Wie gefährlich ist Bahnfahren in Schleswig-Holstein?

Von | 5. August 2014

Die Videokamera - Dein Freund und Zuschauer / CC-BY-SA 2.0

Der Landtag beschäf­tigt sich nach einem Antrag der Fraktion der Piratenpartei im letz­ten Jahr mit Videoüberwachung in Regionalbahnen. Demnach hat­te das Land die Ausrüstung der Züge mit Videoüberwachung zum Teil der Ausschreibung für die Strecken im Land gemacht, ohne sich über Wirkung und Kosten im Klaren zu sein.

In einer Stellungnahme hat die Lan­des­weite Ver­kehrs­ser­vice­ge­sell­schaft (LVS) dar­auf hin­ge­wie­sen, dass ihr kei­ne Studien über die Wirksamkeit von Videoüberwachung in Regionalzügen bekannt sei und dass das auch schwie­rig nach­zu­wei­sen sein: „Es ist zu ver­mu­ten, dass die­ser Nach­weis auf­grund der gerin­gen Kri­mi­na­li­täts­ra­ten im Nah­ver­kehr schwie­rig wäre.”

Sie werden eher vom Blitz getroffen, als im Zug überfallen

Tatsächlich hat­te eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei) erge­ben, dass es in den letz­ten Jahren vier bis neun Gewaltdelikte in Bahnen pro Jahr in Schleswig-Holstein gege­ben hat. Ob das tat­säch­lich die Oma ist, die über­fal­len wur­de, oder ob es Fußball-Fans gewe­sen sind, die anein­an­der gera­ten sind, geht aus der Antwort der Landesregierung nicht her­vor. Und zur Einordnung: Alleine Regionalbahn Schleswig-Holstein und Nord-Ostsee-Bahn trans­por­tie­ren gemein­sam über 40 Millionen Personen pro Jahr. Und zum Vergleich: Im Autoverkehr wer­den jedes Jahr 15.000 Menschen in Schleswig-Holstein ver­letzt und über 100 getö­tet. Die Gefahr, dass einer Person in einem Zug etwas pas­siert, ist unge­fähr so groß, wie vom Blitz getrof­fen zu wer­den, stellt Dr. Patrick Breyer in einem Kommentar fest.

Die Bundespolizei ist natür­lich für die Videoüberwachung. Sie legt auch ganz ande­re Zahlen als die Landesregierung vor und beruft sich sogar auf den Terroranschlag von Madrid, um die Dringlichkeit für das länd­li­che Schleswig-Holstein fest­zu­stel­len. Sie rech­net in ihre unge­fähr 8500 Delikte das gesam­te Bahnumfeld samt der 180 Bahnhöfe und Parkplätze und jeg­li­che Art Fälle mit ein. Hauptsächlich sind das Fälle, in denen Menschen gar nicht bedroht wur­den. Denn die Bundespolizei zählt auch Diebstahl und Sachbeschädigungen mit. Nur 3 – 4% der Fälle sind Körperverletzungen und Raub. Und wie vie­le davon tat­säch­lich im Zug statt­fin­den, wo zukünf­tig die Kameras fil­men sol­len, sagt sie mit ihrer auf­ge­bla­se­nen Statistik nicht. Aber das hat­te die Landesregierung bereits beant­wor­tet: 4 – 9 Fälle.

Ut aliquid fiat: Sicherheitsesoterik

Trotzdem behaup­tet die Bundespolizei: „Die Videoüberwachung in Zügen ist ein wirk­sa­mes und unver­zicht­ba­res Mittel, um die Sicherheit für Reisende zu erhö­hen und bei Straftaten eine Strafverfolgung zu gewähr­leis­ten.” Das ist pure Sicherheitsesoterik: erst wird eine gro­ße Gefahr kon­stru­iert und dann eine Maßnahme mit zwei­fel­haf­tem Nutzen vor­ge­schla­gen. Dass man so alles recht­fer­ti­gen kann, dar­auf macht auch Robert Rothmann vom „Internationalen Forschungsinstitut für Medien, Kommunikation und kul­tu­rel­le Entwicklung, Mediacult”, in sei­ner Stellungnahme leicht zynisch auf­merk­sam:

„In die­sem Sinne gehe ich davon aus, dass die Videoüberwachung in Schleswig-Holsteins Zügen sowie­so umge­setzt wird und zwar völ­lig los­ge­löst von den ein­ge­hol­ten Gutachten und auch ohne wei­te­re Evaluation. An die­ser Stelle möch­te ich den Verantwortlichen zu die­sem Schritt gra­tu­lie­ren  ̶  sie lie­gen damit abso­lut im inter­na­tio­na­len Trend. Unabhängig von Fragen über Datenschutz und Effektivität ist Videoüberwachung in öffent­li­chen Verkehrsmitteln mitt­ler­wei­le Standard.

Zu berück­sich­ti­gen bleibt, dass die instal­lier­ten Kameras das Setting auch tat­säch­lich lücken­los über­wa­chen und dabei über aus­rei­chend gute Bildqualität ver­fü­gen. Zudem emp­feh­le ich den zusätz­li­chen Einsatz „intel­li­gen­ter” Videoanalyse zur Gesichtserkennung sowie Verhaltensanalyse zur auto­ma­ti­sier­ten Alarmierung der Sicherheitsbehörden im Anlassfall. Dabei ist dar­auf zu ach­ten, dass aus­nahms­los (!) jede Person bei Betreten der Zuggarnitur in aus­rei­chen­der Qualität fron­tal erfaßt wird. Die gespei­cher­ten Videodaten soll­ten auto­ma­ti­siert mit exter­nen Datenbanken über gesuch­te Tat- und Terrorverdächtige abge­gli­chen wer­den.

Auch eine Kombination mit Audioüberwachung zur Detektion ver­däch­ti­ger Geräusche (Schütteln von Sprühdosen, Hilferufe ver­ge­wal­tig­ter Frauen) soll­te ange­dacht wer­den. Werden die­se Aspekte nicht berück­sich­tigt oder soll­te sich viel­leicht sogar her­aus­stel­len, dass die Technologie noch gar nicht aus­ge­reift genug ist, um sie tat­säch­lich zur Anwendung zu brin­gen, kann ich ihnen ver­si­chern, dass das von ihnen instal­lier­te Videoüberwachungssystem bereits jetzt als ver­al­tet gilt und weder auf Opfer- noch auf Täterseite gro­ßen Eindruck machen wird. In die­sem Fall wären sie wohl bes­ser bera­ten, eine Werbeagentur mit der Durchführung einer Imagekampagne zu beauf­tra­gen.”

In der Landtagsdebatte beharr­te der Abgeordnete Kai Vogel (SPD) trotz­dem dar­auf, dass es ein Problem gäbe und rela­ti­vier­te aber: Die Videoüberwachung müs­se in ein Sicherheitskonzept ein­ge­bet­tet sein:

„Eine Haltung des Hinschauens, wie von mei­ner Kollegin Simone Lange gefor­dert, gutes, geschul­tes Personal an Bord der Züge, eine Ausleuchtung, die Angsträume redu­ziert und wei­te­re Maßnahmen kön­nen – und müs­sen! – hin­zu­kom­men.”

Die CDU ist natür­lich für die Videoüberwachung. Als Hauptargument nennt Axel Bernstein: Die Leute fühl­ten sich damit siche­rer.

Vielleicht sich die Reisenden nicht auch siche­rer füh­len könn­ten, wenn man ihnen nicht stän­dig ein­re­den wür­de, dass Regionalbahnen Todesfallen sind. Wenn die Regierung und Landtagsfraktion also der Meinung sind, dass sie Geld anders nicht los wer­den und es für tech­ni­sche Extras im Regionalverkehr übrig haben, dann soll­te sie kos­ten­lo­ses WLAN in den Regionalbahnen anfor­dern. Solange es aber kein Kriminalitätsproblem gibt, braucht man auch kein umfas­sen­des Konzept, um es zu lösen.

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