Das Lorenz-von-Stein-Institut kommt in einem jetzt veröffentlichten Aufsatz zu dem Schluss, dass das ULD mit seiner Kritik an den Facebook-Fanseiten falsch liegt und mahnt eine Überarbeitung des deutschen Datenschutzrechts an. Die IHK Schleswig-Holstein sieht sich in ihrer Ansicht bestärkt, sieht die Bahn frei für das Web 2.0 in Schleswig-Holstein und erwartet von der Landesregierung, dass sie im Bundesrat in Sachen Datenschutz initiativ wird.
Es mag sein, dass sich über Sinn, Nutzen und Kosten von sozialen Netzwerken trefflich streiten lässt. Fakt ist aber erst einmal, dass die Nutzung der sogenannten Web 2.0-Angebote (dazu zählt man in nicht sonderlich trennscharfer Definition Socialmedia-Netzwerke, Videoportale, Wikipedia, Blogs, Twitter und Communities) in den vergangenen Jahren rasant gestiegen ist. Bald die Hälfte der deutschsprachigen Onlinenutzer benutzt sie regelmäßig, wie die ARD-ZDF-online-Studie alljährlich belegt. Und wer sie benutzt, der nutzt sie überwiegend täglich. Mehr oder weniger interaktive Plattformen wie Facebook, Wikipedia oder Youtube sind also: Alltag.
Dort wo die Menschen sich aufhalten, kommunizieren, Wissen produzieren und nutzen, ansprechbar sind, da müssen sich auch Unternehmen und Staat fragen, wie und wozu sie diese Plätze für ihre Anliegen und ihre Dienstleistungen nutzen. Wie überall und für jedermann, gelten auch im Netz Regeln, seit jeher. Teils sind das ungeschriebene Konventionen, teils sind es aber auch handfeste Gesetze und andere Richtlinien, die den Streitfall im besten Fall vermeiden und im ungünstigen Fall helfen, ihn zu lösen. Manche Regeln sind für das Medium geschaffen werden, andere wurden dorthin übertragen. Das klappt häufig reibungslos und fällt uns nicht auf. In anderen Fällen, dort wo es widersinnig oder unfertig erscheint, springt es uns ins Auge.
Welche formalen Regeln gilt es zu beachten? Das zu durchschauen ist zuweilen schwer. Den Sinn manche Regeln zu erfassen, noch schwerer. Eine neue Publikation des Lorenz-von-Stein-Instituts für Verwaltungswissenschaften will da Abhilfe schaffen. Zusammen mit der Industrie- und Handelskammer zu Kiel stellten Dr. Sönke E. Schulz von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und Tina Möller, Rechtsreferentin der IHK Kiel, gestern (20. Februar) das Buch „Transparenz, Partizipation, Kollaboration – Web 2.0 für die öffentliche Verwaltung“ vor.
Auf 235 Seiten gehen die 10 Autoren in fünf Kapiteln der Frage nach, wie der Staat Soziale Medien nutzen kann. Prof. Dr. Utz Schliezky (Verantwortung im E-Government) und Timm Janda (Open Government — Transparenz, Partizipation und Kollaboration als Staatsleitbild) führen in zwei Aufsätzen in die Thematik ein. Der Fokus der Veröffentlichung liegt dabei auf Rechtsfragen. Quantitative oder qualitative Analysen, Rankings oder allgemein gefasste Dos und Don’ts sucht man vergebens. Ausnahme: In dem Kapitel „Social Media Guidelines für die öffentliche Verwaltung“ entwirft und begründet Dr. Sönke E. Schulz einen Entwurf für eine „Verwaltungsvorschrift über die Nutzung sozialer Medien und von Web 2.0-Anwendungen [im Rahmen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, zur Beantwortung von Bürgeranfragen, zum fachlichen Diskurs für die interne Behördenkommunikation]“.
Ob es nun die Betrachtung des Komplexes „Open Data in der öffentlichen Verwaltung“ durch Christian Hoffmann und Jens Klessmann ist, Die Ausführungen über das „Bürgertelefon 115 mit Mehrkanalzugang“ durch Thomas Warneke, Rechtsfragen bei der Bürgerpartizipation am Beispiel Bürgerhaushalt durch Jakob Tischer, die Diskussion über die Optimierung des behördeninternen Wissensmanagements durch kollaborative Web 2.0-Anwendungen durch Christian Hoffmann, die Frage nach Best Practice für Richtlinien über „Soziale Medien im öffentlichen Sektor“ durch Jens Klessmann und Dominic Gorny oder die Grenze der Rolle des Internets als Informationsquelle staatlicher Stellen (im Sinne einer „Online-Streife“) durch Christian Hoffmann, Anika D. Luch und Sönke E. Schulz ist. Die jeweilige Fazits haben einen gemeinsamen roten Faden: Ja, prinzipiell geht es und ja, es ist auch eindeutig nützlich, aber: Hier fehlt noch ein Vorschrift, dort steht was im Weg – und fast immer fehlt ein umspannendes Konzept, ein wirklich erkennbarer Wille, „es“ in Angriff zu nehmen. Schiffe gibt es genug, es wimmelt von Leuchttürmen, aber die Bestimmung des Kurses und das Festlegen der Fahrrinne nimmt bislang keiner in der Hand.
Was nützt eine E-Government-Strategie, was nützt ein E-Governmentgesetz, wenn sie nur auf dem Papier existieren und ihnen kein Leben eingehaucht wird, kritisierten Tina Möller von der IHK und Dr. Sönke Schulz, Geschäftsführender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lorenz-von-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel den aktuellen Stand nicht nur in Schleswig-Holstein. „Für die Wirtschaft im Lande“, so Frau Möller ist „eine moderne Verwaltung ein Standortfaktor“. Dazu passe es nicht, wenn die Landesregierung den Einheitlichen Ansprechpartner, der Unternehmen kurze, schnelle und unbürokratische Wege ermöglich soll, etabliert, das Vorhaben dann aber bei der praktischen Umsetzung aufgrund beschränkter finanzieller Ressourcen „ausgebremst“ werde.
Deutlicher wurde beide, als es um ein Kapitel des Buches ging, das erst im Laufe des Projektes an Bedeutung (für Schleswig-Holstein) gewann: „Web 2.0 in öffentlicher Verwaltung: Twitter, Facebook und Blogs aus rechtlicher Perspektive“ Christian Hoffmann, Sönke E. Schulz und Franziska Brackmann wissen, dass nichts so spontan ist und eine breite Öffentlichkeit so ungefiltert erreichen kann wie ein Tweet, ein Blog oder die Statusnachricht in einem sozialen Netzwerk. „Doch gerade aus diesem Umständen ergeben sich auch einige Probleme dieser neuen Kommunikationsformen. Denn aus allzu großer Spontanität kann auch Unachtsamkeit werden, die bei einer großen Reichweite, wie Twitter und Facebook sie haben, auch umfangreiche Wirkungen und Folgen haben.“ Das wird alles sehr unaufgeregt und mit erkennbarer Kenntnis des betrachteten Mediums (auch das Lorenz von Stein Institut ist bei Facebook aktiv) diskutiert. Die Autoren gehen der Zulässigkeit der Benutzung bestimmter Tools privater Angebote nach und differenzieren dann die Vorgaben, die für konkrete Aktivitäten der Verwaltung auf dieser Plattform gelten (Datenschutz, Informationspflichten, Barrierefreiheit, Namens- und Markenrecht, Urheberrecht, Haftungsfragen). Im Fazit steht für die Autoren klar fest: Die Nutzung sozialer Medien ist für die öffentliche Verwaltung eine zulässige Option. „Während die „eigenen“ Aktivitäten der öffentlichen Verwaltung unmittelbar an rechtlichen Maßstäben zu messen sind, ist eine Zurechnung des Verhaltens Dritter – sei es nun der Plattformbetreiber auf der einen, der Nutzer der Angebote der öffentlichen Verwaltung auf der andere Seite – hingegen nicht (allenfalls mittelbar) möglich. Die Unterscheidung zwischen Web 2.0-Diensten und –Plattformen (und ihren Betreibern), den nutzergenerierten Inhalten erster (z.B. Facebook-Seite) und zweiter Ordnung (Kommentare auf der „fremden“ Facebook-Seite) ist geeignet, den erforderlichen, insbesondere datenschutzrechtlichen, Diskussionen mehr Struktur zu geben und die Verantwortlichkeiten gezielt zuzuordnen. Berücksichtigt die Verwaltung diese Vorgaben, steht einer Erschließung dieses neuen Zugangskanals nichts mehr im Wege“. Kurz: Die Autoren leiten her, dass das ULD mit seinem Vorgehen gegen Schleswig-Holsteinische Unternehmen, die Facebook-Fanseiten angelegt haben, falsch liege.
„Das Buch setzt ein wichtiges Signal für die Unternehmen in Schleswig-Holstein: es geht eben doch“, sagte Tina Möller von der IHK und verhehlte ihre Unzufriedenheit nicht: Die Aktivitäten des ULD dürften nicht zu Standortnachteilen für Schleswig-Holstein Unternehmen führen. Wie auch Schulz kritisierte sie das geltende Datenschutzrecht: „Die Datenschutzgesetze sind nicht mehr zeitgemäß. Sie passen nicht auf soziale Medien“ Schulz sieht dabei in der aktuellen Facebook-Diskussion nur einen Teilaspekt: „Das deutsche Datenschutzrecht ist (…) nicht auf derartige Technologien ausgerichtet und wird der Funktionsweise des Internets nicht mehr gerecht.“ Die Reparatur könne daher auch nicht im Lande erfolgen sondern müsse auf Bundesebene in Angriff genommen werden. Die IHK erwartet Handlungen, auch von der Landesregierung: Möller forderte eine Bundesratsinitiative zur Novellierung des Datenschutzrechts, die dem Engagement der Unternehmen in den sozialen Medien einen verlässlichen rechtlichen Rahmen gebe.
Das Buch „Transparenz, Partizipation, Kollaboration – Web. 2.0 für die öffentliche Verwaltung“ wird herausgegeben von Professor Utz Schliesky und Dr. Sönke Schulz. Seine ISBN Nummer lautet 978 – 3-936 – 773-71 – 2. Es kostet 39,00 Euro. Die Artikel sind, leider nur teilweise, in Veröffentlichungen der ISPRAT online erreichbar.