Grüne präsentieren Mitmachhaushalt

Von | 3. Mai 2011

Frederic Vester hat 1980 Ökolopoly erfun­den, ein kyber­ne­ti­sches Brettspiel mit poli­ti­scher Thematik. Wir spiel­ten es im Freundeskreis begeis­tert und johl­ten vol­ler Häme, wenn ein unauf­ge­klär­ter Mitspieler mit einer Überbetonung von „Produktion“ bei gleich­zei­ti­ger Missachtung von „Lebensqualität“, „Sanierung“ und „Aufklärung“ Kybernetien rui­nier­te. Schleswig-Holsteiner haben anschei­nend einen Faible für das Spiel: Zwei Lehrer aus Schleswig-Holstein orga­ni­sier­ten 2005 die ers­te eco­po­li­cya­de, die mitt­ler­wei­le bun­des­weit ver­an­stal­tet wird.

Es liegt nahe, ande­re kom­pli­zier­te und kom­ple­xe Dinge des Alltags ähn­lich auf­zu­be­rei­ten: die Erziehung von Kindern, das Hüten von Flöhen oder die Aufstellung von Landeshaushalten zum Beispiel. Leider klappt das eben­so wenig wie Ökolopoly je rea­lis­tisch war: Wie bei der Wettervorhersage sind es zuvie­le har­te oder wei­che, ungreif­ba­re oder flie­ßen­de Faktoren, die inein­an­der ver­wo­ben sind.

Die Landtagsfraktion der Grünen möch­te mit den Bürgerinnen und Bürgern Schleswig-Holstein seit ges­tern (2. Mai) knapp 6 Wochen lang über die Haushaltspolitik des Landes dis­ku­tie­ren. Unter http://www.mitmachhaushalt.de kann man über Vorschläge für Sparmaßnahmen, Einnahmensteigerungen oder Investitionen abstim­men und eige­ne Vorschläge bei­steu­ern. Robert Habeck, Chef der grü­nen Landtagsfraktion und die finanz­po­li­ti­sche Sprecherin der Fraktion, Monika Heinold haben ges­tern vor Journalisten ein „abso­lu­tes Experiment“ gestar­tet, das bis zum 10. Juni dau­ern soll: Man wol­le im Gegensatz zur Haushaltsstrukturkommission der CDU/FDP-geführ­ten Regierung nicht als „clo­sed shop“ arbei­ten, son­dern den „gesell­schaft­li­chen Diskurs“ suchen. Eine Prognose, wie hoch die Beteiligung denn sein müss­te, um das Experiment als gelun­gen zu bezeich­nen, woll­te kei­ner der bei­de abge­ben. Wohl aber sag­ten sie deut­lich, dass es dabei nicht dar­um gehe, den finanz­po­li­ti­schen Kurs der schles­wig-hol­stei­ni­schen Grünen per Akklamation neu zu jus­tie­ren. Man wer­de die Ergebnisse aus­wer­ten und in die eige­ne Meinungsbildung ein­flie­ßen las­sen. Mehr nicht. Denn das ein Meinungsbild trotz Anmeldepflicht leicht mani­pu­liert wer­den kön­ne, war bei­den klar. Das ste­he dem Experiment aber nicht ent­ge­gen, da es eben nicht um ver­bind­li­che Entscheidungsfindung gehe.

Wäre es nach Monika Heinold gegan­gen, dann wäre wohl so etwas wie ein Budgetlopoly ent­stan­den. Man habe gehofft, die Antwort der Landesregierung auf eine Große Anfrage der Landtagsgrünen zur Finanzlage des Landes kön­ne das not­wen­di­ge Zahlenmaterial her­ge­ben, um wenigs­tens grob die gegen­sei­ti­gen Abhängigkeiten dar­zu­stel­len. Pustekuchen, die Antwort der Landesregierung erhel­le da nicht wirk­lich was. Außer viel­leicht, dass durch den Verzicht auf die Neubaumaßnahme Ortsumgehung Hammoor im Zuge der L 89 3,2 Millionen Euro ein­ge­spart wer­den könn­ten. Deshalb schla­gen die Grünen auch gleich den Verzicht vor. Das freut den Finanzminister des Landes Schleswig-Holstein bestimmt. Allein der zustän­di­ge Landtagsabgeordnete (Rainer Wiegard, CDU) könn­te das anders sehen.

Die Aktion der Grünen mag viel­leicht nicht dazu füh­ren, dass Haushaltspolitik ver­ständ­li­cher oder „volks­nä­her“ wer­den wird. Die Widersprüche blei­ben. In allen Umfragen, die mir in Erinnerung sind, wird „Haushaltspolitik“ zwar stets pflicht­schul­digst als „wich­tig“ bezeich­net, aber sel­tenst als „inter­es­sant“ oder „span­nend“. Auch grö­ße­re Transparenz wird im Juni nicht mess­bar sein. Zwar wer­den grund­sätz­li­che Papiere der Regierung, der CDU, der SPD und der Grünen ver­linkt. Aber dadurch wird Haushaltspolitik weder ver­ständ­li­cher oder gar „kin­der­leicht“. Böhmische Dörfer blei­ben auch in schö­nen Worten Böhmische Dörfer. Das ist aber nicht Schlimmes und spricht nicht gegen das Experiment. Im Gegenteil. Wenn wir ehr­lich sind, dann geht es der Mehrzahl der Abgeordneten sicher nicht viel anders als uns Bürgern; anders sind die vie­len St.-Florians-Pressemeldungen, die „wir müs­sen spa­ren aber nicht in mei­nem Politikfeld“ oder „auf­grund der viel­fäl­ti­gen Sparmaßnahmen konn­ten wir zusätz­li­che Wahlgeschenke beschlie­ßen“ rufen, nicht erklär­bar.

Am 10. Juni kann es auch ohne web­ba­sier­te kommun­zie­ren­de Röhren wie am Ende einer Runde Ökolopoly sein: Der Spielspaß kann näm­lich posi­ti­ve Spuren hin­ter­las­sen: zum Beispiel die Erkenntnis, dass es nicht so leicht und so holz­schnitt­ar­tig geht, wie der Stammtisch in unse­rem Stammhirn das all­zu gern sehen möch­te.  Dass man das Problem aber trotz­dem ange­hen muss. Denn es gibt Lösungen, nur ein­fach, ver­ständ­lich und schön wer­den sie nicht sein. Dieser Erkenntnisgewinn wäre auch schon mal was. Das mit der Partizipatorischen Demokratie, der Bürgerbeteiligung und den Bürgerhaushalten kommt dann in der nächs­ten Runde.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

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