Wie flüchtet man eigentlich?

Von | 26. Oktober 2014
Flüchtlinge aus Syrien

Flüchtlinge aus Syrien in der Türkei | Foto: EC/ECHO / CC-BY-ND

„Morgen strei­ken die Lokführer!” Vor eini­gen Wochen war ich zu einer Fortbildung in Hessen. Mitten hin­ein in den zwei­ten Tag kam die Nachricht: Keine Bahn mehr wür­de fah­ren! An unse­rem Abreisetag! Plötzlich war Deutschland rie­sig groß. Wie kommt man nach Hause, wenn man nicht mit der Bahn fah­ren kann? Zum Flughafen wür­de ich mit einem Taxi kom­men aber ein Flugzeug bringt mich auch nur nach Hamburg. Bei all der Überlegerei muss­te ich an die Menschen den­ken, von denen die­ser Tage  häu­fig die Rede ist: Flüchtlinge — Flüchtlinge aus dem Irak oder Syrien, die vor dem Krieg dort flie­hen. Wie schaf­fen die das bloß, wenn mich schon eine Fahrt durch das siche­re Deutschland her­aus­for­dert?

Sirwan Baban | Foto: Steffen Voß

Sirwan Baban | Foto: Steffen Voß

Ich tref­fe mich mit Sirwan Baban. Sirwan ist vor 18 Jahren selbst aus dem Irak nach Deutschland gekom­men. Er ist damals vor Saddam Hussein geflo­hen, der zu die­ser Zeit bru­tal gegen die Kurden vor­ging. Sirwan Baban ist Kurde. „Zunächst haben die Menschen schon vor ihrer Flucht eine Menge durch­ge­macht,” erklärt er mir. „Sie haben Gewalt erlebt, Verwandte ver­lo­ren. Und dann müs­sen sie alles hin­ter sich las­sen. Freunde, Familie — ihre Heimat. Manche schaf­fen es, etwas Geld mit­zu­neh­men.”

Natürlich — wer hat schon sein Geld zu Hause rum­lie­gen? Die meis­ten von uns haben ihr Geld bei der Bank. Das ist in Syrien und im Irak nicht anders. Wenn die Bank nicht mehr öff­net, muss man ohne Geld los. Sirwan hat sich damals mit sei­ner Frau und sei­nem neu­ge­bo­re­nen Sohn auf den Weg gemacht — ille­gal über die Grenze zur Türkei. Zu der Zeit leb­ten die Kurden dort im Konflikt mit dem tür­ki­schen Staat. Sirwan berich­tet mir von Minenfeldern und Straßensperren. „Schleuser zei­gen dir den Weg und dann mar­schiert man. Nachts. Mit Frau und Kind und vie­len ande­ren Flüchtlingen.”

Danach ging es dann wei­ter mit dem Bus nach Ankara und Istanbul. „Wer erwischt wur­de, den brach­te die Polizei wie­der zurück über die Grenzen. Viele muss­ten den Weg immer wie­der machen, bis sie es nach Istanbul schaff­ten.” Mit einem klei­nen, völ­lig über­la­de­nen Boot hat er sich und sei­ne Familie nach Griechenland brin­gen las­sen. Ich fra­ge ihn, wie man denn so ein Boot fin­det. Wie fin­det man einen Schleuser, wenn man sich nicht aus­kennt und die Sprache nicht spricht?

„Istanbul ist vol­ler Flüchtlinge,” erklärt mir Sirwan. „Die Schleuser fin­den Dich. Und mit ein wenig Sprachtalent und Händen und Füßen ist dann schnell klar, wie man hin­über kommt und was das kos­tet.”

Sirwan Baban arbei­tet heu­te als Dolmetscher und Betreuer. Er hat viel mit den Flüchtlingen in der Erstaufnahmestelle in Neumünster zu tun. Die platzt zur Zeit wegen der vie­len Fliehenden vor dem Krieg in Irak und Syrien aus allen Nähten. Die Flüchtlinge dort kom­men oft auch über Bulgarien und Rumänien nach Deutschland. Sirwan erzählt mir, dass sie manch­mal auch Organe an ihre Schleuser ver­kau­fen muss­ten, um wei­ter zu kom­men. Oder die Schleuser haben ihre Frauen und Mädchen ver­ge­wal­tigt, wenn das Geld nicht reich­te. „Das ist eine Mafia,” sagt Sirwan.

Er ist damals in Griechenland freund­lich auf­ge­nom­men wor­den. Den Griechen ging es in den 90ern noch gut und sie hat­ten Mitleid mit den Flüchtlingen. Nach eini­ger Zeit erst, ist er mit sei­ner Familie wei­ter gereist: Mit dem Schiff nach Italien und dann nach Bayern. Später zog er nach Schleswig-Holstein. „Die waren sehr nett zu uns. Man geht ein­fach zur Polizei und bit­tet um Asyl. Man kann auch direkt zur Aufnahmestelle in Neumünster gehen.”

Hier kön­nen die Menschen das ers­te Mal nach sehr lan­ger Zeit zur Ruhe kom­men. „Man wohnt zwar auf engem Raum, aber man ist sicher, man hat ein Dach über dem Kopf und man bekommt etwas zu essen.” In Neumünster leben Menschen ver­schie­de­ner Nationalität. „Die wol­len alle nur ihre Ruhe haben.” Streit gäbe es da nicht mehr als anders­wo auch — trotz des beschränk­ten Raumes. „Da gibt es alles — ein­fa­che Leute bis hin zum Minister. Ich hab auch schon einen ehe­ma­li­gen Minister in Neumünster getrof­fen.” Auf der Flucht sind alle gleich.

Die Diakonie betreibt ein Café mit Beratungsstelle gegen­über der Flüchtlingsunterkunft. Dort hilft Sirwan Baban den Menschen dabei, ihre Erlebnisse zu ver­ar­bei­ten. Außerdem möch­te er die Flüchtlinge mit den Neumünsteranern zusam­men brin­gen. Er möch­te etwas zurück­ge­ben — so sehr hat man ihm in Deutschland gehol­fen. Ob er manch­mal Heimweh hat, fra­ge ich ihn. „Jeden Tag. Ich ver­mis­se mei­ne Heimat,” lächelt Sirwan.

Ich bin dann damals wäh­rend des Streiks der Lokführer aus Hessen mit einer Kollegin im Auto nach Hamburg mit­ge­nom­men wor­den. Dort fuh­ren Ersatzbusse nach Kiel, die hat­ten sogar WLAN an Bord. Alles gar kein Problem.

6 Gedanken zu “Wie flüchtet man eigentlich?”:

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