Warme Worte und frostige Gastschüler

Von | 8. Dezember 2010

Seit 15 Tagen ste­hen Eltern, Schüler und Lehrer der Wandsbeker Rudolf-Steiner-Schule
in stil­lem Protest vor dem Landeshaus in Kiel, einen Großteil davon bei klir­ren­der
Kälte und Schneestürmen. Sie ste­hen dort jeden Tag 12 Stunden, von mor­gens um 8 bis Abends um 20 Uhr; sel­ten zeigt sich mal ein sym­pa­thi­sie­ren­der Abgeordneter und bringt ihnen einen hei­ßen Kaffee nach drau­ßen. Auf ihrem Banner steht „Mahnwache Gastschulabkommen”,  es ist eine letz­te Notaktion, um einen lan­ge schwe­len­den Streit zwi­schen Hamburg und Schleswig-Holstein zu been­den — aber wor­um geht es dabei eigent­lich genau?

Das ers­te Gastschulabkommen wur­de bereits im Jahr 1963 zwi­schen Hamburg und Schleswig-Holstein geschlos­sen; es leg­te fest, wie vie­le Schüler aus aus dem jeweils ande­ren Land im eige­nen die Schule besu­chen durf­ten, und wel­che Kosten das Heimatland pro Schüler für die­sen Service zu bezah­len hat­te. Hamburg ist gera­de des­halb bei Gastschülern so beliebt, da es eine beson­ders gro­ße Dichte an pri­vat getra­ge­nen Schulen (Waldorf, Montessori, Konfessionelle etc.) besitzt, wel­che im Hamburger Speckgürtel in die­ser Zahl nicht zu fin­den sind. Auch sind Klassen in Hamburg oft klei­ner und bie­ten spe­zi­el­le Profile an.

 

Die Probleme

Seit zwei Jahren keimt aber ein Streit zwi­schen den Schulbeauftragten der bei­den Landesregierungen, es geht um eine Ausweitung der Finanzierung. Schleswig-Holstein zahl­te seit 2004 jähr­lich 8,5 Millionen Euro an die Hamburger, damit knapp 6.300 Schüler in Hamburg zur Schule gehen kön­nen. Hamburg for­der­te 2009 aber 20-30 Millionen (die Zahlen schwan­ken je nach Artikel, Tageszeit und Windrichtung) und als es mit die­ser Forderung auf tau­be Ohren stieß, kün­dig­te die vor­ma­li­ge Bildungssenatorin Christa Goetsch (GAL) das Abkommen noch im letz­ten Jahr. Bis Ende die­sen Jahres, also noch knapp 4 Wochen, läuft ein Interimsabkommen — danach müss­ten die Schleswig-Holsteinischen Kinder und Jugendlichen ihre Schulen ver­las­sen, wenn kei­ne Einigung erzielt wird.

Schleswig-Holsteins Bildungsminister Ekkehard Klug argu­men­tier­te bis­her damit, dass unge­fähr 750 – 1.000 Hamburgische Schülerinnen und Schüler Schulen in Schleswig-Holstein besuch­ten — die­se müss­ten zuerst „gegen­ge­rech­net” wer­den. Zudem über­neh­me SH eine unbe­kann­te Anzahl* von Hamburger Kindern und Jugendlichen in Heimen, wobei die Kosten für eine Heimunterbringung deut­lich höher sei­en, als die für einen Schulbesuch. Außerdem will Schleswig-Holstein nicht die rück­wir­ken­den Kosten für Schüler über­neh­men, die über die im alten Gastschulabkommen ver­ein­bar­te Anzahl hin­aus gin­gen.

Letzten Endes geht es aber, auf die Gesamtkosten unse­res Schulsystems bezo­gen, um Peanuts. Schleswig-Holstein müss­te die Schüler auch dann bezah­len, wenn sie wie­der hier zur Schule gin­gen, nur wür­de der Schulwechsel für sie eine enor­me Mehrbelastung bedeu­ten. Man stel­le sich nur einen Schulwechsel im Abschlussjahr vor, in ein ande­res Land mit ande­ren Prüfungsthemen und Lehrplänen. Auch Hamburgs Schulen wären nicht bes­ser dran, wenn schlag­ar­tig bis zu 20 Prozent** ihrer Schüler abzie­hen müss­ten. Es wür­de für sie eine enor­me finan­zi­el­le Belastung dar­stel­len, even­tu­ell müss­ten als mit­tel­fris­ti­ge Reaktion auch 20 Prozent der Lehrer ent­las­sen wer­den.

Ein Irsinn son­der­glei­chen, der noch bizar­rer wirkt, wenn man die „Nordstaat-Rhetorik” in den Regierungen hört, oder bedenkt, dass gera­de eine zusätz­li­cher S-Bahn-Verbindung zwi­schen Hamburg und Ahrensburg geplant wird, um die Mobilität zwi­schen den bei­den Ländern zu erhö­hen — im Wert von 350 Millionen Euro (die auch von Bund und der Deutschen Bahn mit­fi­nan­ziert wer­den). Zum Einkaufen darf man dann also nach Hamburg, zum Lernen aber nicht.

Die gro­ße Planungs-Unsicherheit der Familien durch den nun bald 2 Jahre wäh­ren­den Streit führ­te sogar zu Täuschungsversuchen bei den zustän­di­gen Ämtern: Ehepartner trenn­ten sich for­mal, damit einer der bei­den in Hamburg gemel­det sein konn­te. Als dies im Sommer auf­fiel, muss­ten 36 Schüler ihre Schulen ver­las­sen. Diese Rechtsverdrehungen sind natür­lich kei­ne Lösung für die Familien, und auch nicht für das Ansehen der Regierungen. In einem frei­en Land soll­ten Schüler die freie Schulwahl haben, ins­be­son­de­re in der so eng ver­zahn­ten „Metropolregion Hamburg”.

Der Ausblick

Am heu­ti­gen Tag waren zumin­dest in der Presse posi­ti­ve Stimmen zu ver­hö­ren. Der durch die Regierungsauflösung der GAL frei gewor­de­ne Posten Christa Goetschs wur­de vom CDU-Jugend- und Sozialsenator Dietrich Wersich über­nom­men. Dieser neue „Supersenator” fand mit sei­nem Schleswig-Holsteinischen Amtskollegen Ekkehard Klug schein­bar den rich­ti­gen Ton, bei­de zeig­ten sich zuver­sicht­lich. Ministeriumssprecherin Beate Hinse sag­te dazu: „Das Ziel ist es, bis zum Ende des Jahres ein Abkommen zu tref­fen. […] Wir sind opti­mis­tisch, dass es auch klappt.”

Es wäre schön, wenn die war­men Worte auch schnell in die Tat umge­setzt wür­den, damit Familien, Lehrer und Schüler Planungssicherheit und ihr Recht auf freie Schulwahl erhal­ten — und damit die Demonstranten der Mahnwache end­lich in Ruhe die Adventszeit genie­ßen kön­nen.

Am heu­ti­gen Tag (und wäh­rend der Arbeit an die­sem Artikel) schei­nen sich Bildungsminister Dr. Klug und Bildungssenator Wersich auf ein Folgeabkommen geei­nigt zu haben, die­ses soll pünkt­lich zum 01. Januar 2011 in Kraft tre­ten und für 5 Jahre gel­ten. Schleswig-Holstein wird dann statt der jähr­li­chen 8,5 Millionen Euro 12,4 Millionen plus jähr­lich wei­te­re 200.000 Euro zah­len, um Schülern aus SH wei­ter­hin einen Besuch ihrer Hamburger Schule zu ermög­li­chen. Nach dem Wortlaut der Pressemitteilung des Bildungsministerium gilt dies aller­dings nur für Schüler, deren Schulverhältnis mit einer Hamburger Schule bereits im Jahr 2010 bestand. Zudem wer­den Kinder, deren Familien zukünf­tig aus Hamburg in das Hamburger Umland zie­hen, ihre alte Schule wei­ter­hin besu­chen dür­fen. Für ande­re Schüler wer­de ver­sucht, „grund­sätz­lich den Schulbesuch im eige­nen Land zu ermög­li­chen”, was kein kla­res „Nein” und kein kla­res „Ja” bedeu­tet — bei der frei­en Schulwahl ist der FDP-Bildungsminister also nicht sehr libe­ral. Neben per­sön­li­chen Härtefällen gibt es vier Teilbereiche von Schülern aus Schleswig-Holstein, denen wei­ter­hin der Schulbesuch in Hamburg erlaubt wer­den soll:

  1. Schülerinnen und Schüler der Gemeinde Barsbüttel dür­fen bis zur all­ge­mei­nen Hochschulreife (staat­li­che) Hamburger Gymnasien besu­chen.
  2. Hamburger Sonderschulen für Menschen mit Behinderung wer­den bis zu 150 Plätze für Schleswig-Holsteiner bereit­stel­len.
  3. Hamburger Privatschulen sol­len unein­ge­schränkt Schleswig-Holsteiner auf­neh­men dür­fen (Privatschulen sind „Schulen in frei­er Trägerschaft”, also gilt dies auch für die oben ange­spro­che­nen Waldorf-, Montessori- und kon­fes­sio­nel­len Schulen).
  4. Schulpflichtige Kinder dür­fen Hamburgs berufs­bil­den­de Schulen besu­chen,  wenn sie vor­her vom Land Schleswig-Holstein eine Freigabe dafür erhal­ten haben. Die gibt es, wenn sonst der Schulweg zur schles­wig-hol­stei­ni­schen Schule deut­lich län­ger als zur Hamburger Schule wäre.

Interessant ist zudem, dass Bildungsminister Dr. Klug die Umlandgemeinden, aus denen Gastschüler kom­men, zukünf­tig an den Schulkosten betei­li­gen will. Sowohl beim Besuch einer pri­va­ten als auch einer staat­li­chen Schule sol­len dann „Schulträgerkosten” an das Land gezahlt wer­den. Dies ist natür­lich sinn­voll, da es solch ein Abkommen auch zwi­schen Schleswig-Holsteins Gemeinden gibt.

Reaktionen von Schleswig-Holsteins Politikern sind auch zahl­reich zu hören, so nennt Ellen Streitbörger (Die Linke) das Abkommen „unso­zi­al” und erteilt Dr. Klugs Kompromissfähigkeit die Note „man­gel­haft”; Martin Habersaat (SPD) will lie­ber noch auf „unan­ge­neh­me Überraschungen im Weihnachtspaket” war­ten, bevor er die Sektkorken knal­len lässt. Die CDU- und FDP-Fraktionen sehen den Verhandlungserfolg vor allem in der Tatsache, dass in Hamburg die Grünen nicht mehr an der Macht sind: „Kaum sind die Grünen in Hamburg aus der Regierungsverantwortung, schon gibt es eine gute Lösung für unse­re Gastschüler”.

Glücklicherweise konn­ten sich die bei­den Länder so kurz vor Jahresende noch eini­gen, und ihren Schulen und Schülern damit die Planungs- und Rechtssicherheit geben, die sie such­ten. Nun kön­nen auch die Wandsbeker Waldorfschüler und -Eltern ihre Mahnwache vor dem Landeshaus nach 16 Tagen, 6 Stunden, 48 Minuten, 19 Sekunden been­den und sich wie­der in Ruhe auf die Weihnachtsferien freu­en.

Update 10.12.2010  

Das im Kopf die­ser Seite ver­wen­de­te Bildmontage gehört dem Aktionsbündnis Gastschulabkommen. Wir dan­ken Herrn Peter Bickel von dem Aktionsbündnis für die (nach­träg­li­che) Erlaubnis, es benut­zen zu dür­fen. Wir bit­ten um Entschuldigung, nicht schon vor der Veröffentlichung nach­ge­fragt zu haben. Zu dem Aktionsbündnis gehört auch die lesens­wer­te Seite http://schuleohnegrenzen.de 

*Als ich vor zwei Monaten als Besucher im Bildungsausschuss saß, fand ich es schon erstaun­lich, dass der Bildungsminister nicht von den Jugendämtern in Erfahrung brin­gen konn­te, wie vie­le Hamburger Jugendliche denn nun in SH auf­ge­nom­men sei­en — der Streit um das Abkommen lief zu die­sem Zeitpunkt ja bereits 1 1/​2 Jahre.

** Angabe der Mahnwache, also der Vertreter Waldorfschule in Wandsbek. Die 20 Prozent gel­ten für die­se Schule, ande­re Zahlen habe ich momen­tan nicht vor­lie­gen.

Von:

Ende 20, Politikwissenschaftler, Archäologe, Redakteur, Fotograf und Social Media Manager. Wohnt in Kiel, lebt im Internet, kommt aus Flensburg. Gehört keiner Partei an. Mag neben Politik und Medien alles was blinkt oder salzig schmeckt.

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