Zum Begriff Bildungsinvestition

Von | 8. Februar 2012

Der Begriff „Bildungsinvestition“ ist falsch und gefähr­lich. Er redu­ziert Bildung auf etwas, das Zweckmäßigkeitsgedanken oder Fragen der „Nützlichkeit“ unter­wor­fen wird. Bildung sind sol­che Kriterien fremd.

In der poli­ti­schen Diskussion um den Umfang der Reduzierung der Anzahl von Lehrerplanstellen fällt häu­fi­ger der Begriff „Bildungsinvestition“. Mit ihm soll zumeist belegt wer­den, dass sich Investitionen in Bildung „rech­nen“; Kürzungen in Bildungsausgaben mit­hin – beson­ders wenn sie im Kontext mit der not­wen­di­ger Konsolidierung des Landeshaushalts the­ma­ti­siert wer­den – allen­falls zu einem Strohfeuer an „Einsparungen“ füh­ren und end­lich auf lan­ge Sicht den Landeshaushalt schä­di­gen.

Mangelnde Bildung ver­ur­sacht unstrit­tig Folgekosten. Betroffene haben weni­ger Chancen, einen aus­kömm­li­chen Beruf zu fin­den, der es ihnen ermög­licht, sich und ihre Familie zu ernäh­ren. Sie sind des­halb häu­fi­ger auf staat­li­che Leistungen ange­wie­sen und zah­len, wenn sie denn Arbeit fin­den, auf­grund des vor­ge­fun­de­nen Lohnniveaus wenig Steuern.

Folgekosten unzureichender Bildung

Macht man sich auf der Suche nach einer Studie, die sich mit den Folgekosten unzu­rei­chen­der Bildung für die öffent­li­chen Haushalte beschäf­tigt, dann fin­det man ein Projekt der Bertelsmann-Stiftung, in dem die Autoren im Jahr 2010 nach eige­nen Angaben für die Bundesrepublik Deutschland „wis­sen­schaft­li­ches Neuland“ betre­ten haben.
Neben dem indi­vi­du­el­len Schicksal der betrof­fe­nen Menschen, heißt es dort, wir­ke sich unzu­rei­chen­de Bildung auch auf die gesam­te Gesellschaft aus. Bei Bund, Ländern und Gemeinden ent­stün­den Folgekosten durch Mindereinnahmen und Mehrausgaben, die die Autoren in vier Kostenarten auf­tei­len: ent­gan­ge­ne Lohnsteuern, ent­gan­ge­ne Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, aus­zu­zah­len­des Arbeitslosengeld I und Sozialleistungen.

Die ermit­tel­ten Folgekosten der heu­ti­gen Bildungs- und Ausbildungsverteilung wer­den mit dem (fis­ka­li­schen) Ergebnis einer hypo­the­tisch ange­nom­me­nen bes­se­ren Bildungsverteilung und der damit ver­bun­de­nen Folgeeinnahmen bzw. Ausgabeminderungen ver­gli­chen. Die Kosten die zusätz­lich für die bes­se­re Bildungsverteilung auf­ge­wen­det wer­den, wer­den nicht benannt.

Die Autoren kom­men in der Zusammenfassung der Studie zu dem Schluss, dass, wenn man nicht jetzt ent­schie­den Reformen in die Wege lei­te, in den nächs­ten 10 Jahren (2010 bis 2020) bun­des­weit rund 15 Milliarden Euro an Folgekosten auf die Gesellschaft hin­zu­kä­men – zusätz­lich zu den Kosten, die die Gesellschaft für die hoch­ge­rech­net sie­ben Millionen Menschen im erwerbs­fä­hi­gen Alter, die schon heu­te aus ver­schie­dens­ten Gründen kei­ne Ausbildung haben, erbrin­gen muss.

150.000 jun­ge Erwachsene, so die Studie, ver­las­sen jähr­lich unser Bildungs- und Ausbildungssystem ohne Ausbildungsabschluss. Hochgerechnet auf die Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen sind das mehr als 1,5 Millionen Menschen. 22 Prozent von ihnen haben kei­nen Schulabschluss, 52 Prozent einen Hauptschulabschluss, 26 Prozent einen Realschulabschluss (Siehe Seite 6). „Bei aller Differenzierung ist ihnen eines gemein­sam: Ihre Chancen auf gesell­schaft­li­che Teilhabe sind wesent­lich gerin­ger als von Menschen mit einer beruf­li­chen Ausbildung“.

Die Autoren ver­su­chen eine Zuordnung der Folgekosten unzu­rei­chen­der Bildung auf die öffent­li­chen Haushalte der föde­ra­len Ebenen (sie­he Abbildung 13 und die dort fol­gen­den Erläuterungen): 40 Prozent der Folgekosten betref­fen nach ihren Berechnungen den Bund, 30 Prozent zah­len die Länder und je 15 Prozent ent­fal­len auf die Kommunen und die Bundesagentur für Arbeit.

Der Berechnung der Auswirkungen auf Länderebene lie­gen zwei Szenarien zugrun­de: Im ers­ten Szenario soll sich der Anteil der unzu­rei­chend Gebildeten um 20 Prozent, im zwei­ten um 50 Prozent ver­rin­gern. Nach 10 Jahren soll in Schleswig-Holstein die Verbesserung der Bildungssituation zu einer Entlastung von 7,1 bzw. 17,7 Millionen Euro, nach 20 Jahren 12,6 bzw. 31, 5 Millionen Euro füh­ren (sie­he Tabelle 6, der dort ver­wen­de­ten Begriffe „Folgekosten“ und „Gesamtkosten“ sind miss­ver­ständ­lich).

Unschärfen

Schon im Vorwort der Studie räu­men die Autoren ein, dass die Berechnungen unvoll­stän­dig sind.

So wer­den die unmit­tel­ba­ren mone­tä­ren Auswirkungen auf die Konsumsteuern oder auf das Rentensystem nicht berück­sich­tigt. Mittelbare Einflüsse, die ein wei­te­rer Bildungshorizont auf eine Gesellschaft haben wird – sin­ken­de Kriminalität, bes­se­res Gesundheitsverhalten, mehr bür­ger­schaft­li­ches Engagement, erhöh­tes gesell­schaft­li­ches Engagement – blei­ben außen vor. Zudem wer­den die mit einem Bildungszuwachs ver­bun­de­nen öko­no­mi­schen Wachstumspotentiale einer Gesellschaft – z.B. Bildungskompetenzen und volks­wirt­schaft­li­ches Wachstum – nicht ein­ge­preist.

Die Vermutung, dass eine Berücksichtigung auch die­ser Komponenten noch mehr bele­gen könn­te, Bildung „rech­ne“ sich, liegt nahe. Nun tritt die Studie aber mit Idee an, eben die­se Vermutung durch Gewissheit zu erset­zen. Und eben das wird durch eine nur antei­li­ge Betrachtung nicht erreicht.

Selbst ohne detail­lier­te Kenntnis über die Rechenmodelle über­zeugt auch die Berechnung der Kosten auf Länderebene nicht. Die Kostenarten (Lohnsteuer, Arbeitslosenversicherung, ALG I, Sozialleistungen) sind weit über­wie­gend dem Bund zuzu­rech­nen. Ihre Auswirkungen auf die Länderhaushalte müs­sen daher mar­gi­nal sein, zumal Veränderungen bei der Lohnsteuer durch den hori­zon­ta­len Länderfinanzausgleich weit­ge­hend weg­ni­vel­liert wer­den. Anderseits sind die auf­zu­brin­gen­den Kosten im Bildungssystem, die wie­der­um bei den Ländern lie­gen wür­den, nicht erkenn­bar berück­sich­tigt wor­den. Vielleicht deu­tet der fast durch­ge­hend benutz­te Begriff der „Länderebene“ an, dass man nicht „Länderhaushalte“ meint. Egal wie es gemeint ist: die Zahlen sind unbrauch­bar, um eine Belastung oder Entlastung der Länder zu bele­gen.

Handlungsbedarf

Dabei sind die Grundannahmen, dass man­geln­de Bildung kos­tet, sicher rich­tig. Und der Anteil der unzu­rei­chend gebil­de­ten 25- bis 34-Jährigen liegt in Schleswig-Holstein laut Studie über dem Bundesdurchschnitt. Handlung ist also nötig.

Anteile der unzu­rei­chend gebil­de­ten 25- bis 34-Jährigen
Sachsen

6,99

Brandenburg

9,82

Thüringen

11,38

Mecklenburg-Vorpommern

11,42

Sachsen-Anhalt

12,15

Bayern

12,77

Baden-Württemberg

15,03

Deutschland

15,39

Berlin

15,88

Hamburg

15,94

Schleswig-Holstein

16,02

Niedersachsen

16,10

Rheinland-Pfalz

16,71

Hessen

16,72

Nordrhein-Westfalen

19,53

Saarland

21,21

Bremen

24,82

(Quelle: Bertelsmann-Studie „Unzureichende Bildung: Folgekosten für die öffent­li­chen Haushalte”, Abbildung 4)

Betrachtet man zum Beispiel die Zahl der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss (nach Beendigung der Vollzeitschulpflicht), dann ist kei­ne Entspannung in Sicht. Ihr Anteil lag in den letz­ten Jahrzehnten in Schleswig-Holstein stets deut­lich über dem Länderdurchschnitt und näher­te sich ihm erst in den letz­ten Jahren.

Anteil der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss (nach Beendigung der Vollzeitschulpflicht) in Prozent

Anteil der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss (nach Beendigung der Vollzeitschulpflicht) in Prozent

(Quelle: KMK-Dokumentationen 195 und 164: Schüler, Klassen, Lehrer und Absolventen der Schulen 1992 bis 2010, Tabellen C I 1 und C I 1.1., eige­ne Berechnung

Ansatzpunkte

Um unzu­rei­chen­de Bildung und Bildungsarmut zu redu­zie­ren, ist eine – hier ist den Forderungen der Autoren der Studie unbe­dingt zuzu­stim­men – „kon­se­quen­ter Veränderungen im gesam­ten Bildungssystem und eine beson­de­re Förderung und Unterstützung für die Kinder, die wir heu­te im Bildungssystem zurück­las­sen.“ Krippen, Kindertagesstätten, Infragestellung des leh­rer­zen­trier­ter Frontalunterricht vor ver­meint­lich homo­ge­nen Schülergruppen, Einführung eines inklu­si­ves Schulsystems, flä­chen­de­cken­de Ganztagsschulen, Förderung von Grund, Förder- und Hauptschulen in sozia­len Brennpunkten, Lichtung des Maßnahmendschungels im Übergangssystem … die Autoren nen­nen viel­fäl­ti­ge Ansatzpunkte.

Ziele formulieren

Nur: Dafür braucht es kei­ner haus­hal­te­ri­schen Begründung. Denn der Mensch ist nicht allein ein Vernunftwesen, dem es aus den Vernunftsgründen der Aufklärung ermög­licht wer­den muss, einen brauch­ba­ren Beitrag zum Gemeinwesen zu leis­ten (und der das dann bit­te auch pflicht­schul­dig zu tun hat). Nein, schon weil wir – heu­te mehr denn je – nicht in die Zukunft schau­en kön­nen, spä­ter not­wen­di­ge Kompetenzen nicht ken­nen kön­ne und des­halb nicht wis­sen, wel­che „spe­zi­el­le“, “nütz­li­che“ oder „berufs­ori­en­tier­te“ Bildung nötig ist, ist der all­ge­mei­nen Bildung stets Vorrang zu geben. Und die­se ist allen zugäng­lich zu machen.

Dazu gehö­ren drei Zielbereiche: Individualität als ein­zig­ar­ti­ge Ausgestaltung der indi­vi­du­el­len Fähigkeiten und Haltungen, Totalität als Entfaltung aller Kräfte des Individuums sowie Universalität als Teilhabe in allen Lebens- und Kulturbereichen. Aber zu den Zielen gehö­ren auch Wege, die zu den Zielen füh­ren. Was war hier bei Wilhelm von Humboldt ange­dacht? Bildung war bei ihm immer kon­zi­piert als Selbstbildung, die zur Entfaltung von Individualität zur Humanität bei­tra­gen soll­te. Die drei eben genann­ten Zielbereiche sind ihm zufol­ge also letzt­end­lich nicht durch Fremdbildung son­dern nur durch Selbstbildung zu errei­chen. Dies bedeu­tet natür­lich, dass man den Menschen erst zur Selbstbildung brin­gen muss
(Matthias von Saldern, Schulleistung 2.0 – Von der Note zum Kompetenzraster)

Dieser Gedankengang ent­zieht sich damit der Notwendigkeit, haus­hal­te­risch begrün­det zu wer­den. Die Worte, die Richard von Weizsäcker 1991 bei der Entgegennahme der Denkschrift „Kultur in Berlin“ zur „Kultur“ und „Subvention“ sag­te und auf die Martin Lätzel ges­tern bei Facebook auf­merk­sam mach­te, las­sen sich eins zu eins auf „Bildung“ und „Investition“ über­tra­gen.

Kultur kos­tet Geld. Sie kos­tet Geld vor allem auch des­halb, weil der Zugang zu ihr nicht in ers­ter Linie durch einen pri­vat gefüll­ten Geldbeutel bestimmt sein darf. … Substanziell hat die Förderung von Kulturellem nicht weni­ger eine Pflichtaufgabe der öffent­li­chen Haushalte zu sein als zum Beispiel der Straßenbau, die öffent­li­che Sicherheit oder die Finanzierung der Gehälter im öffent­li­chen Dienst. Es ist gro­tesk, dass wir Ausgaben im kul­tu­rel­len Bereich zumeist „Subventionen” nen­nen, wäh­rend kein Mensch auf die Idee käme, die Ausgaben für ein Bahnhofsgebäude oder einen Spielplatz als Subventionen zu bezeich­nen. Der Ausdruck lenkt uns in die fal­sche Richtung. Denn Kultur ist kein Luxus, den wir uns leis­ten oder auch strei­chen kön­nen, son­dern der geis­ti­ge Boden, der unse­re eigent­li­che inne­re Überlebensfähigkeit sichert.

Ziele definieren

Es ist also nicht nur nicht nötig, eine finan­zi­el­le Begründung für Bildungsausgaben zu fin­den, son­dern auch der fal­scher Weg. Der Investitionsbegriff redu­ziert die Aufgabe Bildung auf Nützlichkeitserwägungen und gebiert die nicht lös­ba­re Anforderung, sein huma­nis­ti­sches Ziel einer Kosten-Nutzen-Analyse zu unter­wer­fen. Das schei­tert auch dar­an, dass das Ziel nicht allein ein fis­ka­li­sches, son­dern immer auch ein indi­vi­du­el­les und gesell­schaft­li­ches Element hat. In der Schweiz benutzt man anschei­nend den Begriff der Bildungsrendite (und unter­teilt ihn in fis­ka­li­sche, pri­va­te und sozia­le Rendite). Das erscheint mir pas­sen­der. Da Steuergeldern nicht von duka­ten­schei­ßen­den Goldesel gespen­det wer­den und ihr Einsatz des­halb über­prüf­bar und dem Ziel ange­mes­sen sein muss, sind Fragen der Rentierlichkeit nicht per se tabu. Sie bestim­men aber nicht das Ziel. Deshalb wären Forderungen nach „x.xxx nicht zu strei­chen­de Lehrerstellen“ oder „mehr Vertretungslehrer“ allein popu­lis­ti­sche und sehr unpo­li­ti­sche Forderungen, die ein wenig an Symptomen her­um­dok­tern, aber die eigent­li­che Probleme nicht mal strei­fen. Das ist das bis­her übli­che ver­meint­li­che Problemlösungsmuster: Stückwerk ohne Masterplan. Wege ohne Ziel.

Angesichts des Ausschlusses gan­zer Bevölkerungsschichten von fast jeder gesell­schaft­li­chen Teilhabe ist auch der Ruf nach „Reformpause“ blan­ker Unsinn. Das Gegenteil ist der Fall. Was wir brau­chen, ist eine gro­ße gesell­schaft­li­che Anstrengung, um das Bildungssystem end­lich zu refor­mie­ren. Und zwar gründ­lich und im gro­ßen Zusammenhang. Das hat aber erst in zwei­ter Linie etwas mit Geld zu tun. In ers­ter Linie gin­ge es dar­um, die Ziele zu ver­ein­ba­ren, die Defizite klar zu benen­nen und Wege vor­zu­schla­gen. Mit dem Kinderfinger auf den ande­ren zu zei­gen und „in des­sen Regierungszeit ging es berg­ab“ zu krei­schen, erb­on­kel­mä­ßig „ich wer­fe eine Lokalrunde Vertretungsstunden“ zu tönen oder groß­vä­ter­lich „ich rede mit euch allen und ent­schei­de dann irgend­was“ zu brum­men ist nicht das, was ich von Parteien erwar­te, die um mei­ne Stimme wer­ben.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

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