Kiel kann mehr als Ankerplätze bauen

Von | 10. Oktober 2013
Germaniahafen mit Bürogebäude

Germaniahafen mit Bürogebäude | Foto: Steffen Voß

In mei­nem Büro in Hamburg wer­de ich dar­um benei­det 2 – 3 Tage pro Woche aus dem Kieler Büro her­aus arbei­ten zu kön­nen. Gefühlt liegt das Büro für mei­ne Hamburger Kollegen direkt am Strand. In der Realität ist es eine sehr sym­pa­thi­sche Bürogemeinschaft im Kieler Wissenschaftspark. Unter dem Label „Business Campus Kiel“ habe ich mir in den letz­ten bei­den Jahren die Arbeitsumgebung geschaf­fen, die ich als sehr pro­duk­tiv für wis­sens­in­ten­si­ve Berufe erach­te. Mit Flipperautomat, Golfbahn und Dartscheibe erfüllt das Büro sicher­lich gän­gi­ge Kreativklischees, aber für die­je­ni­gen die genau­er hin­schau­en liegt das Geheimnis in der Art der Zusammenarbeit.

Kiel hat doch genug Bürofläche, oder nicht?

Ich habe das Glück, dass unse­re Bürogemeinschaft fast immer aus­ge­bucht ist. So muss ich mir kei­ne Sorgen mehr über die Mieteinnahmen und –aus­ga­ben machen, aber ich wäre sogar bereit einen signi­fi­kan­ten Betrag dafür zu bezah­len in einem sol­chen Büroumfeld zu arbei­ten. Ich ken­ne dut­zen­de Bürogemeinschaften welt­weit, Coworking-Spaces, klas­si­sche Großraumbüros und natür­lich diver­se Agenturbüros. Ich ken­ne auch das Angebot des Kieler Innovation- und Technologiezentrums (KITZ) und das Wissenschaftszentrum. Abgesehen von eini­gen grö­ße­ren Coworking-Spaces habe ich nir­gend­wo ein Umfeld gefun­den, in dem klei­ne­re und mitt­le­re Unternehmen von­ein­an­der pro­fi­tie­ren wür­den. Meistens beschränkt sich das Angebot auf fle­xi­ble Arbeitsflächen oder Schreibtische und eini­ge gemein­sa­me Services und Events.

Jeder der schon ein­mal ein Unternehmen gegrün­det hat oder in einem Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern gear­bei­tet hat, kennt die wah­ren Herausforderungen des Geschäftsalltages. Da wäre der stän­di­ge Vertriebsdruck (neue Kunden) und der Bedarf an fle­xi­blen Partner (schnell & güns­tig). Unternehmen sind immer dann sehr erfolg­reich, wenn sie sich auf ihr Geschäft kon­zen­trie­ren kön­nen: Die Programmierung von Software, oder die Gestaltung von Verträgen oder das Coaching von Menschen.

Moderne Bürogemeinschaften hel­fen bei die­sen Herausforderungen enorm, wenn ein paar Regeln beach­tet wer­den. Das beginnt bei der Vermeidung von Bürogemeinschaften über meh­re­re Etagen, geht wei­ter mit eini­gen Kommunikationsregeln, wie offe­nen Türen und endet nicht zuletzt mit einer akti­ven Vernetzung der Menschen unter­ein­an­der. Leider reden Menschen unger­ne mit frem­den ande­ren Menschen und grö­ße­re Bürogemeinschaften kön­nen das ken­nen­ler­nen deut­lich ver­ein­fa­chen.

Wenn ich über mei­ne zwei Monate Arbeit im Wissenschaftszentrum ein­schließ­lich Besuche im KITZ nach­den­ke, dann fal­len mir sofort die per­ma­nent geschlos­se­nen Bürotüren ein und eine Sammlung meh­re­re Wasserkocher in pro Teeküche.

Warum besteht darin ein Potential für Kiel?

Kiel hat es nun jahr­zehn­te­lang durch­ge­hal­ten kei­ne sinn­vol­le (höchs­tens 40 Minuten) Bahnanbindung nach Hamburg zu rea­li­sie­ren, um die umzugs­wil­li­gen, ein­kom­mens­star­ken Familien aus Hamburg nach Kiel zu locken. Lüneburg & Langenhorn freu­en sich dafür umso mehr, über die zusätz­li­chen Steuereinnahmen.

Trotzdem muss Kiel sich sei­ner Rolle als Touristenstandort an der Ostsee mit ange­schlos­se­nen Abfahrtsterminals für Kreuzfahrer nicht erge­ben. Die Erfahrung die ich mit vie­len wis­sens­in­ten­si­ven Berufen im digi­ta­len Umfeld gesam­melt habe, kommt es für eine Firma nicht auf die Nähe zu den poten­ti­el­len Kunden an – ein Argument was bis­her stark für Hamburg, Frankfurt oder München sprach. Viel wich­ti­ger sind exzel­len­te Wissensleistungen, die von den Mitarbeitern erbracht wer­den. Diese Leistungen wer­den in Umfeldern beför­dert in denen:

  • Die Lebensqualität hoch ist (Nähe zum Meer)
  • Die Lebenskosten nied­rig sind (feh­len­de Hamburger Gutverdiener & gerin­ge Wirtschaftskraft)
  • Das Umfeld jung und agil ist (Studentenstadt)
  • Die Verbindung zu einem gro­ßen Flughafen gege­ben ist (50 Minuten per Kielexx)

Diese Faktoren sind in Kiel gege­ben. In Hamburg wohnt es sich spä­tes­tens mit einem nor­ma­len Einkommen und min­des­tens einem Kind erheb­lich schlech­ter. Am Ende des Tages brau­chen Unternehmen natür­lich trotz­dem Kunden, aber in heu­ti­gen hoch­spe­zia­li­sier­ten Wirtschaftsumfeld sind die Kunden ohne­hin über Deutschland und Europa ver­streut und in der Regel haben auch nur 2 – 5% der Mitarbeiter einen wich­ti­gen Draht zu den Kunden. Die müs­sen dann eben auch mehr rei­sen. Ob man nun aus Kiel oder Hamburg zu einem Kundenprojekt in München reist, ist voll­kom­men egal.

Wirtschaftstreiber oder „nur“ Dienstleister?

Ich fra­ge mich, wie es eine Stadt ohne Metropolenstatus zukünf­tig schaf­fen Unternehmensgründungen zu beför­dern und auch Wirtschaftskraft zu schaf­fen die über Agenturdienstleistungen und Tourismus hin­aus­geht. Erst mit Unternehmen, die Produkte und Angebote schaf­fen die über­all in Deutschland oder in aller Welt gekauft wer­den wird es als Stadt span­nend. Kiel war mit Unternehmen wie Hagenuk mal in so einer Situation, aber auf dem Weg in eine Wissensgesellschaft war das nur ein ver­gäng­li­cher Status. Bezeichnenderweise nutzt unse­re Bürogemeinschaft nun die Büroetage der ehe­ma­li­gen Hagenuk Finanzabteilung.

Mein Wunsch wäre es, wenn es noch viel mehr Angebote gäbe, die einen leich­te­ren Aufbau von Unternehmen ermög­li­chen – nicht finan­zi­el­le Angebote, son­dern Angebote die aktiv Menschen ver­net­zen. Jeden Tag. Um sich ein Bild davon zu machen, wie so eine Vernetzung funk­tio­niert, emp­feh­le ich jedem, ein paar Tage in sol­chen Büroumfeldern zu ver­brin­gen, mit kom­plett frem­den Menschen neue Netzwerke auf­zu­bau­en und test­wei­se ver­su­chen ein Angebot oder Service zu eta­blie­ren, um Gründungserfahrung zu sam­meln.

Aus Stadtentwicklungssicht lohnt es sich dar­über nach­zu­den­ken, ob man zukünf­tig lee­re Büros mit Hauptbahnhofs- oder Unizugang einer neu­en Klientel zugäng­lich machen will, oder der Einfachheit doch wie­der nur an das nächs­te Callcenter ver­mie­tet. Im Zweifel reicht aber auch eine sehr schnel­le Bahnverbindung nach Hamburg. Dann muss man nicht sel­ber groß wirt­schaf­ten, son­dern nur hüb­sche Neubauflächen erschlie­ßen – eine Art Wohndienstleister sozu­sa­gen.

Alexander Graf
Von:

Alexander Graf hat nach einem Wirtschaftsstudium in Kiel und Madrid vier Jahre für die Otto Group im Bereich Corporate Development gearbeitet. In dieser Zeit hat er diverse M&A-Themen, z.B. den Ankauf von Limango betreut und diverse Themen begleitet, die den Handel der Otto Group online ausgebaut haben. Im Anschluss seine Konzerntätigkeit hat er als Geschäftsführer bei der NetImpact Framework GmbH die On- und Offline-Transformation namhafter Großunternehmen von Agenturseite aus betreut und parallel die Unternehmensberatung und Beteiligungsgesellschaft eTribes Framework GmbH gegründet. eTribes hält Beteiligungen an einigen spezialisierten Online-Agenturen und entwickelt Transformationsstrategien für die Geschäftsmodelle von Unternehmen – Schwerpunkt: Commerce.

Ein Gedanke zu “Kiel kann mehr als Ankerplätze bauen”:

  1. Steffen VoßSteffen Voß

    Kiel als Vorort von Hamburg — eine inter­es­san­te Idee. Die Frage ist nur: Wo soll denn gebaut wer­den? Soweit ich das mit­be­kom­men bil­den sich über­all sofort NIMBY-Bewegungen, die eine Bebauung von Freiflächen ver­hin­dern wol­len — egal ob es in der Stadt oder am Rand ist. Wenn man die Schätzungen betrach­tet, dass Kiel im Gegensatz zu den meis­ten ande­ren Städten in Schleswig-Holstein auch in Zukunft noch wach­sen wird, ist das eine zen­tra­le Debatte, die die Stadt füh­ren muss, wenn Wohnen gleich­zei­tig bezahl­bar blei­ben soll.

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