Das Dilemma der Schulen - Zufall oder Kalkül?

Von | 10. Dezember 2010

In eini­gen Teilen der Bevölkerung hält sich nach­hal­tig die Ansicht, dass „die da oben” gar nicht dar­an inter­es­siert sind, Verbesserungen zu schaf­fen. Das gilt in unse­rem Bundesland vor allem auch in der Bildungspolitik. es liegt eini­ges im Argen, aber die Lösungen kom­men nicht auf den Weg. Da kann man sich schon Fragen, ob dies  so gewollt ist oder ob die Probleme nicht im aus­rei­chen­den Maße gese­hen und kom­mu­ni­ziert wer­den.

Fortbildungen sind gut, denn durch sie hat man nicht nur die Möglichkeit sich neu­es Wissen im eige­nen Fach oder Strategien für den täg­li­chen Umgang mit Schülern anzu­eig­nen, son­dern man kommt auch ins Gespräch mit Kollegen. Oft dre­hen sich die­se Gespräche um die Situation an den ver­schie­de­nen Schulen in unse­rem Land und lei­der all­zu oft hört man nicht viel Positives. So ist die Unterrichtsversorgung in man­chen Fächern sehr unter­schied­lich und ent­spricht nicht in allen Fällen den Vorgaben der Kontingentstundentafel. Diese Stundentafel regelt, wie vie­le Stunden wel­chen Faches pro Jahrgang erteilt wer­den sol­len. Die Abweichung von die­sen Stundenvorgaben ist natür­lich kei­ne böse Absicht der jewei­li­gen Schulleitungen. Oft sind ein­fach nicht genü­gend Lehrer vor­han­den, die das ent­spre­chen­de Fach unter­rich­ten kön­nen und das nicht nur in bekann­ten „Mangelfächern” wie Physik oder Französisch, son­dern mitt­ler­wei­le gibt es sogar Schulen, an denen es kei­ne Geschichtslehrer mit Fakultas (geprüf­te Unterrichtsbefähigung) mehr gibt. Das bedeu­tet, dass an der jewei­li­gen Schule kei­ne Lehrer exis­tie­ren, die das Fach Geschichte tat­säch­lich stu­diert haben. Also wird fach­fremd unter­rich­tet was das Zeug hält, was sel­ten von Vorteil für alle Beteiligten ist. Die Kollegen, die von einem auf den ande­ren Tag ein ihnen unbe­kann­tes Fach unter­rich­ten sol­len, sind den Schülern oft nur zwei Seiten im Buch vor­aus und zeit­lich kaum in der Lage, fach­spe­zi­fi­sche, didak­ti­sche und metho­di­sche Überlegungen über das neue Fach anzu­stel­len. Ihnen fehlt also das ent­spre­chen­de Handwerkszeug, Stunden des besag­ten Faches so vor­zu­be­rei­ten, dass die Schüler in den Genuss eines för­dern­den und for­dern­den Fachunterrichts kom­men kön­nen, bei dem die Lehrplan-Vorgaben in die Unterrichtsvorbereitungen ein­be­zo­gen wer­den. Wie anspre­chend der Unterricht in die­sen Stunden dann aus­sieht kann man sich sicher­lich vor­stel­len.

In man­chen Schulen wer­den aus Mangel an Fachlehrern eini­ge Fächer auch gar nicht oder in einem viel zu gerin­gen Umfang (Kontingentstundentafel) erteilt, was sehr zum Nachteil der Schüler ist. Denn so wich­tig der Mathe-, Deutsch- und Englischunterricht auch sein mag, auch Fächer wie Technik, Kunst, Musik und Informatik bzw. IT-Grundbildung sind für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen wich­tig. Außerdem ist eine gewis­se Stringenz in der Erteilung bestimm­ter Fächer nötig, denn wel­chen Sinn ergibt es, in Klasse 7 eine Stunde Physik zu ertei­len und dann erst wie­der in Klasse 10?

Doch nicht nur im fach­li­chen Bereich sind vie­le Schulen schlecht dran, auch was die all­ge­mei­ne Stellenzuteilung angeht, liegt eini­ges im Argen. So bekom­men eini­ge Schulen lan­ge nicht die Lehrerstundenkontingente zuge­stan­den, die für die Zahl der Schüler an der Schule nötig wäre. Diese berech­net sich aus der Menge der Schüler, die an der Schule unter­rich­tet wer­den und hat oft auch Auswirkungen auf die Klassengrößen. So ist es teil­wei­se nur mög­lich, den Unterrichtsbetrieb ordent­lich auf­recht zu erhal­ten, wenn ent­spre­chend vie­le Referendare an die Schule geholt wer­den. Für die­se sind jedoch nicht immer die pas­sen­den Ausbildungslehrer ver­füg­bar, so dass dann Lehrer ohne ent­spre­chen­de Fakultas fach­fremd aus­bil­den müs­sen. Eine äußerst ungüns­ti­ge Konstellation, wenn man dar­an denkt, wie „gut” dann die Referendare, also die kom­men­de Lehrergeneration, aus­ge­bil­det sein wird. In man­chen Fällen müs­sen als Ausbildungslehrer auch die­je­ni­gen her­hal­ten, die seit Jahren auf kei­ner Fortbildung waren und einen Unterrichtsstil wie in den acht­zi­ger Jahren pfle­gen, der Einsatz neu­er Medien im Unterricht beschränkt sich bei ihnen auf das Auflegen einer Overheadfolie. Dennoch neh­men sie nicht sel­ten gern die Ausbildungsaufgabe wahr, denn immer­hin sind zwei Stunden Hospitation in der Woche ja nicht zu ver­ach­ten, schließ­lich muss man da nicht selbst vor der Klasse ste­hen, son­dern ledig­lich wäh­rend des Unterrichts des Referendars hin­ten in der Klasse sit­zen und nach der Stunde Ratschläge für bes­se­ren Unterricht geben.

Schwierig wird es auch immer dann, wenn in einem Kollegium jemand für län­ge­re Zeit aus­fällt, sei es durch Krankheit, Schwangerschaft oder Burn Out. Dann soll­te eine Krankheitsvertretung kom­men, so auf jeden Fall die schö­ne Theorie. Doch in der Praxis ist es fast aus­sichts­los, eine sol­che Vertretung zu fin­den. Aus die­sem Grund wird auf Wartekandidaten auf das Referendariat aus­ge­wi­chen, die gera­de ihr ers­tes Staatsexamen abge­legt haben und aus­schließ­lich über Erfahrungen aus ihren weni­gen Praktika ver­fü­gen. Diese haben ledig­lich den theo­re­ti­schen Teil ihrer Lehrerausbildung an der Universität absol­viert, die Praktika dau­ern nur weni­ge Wochen und bestehen haupt­säch­lich aus Hospitationen bei gestan­de­nen Lehrkräften. Da es in Schleswig-Holstein in der Regel auf­grund der noten­be­zo­ge­nen Vorgaben eini­ge Zeit dau­ert, bis die Absolventen ihr Referendariat antre­ten kön­nen, gibt es jede Menge die­ser Wartekandidaten. Gelegentlich springt auch mal ein Student von der Uni ein, der noch gar kein Examen hat. So kann es durch­aus dazu kom­men, dass die­se ange­hen­den Lehrer aus der Not her­aus plötz­lich in vol­ler Klassenlehrerverantwortung ihren Mann ste­hen sol­len.
Probleme die­ser Art könn­ten hier noch in viel­fäl­ti­ger Weise auf­ge­lis­tet wer­den, aber es ist sicher­lich klar gewor­den, dass die Schulleitungen, die Lehrer und nicht zuletzt die Schüler der betrof­fe­nen Schulen unter die­sen Umständen lei­den.

Nun könn­te man die Frage stel­len: „Wenn alles so schlimm ist, war­um sagt dann nie­mand was oder wen­det sich an die Presse?”. Und genau da ist der gro­ße Haken, denn die meis­ten Schulen kön­nen es sich nicht leis­ten, mit schlech­ten Schlagzeilen in Zusammenhang gebracht zu wer­den. Jede Schule möch­te mög­lichst attrak­tiv für die Eltern im Einzugsgebiet sein, denen die Schulwahl ihres Kindes am Herzen liegt, denn das sind vor­wie­gend auch die Familien, die über eine hohe Bildungsmotivation ver­fü­gen. Ja, die Schulen fürch­ten sich förm­lich vor jeg­li­cher schlech­ter Publicity, könn­te es doch bedeu­ten, dass die gewünsch­ten Eltern sich dann eine ande­re Schule für ihre Zöglinge suchen und man nur noch den uner­wünsch­ten „Rest” ab bekä­me. Deshalb hält man sich schön bedeckt und ver­sucht den Laden unter allen Umständen am Laufen zu hal­ten, was oft auf dem Rücken der Lehrer und Schüler aus­ge­tra­gen wird. Nun kann man sich fra­gen, ob die­ser Umstand von den Verantwortlichen in Sachen Bildungspolitik gese­hen aber gedul­det wird, denn was kann man sich mehr wün­schen als Schulen die mehr oder weni­ger gut lau­fen und an denen kei­ner meckert … zumin­dest nicht nach außen hin.

Von:

Melanie Richter lebt seit mehr als 20 Jahren in Kiel, ist parteilos, seit 2010 Mitglied im Verein für Neue Medien Kiel e.V. und arbeitet in einer Kieler Gemeinschaftsschule.

Ein Gedanke zu “Das Dilemma der Schulen - Zufall oder Kalkül?”:

  1. Frank

    Ich kann die­ses aus Elternsicht bestä­ti­gen.
    Die aktu­el­le Führung aus Kiel ver­hält sich auch zum Thema Schulfrieden-SH extrem Linientreu und ver­langt die­ses auch von den Schulen. Man erkann­te dies schon beim Thema Bildungsstreik, Lehrer die sich dar­an betei­ligt haben wer­den in die­sem System wahr­schein­lich nichts mehr wer­den. „Ihr seit Beamte, bas­ta.”

    Den Schulen wird ein Maulkorb auf­ge­setzt auch wenn man sich öffent­lich zur Situation der Schulen äußern wür­de und damit mal nicht an die kom­men­den Schülerzahlen denkt. Es wer­den wohl wie­der ein­mal die Elternvertretungen machen müs­sen, die dür­fen sich dann aller­dings als Nestbeschmutzer füh­len und je nach Schulleitung und oder Schulverband wird es dann von dort den einen oder ande­ren Versuch geben ent­spre­chen­de Aktionen zu ver­hin­dern.

    Hut ab, das eine Lehrerin sich hier so zu Wort mel­det.

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