwohl ihr Theaterkonzept längst nicht steht. Alle Bühnen des Landes kürz­ten ihre Wochenspielpläne run­ter auf ein ver­län­ger­tes Wochenende. Abgehängt vom natio­na­len Kulturgeschehen sind auch unse­re staat­li­chen Museen. Sie schmo­ren über­wie­gend im eige­nen Saft. Für den Austausch mit ande­ren Häusern auf natio­na­ler oder gar inter­na­tio­na­ler Ebene fehlt eben zu viel, selbst das Geld für Kunsttransporte und Versicherungen. Nach erheb­li­chen Kürzungen bei den staat­li­chen Fördermitteln für das Schleswig-Holstein Musik-Festival und dem Wegfall der Förderung für jazz bal­ti­ca ori­en­tie­ren sich unse­re bei­den bekann­tes­ten Musikfestivals Richtung Hamburger Publikum, unter dem sie zu Recht poten­te Sponsoren ver­mu­ten. Die dor­ti­ge Kulturpresse nimmt die Festivals erfreut in ihre Berichterstattung auf. Dagegen schei­tern alle Versuche, die­se Redaktionen für Musik aus Flensburg, Rendsburg, Lübeck, Husum oder Kiel zu begeis­tern. Am Infotresen der Kieler Stadtgalerie lie­gen stets die aktu­el­len Programmhefte u.a. der Hamburger Oper, der Musikhalle, des Schauspielhauses aus. Das Programmheft unse­res Landestheaters suchen wir dort ver­ge­bens. Hier ist eine bes­se­re Vernetzung der Kulturanbieter unter­ein­an­der not­wen­dig – ein Thema, das ins Ressort der Ministerin fällt, und als Forderung mehr­fach beim Kongress an sie gerich­tet wur­de. Auch die Schräglage im Verhältnis zu Hamburg gilt es im Rahmen einer kul­tur­po­li­ti­schen Zusammenarbeit auf Länderebene drin­gend zu behe­ben. Dafür braucht es brei­ten öffent­li­chen Respekt vor der eige­nen Kultur, Anerkennung der kul­tu­rel­len Leistung unse­rer Kreativen, die mit ver­gleichs­wei­se gerin­gen Mitteln aus dem Nichts etwas schaf­fen, was anregt, was bewegt, was uns und das Land erhellt, und ihm eine kul­tu­rel­le Identität gibt, die auch auf Menschen von anders­wo attrak­tiv wirkt.

Bislang kennt Schleswig-Holstein sei­ne Alleinstellungsmerkmale nicht. Wir wis­sen weder, wel­che Schätze wir neben den all­seits bekann­ten Leuchttürmen besit­zen, noch wie vie­le Bewohner unse­res Landes sich ehren­amt­lich in wel­chen Bereichen für ihre Kultur enga­gie­ren. Wir haben kei­ne Vorstellung davon, wie viel Geld für Kultur aus­ge­ben wird und wie viel Prozent der Bevölkerung die staat­li­chen Einrichtungen nutzt. Dasselbe gilt für die kul­tu­rel­le Bildung von Kindern und Jugendlichen, das Thema mit der höchs­ten Priorität in der Koalition. Am Gymnasium in der Landeshauptstadt wird Unterricht in Musik und Kunst jeweils nur für ein hal­bes Jahr gege­ben, aber als Ganzjahresnote im Zeugnis aus­ge­wie­sen. Dadurch taucht der Mangel in kei­ner Statistik auf und die Lage gilt als ver­gleichs­wei­se gut. Ob an unse­ren Grundschulen Kunst und Musik unter­rich­tet wird und ob Fachlehrer dafür ein­ge­setzt wer­den, weiß kei­ner genau zu sagen.

Bevor Bündnisse für Kultur mit Schulen geschlos­sen wer­den kön­nen, braucht es dort ver­stän­di­ge Partner, also Fachlehrer, die in jeder Klassenstufe tat­säch­lich ästhe­ti­sche Fächer unter­rich­ten. Bevor wir Debatten zu kul­tu­rel­len Leitlinien star­ten, brau­chen wir ver­läss­li­che empi­ri­sche Daten zur kul­tu­rel­len Infrastruktur in Schleswig-Holstein. In den sechs Arbeitsgruppen am Nachmittag fiel die­ses Thema unter den Begriff „Kulturkataster“. Jede brach­te in dem andert­halb Stunden dau­ern­den Gedankenaustausch eine Fülle von Anregungen her­vor, die bei künf­ti­gen Wertediskussionen und Kulturdebatten Berücksichtigung fin­den soll­ten. Vielleicht war jemand so auf­merk­sam, der Ministerin die hun­dert bun­ten Merkzettel mit Stichworten aus den Arbeitsgruppen mit­zu­ge­ben.

 

 

 

panama
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das; Abk. f. Panorama (griech.). Unter diesem Namen postet Daniela Mett vermischte Nachrichten aus der bewohnten Welt des Nordens. Die ausgebildete Magazinjournalistin berichtet frei und unabhängig. Sie hat sich in 30 Berufsjahren spezialisiert auf Reportagen und Interviews - www.panama-sh.com.

7 Gedanken zu “Hundert bunte Merkzettel für die Ministerin - Vom Jahreskongress des Landeskulturverbandes Schleswig-Holstein”:

  1. Swen Wacker

    Warum war­ten, bis „jemand” die Kultur(anbieter) katas­tert oder ver­netzt. Nimm man das nicht am Besten selbst in die Hand?

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    1. panama

      Wenn „man” das Ministerium bezeich­net, dann stim­me ich zu. Wer sonst hat hier den Überblick — oder soll­te den Überblick haben, um effi­zi­ent kul­tur­po­li­tisch zu wir­ken? Die Bundeskanzlerin fliegt mit Vertretern der Wirtschaft nach China. Unsere Kulturministerin könn­te Kulturschaffende im RE nach Hamburg mit­neh­men.

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  2. Steffen VoßSteffen Voß

    Ich wür­de erwar­ten, dass die Kulturschaffenden sich selbst orga­ni­sie­ren. Wozu gibt es denn die ent­spre­chen­den Landesverbände? Und was die Vernetzung vor Ort angeht: Ich wür­de nicht drauf hof­fen, dass das Ministerium dafür sorgt, dass in der Stadtgalerie das Programm des Schauspielhauses aus­liegt. Das ist nicht die Aufgabe der Landesverwaltung.

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    1. panama

      Der Landeskulturverband als obers­ter Dachverband für Kultur in Schleswig-Holstein hat einen ehren­amt­lich arbei­ten­den Vorstand und -so weit ich weiß — kei­ne eige­ne Geschäftsstelle. Die tash wäre, mei­nes Wissens, zustän­dig für die Koordination von Werbemaßnahmen für unser kul­tu­rel­les Angebot. Für ihre Arbeit erhält sie Landesmittel vom Land. Hier könn­te eine Zielvereinbarung hel­fen.

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      1. Steffen VoßSteffen Voß

        Die TASH ist die _​Tourismus_​ Agentur des Landes. Dazu gehört natür­lich auch eine gewis­se Vermarktung der Kultur. Aber nicht unbe­dingt in Schleswig-Holstein. Dazu kommt, dass sie sich nur um eine bestimm­te Art der Kultur küm­mern soll, wenn es dem Tourismusgutachten von 2006 fol­gen will: Urlaub für jun­ge Familien, Best-Ager und „Anspruchsvolle Genießer”.

        Die TASH ist nicht gera­de über­fi­nan­ziert und Schwarz/​Gelb woll­te die TASH sogar ganz ein­stamp­fen. Die TASH soll den Überbau für die 250 loka­len kleinst Tourismusmarketing-Organisationen bie­ten und dafür sor­gen, dass sich Schleswig-Holstein als Ganzes gut nach Außen prä­sen­tiert.

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      2. Swen Wacker

        Meinst Du so etwas wie die Kreativgesellschaft in HH, aber auf SH-Verhältnisse umge­stal­tet?

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        1. panama

          Mehr Verwaltung erscheint mir nicht sinn­voll. Gefühlt ernährt das Land bereits mehr Kulturmanager als Künstler. Bei jedem Kulturförderprogramm von Bund oder Land blei­ben über­pro­por­tio­nal mehr Geldmittel bei den Organisatoren hän­gen als bei denen, die Kulturprojekte erdenken und vor Publikum durch­füh­ren. Ob mei­ne Einzelerfahrungen mit der tash oder den Kreativpiloten auf die Gesamtsituation über­trag­bar sind? Uns fehlt Zahlenmaterial.

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