Das vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz zur (vermeintlichen) Fortentwicklung des Meldewesens stößt, im Ergebnis zu Recht, auf breite Kritik, zum Teil auch auf Empörung. Ich halte es jedoch für falsch, sich an den leeren Bänken im Bundestag abzuarbeiten.
Das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens sollte unter anderem, so sah es der ursprüngliche Regierungsentwurf vor, den Datenschutz bei Abfragen an die Melderegister durch einen bundesweiten Registerverbund verbessern – was aus Sicht der Datenschützer noch verbesserungsfähig gewesen wäre. Daten sollten nur noch herausgegeben werden können, wenn die betroffene Person zugestimmt hat. Dagegen waren die Inkassounternehmen, die Direktwerbewirtschaft und andere Adressenhändler Sturm gelaufen. Die Regierungsfraktionen von CDU, CSU und FDP haben einen Bückling vor diesen kommerziellen Interessen gemacht und nun faktisch das Gegenteil beschlossen.
Das ist übrigens nicht der einzige Unsinn in dem Gesetz. Das Gesetz will auch die von niemandem vermisste Vermieterbescheinigung beim Umzug wieder einführen. Wahrscheinlich wegen der vielen Kriminellen, die sich zum Schein dort anmelden, wo tatsächlich lautere Bürgerinnen und Bürger wohnen und so andauernd die SEKs in die Irre leiten. Schon wegen dieses Unfugs gehört das Gesetz in die Tonne getreten.
Da das Gesetz, das 2014 in Kraft treten soll, im Bundesrat zustimmungspflichtig ist, bestehen gute Chancen, es noch zu verhindern. Zumal mittlerweile auch von Seiten der Bundesregierung Bedenken angemeldet werden – ich lasse mal dahingestellt, ob Frau Aigner hier auf fahrende Züge springt oder ob sie das wirklich bewegt.
In der Kritik an dem Gesetz wird sehr gern auf ein Video des Bundestages verwiesen, das die leeren Bänke im Bundestag während der Abstimmung über das Gesetz (am Abend des EM-Halbfinalspiels Deutschland-Italien) zeigt.
Diese Kritik ist populistisch. Unsere parlamentarische Demokratie hat dem Plenum längst eine faktisch untergeordnete Rolle zugewiesen, die in einer gewissen Diskrepanz zu seiner formal immer noch wichtigen Rolle steht. Die eigentliche Arbeit wird längst in den Ausschüssen erledigt. Das gilt für alle Parlamente. Am Beispiel des Kieler Landtages habe ich das hier mal erläutert.
Nebenbemerkung: Der Abgeordnete König von den Piraten hat sich jüngst im Kieler Landtag einen Rüffel eingehandelt, als er im Plenum eben dieses als „Schaukampfbühne“ bezeichnete. Eine Landtagsvizepräsidentin muss das vielleicht kritisieren, falsch wird die Bezeichnung dadurch aber nicht. Jeder weiß, dass im Plenum nicht mehr entscheiden wird, sondern die Entscheidung nur noch öffentlich vollzogen wird. Das ist einer der Gründe, warum die Berichterstattung über Plenarsitzungen so mühsam ist. Die Lösung liegt nicht am Klammern an einer teilweise tradierten Rolle des Plenum sondern in einer stärkeren Betonung und (auch: medialen) Aufwertung der Ausschussarbeit. Dann wird das Bild vom Parlament – das eben mehr ist als ein Plenum – auch realistisch.
Selbst wenn das Plenum voll gewesen wäre: Es ist offensichtlich und nicht zu vermeiden, dass Abgeordnete sich angesichts der Fülle an Themen spezialisieren und sich darauf verlassen müssen, was „ihre Spezialisten“ zur Zustimmung oder Ablehnung empfehlen. Das hier ist die Tagesordnung des Bundestages vom 28.06.2012. Wer sich in allen Themen so auskennt, dass er inhaltlich auch nur im Ansatz versteht, um was es da geht, der fange mit dem Steine werfen an.
Es ist sinnvoller, die Kritik auf die Sprecher in den oder Obleute der Fraktionen zu konzentrieren und ihre Verquickung mit den Adresshändlern zu dokumentieren. Angesichts der immer wieder nicht nur in der interessierten Öffentlichkeit geführten Diskussionen über das Für und Wider des Adressenhandels haben nämlich hier die zuständigen Fachleute (augenscheinlich dabei: die Abgeordneten Helmut Brandt, CDU/CSU-Fraktion, und Manuel Höferlin, FDP-Fraktion Update: Abgeordnetenwatch hat Hans-Peter Uhl (CSU) und Gisela Piltz (FDP) als Antragsteller namhaft gemacht) einen kapitalen Bock geschossen und sich politisch disqualifiziert: So naiv kann man nicht sein, den Ansinnen der Adresshändler so offensichtlich nachzugeben.
Wenig glaubwürdig ist auch die aus Rheinland-Pfalz zu hörende Absicht, nun flugs eine Blockade im Bundesrat zu organisieren. Ein Ministerpräsident, der sich für die Datenkrake GEZ (die wahrscheinlich von dem Gesetzgebungsunsinn ebenfalls partizipiert und ihr Schattenmelderegister noch weiter „verbessern“ kann) stark macht, hat ein Glaubwürdigkeitsproblem epischen Ausmaßes, wenn es um Datenschutz geht.
Grundsätzlich, lieber Swen, teile ich Deine Sicht der Dinge bezüglich der leeren Bänke im Bundestag. Allerdings erwarte ich schon, dass diejenigen, die vorgeben sich für die Bürgerrechte einzusetzen, in solchen „Debatten” ihre Reden nicht zu Protokoll geben, sondern den Kameras das zugehörige Schauspiel auf der „Schaukampfbühne” liefern.
Das ist nämlich die Aufgabe des Plenums Bundestag: Die bereits in den Ausschüssen erarbeiteten Lösungen noch einmal öffentlich zu begründen und den eigenen Standpunkt der Öffentlichkeit darzulegen. Das kann bei Randthemen notfalls soweit zusammengestrichen werden, dass man die Erklärung zu Protokoll gibt. Wer sich allerdings als Bürgerrechtspartei geriert (FDP, Grüne, Linke) oder sich jetzt heldenhaft im Bundesrat in die Bresche werfen möchte (SPD, Grüne(?), Linke(?)), der muss sich fragen lassen, weshalb ihm denn das Thema nicht wichtig genug für eine öffentliche Debatte im Bundestag war.
Und natürlich müssen sich die MdB der zugehörigen Fraktionen auch fragen lassen, weshalb ihnen das Thema nicht wichtig genug für ihre Anwesenheit war. Die Abwesenheit ist nämlich auch eine Aussage darüber, welche Relevanz man dem Thema beimisst. Denn bei den wichtigen Abstimmungen ist das Plenum immer voll.
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> … den Kameras das zugehörige Schauspiel auf der “Schaukampfbühne” liefern.
> Aufgabe des Plenums: … Lösungen noch einmal öffentlich zu begründen
> … bei den wichtigen Abstimmungen ist das Plenum immer voll
Theoretisch ist das alles richtig. Aber machen wir uns doch nichts vor: Die einzigen Kameras, die liefen, waren die des Parlamentsfernsehens; die Öffentlichkeit, vor der etwas begründet wird, ist eine konstruierte; alle Abstimmungen im Plenum sind wichtig, denn sonst würde es dort nicht abgestimmt werden …
Faktisch geht die weit überwiegende Zahl der Beschlüsse im Grundrauschen unter. Was man hinbekommen muss, ist Öffentlichkeit zu mobilisieren. Und die scheint nicht durch die Opposition gemacht worden zu sein. Wenn die also überhaupt gewusst haben, wogegen die stimmten! Denn in der anfänglichen Berichterstattung (dpa-Meldung vom 29.06: http://www.focus.de/politik/deutschland/verwaltung-comeback-der-vermieterbescheinigung-beim-meldeamt_aid_774833.html) wurde nur Schaar als Kritiker aufgeführt. Die erste Kritik, die ich mitbekommen habe, kam vom ULD (am 4.7.).
Das Lied ist auch längst noch nicht gesungen. Ich kann mir vorstellen, dass da schließlich unter dem Zauberwort „Kompromiss” irgendwas halbseidenes beschlossen wird, was den Adresshändlern immer noch nützt.
Und grundsätzlich bin ich völlig baff, dass die Uhls dieser Welt nichts aus JMStV, ACTA und anderen parlamentarischen Katastrophen lernen wollen. Sie glauben immer noch, dass das Gros unpolitisch ist und sie mit dieser Kuckucksei-Methode ihr Klientel bedienen können. Und solche Leute sitzen in parlamentarischen Kontrollkommissionen … #faceplam
Vielleicht hingen ja vor allem die Berichterstatter und „die Öffentlichkeit” vor den EM-Übertragungen oder haben sich nur um die anderen Säue interessiert, die gerade durchs Dorf getrieben wurden und nicht so sehr für das politische Kleinklein.
http://www.spdfraktion.de/presse/pressemitteilungen/regierungskoalition-schwächt-datenschutz-im-meldewesen
Insofern hat sich vielleicht niemand eine goldene Nase verdient und dann bleibt nur die Themen „leerer Bundestag” und „doofe/faule Abgeordnete”. Das geht ja immer …
Danke für den Link, der belegt, dass wenigstens die SPD explizit auf die Umkehr hingewiesen hat. Meine Antwort auf Olivers Kommentar („Und die scheint nicht durch die Opposition gemacht worden zu sein. Wenn die also überhaupt gewusst haben, wogegen die stimmten!”) ist also nur teilweise richtig.
Gut, dass der Bundesrat die Notbremse zieht.
Interessant ist übrigens diese Schilderung über die Änderung des Gesetzesinhalts auf den letzten Metern, die abgeordnetenwatch.de im eigenen Blog zum Besten gibt: http://blog.abgeordnetenwatch.de/2012/07/09/kurz-vor-der-halbzeitpause-wie-das-meldegesetz-im-schnelldurchlauf-den-bundestag-passierte/
Wenn das stimmte, dann verstünde ich vor allem nicht, weshalb sich die Opposition diese Steilvorlage hat entgehen lassen – sowohl presse- als auch debattentechnisch.
Hier nach 17/7746 oder 17/10158 suchen. Bedauerlicherweise wird nicht auf Ausschussberatungen verlinkt. Deren TO findet man (z.B) hier und könnte sich jetzt mal auf die Suche nach dem Protokoll machen — gefunden habe ich leider keine. Werden Protokolle des Ausschusssitzungen im Bundestag etwa nicht veröffentlicht? Was ist unser Landtag in SH doch transparent.
Zum Vorwurf, der Antrag stamme von Uhl und Piltz gibt es nun bei abgeordnetenwatch.de ein Update.
Die Mövenpick-Partei at its best und die Union dreht sich ein paar mal im Kreis und weiß am Ende gar nicht mehr, was sie eigentlich will. Ein großartiges Stück Politik-Theater. :))
Danke für diese differenzierte Darstellung. Noch eine Klarstellung zu dem Beitrag von „Oliver Fink”: Es ist im parlamentarischen Alltag gar nicht anders zu händeln als die Reden zu Protokoll zu geben. Alternativ wäre es möglich, den Punkt ganz ohne (auch schriftliche) Debatte abzustimmen oder bis 4 oder 5 Uhr in der Frühe durchzumachen. Man könnte auch mehr Sitzungswochen in Berlin abhalten, um das wachsende Programm halbwegs stemmen zu können. Dies würde aber bedeuten, dass die Abgeordneten weniger in ihren Wahlkreisen wären. Dann hieße es wieder, die Abgeordneten würden den Kontakt zum Wähler scheuen. Wie mans auch dreht, es gibt da keine einfache Lösung. Da ist die Aussprache zu Protokoll sicher die beste Variante. Zumal die Medien, also die, die jetzt das Tempo der Abstimmung beklagen, ohnehin kaum noch Bundestagsberichterstattung machen.
Nichts anderes hatte ich geschrieben. Da aber nicht alle Reden zu Protokoll gegeben werden – gelegentlich reden im Bundestag neben dem Präsidium auch Abgeordnete – findet eine Klassifizierung in wichtige Themen (dazu redet jemand) und unwichtige Themen (Reden werden zu Protokoll gegeben) statt. Bei ganz wichtigen Themen lässt die Opposition dann sogar die Beschlussfähigkeit des Bundestags prüfen und Sitzungen entsprechend platzen.
Wir können nun feststellen: Keiner Partei war das Thema wichtig genug, um dazu wirklich zu sprechen. Die Opposition fand es auch nicht wichtig genug, um es mangels offensichtlicher Beschlusdunfähigkeit des Gremiums an die Wand zu fahren und damit in den Fokus der Öffentlichkeit zu zerren. Die wollten alle lieber – wie Claudia Roth es selbst zugegeben hat – lieber Fussball schauen.
Deswegen ist das öffentliche Geheule hinterher auch so scheinheilig. Es war ihnen in Regierung und Opposition schlicht nicht wichtig genug für irgendeine Anstrengung.
„nicht wichtig genug für irgendeine Anstrengung” kann man wohl nicht sagen. MdB Gerold Reichenbach (SPD) sagt dazu in einem Kommentar auf Abgeordnetenwatch einiges. Daraus kann man viel lernen; z.B., dass selbst MdB (noch) glauben, dass das Veröffenlichen eines Pressetextes schon eine Kampagne ist.
Als Mitglied einer Regierungspartei hofft man also darauf, dass die Opposition den eigenen Blödsinn korrigiert? Ersthaft? Soll das wieder ein Witz der gelben Spass-Partei sein?!
Der eigentliche Skandal ist doch die Änderung an der ursprünglichen Fassung des Meldegesetzes und die kam ja nun von der Union und FDP!
http://www.der-postillon.com/2012/07/petition-dass-politiker-regelmaig.html
Das ist nur ein bisschen richtig, was Oliver Fink hier raushaut. Es kann sein, dass Claudia Roth lieber Fußball gucken wollte — über die Abendgestaltung der übrigen Abgeordneten sagt das aber erstmal nichts aus. Der Eckernförder Abgeordnete — z.B. — saß während der Abstimmung im NSU-Untersuchungsausschuss. Entscheidend ist: Die Koalitionsfraktionen — CDU/CSU/FDP — haben im Deutschen Bundestag die Mehrheit — unabhängig davon, wieviele Nasen bei der konkreten Abstimmung im Parlament gesessen haben und ob die Reden nun gehalten oder zu Protokoll gegeben wurden. Mit dieser Mehrheit haben sie Murks gebaut — über die Motive will ich hier nicht spekulieren. Die Opposition hat das keineswegs verpennt, sondern öffentlich gemacht — wie ich anderer Stelle schon gezeigt habe. Gepennt — bzw. möglicherweise tatsächlich lieber Fußball geguckt — haben die Medien und andere selbst ernannte Wächter. Insofern finde ich es einigermaßen unangemessen, der Opposition „öffentliches Geheule” ans Zeug zu flicken zu wollen. Für Mitglieder der Regierungsfraktionen — auch Regierungsmitglieder, die — wie inzwischen belegt — schon lange in den Coup eingeweiht waren und nun so tun, als hätten sie von nichts gewusst, will ich das gerne gelten lassen.
Lesenwert finde ich dies: http://www.waschbaerpower.de/politik/57-sekunden/
Es ist sicher richtig, darauf zu verweisen, dass Gesetze heute aus praktischen Gründen in Fachausschüssen beschlossen werden müssen. Nur muss man das massive Demokratiedefizit, das damit einhergeht, auch benennen. Und man kann gerade in einer repräsentativen Demokratie nicht erwarten, dass die Bürger es hinnehmen, wenn die Parlamentarier der Rolle, die sie in diesem System einnehmen sollen, nicht mehr gerecht werden, denn sonst laufen sie Gefahr, die wenige Macht, die sie praktisch ausüben, zu verlieren, wenn sie diese nicht ohnehin schon längst verloren haben.
Diese Problematik ist im übrigen seit den 70iger-Jahren bekannt und harrt seitdem der Bearbeitung.
Den Schluss, den man daraus ziehen müsste, der wäre eine Neuordnung der Kompetenzen auf allen Ebenen, wir dürfen jedoch erleben, dass z.B. der Bund immer mehr Kompetenzen an sich zieht. Die Neuordnung des Meldewesens ist hier nur ein Beispiel und wäre eigentlich Aufgabe der Länder. Und auch diese sollte man unter den selben Gesichtspunkten einmal unter die Lupe nehmen.