E-Partizipation: Die Illusion von der einen Plattform

Von | 9. Januar 2015
Rohbau

Symbolbild Bauruine | Foto: _dChris - CC BY 2.0

Der Landtag von Schleswig-Holstein gibt sich ein Online-Forum, damit jeder Bürger mit­re­den kann. Mal wie­der ver­sucht man sich an der Schaffung einer Beteiligungsplattform. Wieder wird es schei­tern und wie immer wird dabei Geld ver­brannt.

Was hat man nicht schon alles ver­sucht. Hohe Summen öffent­li­cher Gelder wur­den für die Entwicklung, Programmierung und den Betrieb von Beteiligungsplattformen ver­senkt. Alle die­se Projekte schei­ter­ten bit­ter­lich. Der Grund dafür ist recht ein­fach, wird aber bestän­dig igno­riert: Die Methode kommt zum Schluss.

E-Partizipation beginnt ent­ge­gen aller päd­ago­gi­schen Literatur immer mit der Methode. Irgendwer hat die Phantasie, er kön­ne auf sei­ner Plattform alle Initiativen, Gedanken und Zielgruppen bün­deln und dau­er­haft bin­den. Mal ganz ehr­lich, das kann nicht funk­tio­nie­ren und eine gute Einführungsveranstaltung an einer Hochschule zum Thema Bürgerbeteiligung reicht aus, um das zu ver­ste­hen.

Es ist der fal­sche Ansatz zu glau­ben, dass allein die Möglichkeit sei­ne Meinung Kund zu tun, Menschen zu mobi­li­sie­ren ver­mag. Viel zu sel­ten glau­ben Bürgerinnen und Bürger und ins­be­son­de­re Jugendliche dar­an, dass das, was sie zu sagen haben, auch wirk­lich gehört wird. Darum müs­sen alle Beteiligungsprozesse mit Vertrauensarbeit begin­nen. Dafür trifft man sich in Veranstaltungen, spricht mit­ein­an­der, baut Beziehungen zuein­an­der auf, um dann über die eigent­li­che Sache ins Gespräch zu kom­men. So funk­tio­nie­ren alle erfolg­rei­chen Beteiligungsprozesse und all die­se Grundsätze wer­den im Netz igno­riert.

Wie kommt also die­se Fehlkonzeption in die Köpfe der Entscheidungsträger? – Ich bin der Überzeugung, sie ent­steht aus Unwissenheit über das Internet. In den Köpfen vie­ler Menschen hat sich fest­ge­setzt, dass unglaub­lich vie­le Menschen das Internet nut­zen und sich dort bewe­gen. Ja, das stimmt, aber der Fehler ist, dass das Internet als zen­tra­ler Ort miss­ver­stan­den wird. Im Netz hal­ten sich Menschen an ganz unter­schied­li­chen Orten auf und kom­mu­ni­zie­ren in ganz unter­schied­li­chen Gruppen. Genau wie in jeder Stadt gibt es Gruppen im Netz, die sich gegen­sei­tig nie­mals begeg­nen. Das Internet als Ganzes zu einem zen­tra­len Beteiligungsort zu ver­klä­ren, ist, als wenn man die Forderung auf­stel­len wür­de: “Beteiligung muss in der Stadt statt­fin­den, weil Menschen in der Stadt leben”. Der Satz ist grund­sätz­lich rich­tig, nur lei­der erwächst aus ihm kei­ne kon­kre­te Handlung, denn unklar bleibt, mit wem in der Stadt an wel­chem Ort in der Stadt und mit wel­cher Methode zu wel­chem Zweck Menschen betei­ligt wer­den sol­len.

Mich ärgert, wie vie­le Dienstleister aktu­ell die­sen Fehlschluss über das Internet in den Köpfen von Entscheidungsträgern aus­nut­zen. Hinz und Kunz bie­tet jeweils eine Beteiligungsplattform an. Immer wird ver­spro­chen, sie wäre die eier­le­gen­de Wollmilchsau. Diese Beteiligungsplattform wird alles kön­nen – von der Beteiligung an Bebauungsplänen über das Melden von Mängeln, das Besprechen tages­ak­tu­el­ler Politik bis hin zu kon­kre­ten Entscheidungsprozessen. Mit der tolls­ten, neus­ten, bes­ten Plattform wird das alles mög­lich, denn schließ­lich sind doch alle Menschen neu­er­dings im Netz.

Ich bin mir unsi­cher, ob die Anbieter bewusst täu­schen, oder ob sie sich selbst der Illusion hin­ge­ben, Beteiligung könn­te so funk­tio­nie­ren. In jedem Falle ist mitt­ler­wei­le ein­deu­tig empi­risch durch alle mög­li­chen Feldversuche mit Plattformen erwie­sen, was theo­re­tisch schon immer klar war, der Ansatz von Beteiligungsplattformen für alle und alles ist kom­plet­ter Quatsch.

Es gibt gelin­gen­de E-Partizipation

Es gibt erfolg­rei­che Beteiligungsprozesse unter Nutzung des Internets. Ja, sol­che Beteiligungsprozesse kön­nen gelin­gen und die Nutzung von Technologie kann auch ech­ten Mehrwert für Beteiligungsprozesse brin­gen. Die erfolg­rei­chen E-Partizipationsprozesse haben aber alle etwas gemein. Sie defi­nie­ren erst den Beteiligungsgegenstand, dann die Zielgruppe und schließ­lich ent­schei­den sie sich für die rich­ti­ge Abmischung an Methoden. Eine die­ser Methoden kann ger­ne ein Werkzeug oder Netzwerk aus dem Internet sein. Sie ist aber nie­mals gesetz­tes Muss.

Erfolgreiche Partizipation muss egal ob off­line oder online oder in einer online-off­line-Kombination immer aner­ken­nen, dass es Menschen mit unter­schied­li­chen Beteiligungserfahrungen und metho­di­schen Bedürfnissen gibt. Erfolgreiche Partizipation kennt die zu errei­chen­de Zielgruppen und opti­miert ihre Verfahren in sol­cher Weise, dass die­se Zielgruppe die best­mög­li­che Chance bekommt, sich ein­zu­brin­gen.

Würden wir all die Mittel, die heu­te für die Entwicklung von Beteiligungsplattformen ver­brannt wer­den, in gut gemach­te Beteiligungsprozesse inves­tie­ren, unser Land hät­te wirk­lich gewon­nen und es gäbe weni­ger Ruinen im Netz.

Dieser Artikel ist zuerst Partizipationsblog erschie­nen.

Erik Flügge
Von:

Erik Flügge ist Geschäftsführer der Squirrel & Nuts Gesellschaft für strategische Beratung mbH. Er ist Experte für Jugendbeteiligung und berät viele Städte und Gemeinden bei der Entwicklung von Partizipationsprojekten. Er unterrichtet an der Universität Tübingen Schulpädagogik und an der Hochschule Krefeld Kommunikation & Präsentation.

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