Sich kollektiv, also: gemeinsam, zu erinnern, verbindet. Ein sehr einprägsamer Weg, ein kollektives Gedächtnis zu begründen und zu fördern, ist das Gespräch, das kommunikative Gedächtnis. Für viele, insbesondere jüngere Menschen öffnet das erzählte Leben einen einprägsamen Zugang zu einem Thema. In der Didaktik, im Geschichtsunterricht zum Beispiel, sind deshalb Zeitzeugen ein wichtiger Bestandteil des Unterrichts. Heute, bald 67 Jahre nach Enden des Zweiten Weltkrieges, ist das Ende dieser Ära nicht mehr in weiter Ferne. Wir werden zunehmend auf Orte, auf Gedenkstätten angewiesen sein, um authentisch lehren und lernen zu können, um Erinnerung weiterzugeben und wachzuhalten.
Nicht nur die „öffentlichen“ Zeitzeugen entschwinden. Auch in den Familien gibt es niemand mehr, der aus eigener Anschauung oder wenigstens mit den einleitenden Worten „wie mein Vater mir erzählte“ berichten kann. In der Folge ändern sich auch der Wissenshorizont und die Grundeinstellung der Zielgruppe (die übrigens nicht zwingend aus Schülern bestehen muss).
So sehr es auch Konsens in der politischen Diskussion zu sein scheint, die Erinnerung an die Herkunft des Nationalsozialismus, dessen Herrschaft, und dessen – zunächst häufig genug erschreckend mangelhafte – Aufarbeitung zu bewahren: Die Pflanze pflegen wir nicht wirklich mit voller Hingabe.
Auf den ersten Blick scheint in Schleswig-Holstein noch alles in Ordnung. Suchen wir nach einer Liste der Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, dann finden wir Orte in Schleswig-Holstein: das Mahnmal Synagoge Goethestraße, die KZ-Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund, das KZ Husum-Schwesing, die KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen etwa. Und die frisch eröffnete Webseite der Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten informiert uns über weitere, insgesamt 10 Orte.
Wenn wir aber ein wenig die Rolle Schleswig-Holstein im Nationalsozialismus nachdenken, dann bemerken wir Lücken. Unser Land war früh eine Hochburg der NSDAP. Im Sonderbereich Mürwik residierte noch bis zum 23. Mai 1945 die „Geschäftsführende Reichsregierung“. Und nach 1950 machte Schleswig-Holstein mit peinlichen Skandale (der damalige CDU-Innenminister Pagel sprach in seinem Tagebuch gar von einer „Renazifizierung“) seinen eh schon ramponierten Ruf kaputt. Beispielhaft: Heyde/Sawade, Hinrich Lohse, Hans-Adolf Asbach, Hans-Werner Otto, Ernst Ehlers, Carl Clauberg.
Und wenn wir die vorhandenen Gedenkstätten näher betrachten, dann sehen wir, dass nur Ladelund (seit 1995) hauptamtlich (überwiegend finanziert durch die evangelische Kirche) betreut wird – und selbst dort sind die Schautafeln der Dauerausstellung mittlerweile 20 Jahre alt und museumspädagogisch damit von der „Unter-Denkmalschutzstellung“ bedroht. Das ehrenamtliche Engagement stößt angesichts der steigenden Anforderungen an Gedenkstätten an nicht mehr dehnbare Grenzen: „Wer hilft uns dabei?“ fragte eine ehrenamtlich tätige Frau im Laufe der Tagung. Sie hörte sich nicht verzweifelt oder händeringend an. Sie stellte fest.
Die Gedenkstätten sind chronisch und zunehmend unterfinanziert.
Seit 1999 fördert der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Projekte in mehreren Dutzend Gedenkstätten in allen Bundesländern – nur Schleswig-Holstein hat noch keinen einzigen erfolgreichen Antrag gestellt.
Für die Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten hat der Historiker Dr. Harald Schmid nun eine Entwicklungskonzeption „Gedenkstätten zur Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein“ entwickelt. Seitdem hat Schleswig-Holstein ein Plan. In dem heißt es:
Um den spezifischen Landesbedingungen und den allgemeinen Entwicklungen zu genügen, muss (…) die schleswig-holsteinische Gedenkstättenlandschaft und -politik neu strukturiert werden. Zur mittelfristigen Sicherung der Grundlagen und zur baldigen Modernisierung der Gedenkstättenarbeit wird empfohlen, mittels einer besonders auf Landes- und Bundesmitteln basierenden Mischfinanzierung einen zielgerichteten Entwicklungsprozess einzuleiten. Hierzu steht einzig der Weg einer anteiligen Projektförderung durch den Bund und die EU offen. In einem ersten Schritt soll der gemeinsame Erinnerungsraum der früheren Westküstenlager, die KZ-Gedenkstätten Ladelund und Husum-Schwesing, gefördert werden.
Als die Stiftung am 19. Januar das Entwicklungskonzept Bildungs- und Kulturminister Ekkehard Klug (FDP) öffentlich überreichte, fand dieser, dass jede Schülerin und jeder Schüler in Schleswig-Holstein eine NS-Gedenkstätte besuchen können sollte. Dieses Ziel sollten die Schulen in ihre Unterrichtsprojekte aufnehmen. Nun erhofft man sich in der Stiftung handfeste und nachhaltige Unterstützung durch das Land.
Am vergangenen Wochenende trafen sich Vertreter der Gedenkstätten in Schleswig-Holstein auf der 7. Landesgedenkstättentagung in Bad Malente, einer Veranstaltung des Gedenkstättenbeauftragten der Nordelbischen Kirche, der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein und der gastgebenden Gustav-Heinemann-Bildungsstätte. Eine Landesarbeitsgemeinschaft Gedenkstätten, so etwas hätte ich erwartet, gibt es nicht.
Eigentlich sollte es, vor dem oben beschriebenen Hintergrund des Wandels, um „Täterorte“ und den Wandel der Zielgruppen gehen.
Am Freitag war Frank Trende eingeladen, sein neues Buch über die Neulandhalle „Neuland war das Zauberwort“ vorzustellen. Das Buch hat Robert Habeck hier besprochen. Ob die Neulandhalle wirklich ein Täterort ist, darüber kann man sicher streiten. Eher habe ich den Eindruck, dass die Halle, mehr noch der gesamte Koog, ein Ort ist, der die Gesinnung der Täter, Blut und besonders „Boden“ visualisiert. Nicht streiten kann man darüber, dass es Frank Trende, trotzdem er im Schatten der Neulandhalle aufwuchs, gelungen ist, die Geschichte der Halle aus nötiger Distanz zu beschreiben.
Die Zukunft Neulandhalle ist augenblicklich noch nicht konzeptionell überdacht. Die Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte Alt Rehse e.V. ist einen Schritt weiter. In Alt-Rehse lag die Führerschule der Deutschen Ärzteschaft, in der sich die Ärzte im Dritten Reich die rechte nationalsozialistische Gesinnung dankend verpassen ließen. Dr. Rainer Stommer berichtete auf der Tagung über die Gedenkstätte, das Dorf Alt Rhese – ein „seltenes Beispiel dörflicher Architektur im Nationalsozialismus“ (diese Ausstrahlung ist wohl ungebrochen(!): 1995 errang es im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ eine Bronzemedaille), die belastete Nachkriegsgeschichte des Gutes, die Akzeptanz der Gedenkstätten in der Wohnbevölkerung und die Anforderungen, die erfüllt sein müssen, um die Bundesförderung zu erhalten.
Die niedersächsische Gedenkstätte Sandbostel, das ehemalige Stammlager X B, ist noch einen Schritt weiter. Hier läuft die Bundesförderung. Inhaltlich will das aus einem Lager des Freiwilliger Arbeitsdienst Deutschland hervorgegangene Arbeits- und Kriegsgefangenenlager, das 1945 zum Durchgangslager des KZ Neuengamme wurde und nach dem Krieg zunächst abwechslungsreich genutzt und dann dem Verfall überlassen wurde, sowohl die Kriegszeit als auch seine Nachkriegszeit darstellen.
Der eigentliche Fokus der Tagung, der auf die jungen Menschen als Besucher und Mitgestalterinnen von Gedenken gerichtet sein sollte, ging ein wenig verloren. Umso mehr war die Tagung dafür Orte der Debatte und des Erfahrungsaustausches. Das zeigte sich besonders, als Dr. Stefan Link, Gedenkstättenbeauftragter der Nordelbischen Kirche, am Abend des Samstags Unschönes aus Nordfriesland berichten musste. Der Kreis Nordfriesland habe sich nämlich in der letzten Woche im Kulturausschuss überraschend nicht dazu durchringen können, der angedachten Konzeption, die eine Zusammenarbeit der KZ-Gedenkstätten Ladelund und Husum-Schwesing vorsah, zu folgen. Man wolle sich noch die Zeit nehmen und auch andere Optionen, etwa eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Dänemark, prüfen. Da der fertige Antrag beim Bundesbeauftragten nun aber im Herbst vorliegen müsse, wenn man 2013 in die Förderung kommen wolle, sah sich die Stiftung nicht in der Lage, zu warten und disponierte um: Nun soll ein Dreigestirn, bestehend aus Ladelund, Ahrensbök und Kaltenkirchen den Sprung in die Bundesförderung wagen.
Die Veranstaltung beschloss eine Podiumsdiskussion am Sonntag, zu der die Abgeordneten Wilfried Wengler (CDU), Jürgen Weber (SPD), Kirstin Funke (FDP), Dr. Robert Habeck (Grüne), Heinz-Werner Jezewski (Linke) und Anke Spoorendonk (SSW) erwartet wurden und zu der sich noch kurzfristig der Vorsitzende der Bürgerstiftung, der Präsident der CAU, Prof. Dr. Gerhard Fouquet angemeldet hatte. Ob die Runde – mit oder trotz des Blicks auf die Landtagswahl – die erhoffte Verbindlichkeit versprechen wollte, kommt hoffentlich in einem weiteren Artikel, da ich am Sonntag nicht mehr anwesend sein konnte.