Das Danewerk Höhe Schleswig - Grenze zwischen zwei Reichen

Von | 26. November 2015

„Odin hrafnar“ von Ranveig, lizenziert unter Wikimedia Commons. Odins Raben Hugin und Munin sind Wappenvögel des Danevirke Museums.

Nis Hardt räumt auf in der Mottenkiste unse­rer Klischees über Wikinger, Haithabu und das größ­te und ältes­te archäo­lo­gi­sche Baudenkmal Skandinaviens, das Danewerk. Im Gespräch mit Melanie Richter und Daniela Mett erklär­te der Archäologe und Direktor des Danevirke Museums die Bedeutung unse­res Kulturerbes für Europa.

Das Danewerk bildete einen Riegel quer über das Land von Hollingstedt bis Haithabu. Man geht davon aus, dass es bloß einen Durchweg im zentralen Teil des Hauptwalls gab — das 2010 bei Grabungen freigelegte Wieglesdor. An dieser Stelle wurde der Wall am häufigsten umgebaut und verstärkt. Also war das Ziel die Schaffung einer Handelsbarriere?!

Nis Hardt: Alle sagen, ja ist doch klar, dort muss­te jeder durch. Früher kreuz­te der Heerweg, spä­ter Ochsenweg genannt, heu­te ver­lau­fen dort  Bahntrasse und Autobahn. Aber wir ver­ges­sen dabei, dass ein Großteil des Warentransports noch vor gut hun­dert Jahren per Schiff erfolg­te. Dass wir hier einen Wall vor­fin­den, hat etwas mit sei­ner geo­gra­fi­schen Lage zu tun. Hier sind Nord- und Ostsee ein­an­der am nächs­ten. Im Westen rei­chen zwei natür­li­che Wasserstraßen weit ins Land, die Eider und Treene, im Osten die Eckernförder Bucht und die Schlei. Dazwischen befin­det sich eine Landbrücke von unge­fähr 10 Kilometern Länge. Der Handel zwi­schen dem Baltikum und den dahin­ter lie­gen­den Ländern bis run­ter nach Irak zu den Kalifen, der muss­te hier durch. Das war der kür­zes­te Weg. Sonst hät­te man durch das däni­sche Reich und rund um Skagen segeln müs­sen. Heute stellt der Nord-Ostsee-Kanal die­se Verbindung her.

Vor wem hätte man diese Querverbindung schützen müssen?

Nis Hardt: Am Fuß der jüt­län­di­schen Halbinsel wur­den im frü­hen Mittelalter ver­schie­de­ne Völker ansäs­sig. Im Norden sie­del­ten Angeln und Jüten. Vor 700 kamen die Danen hin­zu. Die Angeln und Jüten gin­gen in die­sem Verband auf. Zur sel­ben Zeit zogen Friesen nörd­lich des Danewerks an die Westküste. Südlich vom Danewerk leb­ten säch­si­sche Stämme, die Dithmarscher, die Holsaten, die Stormaner. Das Gebiet öst­lich der Kieler Förde wur­de von Slawen bewohnt. Was dar­aus folg­te, waren end­lo­se Querelen um die Grenzsicherung des karo­li­nig­schen Reiches. Erst ver­such­ten die Franken, den Rest Holsteins an Slawen abzu­tre­ten, um eine Pufferzone zu den Dänen zu haben. Als das nicht hin­hau­te, wur­den die letz­ten nord­el­bi­schen Gebiete, in denen noch freie Sachsen wohn­ten, von den Karolingern mit­erobert. Die errich­te­ten dann die ers­ten Festungen. So kommt es, das um 800 Karl der Große und König Gudfred ein­an­der plötz­lich hier an der Eider begeg­net sind. Das Danewerk bil­de­te die Grenze zwi­schen bei­den, dem däni­schen Reich und dem Reich der Karolinger. Es hielt das Hinterland frei. Jenseits des Walls herrsch­ten ande­re Regeln, gal­ten ande­re Gesetze.

Der Wall konnte unmöglich auf gesamter Länge bewacht werden, wieso ging man davon aus, sich damit vor Eindringlingen schützen zu können?

Nis Hardt: Die angel­säch­si­schen Könige mach­ten es vor. Sie hiel­ten damit die Cornwelschen und die Walliser ab. Als 450 nach Christus das west­rö­mi­sche Reich kol­la­bier­te, setz­ten Jüten, Angeln und Sachsen nach Britannien über. Die letz­ten, von Römern besetz­ten Provinzen wer­den von Germanen über­nom­men. Und dann kreuzt um 500 in den Quellen erst­mals ein poli­ti­scher Verband auf, den sie die Danen nen­nen. Sie wer­den neben den Goten erwähnt. Franken erschla­gen 516 am Strand in Nordfrankreich einen däni­schen Königssohn. Davon erfah­ren wir aus den frän­ki­schen Reichsannalen. Es ist sicher kein Zufall, dass in der Folge die Idee auf­kommt, eine Verteidigungslinie gegen Süden zu errich­ten. Normalerweise ereig­net sich eine Invasion ja nicht so rasch. Früher stell­te man dem poten­ti­el­len Feind Geiseln, d.h. der frem­de Königssohn wuchs beim geg­ne­ri­schen Machthaber auf oder man schloss Allianzen etwa durch Heirat.

Blitzartig zuschlagen konnten doch auch die Wikinger…

Nis Hardt: Sofern der Wind rich­tig stand, waren die inner­halb von zwei Tagen drü­ben in Britannien, um mit einer Besatzung aus nur vier Schiffen alles platt zu machen und wie­der abzu­hau­en. Richtige Kriege dage­gen haben Vorbereitung gekos­tet. Wichtig war, erst die Ernte ein­zu­brin­gen, bevor man sich in sol­che krie­ge­ri­schen Geschichten ein­ließ. Andererseits war man dar­auf ange­wie­sen, dass auch der Feind geern­tet hat­te, so dass man sei­ne Vorräte plün­dern konn­te. Es gab vor­ab immense logis­ti­sche Aufgaben zu lösen. Zur Aufstellung einer Abwehr blieb also Zeit. Durch den Graben macht die Front zudem einen enor­men Geländesprung, den der Feind mit Waffen über­win­den muss. Eine Ausrüstung der dama­li­gen Zeit wiegt um die 40 Kilo. Schlepp das mal und ver­such, damit über den Wall zu stür­men.

Wenn die mit Wasser gefüllt wären, hätten sich Handelsschiffe darauf entlang treideln lassen…

Nis Hardt: Es gibt immer wie­der Spinner, die behaup­ten, das Danewerk wäre kein Verteidigungswall son­dern ein Kanal, eine Schiffszuganlage sozu­sa­gen, ein Treidelweg. Dabei haben die Gräben, die vor dem Danewerk lie­gen, nie Wasser geführt. Warum sieht der Kanal aus wie ein Wall? Er erreicht eine Höhe von sie­ben Metern! Die Waren wur­den in Haithabu gelöscht und über Land zur Treene gebracht, um dort auf das nächs­te Schiff ver­la­den zu wer­den. So wie ein Containerterminal muss man sich das vor­stel­len. Die Schiffe über Bohlen zie­hen, das konn­ten sie im Mittelalter bereits. Wir wis­sen aus einer Quelle, dass Sven Grate um das Jahr 1130 Schiffe von der Schlei bis nach Hollingstedt zie­hen lässt. Das tut er, weil ihm sein Vetter Knut die däni­sche Krone strei­tig macht und er den Widersacher in der Südermarsch angrei­fen will. Kriegsschiffe, die 60 – 80 Mann Besatzung hat­ten, konn­ten sie aus dem Wasser krie­gen. Aber ein Handelsschiff, das allein schon aus 8 Tonnen Eiche besteht, 4 Tonnen Steine als Ballast hat, und von 5 Mann Besatzung gese­gelt wird, zieht man nicht aus der Treene und schiebt es mal eben so nach Haithabu. Allein der Geländeunterschied beträgt 7 Höhenmeter über den Korridor.

Welche Waren lohnten den weiten Weg? Im schwedischen Birka wurde bei Grabungen eine Buddha-Figur gefunden.

Nis Hardt: „Ware“ ist ein merk­wür­di­ger Begriff im Zusammenhang mit vor­ka­pi­ta­lis­ti­schen Gesellschaften. Da Sachen des all­täg­li­chen Gebrauchs sel­ten Spuren hin­ter­las­sen, ist Ihre Frage schwer zu beant­wor­ten. Im Brunnen von Haithabu fand man Walnüsse und Pflaumensteine und Hopfen, der damals bei uns noch nicht ange­baut wur­de. Denkbar wären vor­ge­ar­bei­te­te Erze wie Metall, Silber und Gold für Schmuck. Eisen wur­de zur Waffenherstellung gebraucht, bestimm­te Holzkohlesorten, um Schmiedearbeiten durch­füh­ren zu kön­nen, auch Bernstein und teu­re Felle. Leder brauch­ten sie für alles mög­li­che, spä­ter wohl auch Hölzer, als Baumaterial. Mitte des 12. Jahrhunderts kommt dann über Hollingstedt Tuffstein zu uns, auch Getreide aus ver­schie­de­nen Gebieten. Die erwähn­te Buddha-Figur stammt aus der Wikinger-Zeit, als eine Verbindung zum heu­ti­gen Irak bestand. Von hier aus reich­ten wei­te­re Handelsrouten nach Fernost. Aus die­ser Periode haben wir zig ara­bi­sche Münzen bei uns gefun­den. Sie waren Zahlungsmittel. Mit den Arabern lief der Handel des­halb so gut, weil die so viel Silber besa­ßen.

Haithabu gilt als wichtiger Handelsplatz der Wikinger…

Nis Hardt: Weil es sich gut macht im Marketing. Tatsächlich haben wir um 740 n. Chr. eine mul­ti­kul­tu­rel­le Gesellschaft an der Schlei. Wie vie­le Menschen, lässt sich schwer sagen. Aber man soll­te sich nicht mehr als ein paar Tausend vor­stel­len. Sie leb­ten in ihren Werkstätten. Das waren soge­nann­te Grubenhäuser, in den Boden ein­ge­senk­te Hütten. Wir wis­sen nicht ein­mal, ob deren Bewohner das gesam­te Jahr über dort gelebt haben. Aber wir wis­sen von inner­städ­ti­schen Reibereien mit bereits getauf­ten Friesen und Sachsen aus Gebieten nörd­lich der Elbe. Die Siedlung lag süd­lich des Danewerks und damit in einem eige­nen Gerichtsbezirk. 845 – 850 durf­ten Christen in Haithabu eine Kirche errich­ten. Nach katho­li­schem Brauch bim­mel­te deren Glocke stünd­lich. Da bekommt doch jeder, nicht nur Heiden, ein Horn von. Später fand man das Ding in der Schlei, es ist unser ältes­ter Glockenfund im skan­di­na­vi­schen Raum.

Also wurde der Wall als Bollwerk gegen die Christianisierung errichtet?

Nis Hardt: So wie die Sachsen haben sich auch die Danen Jahrhunderte lang gesträubt, die­sen Glauben anzu­neh­men. Harald Blauzahn lässt sich um 965 tau­fen. Dadurch wird das Christentum zur Staatsreligion und kei­ner konn­te die Danen mehr als Barbaren bezeich­nen. Nun waren sie gute Christen. Jedoch bedeu­te­te der Glaube im Mittelalter nicht viel, die Franken haben auch die christ­li­chen Langobarden platt gemacht in Norditalien. Ob Christ oder nicht, ver­schont wur­de kei­ner, sobald Machtinteressen im Spiel waren. Doch dadurch, dass däni­sche Könige nun offi­zi­ell Christen waren, konn­ten sie sich mit Töchtern aus christ­li­chen Häusern von Großherrschern ver­mäh­len. Das war prak­tisch für die Diplomatie. Letztlich hat man das Heidentum jedoch nie aus­rot­ten kön­nen. Die Skandinavier glau­ben ja immer noch an Trolle und Nissen und so etwas. Öffentlich waren Opfergaben ver­bo­ten, aber was man pri­vat mach­te, das ging kei­nen etwas an.

Welche Werte galt es gegen die Franken zu verteidigen?

Nis Hardt: Zum Beispiel wur­de in Skandinavien nie das Feudalsystem ein­ge­führt. Niemand besaß die Macht, allein über alle zu bestim­men. Selbst Dänemarks Könige wur­den gewählt. Wollte einer nicht so, wie man selbst, konn­te man ihm nicht ein­fach auf den Kopf hau­en. Das ver­hin­der­te ein fili­gra­ner Machtapparat. Außerdem hat der Norden nie Leibeigene und Untertanen gekannt wie es sie in den süd­lichs­ten Teilen von Schleswig gege­ben hat. Ein däni­scher König konn­te sei­ne Soldaten nicht an irgend­ei­nen ande­ren Machthaber ver­kau­fen oder ver­lei­hen.

Darüber wissen wir kaum etwas. Der Norden gilt ja traditionell als wortkarg – ein paar Runen auf Stein, damit war wohl alles gesagt.

Nis Hardt: Erst als sich Klöster eta­blier­ten, gab es Stätten zur Aufbewahrung von Schriftstücken. Selbst Waldemar der Große, der die Ziegelsteinmauer hier bau­en ließ, leb­te in einem Bauernhaus, des­sen Wände aus Reisig gefloch­ten und mit einem Gemisch aus Lehm und Kuhdung ver­schmiert waren. Wie hät­te er dort Papiere auf­be­wah­ren sol­len? Nach weni­gen Jahren wären sie weg, wahr­schein­lich von Ziegen gefres­sen. Quatsch ist, dass die Wikinger nicht lesen und schrei­ben woll­ten oder konn­ten und nur Runen in Stein mei­ßeln lie­ßen. Aus spä­te­rer Zeit sind klei­ne Birkenbriefchen erhal­ten. Darin steht sogar sehr Persönliches: „Erik, besauf Dich heu­te bit­te nicht so doll“ oder „Lieber Onkel, bit­te ver­hau mich nicht, wenn ich zurück­kom­me, ich kann nichts dafür, dass der Handel nicht so klapp­te, wie du es Dir vor­ge­stellt hast.“ Hätten sie öfter auf Holz geschrie­ben, besä­ßen wir mehr Quellen.

Die Grabungen am Tor sind abgeschlossen. Was kam dabei heraus?

Nis Hardt: Wir fan­den eini­ge Tonscherben aus der alten Zeit und aus dem Mittelalter, einen Schleifstein, und wir haben 9 Holzspaten, die noch nicht ganz genau datiert sind, sowie einen Spatenbeschlag. Und es gelang, das legen­dä­re Tor nach­zu­wei­sen, dass 808 in den Reichsannalen erwähnt wird. Für die Mauer wur­den 20 Millionen Steine von der Ostsee hier­her geschafft und bear­bei­tet, um sie im Fischgrätmuster auf­rei­hen zu kön­nen. Die Strandmurmeln gab man in Matten, damit sie sich ver­ha­ken, und füll­te die Zwischenräume mit einem Gemisch aus Lehm und Sand auf. Es kann durch­aus 2 bis 3 Jahre dau­ern bis die Dokumentation dazu fer­tig ist. Die gro­ße Aufgabe, die vor uns liegt, ist, die­ses Bauwerk mit sei­ner bedeu­ten­den Rolle für die euro­päi­sche Geschichte zu ver­mit­teln. Und dazu müs­sen wir im Danevirke Museum eine neue Ausstellung ein­rich­ten. Wir konn­ten in die­sem Jahr mit den Illustrationen anfan­gen und ers­te Funde aus­stel­len. Wären wir Weltkulturerbe, fie­le es uns leich­ter, Unterstützung ein­zu­wer­ben. So fehlt Anerkennung. Einige den­ken immer noch, das Danewerk wäre nur so ein ver­krau­te­ter Knick.

***

Träger des Danevirke Museums ist der SSF Sydslesvigsk Forening, die kul­tu­rel­le Hauptorganisation der däni­schen Minderheit in Deutschland. Im Museum wer­den zwei Dauerausstellungen gezeigt, eine zum Danewerk, die ande­re trägt den Titel „Dansk i Sydslesvig“ und erzählt von Dänen, die trotz Trennung von Dänemark dänisch blei­ben wol­len.

Unter der Führung Islands bewar­ben sich Kulturpartner aus fünf Nationen, dar­un­ter das Danewerk und Haithabu, 2014 gemein­sam um Aufnahme ihrer „Wikingerzeitlichen Stätten in Nordeuropa” in die Unesco-Welterbeliste. Im ers­ten Anlauf gelang das nicht. Das Komitee for­der­te 2015 von der trans­na­tio­na­len Gemeinschaft wesent­li­che Nachbesserungen.

  • Danevirke Museum, Ochsenweg 5 in Dannewerk bei Schleswig
  • Winterpause vom 01. Dezember 2015 bis 29. Februar 2016, ab 01.03. – 30.4. + 1.10. – 30.11. jeweils Di-So 10 – 16 Uhr, über Sommer geöff­net Mo-Fr 10 – 17, Sa+So 10 – 16 Uhr
  • Eintritt: 3 Euro /​ Erwachsene, 1 Euro /​ Kind
  • Info: 04621/​37814 und auf www.danevirkemuseum.de
    Danevirke Museum mit abgesperrter Grabungsstätte (links) beim Wieglesdor

    Danevirke Museum mit abge­sperr­ter Grabungsstätte (links) beim Wieglesdor

    Anschaulich erklärt: der Wall und seine Funktion

    Anschaulich erklärt: der Wall und sei­ne Funktion

    Blick in die Ausstellung "Dansk i Sydslesvig"

    Blick in die Ausstellung „Dansk i Sydslesvig”

Teilstück der Waldemarsmauer beim Museum

Teilstück der Waldemarsmauer beim Museum

panama
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das; Abk. f. Panorama (griech.). Unter diesem Namen postet Daniela Mett vermischte Nachrichten aus der bewohnten Welt des Nordens. Die ausgebildete Magazinjournalistin berichtet frei und unabhängig. Sie hat sich in 30 Berufsjahren spezialisiert auf Reportagen und Interviews - www.panama-sh.com.

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