Kreativarbeiter sind Wirtschaftsmacht

Von | 20. Juni 2011

Die Kreativwirtschaft boomt. Mit 63 Milliarden Euro tra­gen Künstler, Publizisten, Werber und die dazu­ge­hö­ri­ge Industrie inzwi­schen fast so viel zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Bundesrepublik bei wie der Maschinenbau oder die Autoindustrie.

Die Bedeutung der Kreativwirtschaft für Schleswig-Holstein wur­de nun durch eine Tagung im Wissenschaftszentrum Kiel unter­stri­chen. Unter dem Titel „Kreativ zwi­schen den Meeren“ tra­fen sich Anfang Juni über 150 Kreativlinge, Wirtschaftsförderer sowie Vertreter aus Verbänden und Politik, um über die Möglichkeiten der Branche und ihre Förderung zu dis­ku­tie­ren.

Schleswig-Holstein unter Bundesdurchschnitt

Zwar sind im Bundesland nur 1,7 Prozent aller Erwerbstätigen in Kultur- oder Kreativberufen tätig, was knapp unter dem Bundesdurchschnitt (2,3 Prozent) und weit unter den Spitzensätzen von Berlin (7,5 Prozent) und Hamburg (5,9 Prozent) liegt, den­noch konn­te die Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium Tamara Zieschang auf der Tagung auch für Schleswig-Holstein den bun­des­weit stark posi­ti­ven Trend bestä­ti­gen. Die Branche habe sich zu einem Wachstumsmotor ent­wi­ckelt, der neue Arbeitsplätze schaf­fe und des­sen Potenziale es zu nut­zen gel­te, so eine Mitteilung der Landesregierung.

In dem Schreiben heißt es auch, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft in Schleswig-Holstein zur­zeit 2,2 Milliarden Euro Umsatz erwirt­schaf­tet. Die 6.000 dahin­ter­ste­hen­den Unternehmen tra­gen einen Anteil von 5,7 Prozent zur Gesamtwirtschaft des Lands bei (bun­des­weit: 6,3 Prozent).

Arbeitsplätze: Kreative stark wie die Automobilindustrie

Noch deut­li­cher wird die Kraft des von Zieschang ange­spro­che­ne Wachstumsmotors, schaut man auf die mitt­ler­wei­le gut doku­men­tier­ten Bundeszahlen: Die 237.000 Betriebe der Branche hal­ten mit 787.000 abhän­gig Beschäftigten eben­so vie­le Menschen in Lohn und Brot wie die Automobilindustrie. Rechnet man die Selbstständigen hin­zu, arbei­ten in der Bundesrepublik kapp über eine Million Menschen in der Kreativwirtschaft. Dabei liegt der Frauenanteil mit 40 bis 44 Prozent um das sechs­fa­che über dem gesamt­wirt­schaft­li­chen Schnitt.

Um die­ses Potenzial zu erschlie­ßen, rief Zieschang, wie die Landesregierung berich­te­te, die­je­ni­gen, die in der Kreativwirtschaft ihr beruf­li­ches Zuhause haben, auf, Fördermöglichkeiten von Bund und Ländern kon­se­quent zu nut­zen. Dazu sei es zur­zeit nötig, den Dialog zwi­schen Kreativen und Banken zu stär­ken. Die Tagung die­ne vor die­sem Hintergrund auch als Plattform, um neue Kontakte zu knüp­fen.

Regionale Anlaufadresse

Einen wei­te­ren Ansatz ver­folgt die Bundesregierung seit 2007 mit der „Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft“. Mit ihr bün­delt sie ihre Anstrengungen zur Unterstützung der Branche. Kern ist das beim Rationalisierungs- und Innovationszentrum der deut­schen Wirtschaft (RKW) ange­sie­del­te Kompetenzzentrum. Es ver­steht sich nach eige­ner Aussage als Mittler zwi­schen Kreativen und poli­ti­schen Entscheidungsträgern.

Das Kompetenzzentrum unter­hält acht Regionalbüros. Zuständig für Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg ist Frank Lemloh (Adresse unten). Regelmäßige Sprechtage hält er in Flensburg, Husum, Kiel, Lübeck und Rendsburg ab.

Kreativ zwi­schen den Meeren

Wie die Landesregierung wei­ter schrieb, konn­ten sich im Rahmen der Tagung als Unternehmen aus dem Kreativbereich die Cloudsters aus Lübeck, der „Einfallsraum“ aus Kiel und Torsten Meyer-Bogyas „Büro für Gestaltung“, eben­falls aus Kiel, vor­stel­len. Stehen die Cloudsters für eine Kombination aus Coworking und vor allem vir­tu­el­ler, groß­räu­mi­ger Vernetzung, ver­an­schau­lich­te Meyer-Bogya die Situation der Design-Wirtschaft in Schleswig-Holstein. Der „Einfallsraum“ wur­de als Best-Practice-Beispiel für eine gelun­ge­ne Kombination aus Marktentwicklung, Design sowie Marken- und Produktbetreuung vor­ge­stellt.

Abrundend, so die Landesregierung im Kulturportal des Landes, stell­te Holger Zervas von der Investitionsbank Schleswig-Holstein kon­kre­te Fördermöglichkeiten vor und kün­dig­te an, dass ein Mikrokredit-Programm in Vorbereitung sei, das als nie­der­schwel­li­ges Angebot für Unternehme mit gerin­gem Fremdkapitalbedarf vor allem die Kreativwirtschaft inter­es­sie­ren kön­nen.

Nicht zu unter­schät­zen

„Die öko­no­mi­sche Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft kann gar nicht deut­lich genug her­aus­ge­stellt wer­den“, hält die Bundesregierung als Begründung für ihr Interesse an der Branche fest. Sie habe sich seit den 1980er-Jahren zu einem der bedeu­tends­ten Wirtschaftszweige ent­wi­ckelt. Gestützt wird sie in ihrem Interesse beson­ders von den Entwicklungen der jüngs­ten Zeit: Nicht ein­mal die jüngs­te Finanz- und Wirtschaftskrise konn­te dem Wachstum der Kreativwirtschaft etwas anha­ben. Während das ver­ar­bei­ten­de Gewerbe mit Einbußen von 18 Prozent kal­ku­lie­ren muss­te, kam die – so die offi­zi­el­le Bezeichnung – Kultur- und Kreativwirtschaft mit einem leich­ten Kratzer von 3,5 Prozent minus davon. Seitdem zeigt die Tendenz wie­der nach oben.

Dass die Kreativwirtschaft einen bedeu­ten­den Anteil an der Wirtschaftsleistung im Land haben und dass die insti­tu­tio­nel­len Rahmenbedingungen hier stim­men, das ist auf der Tagung deut­lich gewor­den. Dass die Lage Schleswig-Holsteins im Drehkreuz zwi­schen Nord- und Mitteleuropa sowie die Möglichkeiten die­ser kaum von Schwerindustrie vor­be­las­te­ten reiz­vol­len Region für die Kultur- und Kreativwirtschaft recht güns­tig sind – auch das könn­te ins Bewusstsein der Teilnehmer ein­ge­gan­gen sein.

Nachtrag am 28. Juni 2011:
Das Mikrokreditprogramm ist seit dem 23. Juni 2011 ver­füg­bar. Der Landesblog berich­tet dar­über unter dem Titel „Mikrokredite sol­len Kreativwirtschaft stär­ken”.

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Die Zahlen ent­stam­men dem Forschungsbericht „Monitoring zu wirt­schaft­li­chen Eckdaten der Kultur- und Kreativwirtschaft“, den das Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gege­ben, der län­der­über­grei­fen­den Zusammenstellung „Kulturindikatoren auf einen Blick“ sowie der erwähn­ten Mitteilung der Landesregierung im Kulturportal  mit dem Titel „Kreativ zwi­schen den Meeren“.

Einen eige­nen Bericht zur Lage der Kultur- und Kreativwirtschaft hat die Landesregierung offen­sicht­lich zuletzt 2004 ver­öf­fent­licht: Bericht der Landesregierung über Entwicklung und Stand der Kulturwirstschaft in Schleswig-Holstein.

Nächster Termin für die Kreativwirtschaft im Land ist der „Creative Monday Nord“, der in Lübeck am 22. Juni und damit an einem Mittwoch statt­fin­det.

Eine Coworking-Initiative gibt es inzwi­schen auch in Kiel. Sie trifft sich jeden Donnerstag ab 11 Uhr zum Jelly-Coworking in der Lounge des Galileo am Westring 453 (Wissenschaftspark).

Ansprechpartner der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung für Schleswig-Holstein:

Frank Lemloh
RKW Nord GmbH
Habichtstraße 41
22305 Hamburg
E-Mail: lemloh@rkw-kreativ.de

Dieter Hoogestraat
Von:

Dieter Hoogestraat ist freier Journalist mit einem besonderen Interesse an regionalem und lokalem Kulturleben sowie am netzbasierten Arbeiten.

4 Gedanken zu “Kreativarbeiter sind Wirtschaftsmacht”:

  1. Oliver Fink

    Lesenswerte Beleuchtung eines Aspekts, der sich so mei­ner Wahrnehmung bis­her nicht erschlos­sen hat­te. Danke.

    Der Artikel stellt ja eine Beziehung zwi­schen Kreativwirtschaft und Automobilindustrie her – zumin­dest hin­sicht­lich der Anzahl der Arbeitsplätze. Was mich aller­dings auch inter­es­sie­ren wür­de, ist die Antwort auf die Fragen, wie hoch der Umsatz, das Steueraufkommen und die Unterstützung mit öffent­li­chen Geldern (sei es als Kultur-, Wirtschafts- oder Forschungsförderung) im Vergleich aus­fal­len. Existieren dazu auch Zahlen?

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  2. Dieter HoogestraatDieter Hoogestraat Post author

    @Oliver: Danke für dei­ne Feedback und die Fragen! Der Monitoring-Bericht, wie ich ihn unter mei­nen Quellen auf­ge­führt habe, bezif­fert den Umsatz der Kultur- und Kreativwirtschaft auf 131,4 Milliarden Euro. Zu Steueraufkommen und Förderung mit öffent­li­chen Geldern habe ich kei­ne Angaben. Ich den­ke aber, dass man zum Vergleich der Branchen die Bruttowertschöpfung gut her­an­zie­hen kann. Aus dem Monitoring-Bericht erge­ben sich für 2009 dann die fol­gen­den Zahlen: IKT-Industrie 93 Mrd., Automobilindustrie 77 Mrd., Kultur- und Kreativwirtschaft 63 Mrd., Chemie 53 Mrd. und Energieversorgung 43 Mrd. Euro.

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  3. Ulrich Bähr

    Hallo Dieter,
    was ich mich schon wäh­rend der Veranstaltung frag­te — weißt du, ob der NDR in der Statistik drin­steckt, also in den 2,2 Mrd?
    Das könn­ten zum einen die Gebühren sein, die er ein­nimmt.
    Da lie­ße sich fra­gen, ob die gerecht­fer­tigt in die­ser Statistik auf­tau­chen, ist der NDR doch letzt­lich Staatsquote. Wenn ja, wäre zu schau­en, wie es mit den Aufträgen steht, die der NDR an die regio­na­le Wirtschaft aus­schüt­tet (Produktionen, Künstler, etc).
    Dann wür­de die­ses Geld dop­pelt erfasst.

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    1. Dieter HoogestraatDieter Hoogestraat Post author

      @Ulrich: Hallo, hab Dank für dei­ne inter­es­san­te Frage. Wie die Öffentlich-Rechtlichen berück­sich­tigt wer­den, habe ich mich auch gefragt und ver­ste­he es so, dass bei­spiels­wei­se der NDR nicht in die Berechnungen ein­fließt. Für mich geht das aus der Beschreibung des betref­fen­den Teilmarktes Rundfunkwirtschaft her­vor. Dort wird gesagt: Der pri­vat­wirt­schaft­li­che Rundfunk, hier als Rundfunkwirtschaft bezeich­net, …
      Ich bin mir aller­dings nicht sicher, ob das eine gute Eingrenzung ist. Denn zumin­dest die Werbeeinnahmen der Öffentlich-Rechtlichen könn­te man ja als Umsatz wer­ten, wenn — von öko­no­mi­scher Warte aus — nicht auch die Gebühreneinnahmen.
      Die Aufträge, die der NDR in den Bereich der Kreativwirtschaft abgibt, wer­den, wie du schon sag­test, schließ­lich als Umsätze und Gewinnanteile in den jewei­li­gen Unternehmen erfasst.

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