Bildungsminister Dr. Ekkehard Klug hat am 25. Januar 2012 an die Mitglieder des Koalitionsausschusses ein Papier, das die Überschrift „Bildung ist Lebenschance“ trägt, versandt. Er kam damit einem Auftrag aus den Beratungen des Koalitionsausschusses am 12. Dezember 2011 nach, nach dem er „Vorschläge zur Verbesserung der Bildungsqualität“ ausarbeiten sollte. Er verstand den Auftrag so, dass er Maßnahmen vorschlagen solle, „die im Bildungsbereich im Sinne der im Koalitionsvertrag festgelegten Prioritätensetzung für den Bildungsbereich durchgeführt werden sollten, sobald uns der erfolgreiche Konsolidierungskurs der Landesregierung und der sie tragenden Koalition hierzu entsprechender finanzielle Spielräume bietet“. Er schlägt in dem Papier eine Reihe von Maßnahmen vor, „die – je nach bestehenden Möglichkeiten – auch einzeln oder in zeitlicher Abfolge realisiert werden können.“ Wer das Anschreiben im Wortlaut lesen möchte, der kann das hier tun.
Dummerweise, wie er mittlerweile selbst einräumt, übergab er das Papier zeitgleich Journalisten. Das ist vom Timing her (nicht: von der Sache her) ein eklatanter handwerklicher Fehler, der einem Politprofi wie Klug nicht passieren darf. Es verwundert mich, dass ihn niemand davon abbringen konnte, denn die Stümperhaftigkeit des zeitlichen Ablaufs ist offensichtlich.
Schnell machte die Meldung nach 453 neuen Lehrerstellen die Runde. Das ist schon von der Höhe her fatal, denn die FDP hatte auf ihrem Parteitag im November 2011 angemeldet, dass lediglich 300 Stellen nicht gestrichen werden sollen. Wenn über diese eh schon umstrittene Zahl hinaus gegangen werden soll, dann muss so etwas zunächst wenigstens in der eigenen Partei diskutiert werden. Was erkennbar nicht der Fall war. Klug ging einen einsamen Weg. Das allein stimmt schon nachdenklich. Was muss da intern alles nicht mehr passieren, wenn so etwas möglich ist. Heiner Garg, FDP-Chef im Lande, war überrascht. Noch nicht schlimm genug, erfuhr auch Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) aus der Presse von dem Papier, das zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich gerade erst in seiner Staatskanzlei eintrudelte. Kein Wunder, dass er „verärgert und angefressen“ reagierte. Wäre Klug erst wenige Wochen Minister und Quereinsteiger in der Politik, man könnte noch lächeln und drüber hinwegsehen. So aber ist das Ende seiner politischen Karriere besiegelt. Keiner, der politisches Gespür wenigstens in homöopathischen Dosen inhaliert hat, wird ihm eh je wieder ein politisches Amt anbieten.
Die Laune der Empfänger des Schreibens wird sich nicht verbessert haben, als sie das Papier im Detail lasen. Denn Klug hat die Chuzpe, in dem Papier Stellenstreichungen, die Mitte 2012 wirksam werden, in Frage zu stellen. Das geht aber nur mit einem Nachtragshaushalt, den die Koalition (und auch er in seiner Landtagsrede am Freitag) ausschließt. Zu Fragen der Finanzierbarkeit schweigt das Papier – was okay ist, die konnte der Ersteller / die Erstellerin des Papieres nicht abschätzen, Finanzminister Wiegard hat den Abschluss des Haushaltsjahres 2011, der mehr Klarheit über einen möglichen Spielraum bringen wird, noch nicht veröffentlicht. Eins ist jedoch klar: Das Argument, das Land spare aufgrund niedriger Zinsen Geld, ist Quatsch. Erstens spart das Land kein Geld, sondern gibt nur weniger aus, als zu Vermuten steht. Und zweitens ist die Höhe der Zinsen offensichtlich konjunkturabhängig und ist auch deshalb von der jeweiligen Landesregierung nicht beeinflussbar. Auf dieses „Ersparnis“ zu setzen ist ungefähr so solide durchdacht wie das Argument, man könnte den Haushalt allein durch Steuererhöhungen konsolidieren. In der Projektion bis 2020 sind Zinsausgaben konservativ zu veranschlagen – auch wenn die Regeln es anders vorsehen, wie ich hier mal erklärte.
Aber egal. Das Papier ist leider nicht öffentlich geworden und schwirrt mittlerweile wohl in zwei Fassungen herum. Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, warum am Freitag in Landtag auf einmal eine wesentlich höhere Zahl als die 453 Stellen genannt wurde.
Die Opposition hatte in der eh laufenden Sitzung die Steilvorlage aufgenommen und führte den Bildungsminister an der Nase durch den Plenarsaal. Die Regierung und die sie tragenden Fraktionen hatten arge Mühe, die Anwürfe zu parieren.
Ich halte es aus zweierlei Gründen für notwendig, das Papier zu veröffentlichen: Zum einen ermöglichst es den fachlich interessierten Bürgern, sich ein Bild davon zu machen, wie die 453 (oder 628 Stellen) im Detail begründet werden. Zum anderen ermöglichst eben dieses Wissen, nicht über irgendwelche Stellenzahlen zu reden sondern die Diskussion auf das Niveau zu bringen, das es braucht, um einen Diskurs über die Möglichkeiten und Notwendigkeiten zu führen, wie Bildung verbessert werden kann. Und diese Diskussion kann nicht reduziert auf „x Stellen mehr oder weniger“ geführt werden. Zur Verbesserung der Situation an dem Schulen muss man wenigstens auch über die Ausbildung der Lehrer, die Art des Unterrichts, die Autonomie der örtlichen Schule, die Organisation der Schule, die Funktion der Lehrpläne, die Qualitätssicherung der Vermittlung des Unterrichts und und und … diskutieren. Diskutieren! Also mit allen Betroffenen reden und nicht in einem Koalitionsausschuss kurz vor eine Wahl was entscheiden. Herr de Jager, Spitzenkandidat der CDU für das Amt des Ministerpräsidenten, spricht in diesen Tag lobenswert gern vom „Dialog“. Hier könnte man ihn praktizieren.
Zum dem hier nachlesbaren Dokument einige Anmerkungen. Mir liegt das Papier im Original als Word-Dokument vor. Es ist aufgrund der „Bearbeitungsspuren“ im Word-Dokument erkennbar, dass es sich um das am 25. Januar verschickte Papier handelt, das aber am 26. Januar noch einmal von einer Person, die nicht der Ersteller des Dokuments ist, bearbeitet worden ist. Die Punkte 7 und 8 sind nachträglich eingefügt worden. Das erkennt man auch optisch an der kleineren Schriftgröße der in der rechten Spalten befindlichen Stellenzahl. Diese beiden Punkte erhöhen die Stellenzahl von 453 (Ziffern 1 bis 6) auf 628 Stellen.
Viel Spaß beim Lesen.